Reform des UNO-Sicherheitsrats
Über eine Reform des UNO-Sicherheitsrats wird seit Beginn der 1990er Jahre in Politik und Politikwissenschaft diskutiert. Seit der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan 2003 einen Prozess zur Reform der Vereinten Nationen auf den Weg brachte, ist die Reform des UNO-Sicherheitsrats Teil dieser Debatte.
Eine Reform des UNO-Sicherheitsrats nach Art. 108 der UN-Charta benötigt eine Zweidrittelmehrheit der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in der UN-Generalversammlung. Damit eine solche Reform in Kraft treten kann, muss sie anschließend außerdem von zwei Dritteln der UNO-Mitgliedsstaaten und den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates (P5) ratifiziert werden. Die Blockademöglichkeit der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats erschwert die Reform des Sicherheitsrats in besonderer Weise.
Die diskutierten Veränderungen umfassen im Wesentlichen fünf Themenbereiche: Kategorien der Mitgliedschaft im UNO-Sicherheitsrat, die Frage des Vetorechts der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, die Ausgewogenheit der regionalen Repräsentation, die Größe und Arbeitsweise des reformierten Sicherheitsrats und das Verhältnis des Sicherheitsrats zur UN-Generalversammlung.
Reformen des Sicherheitsrats in der Vergangenheit
Zwischen 1946 und der ersten Reform des UNO-Sicherheitsrats hatte das Gremium 11 Sitze, davon fünf ständige. Da sich im Rahmen des Dekolonisationsprozesses in den ersten zwanzig Jahren ihrer Existenz die Zahl der UN-Mitglieder mehr als verdoppelte, wurden die Stimmen nach einer Vergrößerung des UNO-Sicherheitsrats und einer gleichmäßigeren geografischen Verteilung der Sitze schon in den sechziger Jahren laut. Die Bewegung der Blockfreien Staaten bekam im Jahr 1963 eine Mehrheit in der Generalversammlung für eine Erweiterung des Sicherheitsrats. Bei Enthaltung Großbritanniens und der USA und gegen die Stimmen Frankreichs und der UdSSR wurde die Resolution 1991 mit übergroßer Mehrheit angenommen.[1] Schließlich ratifizierten aber nicht nur mehr als zwei Drittel der UNO-Mitglieder, sondern auch die fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat die Resolution, sodass die Erweiterung des Sicherheitsrats erfolgreich war.
Reformvorschläge nach dem Ost-West-Konflikt
Eine neue Debatte über die Reform des UNO-Sicherheitsrats entbrannte nach dem Ende des Ost-West-Konflikts vor dem Hintergrund der irakischen Invasion in Kuwait im August 1990. Resolution 678 des UN-Sicherheitsrates gab der US-amerikanisch geführten Koalition zur Befreiung Kuwaits das Recht alle nötigen Mittel einzusetzen, um die irakische Armee zurückzudrängen. Mit diesem ersten durch den Sicherheitsrat initiierten Peacebuilding-Einsatz mehrten sich auch die Stimmen, die eine Reform des Gremiums forderten. Im Dezember 1992 forderten Indien und Japan in der Generalversammlung den Generalsekretär der Vereinten Nationen dazu auf, Vorschläge für eine Reform des Sicherheitsrats zu machen.[2]
Nachdem ein Großteil der Mitglieder der Vereinten Nationen Vorschläge zur Reform des Sicherheitsrats eingereicht hatten, setzte die Generalversammlung die Open ended working group on the question of equitable representation on and increase in the membership of the Security Council and other matters related to the Security Council ein. Damit hatte sich die Reform des Sicherheitsrats in den Vereinten Nationen institutionalisiert.
