Red Herring (Redewendung)
Als red herring („roter Hering“) wird in der englischen Sprache sprichwörtlich ein Ablenkungsmanöver bezeichnet, insbesondere im Phraseologismus ‚to throw someone a red herring‘, der wortwörtlich „jemandem einen roten Hering zuwerfen“ bedeutet, sinngemäß so viel wie „jemanden auf eine falsche Fährte locken“. In jüngster Zeit findet sich die Lehnübersetzung Roter Hering bisweilen auch im deutschen Schrifttum.
Etymologie
Im eigentlichen Sinne bezeichnet red herring einen geräucherten Salzhering: durch das Räuchern verfärbt sich der Fisch rötlich. Sprichwörtlich wurde er im Englischen nicht nur in der heute üblichen Bedeutung „Finte“, sondern auch in der bereits 1546 in John Heywoods Proverbes aufgeführten Redensart „neither fish, nor flesh, nor good red herring“ („weder Fisch noch Fleisch noch Räucherhering“, will sagen: „nichts Richtiges“; heute so gut wie obsolet, stattdessen heute zumeist neither fish nor fowl).[1]
Im Wortsinn „Finte, falsche Fährte“ ist red herring hingegen erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts geläufig. Er gründet in der weitverbreiteten, aber irrigen Vorstellung, Jagdhunde verlören die Witterung oder ließen sich gar auf eine falsche Fährte locken, wenn man sie nur dem strengen Geruch eines Pökelherings aussetzt. Diese Erklärung entbehrt zwar jeder wissenschaftlichen oder waidmännischen Grundlage, wurde und wird aber in fast allen einschlägigen Nachschlagewerken kolportiert, so auch noch in der zweiten Ausgabe des Oxford English Dictionary von 1989. In der aktualisierten Online-Fassung des Eintrags zum Red Herring trägt das OED jedoch mittlerweile jüngeren Quellenforschungen Rechnung, die ergeben haben, dass der Urheber dieses Ammenmärchens wohl der englische Pamphletschreiber William Cobbett (1763–1835) war. Mindestens dürfte Cobbett entscheidend zu seiner Popularisierung beigetragen haben; in seinem Political Register schilderte er zuerst 1807 und erneut 1835, wie er als junger Wilderer die Spürhunde der rivalisierenden Jäger auf eine falsche Fährte gelockt habe.
Vorkommen
Der Begriff Red Herring ist in vielen Zusammenhängen gebräuchlich. Er kann überall angewandt werden, wo ein Ablenkungsmanöver beschrieben werden soll.
Rhetorik
In Rhetorik und Argumentationstheorie ist der Red Herring ein unsachliches Argument, mit dem der Diskussionsgegner oder das Publikum abgelenkt werden soll.
Politik
In der Politik ist der Red Herring ein Propagandainstrument, um den Gegner oder dessen Bevölkerung zu desinformieren. Ebenso wird er zur Diskreditierung eines Gegners gegenüber der eigenen Bevölkerung genutzt. Beispielsweise war die Marxistisch-Leninistische Partij Nederland eine Tarnorganisation des niederländischen Geheimdienstes BVD, um die niederländische Kommunistenszene zu diskreditieren. Die CIA kannte die Aktion unter Operation Red Herring.[2][3] In der Innenpolitik wird der Red Herring eingesetzt, um von kontroversen Entscheidungen abzulenken, indem Unwichtiges in den Vordergrund gerückt wird.[4]
Erzähltechnik
In der Erzähltheorie ist der Red Herring eine Erzähltechnik. In Erzählungen sowie in Filmen und Adventure-Spielen ist er ein Hinweis, der wichtig erscheint, aber nichts mit der eigentlichen Handlung zu tun hat.
- In der Literaturwissenschaft, insbesondere in der Auseinandersetzung mit der Kriminalliteratur, wird der Begriff Red Herring schon längere Zeit synonym zu den Begriffen falsche Fährte oder falsche Spur gebraucht.[5] Neben dem Cliffhanger ist er die wichtigste Technik zum Aufbau eines Spannungsbogens in Thrillern.
