Rundbogenstil
Der Rundbogenstil ist ein Baustil des Historismus, der die Stildiskussion in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts dominierte. Er nahm Elemente der byzantinischen, romanischen und Renaissancearchitektur auf und verband sie mit stilneutralen Motiven. Die Abgrenzung zur Neuromanik und Neurenaissance ist nicht eindeutig möglich.[1]
Beschreibung
Mit der Anlehnung an frühchristliche Vorbilder grenzt sich der Rundbogenstil vom Klassizismus ab, der mit seinem Rückgriff auf die Formensprache der Antike das frühe 19. Jahrhundert beherrscht hatte. Der Rundbogenstil schaffte mit seiner schlichten und streng geordneten Fassadenarchitektur die erste zeitgenössische Antwort auf die Frage nach einem angemessen Baustil seiner Zeit, die gegen Mitte des 19. Jahrhunderts von politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen vor dem Hintergrund der aufkeimenden deutschen Nationalbewegung und der beginnenden Industriellen Revolution gestellt wurde. Gegenüber den Säulenordnungen des Klassizismus ermöglichte die Wölbtechnik flexiblere und rationellere Konstruktionen. Damit ist der Rundbogenstil ein frühes Beispiel für den Historismus, der Stilformen als Ausdruck einer bestimmten Bauaufgabe definierte.
Vertreter
Ein einflussreicher Vertreter und theoretischer Vordenker des Rundbogenstils war unter anderem der Karlsruher Architekt Heinrich Hübsch, der mit seiner 1828 erschienenen Schrift „In welchem Style sollen wir bauen?“ gedankliche Grundlagen für den Rundbogenstil schuf. In München vertraten Leo von Klenze und Friedrich von Gärtner, in Norddeutschland die von Conrad Wilhelm Hase begründete Hannoversche Architekturschule den Rundbogenstil (weitere Vertreter waren Ludwig Droste und Edwin Oppler), in Preußen war es die Schinkelschule. In Kassel folgte vor allem Julius Eugen Ruhl mit seinen Bahnhofsbauten dem Stil. Auch auf die nordamerikanische Architektur des mittleren 19. Jahrhunderts, namentlich in New York oder Philadelphia, übte der Rundbogenstil einen entscheidenden Einfluss aus.[2]
Beispiele
- Königsbau und Allerheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz, 1826–1835, Leo von Klenze
- Ludwigskirche, München, 1829–1844, Friedrich von Gärtner
- Unterbarmer Hauptkirche, Wuppertal, 1828–1832, Heinrich Hübsch
- Bayerische Staatsbibliothek, München, 1832–1843, Friedrich von Gärtner
- Ludwig-Maximilians-Universität München (Hauptgebäude), 1840, Friedrich von Gärtner
- Hauptgebäude der Universität Karlsruhe (damals Polytechnische Schule), 1833–1835, Heinrich Hübsch, 1861–64 erweitert von Friedrich Theodor Fischer
- Kunsthalle Karlsruhe, 1836–1846, Heinrich Hübsch
- Heilandskirche, Potsdam, 1841–1844, Ludwig Persius
- Friedenskirche, Potsdam, 1845–1854, Ludwig Persius, Friedrich August Stüler
- St.-Marcus-Kirche, Wettmar, 1855, Conrad Wilhelm Hase
- Pathologisches Institut, Wien, 1859–1862, Ludwig Zettl
- Kreisirrenanstalt für Niederbayern, Deggendorf, 1866, Leonhardt Schmidtner, Anton Völkl[3]
- St.-Dionysius-Kirche, Oos, 1864, Heinrich Hübsch
- Rotes Rathaus, Berlin, 1865–1871, Hermann Friedrich Waesemann
- Stortinget, Oslo, 1866, Emil Victor Langlet
- Johanneskirche, Düsseldorf, 1875–1881[4]
- Friedenskirche, Starnberg am See, 1891–1892, Distriktsbautechniker Härtinger
- Viele Bahnhofsgebäude der „ersten Generation“ (bis ca. 1870), oftmals jedoch durch spätere Bauten ersetzt, z. B.:
- Leipzig Bayerischer Bahnhof, 1841–1844 (z. T. erhalten)
- Karlsruhe Hauptbahnhof (Altbau), 1844–1846, Friedrich Eisenlohr (nicht erhalten)
- Hamburger Bahnhof (Berlin), 1846–1847, Friedrich Neuhaus, Ferdinand Wilhelm Holz (erhalten)
- München Centralbahnhof, 1847–1849, Friedrich Bürklein (nicht erhalten)
- Völklingen Alter Bahnhof, Saarland (erhalten)[5]
- Tübingen Hauptbahnhof, 1861–1862 (erhalten)[6]
- Auch zahlreiche Synagogen im deutschsprachigen Raum wurden im 19. Jahrhundert in diesem Stil erbaut.
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- Eintrag Rundbogenstil in: Gerhard Strauss & Harald Olbrich: Lexikon der Kunst. Architektur, bildende Kunst, angewandte Kunst, Industrieformgestaltung, Kunsttheorie. Seemann, Leipzig 1994, Band 6, S. 293 ff.
- Kathleen Curran: The German Rundbogenstil and Reflections on the American Round-Arched Style. In: Journal of the Society of Architectural Historians 47, 1988, S. 351–373. - Michael J. Lewis: Der Rundbogenstil und die Karlsruhe-Philadelphia Achse. In: Dauer und Wechsel: Festschrift für Harold Hammer-Schenk. Lukas Verlag, Berlin 2004, S. 128–138.
- Franz Ast, ‘Anstaltsberichte - Die Kreisirrenanstalt für Niederbayern’, Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medizin, Vol. 27 (Berlin: Georg Reimer, 1871), 346–347, online: <http://books.google.at/books?id=m3y2nPcpVNwC&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false>
- Johanneskirche Düsseldorf, Geschichte
- „Bahnhöfe im Saarland, Stilentwicklung“
- tuepedia