Präsidentschaftswahl in Ägypten 2012
Der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Ägypten 2012 wurde am 23. und 24. Mai 2012 abgehalten. Am 16. und 17. Juni 2012 kam es zu einer Stichwahl zwischen Mohammed Mursi von der islamistischen Freiheits- und Gerechtigkeitspartei und dem als unabhängiger Kandidat angetretenen Ahmad Schafiq, der unter dem gestürzten Präsidenten Husni Mubarak als Minister und vom 30. Januar bis zum 3. März 2011 als Premierminister gedient hatte.[1] Die Ergebnisse wurden am 24. Juni 2012 bekanntgegeben. Mursi gewann die Wahl mit 51,7 Prozent gegen Schafiq (48,3 Prozent).[2]
Im Ausland lebende Ägypter konnten ihre Stimmen ab dem 11. Mai in den Botschaften und Konsulaten ihres Landes abgeben.[3]
Die Wahl war nach den Wahlen von 2005 die zweite Präsidentschaftswahl in der ägyptischen Geschichte, bei der mehr als ein Kandidat antrat. Sie gilt zusammen mit der Parlamentswahl 2011 und der Wahl zum Schura-Rat 2012 als wichtiger Zwischenschritt im gesellschaftlichen Wandel, der mit der Revolution in Ägypten 2011 einherging. Der zweite Wahlgang wurde von einem umstrittenen Urteil des ägyptischen Verfassungsgerichts überschattet, das die Parlamentswahlen für verfassungswidrig erklärte. Das Urteil führte zur Auflösung des Parlaments. Die Zulassung des dem Mubarak-Regime nahestehenden Schafiq zur Präsidentschaftswahl wurde vom Gericht bestätigt.[4]
Modalitäten
Die Wahlrechtsbestimmungen für die Präsidentschaftswahl wurden am 30. Januar 2012 veröffentlicht. Die Kandidaten mussten demnach in Ägypten als Kind ägyptischer Eltern geboren worden sein, durften keine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen und nicht mit einem Ausländer verheiratet sein. Um nominiert zu werden, brauchten sie die Unterstützung von mindestens 30 Parlamentsabgeordneten oder 30.000 stimmberechtigten Wählern. Der formelle Registrierungsprozess für die Kandidaten begann am 10. März und endete am 8. April.[5]
Die endgültige Liste der 13 Kandidaten für die Präsidentschaftswahl wurde am 26. April 2012 bekanntgegeben.[6]
Teilnehmende Kandidaten
Amr Mussa | Abdel Moneim Abul Futuh | Ahmad Schafiq | Hamdin Sabahi | Mohammed Mursi | Khaled Ali | Mohamed Selim El-Awa | Hischam Bastawisi |
Letzter Generalsekretär der Arabischen Liga und ehemaliger Außenminister Ägyptens. | Generalsekretär der Union arabischer Mediziner und Ex-Mitglied des Führungsrats der Muslimbrüder. | Luftwaffengeneral und letzter Premierminister unter Hosni Mubarak. | Vorsitzender der nasseristischen Partei der Würde. | Vorsitzender der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, Reservekandidat der Muslimbruderschaft wegen der Nichtzulassung Chairat el-Schaters. | Anwalt und Arbeiteraktivist; Ex-Vorsitzender des Zentrums für wirtschaftliche und soziale Rechte; Gründer des Hisham Mubarak Law Center. | Ex-Generalsekretär der Union Muslimischer Gelehrter und Vorsitzender der Vereinigung für Kultur und Dialog. | Richter und Vizepräsident des Ägyptischen Kassationsgerichts, nominiert von der Tagammu-Partei. |
Weitere Präsidentschaftskandidaten
- Abu El-Ezz El-Hariri, Vorsitzender der Partei Sozialistische Volksallianz, Parlamentsabgeordneter für das Bündnis Die Revolution geht weiter
- Mahmoud Hossam als Unabhängiger[7]
- Hossam Khairallah, Kandidat der Partei des demokratischen Friedens
Abdulla Alaschaal, Kandidat der salafistischen Authentizitätspartei, pensionierter Botschafter und vormaliger Assistent des Außenministers, hatte seine Kandidatur am 12. Mai 2012 zugunsten von Mohammed Mursi zurückgezogen. Seine Kandidatur ebenfalls zurückgezogen hatte am 16. Mai 2012 Mohammad Fawzi Isa, Kandidat der Partei der demokratischen Generation, und sich für Amr Musa ausgesprochen. Da die offizielle Frist für das Zurückziehen von Kandidaturen jedoch bereits überschritten war, erschienen ihre Namen gleichwohl auf dem Stimmzettel.