Commission on Global Governance
Die Commission on Global Governance machte in ihrem 1995 vorgelegten und kontrovers diskutierten Bericht Our Global Neighbourhood auch Vorschläge zur Reform des UNO-Sicherheitsrats. Die Kommission benannte den schlechten Repräsentationsgrad des Sicherheitsrats als Problem, welches zu einer Legitimationskrise des wichtigsten UNO-Organs führe. Der Vorschlag der Kommission sieht acht neue Sitze, darunter bis zu fünf ständige Sitze ohne Vetorecht, vor. Der Bericht mahnt eine ausgewogene regionale Repräsentation und die Berücksichtigung der weltweit größten Volkswirtschaften an. Die Verteilung der nichtständigen Sitze bleibt bei dem Vorschlag der Commission on Global Governance unklar.
Razali-Plan
Im März 1997, die Open ended working group hatte bereits drei Jahre lang existiert, legte der malaysische Diplomat Razali Ismail einen Vorschlag für eine Reform des Sicherheitsrats vor, von dem er hoffte, er sei mehrheitsfähig. Er sah für Deutschland, Japan, ein afrikanisches, asiatisches und lateinamerikanisches Land je einen neuen ständigen Sitz ohne Vetorecht vor. Die Zahl der nicht ständigen Sitze sollte von bislang 10 auf 14 erhöht werden, mit je einem neuen Sitz für Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa. Eine Mehrheit für Razalis Vorschlag zeichnete sich jedoch nicht ab. Bis 1997 erarbeitete die OEWG eine Vielzahl an Reformvorschlägen, vor allem zum Cluster I, wobei sich im Rahmen der Sitzungen nur schwerlich eindeutige Bekenntnisse und Mehrheiten der Teilnehmer festmachen ließen. Dies bedeutete, dass innerhalb der Arbeitsgruppe eine Reihe von Vorschlägen diskutiert wurde, ohne dass es ein abschließendes Verhandlungsergebnis gegeben hätte, was als Grundlage für die Generalversammlung hätte dienen können. Die Modelle zur Erweiterung des SR fallen dabei unterschiedlich aus. Einige sehen eine Anhebung ständiger und nicht ständiger Sitze vor, die sowohl von Industriestaaten als auch Angehörigen der Entwicklungsländer zu besetzen seien: zwei zusätzliche ständige Mitglieder und bis zu acht nicht ständige. Auch in Bezug auf den Gebrauch des Vetos gab es unterschiedliche Meinungen. Einige befürworteten die Ausweitung des Vetos auf neue, ständige Mitglieder, andere hingegen sahen im Vetorecht an sich ein undemokratisches Privileg, das nach Ende des Kalten Kriegs abgeschafft gehörte.[3]
Modelle des High-level-Panel on Threats, Challenges and Change
Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 stellte sich auf neue Weise die Frage, wie mithilfe des Sicherheitsrats kollektive Sicherheit gewährleistet werden kann. UN-Generalsekretär Kofi Annan setzte deshalb im Jahr 2003 das High-level Panel of eminent personalities ein, welches unter anderem Vorschläge zur Reform der Vereinten Nationen machen sollte. Da man sich innerhalb des Gremiums nicht einigen konnte, wurden zwei verschiedene Vorschläge zur Reform des Sicherheitsrats vorgelegt. Beide Modelle sehen eine Erweiterung des Sicherheitsrats auf 24 Mitglieder vor. Modell A sieht sechs neue ständige Sitze ohne Vetorecht vor, während Modell B vorsieht, keine weiteren ständigen Sitze einzurichten und stattdessen acht der neun neuen Sitze als quasi-permanente Sitze auszugestalten, die für vier Jahre besetzt werden und bei denen eine unmittelbare Kandidatur möglich ist.
