Pubertas tarda
Unter Pubertas tarda (von lateinisch pubertas „Geschlechtsreife“ und tardus „gehemmt“) versteht man die verzögerte, unvollständige oder völlig fehlende Entwicklung der Pubertät bei Mädchen und Jungen.
Klassifikation nach ICD-10 | |
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E30.0 | Verzögerte Pubertät [Pubertas tarda] |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Definition
„Eine Pubertas tarda liegt vor, wenn beim sonst gesunden Mädchen (Jungen) jenseits eines chronologischen Alters von 13,5 (14) Jahren noch keine Pubertätszeichen vorhanden sind, wenn der Zeitbedarf für das Durchlaufen der Pubertät von einem Stadium B2 bis zur Menarche (von den ersten Zeichen bis zum Erreichen eines Tanner-Stadiums P5 G5) mehr als 5,0 (5,5) Jahre beträgt oder wenn eine begonnene Pubertätsentwicklung länger als 18 Monate stillsteht.“[1]
Differenzialdiagnose der Pubertas tarda
Man kennt mehrere Ursachen für die verzögerte oder ausbleibende Pubertät:
- Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung: Häufigste Ursache verzögerter Pubertät. Familiär bedingte, späte Pubertätsentwicklung, nachfolgend aber normale Entwicklung. In der Regel daher auch schon bei den Eltern nachweisbar, daher sollte unbedingt die Pubertätsanamnese der Eltern erhoben werden (salopp auch „Spätzünder“[2] oder „Spätentwickler“,[3] fachsprachlich früher auch Pseudoeunuchoidismus[4])
- (Echter) Hypogonadismus:
- Primär: (Hormonelle) Insuffizienz der Gonaden. Bei Mädchen zum Beispiel im Rahmen eines Ullrich-Turner-Syndroms, bei Jungen im Rahmen eines Klinefelter-Syndroms, bei Anorchie oder Androgenresistenz
- Sekundär: Nach Bestrahlung, Chemotherapie, insbesondere bei Tumoren des kleinen Beckens, bei ALL, aber auch bei chronisch konsumierenden bzw. entzündlichen Erkrankungen wie zum Beispiel dem Morbus Crohn.
- Hypogonadotroper Hypogonadismus: Insuffiziente Gonadotropinsekretion der Hypophyse, meist kombiniert mit weiteren Ausfällen hypophysärer Hormone. Auch hier entweder primär oder sekundär zum Beispiel durch Tumoren bzw. Folgen deren Therapie, posttraumatisch oder postentzündlich.
Klinik
Die Entwicklung des Organismus bei Pubertas tarda vollzieht sich deutlich verzögert, ungünstigstenfalls bleibt die Pubertät ganz aus. Die Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale (Thelarche, Pubarche, Menarche) tritt verspätet ein. Damit verbunden kommt es auch zu einer verzögerten Skelettreife. Durch den fehlenden Pubertätswachstumsschub weicht die Körpergröße vom bisherigen Verlauf der Perzentilenkurve ab. In selteneren Fällen kann es in Abhängigkeit von der Ursache im weiteren Verlauf zum verzögerten Schluss der Epiphysenfugen mit konsekutivem Hochwuchs kommen.
Gelegentlich treten aufgrund der verzögerten Pubertätsentwicklung psychische Probleme auf.
Diagnostik
Die klinische Dokumentation der Pubertas tarda erfolgt anhand des Pubertätsstadiums nach Tanner. Labortechnisch erfolgt die Bestimmung der Estrogene bzw. des Androgens, des Prolaktins und der Gonadotropine (FSH, LH) im Blut. Neben der Labordiagnostik gehört auch die Bestimmung der Skelettreife bzw. des Knochenalters (zum Beispiel nach den Methoden von Greulich und Pyle oder Tanner und Whitehouse) zu den erforderlichen diagnostischen Maßnahmen. Die Pubertätsentwicklung des inneren weiblichen Genitales wird sonografisch dokumentiert.
Therapie
Tumoren bedürfen einer chirurgischen oder radiotherapeutischen beziehungsweise chemotherapeutischen Behandlung. Substitution der fehlenden Hormone und somit Einleitung der Pubertät (was bei Jungen im Falle einer Androgen-Rezeptor-Resistenz allerdings nicht zum Erfolg führt).
Einzelnachweise
- Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin(DGKJ): Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin(DGKJ) - Pubertas tarda und Hypogonadismus. (Nicht mehr online verfügbar.) In: awmf.org. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V, 2011, archiviert vom Original am 23. September 2015; abgerufen am 1. März 2014. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Gerald Hellstern, Martin Bald, Claudia Blattmann, Hans Martin Bosse (Hrsg.): Kurzlehrbuch Pädiatrie. Georg Thieme Verlag, 2012, ISBN 978-3-13-170311-8, S. 42 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Hans Ewerbeck: Differentialdiagnose von Krankheiten im Kindesalter: Ein Leitfaden für Klinik und Praxis. Springer, 2013, ISBN 978-3-662-06714-7, S. 235 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Ludwig Weissbecker: Die Gonadeninsuffizienz. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1027–1032, hier: s. 1028 f.