- In der Filmwissenschaft geriet der Red Herring erst vor kurzem in die Aufmerksamkeit.[6] Er wird häufig mit dem von Alfred Hitchcock geprägten Begriff MacGuffin verwechselt. Mit MacGuffin werden Gegenstände oder Personen bezeichnet, die sich zwar als unwesentlich für die Handlung erweisen, diese aber dennoch voranbringen, dagegen führt ein Red Herring den Zuschauer von der Handlung weg.[7]
- In Adventure-Spielen, in denen der Spieler Gegenstände findet und damit Rätsel zu lösen hat, ist der Red Herring in Form nutzloser Gegenstände gebräuchlich.[8] Beispielsweise findet sich im LucasArts-Adventure Maniac Mansion eine Motorsäge mit dem Hinweis auf fehlendes Benzin. Obwohl die Spieleprogrammierer versichert haben, dass die Motorsäge im Spiel nie gebraucht wird, hat man sehr lange über den Zweck der Motorsäge spekuliert. Letztendlich findet man das zugehörige Benzin im Spiel Zak McKracken, einem späteren Spiel desselben Herstellers. Allerdings kann man es ebenfalls nicht benutzen, da es dort keine Motorsäge gibt. Im später erschienenen spirituellen Nachfolger Thimbleweed Park findet man später selbstreferenzierend die Motorsäge samt Benzin und kann damit einen Gang zum Abwassersystem öffnen, wo man unter anderem einen Sack mit roten Heringen findet.
Anspielungen
Der Red Herring wird vielfach auch in der Art eines Insiderwitzes zitiert, jedoch dann ohne die eigentliche Bedeutung; meist durch Abbildung oder Erwähnung eines tatsächlichen roten Fisches:
- Im Adventure The Secret of Monkey Island lässt ein als Troll verkleideter Brückenwächter den Spieler erst passieren, wenn der ihm einen Gegenstand bringt, der „wichtig aussieht, aber zu nichts nütze ist“. Gibt man ihm einen roten Hering, den man andernorts im Spiel findet, so lässt er den Spieler vorbei.
- Bischof Aringarosa im Roman Sakrileg von Dan Brown lenkt von dem eigentlichen Antagonisten Sir Leigh Teabing ab. Der Name Aringarosa ist aus zwei italienischen Wörtern zusammengesetzt, nämlich „aringa“ und „ros(s)a“, was im Deutschen wörtlich mit „roter Hering“ übersetzt wird.
- In der Fernsehserie Die Pinguine aus Madagascar werden des Öfteren rote Heringe erwähnt oder sogar gezeigt, immer in den verschiedensten Zusammenhängen (am häufigsten als Lebensmittel).
- Im Adventure Toonstruck kann man beim „Schollenspülen“ (einer Art Glücksspiel) verschiedene Fische gewinnen, als Einsatz dient ein roter Hering.
Siehe auch
Literatur
- Robert Scott Ross: Popularization of 'red herring' by English political agitator William Cobbett. In: Comments on Etymology 38:1-2, 2008, S. 62–69 (englisch).
Einzelnachweise
- Diese Redensart zeugt vom zweifelhaften Ruf dieser alles andere als „guten“ Speise, die im späten Mittelalter in riesigen Mengen produziert wurde und nicht nur in England eine der wichtigsten Proteinquellen der unteren Bevölkerungsschichten darstellte, aber gerade deswegen auch als Armenspeise galt. Erschwerend kam hinzu, dass Fischkonserven sich weiland wohl durch einen überaus durchdringenden Geschmack und Geruch auszeichneten; wie zeitgenössische Quellen unken, soll schon der Duft eines Salzherings ausgereicht haben, um den Hunger zu vertreiben, was aber immerhin in der Fastenzeit von Vorteil gewesen sein dürfte (so laut Sue Shephard: Pickled, Potted & Canned. How the preservation of Food changed Civilisation. Headline Book Publishing, London 2000, S. 110).
- Erich Wiedemann: Operation Roter Hering in SPIEGEL Online vom 6. Dezember 2004.
- Andrew Higgins: In From the Cold: He Was a Communist For Dutch Intelligence. In: The Wall Street Journal. 3. Dezember 2004, abgerufen am 14. August 2017 (englisch, frei lesbar auf walterlippmann.com).
- Beispiel bei www.figarospeech.com
- Miriam Herbst: Sichtung und Aufriss der Sekundärliteratur zum Thema des klassischen Kriminalromans. GRIN Verlag, 2007. ISBN 3-638-64775-7. S. 4.
- Anton Fuxjäger: Film- und Fernsehanalyse. Einführung in die Grundlegende Terminologie. Online-Paper bei der Universität Wien.
- Margit Peterfy: The Names in Paul Muldoon's Madoc and Cultural Identity. In: (Hgg.) Klaus Martens, Paul Duncan Morris, Arlette Warken: A world of local voices: poetry in English today. Königshausen & Neumann, 2003. ISBN 3-8260-2635-7. S. 101.
- Roter Hering im Adventure-Lexikon von www.adventure-inn.de (Archivlink (Memento vom 5. Mai 2009 im Internet Archive)).