Rudi Paret
Rudolf „Rudi“ Paret (* 3. April 1901 in Wittendorf; † 31. Januar 1983 in Tübingen) war ein Philologe und Islamwissenschaftler, von dem die in Wissenschaftskreisen maßgebliche Übersetzung des Korans ins Deutsche stammt.[1]
Leben und Wirken
Rudi Paret war eines von fünf Kindern des Wittendorfer Pfarrers Wilhelm Paret und der Tübinger Uhrmacherstochter Maria Felicitas, geborene Müller (* 1869)[2]. Während seine älteren Brüder Karl und Alfred im Ersten Weltkrieg fielen, besuchte Rudi Paret ab 1916 theologische Seminare in Schöntal und Urach und studierte ab 1920 als Stipendiat des Tübinger Evangelischen Stifts evangelische Theologie an der Universität Tübingen. Bald wechselte er jedoch zur Orientalistik und promovierte 1924 bei Enno Littmann mit der Arbeit Sīrat Saif ibn Ḏhī Jazan. Ein arabischer Volksroman. 1926 habilitierte er sich in Tübingen für Orientalistik mit seiner Arbeit Der Ritter-Roman von ʿUmar an-Nuʿmān und seine Stellung zur Sammlung von Tausendundeine Nacht. Ein Beitrag zur arabischen Literaturgeschichte. Anschließend konnte er die Assistentenstelle in Tübingen bekleiden.
Seine wissenschaftliche Karriere führte Paret 1930 an die Universität Heidelberg, wo er zunächst einen Lehrauftrag übernahm. 1935 wurde er dort zum nicht-beamteten und 1939 zum beamteten außerordentlichen Professor ernannt. 1940 wurde er mit der Vertretung auf dem Lehrstuhl für Semitistik und Islamkunde an der Universität Bonn beauftragt. Er war Mitglied des deutschchristlichen Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben in Eisenach. Von 1941 an diente er als Dolmetscher für Arabisch im deutschen Afrikakorps, anschließend geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1946 zurückkehrte. Im Jahre 1948 heiratete er Hanna Küppers (* 1911) aus Königsberg, eine Tochter des Walter Küppers.
1951 kehrte er nach Tübingen zurück und folgte Enno Littmann auf den dortigen Lehrstuhl für Semitistik und Islamkunde. Im Sommersemester 1968 wurde er emeritiert. 1980 wurde er korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Bekannt wurde Paret vor allem durch seine 1966 im Verlag W. Kohlhammer erstmals erschienene Koranübersetzung, die in der Wissenschaft bis heute die maßgebliche deutsche Übersetzung ist. Paret verwendete dabei das erste Mal Methoden, wie sie ihm aus der historisch-kritischen Forschung an der biblischen Überlieferung bekannt waren. Die Übersetzung ist mit wissenschaftlicher Präzision durchgeführt worden, worunter jedoch die Lesbarkeit für den Laien leidet. Die Mängel seiner Koranübersetzung sind dem Autor durchaus bewusst, schreibt er doch in seinem Vorwort:
„Die Übersetzung muß sich […] an die Wortfolge und Ausdrucksweise des arabischen Textes halten. Insgesamt ergibt sich so eine gewisse Uneinheitlichkeit. Flüssig formulierte Stellen lösen sich in scheinbar willkürlichem Wechsel ab mit solchen, die unbeholfen klingen und dazu auch schwer verständlich sind. Das muß in Kauf genommen werden.“[3]
Obwohl Parets Übersetzung für wissenschaftliche Zwecke weitgehend unbestritten ist, hat sie auch Kritiker gefunden, darunter Stefan Wild und dessen Schüler Navid Kermani, die die Übersetzung für übermäßig „akribisch“ und damit für zu schwerfällig halten.[4] Kermani kritisiert, Paret sehe in seinem Bemühen, den Sinn getreu wiederzugeben, von der Form ab: Dadurch sei seine Übersetzung, „gerade in ihrer ostentativen Genauigkeit, nicht nur schlecht, sie ist falsch, sie vermittelt eine falsche Idee vom Koran“.[5] Der Islamwissenschaftler Hartmut Bobzin hingegen nennt Parets Übersetzung im Vorwort seines eigenen Buches Der Koran (Beck 2004) die „philologisch nach wie vor am besten begründete“, obwohl es die Übersetzung bis heute nicht gebe. Parets Werk werde in der internationalen Islamwissenschaft hoch geschätzt und sei neben den Übersetzungen von Adel Theodor Khoury und Friedrich Rückert zweifellos die derzeit maßgebliche. In seinem Buch Kommentar und Konkordanz zum Koran verzichtet Paret auf einen analytischen Sachindex, hauptsächlich aus zeitlichen Gründen.