Ausgeschlossene Kandidaten
Am 14. April 2012 gab die Wahlkommission bekannt, zehn von 23 Kandidaten von der Präsidentschaftswahl auszuschließen, darunter Chairat al-Schater, Aiman Nur, Omar Suleiman und Hasem Abu Ismail. El-Schater, der im März 2011 aus dem Gefängnis entlassen wurde, dürfe nicht an der Wahl teilnehmen, da ein geltendes Gesetz besagt, dass frühere Häftlinge nach Verbüßung ihrer Strafe oder Begnadigung sechs Jahre lang nicht bei einer Wahl antreten dürfen, was auch für Nur gilt. Suleiman habe nicht wie vorgeschrieben die Unterstützung von Wählern aus 15 Provinzen erhalten. Er hatte zuvor in einer repräsentativen Umfrage der unabhängigen Tageszeitung Al-Masry Al-Youm mit 20,1 Prozent die meiste Zustimmung erhalten. Ein gleichzeitig von der Mehrheit im Parlament gebilligtes Gesetz, das vorsieht, hohe Vertreter des Mubarak-Regimes für einen Zeitraum von zehn Jahren von Staatsämtern auszuschließen, war noch nicht von der Militärregierung in Kraft gesetzt worden.[8] Abu Ismail wurde gesperrt, weil seine Mutter die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besessen habe. Kandidaten dürfen gemäß Gesetz ausschließlich die ägyptische Staatsbürgerschaft besitzen und müssen von ägyptischen Eltern abstammen.[9]
Alle abgelehnten Bewerber hatten zwei Tage Zeit, Einspruch gegen die Entscheidung der Wahlkommission einzulegen.[8] Suleiman, Abu Ismail und el-Schater legten Einspruch ein; die ägyptische Wahlkommission bekräftigte am 17. April 2012 ihre Entscheidung.[10]
Omar Suleiman | Hazem Salah Abu Ismail | Chairat al-Schater | Aiman Nur |
General und früherer Chef des Geheimdienstes Muchabarat. | Salafistische[11] und ultrakonservative Schlüsselfigur der islamistischen Szene, Fernsehmoderator.[12] | Geschäftsmann und Vize-Führer der Muslimbruderschaft, nominiert von der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei. | Gründer und Vorsitzender der liberalen Morgen-Partei der Revolution. |
Weitere ausgeschlossene Kandidaten waren:
- Houssam Khayrat, Kandidat der Ägyptischen Arabischen Sozialistischen Partei
- Mortada Mansour, Kandidat der Nationalpartei, vormals Präsident des Erstliga-Fußballvereins Zamalek SC
- Mamdouh Qutb, Kandidat der Zivilisationspartei, vormals Generaldirektor des Geheimdienstes Muchabarat
- Aschraf Barouma, Vorsitzender der Partei Misr Al-Kanana
- Ibrahim El-Gharib als Unabhängiger
- Ahmad Awad Al-Saidi
Die einzige Frau als Bewerberin, Bothaina Kamel, registrierte sich nicht.
Durchführung
Der Kandidat Ahmad Schafiq wurde bei der Abgabe seiner Stimme von aufgebrachten Demonstranten beschimpft und mit Schuhen und Steinen beworfen. Nachdem er das Wahllokal verlassen hatte, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen seinen Anhängern und Gegnern.
Wegen des großen Interesses blieben die Wahllokale eine Stunde länger, bis 21:00 Uhr, geöffnet.[13]
Wahlergebnis
Kandidat | Partei | 1. Runde[1] | 2. Runde[14][15] | |||
---|---|---|---|---|---|---|
Stimmen | Anteil | Stimmen | Anteil | |||
Mohammed Mursi | Freiheits- und Gerechtigkeitspartei | 5.764.952 | 24,78% | 13.230.131 | 51,73% | |
Ahmad Schafiq | Unabhängiger | 5.505.327 | 23,66% | 12.347.380 | 48,27% | |
Hamdin Sabahi | Partei der Würde | 4.820.273 | 20,72 % | |||
Abdel Moneim Abul Futuh | Unabhängiger (ehem. Muslimbruder) | 4.065.239 | 17,47 % | |||
Amr Mussa | Unabhängiger | 2.588.850 | 11,13 % | |||
Mohamed Selim El-Awa | Unabhängiger | 235.374 | 1,01 % | |||
Khaled Ali | Unabhängiger | 134.056 | 0,58 % | |||
Abu El-Izz El-Hariri | Sozialistische Volksallianz (TAM) | 40.090 | 0,17 % | |||
Hischam Bastawisi | Tagammu-Partei | 29.189 | 0,13 % | |||
Mahmoud Hossam | Unabhängiger | 23.992 | 0,10 % | |||
Mohammad Fawzi Isa | Partei der demokratischen Generation | 23.889 | 0,10 % | |||
Hossam Khairallah | Partei des demokratischen Friedens | 22.036 | 0,09 % | |||
Abdulla Alaschaal | al-Asala-Partei | 12.249 | 0,05 % | |||
