Reichsvereinigung Kohle
Die Reichsvereinigung Kohle (auch: Reichsvereinigung Kohle für den Bergbau und die Kohlewirtschaft; abgekürzt: RVK) war ein Lenkungsverband (= kartellartiges Großgebilde) der deutschen kohleverarbeitenden Industrie während des Zweiten Weltkriegs. Sie wurde im Frühjahr 1941 unter Aufsicht und mit Förderung der Reichsregierung gebildet und vereinigte alle kohleproduzierenden Industriekonzerne. Der Vorsitzende der RV Kohle war bis 1945 Paul Pleiger, Mitbegründer der Reichswerke Hermann Göring.
Gründung
Die RV Kohle entstand durch Anordnung des Reichswirtschaftsministers vom 21. April 1941.[1] Sie war der Gegenentwurf der Kohleindustriellen zu den Plänen des Reichskohlenkomissars Paul Walter, der die Kohleindustrie analog zum Reichsnährstand umorganisieren wollte. Bei einem „stürmischen“ Treffen einer Delegation von Industriellen darunter Alfried Krupp von Bohlen und Halbach und Friedrich Flick im Februar 1941 mit Hermann Göring, Walther Funk und Paul Walter, bezeichnete Funk den von Walter verfassten „Sozialisierungsentwurf“ als „bolschewistisch“. Dieser stritt dies ab, als aber Funk ein Exemplar hervorholte, wurde Walter überführt und verließ den Raum. Göring stimmte dann dem Vorschlag der Industrie zur Gründung der RVK zu, und folgte dem übereinstimmenden Wunsch aller Industriellen, Pleiger den Vorsitz anzubieten.[2] Friedrich Flick äußerte nach dem Krieg:
„Pleiger hat sich um die Erhaltung des privatwirtschaftlichen Charakters des Kohlebergbaus große Verdienste erworben und den staatlichen Einfluß auf den durch die Anordnung zur Bildung der RVK gegebenen Rahmen zu beschränken gewußt. Dadurch hatte er sich die Anerkennung und Mitarbeit der Kohlenindustriellen gesichert.“[3]
Aufgaben
Hauptaufgaben waren Produktivitätssteigerung, Kontrolle von Distribution und Transport sowie Koordination und Durchführung aller staatlichen Maßnahmen auf dem Kohlesektor.
Unter dem Regime der RV Kohle wurden Sonderschichten, Preisfestsetzungen, die Nutzung von Fremd- und Zwangsarbeitern sowie privatwirtschaftliche Verfügung über Kohlevorkommen in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten (z. B. in Polen und Belgien) eingeführt. Durch ihre Organisationsleistungen sicherte die Reichsvereinigung einerseits den Konzernen die Profitabilität und andererseits dem NS-Regime die kriegsnotwendige Kohleversorgung zur Rüstungsproduktion.
Die erfolgte Ausbeutung von Menschen aus den besetzten Ländern und deren Besitz waren später Anklagepunkte im Nürnberger Nachfolgeprozess gegen Verantwortliche der Wirtschaft des Deutschen Reichs (Flick-Prozess, 1947).
Der Geschäftsführer war der vormalige Ministerialdirektor Erich Flottmann.
Literatur
- Reichswirtschaftsministerium: Anordnung über die Reichsvereinigung Kohle vom 21. April 1941. In: Ministerialblatt des Reichswirtschaftsministeriums. 19 (1941), 146–147.
- Liselotte Eckelberg, Die Bedeutung der Reichsvereinigungen im Rahmen der Wirtschaftslenkung für die gewerbliche Wirtschaft, Diss. Univ. Hamburg 1944.
- Avraham Barkai: Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus. Ideologie, Theorie, Politik. 1933 - 1945. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1988, ISBN 3-596-24401-3
- Werner Bührer, Edgar Grande (Hrsg.): Unternehmerverbände und Staat in Deutschland. Nomos Verlag, Baden-Baden 2000, ISBN 3-7890-6592-7
- Hans Ch Seidel, Klaus Tenfelde (Hrsg.): Zwangsarbeit im Bergwerk. Der Arbeitseinsatz im Kohlenbergbau des Deutschen Reiches und der besetzten Gebiet im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Klartext, Wuppertal, 2005, 638 Seiten. ISBN 3898613895
- Daniela Kahn: Die Steuerung der Wirtschaft durch Recht im nationalsozialistischen Deutschland. Das Beispiel der Reichsgruppe Industrie. Frankfurt a. M. 2006, ISBN 978-3-465-04012-5
Einzelnachweise
- Reichswirtschaftsministerium: Anordnung über die Reichsvereinigung Kohle vom 21. April 1941. In: Ministerialblatt des Reichswirtschaftsministeriums. 19 (1941), 146–147.
- Matthias Riedel: Eisen und Kohle für das Dritte Reich. Paul Pleigers Stellung in der NS-Wirtschaft. Göttingen 1973, S. 274 ff.
- Riedel: Eisen und Kohle. S. 287.
Weblinks
- Industrie und Wirtschaft 1939–45 auf der Website des Deutschen Historischen Museums
- Werner Müller: Hitlers profitierende Helfer. Die SS lieferte deutschen Bergbauunternehmen Zwangsarbeiter, die sie bis zum Tode ausbeuten durften und sollten. Das Grundgesetz zieht eine Lehre daraus: »Eigentum verpflichtet«. In: Die Zeit. 4. Mai 2005.