Paret ist der Verfasser von mehreren Auflagen der Kleinen Arabischen Sprachlehre, einer arabischen Kurzgrammatik, die auf dem Werk von Ernst Harder beruht; „das kleine Buch soll ein praktisches und zuverlässiges Hilfsmittel sein für alle diejenigen, die sich in möglichst kurzer Zeit in die Grundzüge der arabischen Schriftsprache einarbeiten wollen“.[6] Zuerst war er beteiligt an der 3. Auflage von 1938, zuletzt bearbeitete er die Grammatik bei der 10. Auflage 1964. Die 11. Auflage erschien unter dem Namen Harder und der Bearbeitung von Annemarie Schimmel. Seit der 13. Auflage sind Harder und Schimmel als Verfasser genannt.
Sein Nachlass befindet sich in der Universitätsbibliothek Tübingen.[7]
Veröffentlichungen (Auswahl)
- Sîrat Saif ibn Dhî Jazan. Ein arabischer Volksroman. Lafaire, Hannover 1924.
- Früharabische Liebesgeschichten. Ein Beitrag zur vergleichenden Literaturgeschichte. Haupt, Bern 1927. (Sprache und Dichtung. Heft 40).
- Der Ritter-Roman von 'Umar an-Nu'mân und seine Stellung zur Sammlung von Tausendundeine Nacht. Ein Beitrag zur arabischen Literaturgeschichte. Mohr Siebeck, Tübingen 1927.
- Die Geschichte des Islams im Spiegel der arabischen Volksliteratur. Mohr Siebeck, Tübingen 1927. (Philosophie und Geschichte. Heft 13).
- Die legendäre Maghâzi-Literatur. Arabische Dichtungen über muslimische Kriegszüge zu Mohammeds Zeiten. Mohr Siebeck, Tübingen 1930.
- Zur Frauenfrage in der arabisch-islamischen Welt. Kohlhammer, Stuttgart 1934. (Abhandlungen zur Orientalischen Philologie und zur allgemeinen Religionsgeschichte. Heft 8).
- Kleine Arabische Sprachlehre. Zusammen mit Ernst Harder. Groos, Heidelberg 1938. (Zehnte Auflage 1964).
- Grenzen der Koranforschung. Kohlhammer, Stuttgart 1950. (Bonner Orientalische Studien. Heft. 27).
- Der Islam und das griechische Bildungsgut. Mohr Siebeck, Tübingen 1950. (Philosophie und Geschichte. Heft 70).
- Ein Jahrhundert Orientalistik. Lebensbilder aus der Feder von Enno Littmann und Verzeichnis seiner Schriften. Zum achtzigsten Geburtstag am 16. September 1955 zusammengestellt von Rudi Paret und Anton Schall. Harrassowitz, Wiesbaden 1955.
- Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen Propheten. Kohlhammer, Stuttgart 1957. ISBN 3-17-018839-9 (Zehnte Auflage 2008).
- Symbolik des Islam. Hiersemann, Stuttgart 1958. ISBN 3-7772-5807-5 (Symbolik der Religionen. Band II.)
