Reaktivpanzerung
Reaktivpanzerungen stellen eine besondere Methode dar, Panzerfahrzeuge vor Beschuss zu schützen. Die ersten Experimente mit Reaktivpanzerung, damals „Gegenexplosion“ (russ. kontrvzryv) wurden 1949 in der Sowjetunion durchgeführt. In den 1960er-Jahren gab es erste Prototypen. Aufgrund eines Unfalles und der vorherrschenden Meinung, dass die Panzer gut genug geschützt seien, wurde die Forschung jedoch eingestellt und erst in den 1980er-Jahren wieder aufgenommen. Parallel dazu entwickelte 1967/68 der deutsche Ingenieur Manfred Held in Kooperation mit der IDF eine Version der Reaktivpanzerung. Diese kam im Libanonkrieg 1982 erstmals zum Einsatz und wurde als sehr effektiv beurteilt.[1]
Technik
Die Reaktivpanzerung wird in Form von Kacheln auf die passive Stahl- oder Verbundpanzerung aufgelegt. Sie besteht aus einer Schicht Sprengstoff, die wiederum mit einer Metallplatte abgedeckt ist. Trifft ein Projektil auf die Reaktivpanzerung, explodiert die Sprengstoffschicht und schleudert die Metallplatte dem Projektil entgegen. Die Wirkung der Granate wird dadurch wenigstens teilweise kompensiert – die restliche Wirkung wird durch die passive Panzerung aufgefangen. Wichtig für eine gute Schutzwirkung ist die Abgrenzung der Kacheln zueinander, so dass bei Beschuss nur die direkt betroffenen Kacheln explodieren. Bis die entsprechenden Kacheln ersetzt sind, ist das betroffene Areal lediglich durch die passive Panzerung geschützt.
Insbesondere Hohlladungen lassen sich mit Reaktivpanzerungen gut abwehren, um den Kumulationsstrahl zu verwirbeln; allerdings wurden sogenannte Tandemhohlladungen entwickelt, um auch Reaktivpanzerungen durchdringen zu können. Gegen Hartkerngeschosse ist die klassische Reaktivpanzerung weitgehend wirkungslos.
Die während der 1980er-Jahre entwickelte Kontakt-5-Reaktivpanzerung soll gleichwohl gegen Hohlladungsgranaten und KE-Penetratoren wirksam sein. Gemäß Hersteller kann Kontakt-5 die Penetrationsenergie eines APFSDS-Penetrators um bis zu 38 % senken.
Die neueren Entwicklungen zielen dementsprechend auf eine größere Wirkung gegen Tandemhohlladungen zum einen und Hartkerngeschosse zum anderen. Die Entwicklung führt momentan zu dickeren Metallplatten auf der Sprengstoffschicht, die durch ihre große Masse das angreifende Projektil besser abwehren können. Unter anderem wird auch an der Momentum Transfer Armour (Stoßverlagerungs-Panzerung) gearbeitet. Hierbei wird statt des Sprengstoffs ein elektromagnetisches Feld genutzt.
Anwendung
Die Reaktivpanzerung wird besonders im Postsowjetische Staaten-Sowjetunion-Raum und in Israel angewandt, da die passiven Panzerungen russischer Kampfpanzer im Vergleich zu westlichen Modellen weniger Schutz bieten, aber im Gegenzug um einiges leichter sind. Nachteil der Reaktivpanzerung ist die Wirkung auf eigene Soldaten in der Nähe des Panzers, die durch die Reaktivpanzerung gegebenenfalls stärker gefährdet sind als durch den Beschuss. Um die Gefahr der Sprengstoff-Kacheln für eigene Soldaten zu verringern, werden sie von einigen Armeen in Friedenszeiten, bei Manövern und bei Konflikten mit niedrigem Gefährdungspotential abmontiert.
Literatur
- Manfred Held: Brassey’s Essential Guide to Explosive Reactive Armour and Shaped Charges. Brassey, 1999, ISBN 1-85753-225-2.
Weblinks
Einzelnachweise
- BMLVS – Abteilung Kommunikation – Referat 3: Bundesheer – TRUPPENDIENST – Ausgabe 1/2010 – Volltreffer überleben! In: www.bundesheer.at. Abgerufen am 30. Mai 2016.