Pelzmesse in Vilnius
Die 1935 ins Leben gerufene, jährliche Pelzmesse in Wilna, seit 1938 auch Internationale Pelzmesse in Vilnius (polnisch Międzynarodowych Targów Futrzarskich w Wilnie), fand, kriegsbedingt und vor allem wegen der Vernichtung der jüdischen Branchenmitglieder, nur wenige Male statt. Ausstellungsflächen der nur für Geschäftsleute gedachten Veranstaltung waren bestimmte Messegebäude in der Stadt.[1]
Im Jahr 1920 hatten polnische Truppen im Verlauf des Polnisch-Litauischen Kriegs Wilna zum zweiten Mal besetzt, 1922 schlug Polen das Wilnaer Gebiet auch formal seinem Staatsgebiet zu, Vilnius war jetzt die Hauptstadt einer polnischen Woiwodschaft. Die Lederindustrie und die Pelzindustrie spielten im Agrarland Litauen und in Polen bereits lange eine bedeutende Rolle. Weit überwiegend jüdische Handwerker und Händler waren in der Pelzbranche tätig, zum Pelzhandelszentrum Leipziger Brühl bestanden enge und wichtige Geschäftsbeziehungen. Aufgrund seiner geographischen Lage konnte Vilnius eine wichtige Vermittlerrolle zwischen Russland und Westeuropa spielen.
Die erste der für einmal im Jahr stattfindenden Pelzmessen in Vilnius war, noch als regionale Veranstaltung, in der Zeit vom 12. bis 27. Juni 1935. Das Jüdische Volksblatt meldete, dass sie nach Mitteilung der Geschäftsleitung reinen Handelscharakter habe. Diese Messe sei als Wettbewerb zur Leipziger Rauchwarenmesse gedacht, man erhoffte sich sogar künftig die Stelle Leipzigs einnehmen zu können.[2][1] Der Umsatz der lokalen Handwerker betrug 474.000 Zloty, an Rohfellen 919.000 Zloty.[1]
Die dritte Pelzmesse im Jahr 1937 dauerte vom 21. Juli bis 4. August. An zwei Tagen fanden Auktionen statt, die gegenüber denen der Vorjahre bedeutend besser beschickt waren. Es wurden hauptsächlich Fohlenfelle und Kalbfelle versteigert. Seit längerem trug man sich zu der Zeit ohnehin mit dem Gedanken, als Ergänzung zu der Pelzmesse ständige Pelzauktionen in Posen abzuhalten, die keinen internationalen Charakter haben sollten. Die günstigen Ergebnisse der Silberfuchszucht in Westpolen sollen zu diesen Überlegungen beigetragen haben.[3]
Die sechste Auktion für das laufende Jahr wurde Anfang Februar des Weltkriegsjahrs 1940 angekündigt. Organisiert wurde die Messe, wie zuvor, durch den Ingenieur Kavinokis. Am 25. Januar hatte bereits die 16. Pelzauktion in den Räumen der Handels-, Industrie- und Handwerkskammer Vilnius stattgefunden. In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, dass Vilnius vor dem Ersten Weltkrieg der wichtigste Handelsort für östliche Pelzwaren war, nach dem Hauptsammelplatz Nischni Nowgorod, neben den „Pelzsupermärkten“ des Pelzhandelszentrums London, dem New Yorker Pelzdistrikt und dem Leipziger Brühl, wobei Leipzig inzwischen seine überragende Bedeutung verloren hatte. Ursache war die Vertreibung der jüdischen Pelzhändler und der als Reaktion ausgelöste Boykott ausländischer Branchenmitglieder. Für Vilnius wurde in der Ankündigung von 1940 die Bedeutung der jüdischen Pelzhändler in der Stadt jedoch ausdrücklich erwähnt, 90 Betriebe mit zusammen 92 Prozent des Handels mit Häuten und Fellen befanden sich in jüdischer Hand.[1] Jüdische Unternehmen bildeten auch sonst, trotz vorhergegangener erheblicher Beschränkungen, den wesentlichsten Wirtschaftsfaktor der Stadt, wenn auch weniger marktbeherrschend.[4]
Wenige Tage nach dem Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941 war Litauen vollständig unter deutscher Besatzung. Im Gefolge der Wehrmacht kamen Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD. Deren Aufgabe bestand in der brutalen Umsetzung der nationalsozialistischen Rassenideologie und Völkermordpolitik,[5] unter anderem durch die Ermordung von Juden, Kommunisten, Roma und allen „feindlichen Elementen“. Teilweise noch vor den deutschen Einsatzgruppen machten litauische „Partisanen“ sofort nach Beginn des Einmarsches Jagd auf Bolschewiken und Juden, was sich in sehr kurzer Zeit zur systematischen Auslöschung der jüdischen Bevölkerung entwickelte. Im Dezember 1939 lebten in Litauen etwa 150.000 Juden.[6] Bereits Ende 1941 meldete Karl Jäger: „Ich kann heute feststellen, dass das Ziel, das Judenproblem für Litauen zu lösen, vom EK. 3 erreicht worden ist. In Litauen gibt es keine Juden mehr, außer den Arbeitsjuden incl. ihrer Familien. Das sind in Schaulen ca. 4500, in Kauen 15.000 in Vilnius ca. 15.000. …Diese Arbeitsjuden incl. ihrer Familien wollte ich ebenfalls umlegen, was mir jedoch scharfe Kampfansage der Zivilverwaltung (dem Reichskommissar) und der Wehrmacht eintrug und das Verbot auslöste: Diese Juden und ihre Familien dürfen nicht erschossen werden!“[7]
In der Zeit der deutschen Besetzung Litauens (1941–1944) produzierte die Pelzfabrik Kailis in Vilnius Kleidung für die deutsche Wehrmacht. In direkter Nachbarschaft befanden sich ein Konzentrationslager für Juden und ein Lager für Zwangsarbeiter, aus denen Arbeitskräfte zwangsrekrutiert wurden. Einige Zeit lang bewahrte die Beschäftigung dort jüdische Menschen vor der Ermordung oder dem Transport in die Vernichtungslager.
Noch um 2020 befinden sich in Vilnius weiterhin eine beträchtliche Zahl Pelz- und Lederwaren produzierende Handwerks- und Handelsbetriebe.[8]
Einzelnachweise
- Vilnius — tarptautinis kailių prekybos centras (Vilnius ist ein internationales Pelzhandelszentrum). (litauisch). 1. Februar 1940. Abgerufen am 23. Juli 2021.
- Mitteilungen des Käuferverbandes Bielsko-Biata und der Pelzmesse in Vilnius. In: Jüdisches Volksblatt, 6. Juni 1935.
- In: Der Ost-Europa-Markt : Organ des Wirtschaftsinstituts für Russland und die Ost-Staaten. 17. Jahrgang, 1937, S. 109, 418, 607. Abgerufen am 21. Juli 2021.
- Žydų ekonomin. požicijos Vilniuje.. In: Apzvalga, S. 5, 22. Oktober 1939. Abgerufen am 26. Juli 2021 (litauisch).
- Wolfgang Benz, Konrad Kwiet (Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin): Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Bände 7–8, Campus, 1998, S. 71.
- Skroblies/Jetter, S. 30.
- Skroblies/Jetter, S. 21. Sekundärquelle: Karl Jäger, Bericht 1. Dezember 1941, in: Bartusevicius u. a., S. 309.
- https://rekvizitai.vz.lt: Pelze und Pelzwaren daraus. Firmenverzeichnis. Abgerufen am 22. Juli 2021.