Vorschlag der G4
Im Juli 2005 machten die G4-Staaten Brasilien, Deutschland, Indien und Japan, die alle spätestens seit Mitte der neunziger Jahre als potentielle Kandidaten für einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat gehandelt werden, einen Vorschlag zur Reform des Sicherheitsrats. Ebenso, wie der Razali-Plan sieht er sechs neue ständige Sitze ohne Vetorecht vor, vier davon für die G4-Staaten und zwei für afrikanische Länder. Die Anzahl nichtständiger Sitze soll um vier (um jeweils einem Sitz für die lateinamerikanische, die asiatische, die afrikanische und die osteuropäische Gruppe) erhöht werden, sodass der Sicherheitsrat nach diesem Modell insgesamt 25 Mitglieder umfassen würde.[4]
Uniting for Consensus
Unter der Führung Italiens trat kurz nach der Vorstellung des G4-Modells eine Gruppe von Staaten unter dem Namen Uniting for Consensus in Erscheinung. In der Gruppe sind Staaten vereint, die mit der Kandidatur neuer ständiger Mitglieder im Sicherheitsrat ihre Rolle im internationalen System bedroht sehen. Deren Vorschlag lehnt die Einrichtung neuer ständiger Sitze im Sicherheitsrat ab und plädiert stattdessen für die Schaffung zehn neuer nichtständiger Sitze und für die Wiederwahlmöglichkeit bei den dann zwanzig nichtständigen Sitzen.
Vorschlag der Afrikanischen Union
Die afrikanischen Staaten als zweitgrößte Regionalgruppe der Vereinten Nationen brachten 2005 ebenfalls einen eigenen Vorschlag in die Debatte ein. Dieser fordert bei einer neuen Größe des Sicherheitsrats von 26 Sitzen sechs neue ständige Sitze mit Vetorecht, je zwei für Afrika und Asien und einen für Westeuropa und Lateinamerika. Da die Schaffung neuer ständiger Sitze mit Vetorecht aber insbesondere von den P5 abgelehnt wird, hat dieser Vorschlag von vornherein keine Chance auf Umsetzung.[5]
Die L69-Gruppe
Diese Gruppe formierte sich 2007 unter der Führung Indiens und reichte als Vertreter von damals zunächst 27 Staaten einen noch eher allgemein gehaltenen Vorschlag zur Erweiterung des SR in beiden Kategorien (ständige und nichtständige Mitglieder) ein, verbunden mit einer gerechteren geografischen Verteilung und unter Berücksichtigung der Entwicklungs- und Schwellenländer. Dem Vorschlag zufolge sollen Sitze für eine ständige Mitgliedschaft auf Afrika, Asien, Lateinamerika, Westeuropa und andere Staaten entfallen; unter den nichtständigen Mitgliedern soll es einen zusätzlichen Sitz nach dem Rotationsprinzip für kleine Inselstaaten geben. Eine Gesamtzahl von etwa 25 Mitgliedern wird als optimal angesehen, wobei die Arbeitsmethoden des SR entsprechend anzupassen sind.[6]
Weblinks
- Henry Lamb: Our Global Neighborhood: Report of the Commission on Global Governance: A summary analysis (englisch) Februar 1996. Archiviert vom Original am 19. Oktober 2012. Abgerufen am 23. Mai 2017.
- Informationen zum UNO-Reformprozess
- VN Sicherheitsrat und seine Reform zum Scheitern verurteilt
Einzelnachweise
- Resolution 1991 der UN-Generalversammlung vom 17. Dezember 1963
- Resolution A/Res/47/62 der UN-Generalversammlung vom 11. Dezember 1992
- Johannes Bullmann, 2014, Der VN Sicherheitsrat und seine Reform – Zum Scheitern verurteilt?
- Eva Mareike Schmitt: Weltordnung in der Revision. Die deutsche Politik zu der Reform des Sicherheitsrates 1990-2005. Wiesbaden 2013, S. 406.
- Tilman-Ulrich Pietz: Zwischen Interessen und Illusionen. Die deutsche Außenpolitik und die Reform des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Marburg 2007, S. 36.
- Johannes Bullmann: Der VN Sicherheitsrat und seine Reform – Zum scheitern verurteilt? 2014, ISBN 978-3-8428-7351-3.