Nestflüchter
Nestflüchter bezeichnet einen Jungentyp bei Wirbeltieren, bei dem die frisch geschlüpften bzw. neu geborenen Jungtiere bereits so weit entwickelt sind, dass sie den Eltern nachfolgen.
Nestflüchter kommen im Gegensatz zu den Nesthockern relativ weit entwickelt zur Welt. Sie können sofort nach dem Schlüpfen bzw. nach der Geburt ihre Augen öffnen, können sehen, hören und sich fortbewegen. Sie sind in der Lage, sich schon am ersten Lebenstag selbständig ein Stück vom Nest zu entfernen, finden sich in der Umgebung zurecht und können auch schon selbst Nahrung aufnehmen.[1] Säugetiere, die Nestflüchter sind, wie z. B. Meerschweinchen oder Huftiere, werden gesäugt, sie können aber schon am ersten Lebenstag mit der Mutter mitlaufen. Vögel, die Nestflüchter sind, werden in den ersten Lebenswochen von den Elterntieren beschützt und gefüttert.[2]
Tiere hingegen, die noch relativ unentwickelt zur Welt kommen und daher nach dem Schlüpfen bzw. nach der Geburt wegen ihrer Hilflosigkeit noch wochen- oder monatelang an das Nest gebunden sind, nennt man Nesthocker. Sie genießen durch das Instinktverhalten eines oder beider Elterntiere eine sehr lange Zeit der Brutpflege. Man geht davon aus, dass das Bodenleben Nestflüchter begünstigt, wohingegen baumlebende Tiere häufig Nesthocker sind.[3]
Eine Zwischenstellung nehmen Platzhocker ein, die weit entwickelt auf die Welt kommen aber die ersten Tage im Nest verbleiben und von den Eltern gefüttert werden (z. B. Möwen).[3]
Der dritte Jungentypus neben Nestflüchter und Nesthocker ist der Tragling. Traglinge werden in der ersten Lebenszeit von den Eltern, meist der Mutter, mitgetragen.[4]
Der Begriff des Nestflüchters wurde vom Biologen Lorenz Oken geprägt, der zur leichteren Verständlichkeit für Laien beitragen wollte; andere Sprachen verwenden hierfür aus dem Lateinischen stammende Fachbegriffe wie das englische precocial.[5]
Unterscheidungen
- Extreme Nestflüchter
- Reptilien – kein Brüten, die Jungtiere sind voll ausgereift
- Primäre Nestflüchter
- Hühner, Enten, Rallen, Kraniche – lange Brutzeit, geringe Pflege
- Sekundäre Nestflüchter
- Huftiere, Wale – lange Tragzeit, ausgereift, intensive Mutter-Kind-Beziehung. Bei den Affen Herausbildung des Traglings
- Nesthocker
- Tagraubvögel, Störche, Reiher – intensive Brutpflege
- Primäre Nesthocker
- Insektenfresser, Raubtiere, Wanderratten, Hausmäuse, Goldhamster – kurze Tragzeit, nackt, intensive Brutpflege
- Evoluierte Nesthocker
- Sperlingsvögel, Spechte, Eulen, Papageien – kurze Brutzeit, intensive Pflege der unausgereiften Jungen
- „Sekundäre Nesthocker“
- Mensch[1] – sehr lange Pflegezeit („Embryo außerhalb der Gebärmutter“, Adolf Portmann); geläufiger ist allerdings die Bezeichnung Tragling für Babys des Menschen (Bernhard Hassenstein)
- Platzhocker
- Möwen
Einzelnachweise
- Wundersame Heimat: Nesthocker und Nestflüchter. SWR4 Baden-Württemberg, 17. Mai 2011, abgerufen am 2. Dezember 2017.
- Helene Böhme: Nesthocker, Nestflüchter & Platzhocker. Vogel und Natur, 16. April 2013, abgerufen am 13. Dezember 2017.
- Hansjörg Hemminger, Evelin Kirkilionis: Nestflüchter. In: Lexikon der Biologie. Spektrum Akademischer Verlag, 1999, abgerufen am 2. Dezember 2017.
- Evelin Kirkilionis: Tragling. In: Lexikon der Biologie. Spektrum Akademischer Verlag, 1999, abgerufen am 13. Dezember 2017.
- Uta Henschel: Porträt Lorenz Oken: Ein Forscher wird entdeckt. In: Geo-Magazin, April 2001, S. 158–176