Poissarden
Die Poissarden oder „Fischweiber“, eigentlich ein Demonstrationszug mehrerer Tausend bewaffneter Zivilisten und Soldaten, holten am 5./6. Oktober 1789 Ludwig XVI. vom Versailler Hof ins revolutionäre Paris.
Geschichte
Nach Ausbruch der Französischen Revolution 1789 erließ die Nationalversammlung noch im selben Jahr ihre Augustdekrete, die die Abschaffung der Vorrechte des Adels in Frankreich zum Inhalt hatten; jedoch weigerte sich Ludwig XVI., immer noch nominelles Oberhaupt des Staates, diese zu unterzeichnen und ihnen damit Rechtskraft zu verleihen. Versorgungsmängel und militärische Maßnahmen gegen Massenkundgebungen in Paris heizten die dem König gegenüber feindselige Stimmung weiter an. Die Nachricht, dass das Königspaar und seine Leibgarde anlässlich eines Banketts die Revolution verunglimpft hätten, führte zu offener Empörung. Am 5. Oktober versammelten sich mehrere Hundert (Markt-)Frauen, die man in der Folge einfach als Poissardes („Fischweiber“, auch direkt als Poissarden ins Deutsche übernommen) bezeichnete, beim Pariser Rathaus und zogen zum Hof nach Versailles; mit auf den Weg machte sich auch die aufständische Nationalgarde. Der Zug umfasste wahrscheinlich mehrere Tausend Menschen, die ihre sozialen und politischen Forderungen kundtaten. Dieser Macht fügte sich der König und begab sich am nächsten Tag unter dem Geleit der Poissarden und der Nationalgarde nach Paris in den Tuilerien-Palast. Das Ereignis erregte in ganz Europa großes Aufsehen, und die Poissarden erhielten einen festen Platz in der Ikonographie der Revolution.
Mit dem Sturz der Jakobiner 1794 wendeten sich die bürgerlichen Kräfte von denjenigen revolutionären Erscheinungen ab, die sie mit Radikalismus und zügellosem Handeln gleichsetzten; dazu zählten auch die Poissarden. Als 1798 in der Schweiz die Helvetische Republik nach französischem Vorbild entstand, warnte der führende Basler Revolutionär Peter Ochs davor, wichtige Veränderungen in einem Staat „Taglöhnern, Fischweibern, Trödlern zu überlassen“. Konterrevolutionäre reimten damals schon lange: Die Revolution käme „von ganz verderbten Säften / Und von verbranntem Hirn / Fischweiber schwatzen jetzt zu Staatsgeschäften / Mit unverschämter Stirn“ (Anonym: Parodie über die Parodie eines Deutschen, o. O. 1792). Ende der 1790er-Jahre waren die Poissarden zu einem Schreckbild für Freund und Feind der (gelenkten) Revolution geworden.
Die Marktfrauen zogen nach Versailles und drangen in die Nationalversammlung ein. Sie wollten den König auf die schlechte Versorgung der Stadt aufmerksam machen. Nach blutigen Auseinandersetzungen mit der Nationalgarde nahm Ludwig XVI. den Verfassungsartikel an.
Illustration
Die Poissarden des nebenstehenden Bildes sind mit ihrem Gemisch an Waffen (Hellebarden, Säbel, Bratspieße) als improvisierter Gewalthaufen gekennzeichnet. Zu beachten sind die Messer zum Ausweiden der Fische, vor allem aber die Piken als eigentliche Waffen der revolutionären Masse. An der Spitze des proletarischen Trupps steht allerdings eine wohlhabende Bürgerin, die bereits die klassizistische Mode des späteren Konsulats und des Empire trägt. Das Bild spielt auf geschickte Weise mit den an der Revolution beteiligten Gruppen. Das Bürgertum wird als führende neue Kraft bezeichnet, während es den Poissarden die Rolle des gesinnungslosen Pöbels zuweist, der sich für jeden Aufruhr gewinnen lässt.
Die handschriftliche Ergänzung über dem Bild lautet: „Gib Himmel gib, dass jede Bürgerin frey / Und jeder Bürger ohne Hosen sey.“ Die Worte „ohne Hosen“ sind doppeldeutig: Einerseits handelt es sich um die missverstandene Übersetzung des französischen Sans-Culottes als Bezeichnung der Revolutionäre, die nicht die adligen Culottes (Kurzhosen) samt Seidenstrümpfen, sondern die einfachen, langbeinigen Pantalons trugen; anderseits ist es der Spott darüber, dass in Frankreich die gewohnten Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern in Frage gestellt wurden, wie es sich in diesem Ereignis, aber bald auch im Auftreten der revolutionären Frauenclubs oder in der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin von Olympe de Gouges zeigte.
Siehe auch
Literatur
- Chris E. Paschold, Albert Gier (Hrsg.): Die Französische Revolution – Ein Lesebuch mit zeitgenössischen Berichten und Dokumenten. Reclam, Stuttgart 1989, S. 101–116, ISBN 3-15-008535-7.