- Die Welt des Islam und die Gegenwart. Herausgegeben von Rudi Paret. Kohlhammer, Stuttgart 1961.
- Der Koran. Übersetzung von Rudi Paret. Kohlhammer, Stuttgart 1966. ISBN 978-3-17-019829-6 (Zwölfte Auflage 2014).
- Arabistik und Islamkunde an deutschen Universitäten. Deutsche Orientalisten seit Theodor Nöldeke. Steiner, Wiesbaden 1966.
- The Study of Arabic and Islam at German Universities. German Orientalists since Theodor Nöldeke. Steiner, Wiesbaden 1968.
- Der Koran. Kommentar und Konkordanz von Rudi Paket. Kohlhammer, Stuttgart 1971, ISBN 978-3-17-022670-8; 2. Auflage ebenda 1977; 7. Auflage ebenda 2005, ISBN 3-17-018990-5; 8. Auflage 2012. Weitere Auflage, mit einem Vorwort sowie Nachträgen und Berichtigungen von Rudi Paret von Dezember 1979: Ansariyan Publication, Ghom 1981.
- Deutsche Orientalisten am Beispiel Tübingens. Arabische und islamkundliche Studien. Herausgegeben vom Orientalischen Seminar der Universität Tübingen. Erdmann, Tübingen/Basel 1974, ISBN 3-7711-0190-5.
- Der Koran. Herausgegeben von Rudi Paret. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1975, ISBN 3-534-05465-2 (Wege der Forschung. Band CCCXXVI).
- Symbolik des Islam. Tafelband von Christoph Bürger und Franz Allemann. Hiersemann, Stuttgart 1975, ISBN 3-7772-7508-5 (Symbolik der Religionen. Band XX.)
- Der Koran. Verlag für Sammler, Graz 1979. ISBN 3-85365-039-2.
- Schriften zum Islam. Volksroman, Frauenfrage, Bilderverbot. Herausgegeben von Josef van Ess. Kohlhammer, Stuttgart 1981. ISBN 3-17-005981-5
- Der Koran. Übersetzt, kommentiert und eingeleitet von Rudi Paret. Directmedia Publishing, Berlin 2001 ISBN 3-89853-146-5 (CD-ROM).
Literatur
- Hartmut Bobzin: Paret, Rudi. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 20, Duncker & Humblot, Berlin 2001, ISBN 3-428-00201-6, S. 64 (Digitalisat).
- Gunnar Anger: Rudi Paret. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 25, Bautz, Nordhausen 2005, ISBN 3-88309-332-7, Sp. 1023–1030.
- Josef van Ess: Rudi Paret (1901–1983). In: Der Islam, Band 61, Heft 1 (1984), S. 1–7 (doi:10.1515/islm.1984.61.1.1).
Weblinks
- Literatur von und über Rudi Paret im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
- Johann Büssow, Stefan Rosiny und Christian Saßmannshausen: ORIENTierung: Ein Leitfaden für (werdende) IslamwissenschaftlerInnen an der FU Berlin (Memento vom 29. Januar 2017 im Internet Archive). Berlin, 2016. S. 30
- Hartmut Bobzin: Paret, Rudi (eigentlich Rudolf), Deutsche Biografie
- Rudi Paret: Der Koran. Kohlhammer, Stuttgart 1966 (19833), S. 6–7
- Mahmoud Abu-Shuair: Mohammed als historische Gestalt: Das Bild des Islam-Propheten bei Rudi Paret, S. 50 (Google-Books Link, abgerufen am 22. Mai 2015)
- Navid Kermani: Gott ist schön: Das ästhetische Erleben des Koran. Beck, München 1999, S. 151.
- Rudi Paret im Vorwort zur 7. Auflage (1959), S. III.
- Universitätsbibliothek Tübingen, im Nachlasskatalog unter Signatur Md 1088.