Gültige Gesamtstimmen | 23.265.516 | 98,28 % | 25.577.511 | 100 % | ||
Ungültige/leere Zettel | 406.720 | 1,72 % | 843.252 | 3,19 % | ||
Wahlbeteiligung | 23.672.236 | 46,42 % | 26.420.763 | 51 % | ||
Enthaltungen | 27.324.510 | 53,58 % | ||||
Registrierte Wähler | 50.996.746 |
Reaktionen
Nach der Bekanntgabe der ersten Ergebnisse demonstrierten am Abend des 28. Mai etwa 2.000 Menschen am Tahrir-Platz gegen den Ausgang der ersten Wahlrunde, weil sie ihrer Meinung nach unfair und nicht repräsentativ war. Auch in Alexandria und Sues gab es Proteste. Das Wahlkampfhauptquartier von Ahmad Schafiq in Kairo wurde Opfer von Brandstiftung.[16]
Da wenige Wochen vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahl ein Gesetz verabschiedet wurde, das hohen Funktionären des Mubarak-Regimes eine Kandidatur untersagte, war Schafiqs Teilnahme an den Wahlen lange umstritten.[17] Es war eine Frage der Interpretation von Teilen der ägyptischen Verfassung, inwieweit dieses Gesetz als bindend betrachtet werden konnte. Das ägyptische Verfassungsgericht bestätigte aber am 14. Juni 2012 nicht nur Schafiqs Kandidatur, sondern erklärte auch die Parlamentswahlen von November 2011 und Januar 2012 für illegal, da Parteivertreter für die Parlamentssitze kandidiert hatten, die eigentlich für unabhängige Bewerber vorgesehen waren.[4] Der Urteilsspruch löst heftige Proteste in Ägypten aus; mehrere ägyptische Parteien sprachen von einer „Konterrevolution“ des seit dem Sturz Mubaraks regierenden Militärrates und warnten vor einem Staatsstreich.[18] Schafiq galt als der vom Militärrat favorisierte Kandidat für das Präsidentenamt.[19]
Literatur
- Elizabeth Iskander, Annette Ranko: Präsidentschaftswahlen in Ägypten. Chancen und Herausforderungen für Mohammed Mursi. (PDF) GIGA Focus, Nr. 6/2012.
Weblinks
Fußnoten
- Mursi, Shafiq officially in Egypt’s presidential elections runoffs bei ahram.org.eg, 28. Mai 2012 (abgerufen am 29. Mai 2012).
- Ergebnis der Stichwahl: Mursi ist neuer Präsident Ägyptens . (Memento vom 26. Juni 2012 im Internet Archive) tagesschau.de, 24. Juni 2012; abgerufen am 24. Juni 2012.
- Ganz Ägypten schart sich um den Fernseher. NZZonline, 11. Mai 2012; abgerufen am 13. Mai 2012.
- Verfassungsgericht löst Parlament auf. In: NZZ, 15. Juni 2012.
- english.ahram.org.eg
- FAZ.net 26. April 2012: Ägypten: 13 Kandidaten zur Präsidentenwahl zugelassen.
- Kandidatenliste beim Wahlkomitee (Memento vom 5. Mai 2012 im Internet Archive), abgerufen am 15. April 2012 (auf Arabisch)
- Präsidentenwahl am Nil: Zehn Kandidaten von Wahl in Ägypten ausgeschlossen (Memento vom 16. April 2012 im Internet Archive) bei tagesschau.de, 14. April 2012 (abgerufen am 14. April 2012).
- Präsidentschaftswahl Ägypten: Wahlkommission schließt zehn Kandidaten aus bei fr-online.de, 14. April 2012 (abgerufen am 14. April 2012).
- dpa: Ägypten: Favoriten dürfen nicht kandidieren. zeit.de, 18. April 2012.
- Salafi presidential hopeful wants Shura Council abolished, Egypt Independent. 26. Januar 2012. Abgerufen im 18. Februar 2012.
- Joseph Mayton: Egypt’s presidential hopeful Abu Ismail says Islam gives no freedom, Bikya Masr. 11. Februar 2012. Archiviert vom Original am 15. Februar 2012. Abgerufen im 18. Februar 2012.
- Wahl in Ägypten: Ex-Premier Schafik angegriffen ORF online
- Muslim Brotherhood’s Mursi declared Egypt president bei bbc.co.uk, 24. Juni 2012 (abgerufen am 24. Juni 2012).
- Morsi wins Egypt’s presidential election, Bericht bei Al Jazeera vom 24. Juni 2012; abgerufen am 24. Juni 2012
- Islamist und Mubarak-Mann voran. In: ORF. 29. Mai 2012, abgerufen am 29. Mai 2012.
- Abstimmung in Ägypten: Ausschreitungen nach Ergebnis der Präsidentenwahl (Memento vom 31. Mai 2012 im Internet Archive) ARD Tagesschau online, 29. Mai 2012
- Ägyptische Parteien werfen Armee «Konterrevolution» vor. In: NZZ, 15. Juni 2012.
- Militär mit menschlichem Antlitz. Die Welt, 16. Juni 2012.