Ramazan Avcı
Ramazan Avcı (* 20. Dezember 1959 in Gönen; † 24. Dezember 1985 in Hamburg) war ein in Hamburg lebender Türke, der von rechtsextremen Skinheads aus rassistischen Motiven getötet wurde. Er wurde eines der ersten bekannten Todesopfer rechtsextremer Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland. Seine Tötung stand, zusammen mit dem Fall des 28-jährigen Türken Mehmet Kaymakçı, der wenige Monate zuvor ebenfalls von rechtsextremen Skinheads in Hamburg-Langenhorn mit einer Betonplatte erschlagen worden war, am Anfang einer Reihe ähnlicher Taten und erhielt große mediale Aufmerksamkeit auch im Ausland. Ramazan Avci hinterließ eine schwangere Frau.
Tathergang
Der zu dem Zeitpunkt 26-jährige Ramazan Avcı wartete am 21. Dezember 1985 zusammen mit seinem Bruder und einem Freund an der Bushaltestelle S-Landwehr nahe der Gaststätte Landwehr in Hamburg-Eilbek auf einen Bus, als eine Gruppe rechter Skinheads aus Bergedorf, die vor dem Lokal standen, auf die drei Türken aufmerksam wurde. Als es zu kleineren Tätlichkeiten kam, setzten Avcı und seine Begleiter zur Verteidigung ein Gasspray ein. Daraufhin bewaffneten sich die Skinheads in der Gaststätte mit Baseballschlägern und ähnlichem Gerät, die drei Männer ergriffen die Flucht. Avcıs Bruder und der gemeinsame Freund, inzwischen von einem Auto verfolgt und aus Leuchtpistolen beschossen, konnten mit einem öffentlichen Verkehrsmittel entkommen. Avcıs Flucht endete, als er vor ein Auto geriet. Anschließend wurde er, noch unter dem Auto liegend, von den etwa 30 Skinheads so schwer mit Keulen und Axtstielen geschlagen, dass er später bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Er starb drei Tage später, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
Reaktionen
Die Tat gehörte tagelang zu den Hauptthemen in den bundesdeutschen Nachrichten. Der türkische Generalkonsul in Hamburg Şen wurde vom NDR zitiert, er hoffe, „dass so eine schreckliche Tat nie wieder passiere und 1986 ein Jahr des Friedens für alle werde“. Von einem Autokorso aus einer langen Schlange von Fahrzeugen durch Hamburg zum Flughafen begleitet, wurde die Leiche Avcıs nach Ankara überführt.[1] Die Wochenzeitung Die Zeit berichtete[2] von weiteren Übergriffen am Tag des Trauerumzuges für Avcı. So hätten sieben Skins einen Türken und seine beiden Söhne mit Bierflaschen und Ketten verletzt. Als direkte Reaktion auf Avcıs Tötung seien auch kurzfristig bürgerwehrähnliche Gruppierungen zur Selbstverteidigung innerhalb der türkischen Bevölkerung Hamburgs gegründet worden, die aber nicht lange aufrechterhalten wurden. Am 11. Januar 1986 demonstrieren 10.000 Menschen im Gedenken an Avcı in Hamburg.[3]
Mehr als 25 Jahre nach seinem Tod rückte Gülistan Ayaz, die Verlobte Ramazans und Mutter des gemeinsamen Kindes, den fast vergessenen Fall wieder ins Licht der Öffentlichkeit. Sie gründete eine Initiative zum Gedenken an Avcı. Nachdem die Morde des rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrund bekannt wurden, erhielt ihre Initiative öffentliche Aufmerksamkeit und führte zur Benennung des Ramazan-Avci-Platzes in der Nähe des Tatortes.[4]
Täter
Die Polizei konnte direkt nach der Tat fünf der Skinheads, die noch Waffen bei sich führten, festnehmen. Nach einem Verhör wurden die Täter wieder freigelassen. Zunächst wegen Mordes angeklagt (diese Anklage wurde jedoch später zurückgezogen), mussten sich diese fünf später wegen Totschlages verantworten. Am Ende waren es vier der Angeklagten, die zu Strafen zwischen drei und zehn Jahren verurteilt wurden. Diese wurden zum Teil als Jugendstrafen verhängt. Vergleichbare Strafen hatten auch die Totschläger Kaymakçıs erhalten.
Wirkung
Während zeitgenössische Kommentare in dem Ereignis gern einen Schlusspunkt der Gewalt und Lähmung der rechten Szene sehen wollen, ist rückblickend erkennbar, dass der Fall zumindest der rechten Skinheadszene vielmehr enormen Auftrieb gegeben hat.
- „Angekurbelt durch die massive Berichterstattung der Medien über den von Hamburger Naziskins getöteten Türken Ramazan Avcı kam es ab dem Jahr 1985 zu einer regelrechten Invasion der Naziskins. Wurden die Skins seit Jahren als rechte Schläger tituliert, wurde nun ihrerseits nichts mehr unternommen, um den Ruf zu retten, im Gegenteil. Hitlergruß, Aufmärsche, öffentliches Gedenken des Todestags diverser Naziverbrecher und Sieg-Heil-Gegröle in aller Öffentlichkeit kamen in Mode. Die Gewalt nahm proportional zum Anwachsen der Szene zu.“[5]
Gedenken
Um ein „sichtbares Zeichen des Gedenkens an die Opfer rechtsextremer Gewalt zu setzen“, wurde der Platz vor dem S-Bahnhof Landwehr, auf dem Avcı getötet wurde, im Dezember 2012 auf Beschluss der Hamburgischen Bürgerschaft vom Hamburger Senat als Ramazan-Avci-Platz benannt.[4]
Weblinks
- Türken fertigmachen. In: Der Spiegel. Nr. 1, 1986, S. 64–65 (online).
- Sabine Stamer: Manche lernen Karate. In: Die Zeit 4/1987
- Mely Kiyak: Das ist, weil wir Türken sind, mit Teilen eines Interviews mit der Witwe Avcis
- Christian Unger: Was Hass aus Liebe macht, Hamburger Abendblatt Online, 23. Juni 2012.
- Benjamin Laufer: Ramazans Rosen, Hinz&Kunzt, Ausgabe Juni 2012.
Nachweise
- Oliver Dietrich: Er hatte keine Chance zu überleben. Protokoll der Sendung Hamburg Journal vom 22. November 2015 von http://www.ndr.de/nachrichten/dossiers/der_norden_schaut_hin/1985-Skins-schlagen-Ramazan-Avci-tot,avci106.html
- Sabine Stamer: Manche lernen Karate. In: Die Zeit 4/1987.
- Christian Unger: Was Hass aus Liebe macht, Hamburger Abendblatt Online, 23. Juni 2012.
- Ramazan-Avci-Platz am S-Bahnhof Landwehr eingeweiht. In: bundespresseportal.de. 19. Dezember 2012, archiviert vom Original am 27. September 2017; abgerufen am 11. September 2021.
- Markus Messics; In: Skinheads: Antirassisten oder ‚rechte Schläger‘? Lit-Verlag, Berlin 2006, ISBN 978-3-8258-9359-0, S. 61.