Radio-Verkehrs-AG
Die Radio-Verkehrs-AG (RAVAG) wurde 1924 als erste österreichische Rundfunkgesellschaft gegründet. Sie bestand als Aktiengesellschaft bis 1939, doch wurde die Bezeichnung RAVAG auch in der Nachkriegszeit wieder verwendet.
Geschichte
Am 1. Oktober 1924 nahm Radio Wien den offiziellen Sendebetrieb aus einem provisorischen Studio am Stubenring auf. Generaldirektor der RAVAG war von 1924 bis 1938 Oskar Czeija. Gesellschafter der RAVAG waren das Handelsministerium, die Gemeinde Wien (Gewista), das Österreichische Credit-Institut und die Steirerbank sowie Firmen wie Ericsson, Kapsch und Leopolder. Im Jahr 1925 hatte die RAVAG bereits 100.000 Rundfunkteilnehmer. Die monatliche Gebühr betrug 2 Schilling. Radio Wien folgten sogenannte Zwischensender in Graz (1925), Klagenfurt (1926), Innsbruck (1927), Linz (1928), Salzburg (1930) und Bregenz (1934; siehe Liste der Senderstandorte).
Die Programminhalte beschränkten sich zunächst auf Bildung, gehobene Musik und Literatur. Bereits 1924 wurde ein eigenes Bildungsprogramm, die Radio-Volkshochschule ins Leben gerufen. 1925 wurde erstmals eine Opernaufführung, „Don Juan“ von W. A. Mozart von den Salzburger Festspielen übertragen, ab 1928 gab es Sportübertragungen und bei den Nationalratswahlen 1930 sogar ein eigenes Wahlstudio.
In diesen Aufbruchsjahren erreichten die Komponisten Rudolf Sieczynski und Richard Glück vom ÖKB (Österreichischer Komponistenbund) eine Vereinbarung mit RAVAG-Musikdirektor M. Ast für spezielle Sendeabende mit zeitgenössischen österr. Werken, unter denen auch mehrere Uraufführungen waren. Die ersten Abende 1926 waren Wiener Weisen, Chansons und Kabarettlieder und Konzerte „ernster“ Musik. Auch ein eigenes Rundfunkorchester wurde erwogen.
Während der Bildungsauftrag im Kulturbereich mehr als heutzutage erfüllt wurde, blieben Hörfunkberichte über politische Vorgänge während der Ersten Republik tabu. Erst der autoritäre Ständestaat – später auch als Austrofaschismus bezeichnet – unter Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg bediente sich des Hörfunks als Propagandainstrument. Im Kulturbereich wurden christliche Themen forciert und z. B. 1933 die „Geistliche Stunde“ eingeführt. Auch spielten Übertragungen von Messfeiern eine wichtige Rolle im Hörfunk des Ständestaates.
Am 25. Juli 1934 wurden die Sendeanlagen in der Johannesgasse von nationalsozialistischen Putschisten, die als Bundesheersoldaten verkleidet waren, besetzt. Eine Erklärung, dass Bundeskanzler Engelbert Dollfuß zurückgetreten sei, wurde verlesen. In den nachfolgenden Kämpfen wurden Teile der Sendeanlagen zerstört und eine Person getötet. Die Täter wurden wenig später verhaftet, einer davon in Wien zum Tode verurteilt und 18. August 1934 hingerichtet.
1935 wurde mit dem Bau des Funkhauses in der Argentinierstraße begonnen, das erst 1939, nach dem „Anschluss“ vollendet werden konnte.
Unmittelbar nach dem „Anschluss“ im März 1938 wurde das Exekutivkomitee der RAVAG abberufen und Franz Pesendorfer zum kommissarischen Leiter bestimmt.[1] Der bald auf Pesendorfer folgende Adolf Raskin erhielt den Auftrag, die RAVAG zu liquidieren und Österreichs Rundfunk dem Reichsrundfunk nahtlos einzufügen.[2] Der Sendebetrieb wurde vom Reichssender Wien der deutschen Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (seit 1939: Großdeutscher Rundfunk) übernommen. Der „Reichssender Wien“ war damit Teil der Sendekette des Großdeutschen Rundfunks und wickelte in dieser Funktion ab 1942 alle Radioprogramme für das von deutschen Truppen besetzte Südosteuropa ab. Die RAVAG wurde im August 1939 aus dem Handelsregister gelöscht.[3]
Am 24. April 1945 nahm Radio Wien den Betrieb wieder auf. Als Veranstalter fungierte bald die neu geschaffene Öffentliche Verwaltung für das österreichische Rundspruchwesen, wobei auch die etablierte Bezeichnung RAVAG wieder Verwendung fand. 1946 legte die Generaldirektion für die Post- und Telegraphenverwaltung einen Entwurf vor, der die Gründung einer Radio-Verkehrs-Anstalt (RAVA) vorsah, doch fand dieser keine Zustimmung.[4]
Liste der Senderstandorte
Literatur
- Öffentlicher Verwalter für das österreichische Rundspruchwesen: Radio Wien: 25 Jahre Österreichischer Rundfunk. Wien 1949.
- Reinhard Schlögl: Oskar Czeija. Radiopionier, Erfinder, Abenteurer. Böhlau, Wien 2004, ISBN 3-205-77235-0.
- Hans Schafranek: Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934. Czernin, Wien 2006, ISBN 3-7076-0081-5.
- Desmond Mark: Paul F. Lazarsfelds Wiener RAVAG-Studie 1932. Gethmann-Peterson, Wien / Mühlheim 1996, ISBN 3-900782-29-6.
Siehe auch
Weblinks
- WabWeb u. a. über die Geschichte des Radios in Österreich aufgerufen am 8. Dezember 2012
- Dokumentationsarchiv Funk: Rundfunkgeschichte Österreich aufgerufen am 8. Dezember 2012
- „Radio Wien“ 1924–1938 – Faksimiles der RAVAG-Programmzeitung bei ANNO
- Österreichische Mediathek: Radio Wien
- Kapsch als Gründungsmitglied der RAVAG: Diplomarbeit zur Firmengeschichte der Firma Kapsch
Einzelnachweise
- Neue Leitung des Rundfunks. In: Neue Freie Presse, Montagausgabe, Nr. 26404 A/1938, 14. März 1938, S. 22, unten rechts. (online bei ANNO).
- Willi A. Boelcke: Die Macht des Radios. Weltpolitik und Auslandsrundfunk 1924–1976. Ullstein, Frankfurt am Main (u. a.) 1977, ISBN 3-550-07365-8, S. 111.
- Österreich-Lexikon: RAVAG
- Ministerratsprotokoll Nr. 84 vom 21. Oktober 1947, S. 243
- Radio Orario 1925 N. 9 S. 4
- Genfer Wellenplan, Radio-Wien, 29. November 1926, S. 425
- Brüsseler Wellenplan, Radio-Wien, 4. Januar 1929, S. 240
- Prager Wellenplan, Radio-Wien, 5. Juli 1929
- Luzerner Wellenplan, Radio-Wien, 12. Januar 1934, S. 13
- Bernd-Andreas Möller (Hrsg.): Handbuch der Funksende- und -empfangstsellen der Deutschen Reichspost. Idstein: Walz 2005.
- Zwischensender Klagenfurt. In: Radio Wien, 20. Dezember 1926, S. 66 (online bei ANNO).