Jüdische Bestattung
Die vorgeschriebene Leichenbestattung im Judentum ist die קְבוּרָה Kevura – Beerdigung. Die Ruhefrist auf dem jüdischen Friedhof gilt als zeitlich unbegrenzt.
Sterben und Tod im Judentum
Dem Sterbenden wird eine besondere Hochachtung entgegengebracht.[1] Er darf nicht berührt werden. Nichts darf sein Sterben verzögern, aber auch nichts beschleunigen. Die Wahrheit über seine Lebenslage darf ihm auf keinen Fall verschwiegen werden, wenn er danach fragen sollte. Stirbt ein Jude zu Hause, versammeln sich um ihn die Juden, die ihm nahe stehen, um mit ihm zusammen das Sündenbekenntnis und Psalmenverse (z. B. 121;130;91) zu beten. Dieses besondere Gebet wird sonst nur am höchsten Feiertag im jüdischen Kalender, am Jom Kippur, gesprochen. Es ist der Versöhnungstag zwischen Gott und seinem Volke.
Ist der Tod eingetreten, bleibt der Tote so, wie er ist, im Raum liegen. Ihm werden die Augen geschlossen und das Gesicht mit einem weißen Tuch bedeckt. Die Totenwache beginnt mit einer Kerze, die neben seinem Haupt angezündet wird. Das brennende Licht weist auf die Seele hin, die sich noch im Raum aufhält. Noch einmal wird mit dem Verstorbenen zusammen gebetet. Danach werden die Fenster geöffnet, damit die Seele den Leib verlassen kann. Die im Haus stehenden Wasser, mit denen er zu tun hatte, werden ausgeschüttet. Vorhandene Spiegel werden zugehängt (um nicht zwei Tote zu sehen).[2]
(Siehe auch: Tod im Judentum)
Rituelle Versorgung des Toten
Bald wird – je nach dem Geschlecht des Toten – die Heilige Bruderschaft (Chewra Kadischa) gerufen. Diese besteht aus Männern oder Frauen der Gemeinde, die den Leichnam aus dem Bett auf den Boden heben, nach bestimmten Vorschriften einer rituellen Reinigung unterziehen. Die Tahara ist ein ritueller Reinigungsprozess, in dem der Körper gesäubert und gepflegt, sowie Wasser rituell über ihn gegossen wird. Nach der Reinigung wird der Verstorbene in besondere weiße Kleidung gehüllt (Tachrichim), die Reinheit und Heiligkeit kennzeichnend. Dem Mann wird sein Gebetsmantel angezogen. Man legt den Toten in einen schlichten Sarg (Aron), damit er – wie der Glaube verheißt – zu den Vätern versammelt wird (2. Könige 20, 22). Weiter wird ihm ein Säckchen Israelerde unter sein Haupt gelegt. Es gibt auch den Brauch, die Augen des Toten mit Tonscherben zu bedecken.
Religiöse Entpflichtung
Während der jüdischen Trauerzeit wird dem vom Schmerz ergriffenen Menschen (Onen) sehr viel nachgesehen. Er ist in dem Zeitraum zwischen Tod und Begräbnis von allen religiösen Verpflichtungen entbunden, um in Ruhe und mit Aufmerksamkeit die Vorbereitungen für die bald bevorstehende Beerdigung treffen zu können.
Grundsätzlich ist der Trauernde vor dem Begräbnis von den täglichen Pflichten des Gebets in der Synagoge befreit. Aufgrund seines Schmerzes ist er dazu auch gar nicht in der Lage. Deswegen beten andere für ihn und mit ihm. Seine Zeit ist ausschließlich der Vorbereitung der Trauerfeier (Kewura) gewidmet. Der Trauernde übt nur die notwendigste Körperpflege, enthält sich aller Genüsse und unterlässt das Haarschneiden, Baden sowie als männlicher Jude das Rasieren. Zu den Genüssen werden nicht nur die ehelichen Pflichten gezählt, sondern auch das Studium der heiligen Schrift. Eine alte Talmud-Weisheit empfiehlt: Versuche nicht, deinen Freund zu trösten, solange sein Toter noch vor ihm liegt.
Friedhof
Der Friedhof (Bet-hachajim) wird im jüdischen Volksmund Haus des ewigen Lebens oder Haus der Ewigkeit oder auch nur guter Ort genannt. Die Trauerfeier beginnt dort in dem vorgesehenen Raum mit einem gesprochenen Gebet, das mit dem Zitat aus dem Buch Hiob endet: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobt. Manchmal wird auch aus den Sprüchen der Väter zitiert: Sieh auf drei Dinge, und du wirst nie fehlschlagen im Leben: Wisse, woher du kommst und wohin du gehst und vor wem du wirst einst Rechenschaft ablegen müssen. In der Trauerhalle, wie überhaupt auf dem Friedhof, wird prinzipiell nicht gesungen. Der Rabbiner hält die Gedächtnisrede (Hesped), andere Redner[3] können sich anschließen, um den Verstorbenen gebührend zu ehren, soweit er sich dieses nicht zu Lebzeiten ausdrücklich verbeten hat.
Es ist die Pflicht in der jüdischen Gemeinde, den Toten wenigstens einige Ellen (Halwajat hamet) zu begleiten, die die Lewaja (Begleitung – die Begräbnisprozession) genannt wird, bei der der Körper zu seiner Ruhestätte begleitet wird, ein Zeichen des Respekts gegenüber dem Verstorbenen. Das hebräische Wort „Lewaja“ bedeutet ebenfalls „teilnehmen“ und „Bindung“. Durch Teilnahme an der Lewaja soll der Seele Trost gegeben werden, während sie diesen schweren Übergang von einem Leben zum anderen durchläuft.
Nach der Trauerfeier verstummen die Lobreden. Gebete und der Psalm 91 begleiten den Trauerzug. In der Nähe des frisch ausgehobenen Grabes wird den Leidtragenden, soweit dieses nicht schon im Trauerhaus geschehen ist, seitens der Begräbnisbruderschaft je nach Verwandtschaftsgrad des Toten ein Riss (K’ria) in den Saum der Gewänder beigebracht. Dieser weist auf den Riss im Herzen hin. Ursprünglich geschah dieses Ritual zum Zeitpunkt der Todesnachricht. Ist der Sarg in das Grab hinab gelassen, beteiligen sich alle Anwesenden mit drei Schaufeln Erde an der Beerdigung. Sie sprechen dabei: Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden. Ist der Sarg von der Erde gänzlich zugedeckt, wird am Grab oder später in der Trauerhalle der Psalm 16 und das Heiligungsgebet (Kaddisch) gesprochen, damit der Aufstieg der Seele gefördert werde.
Trostspalier
Anschließend können sich die Anwesenden spalierartig aufstellen, so dass die Trauernden hindurchschreiten und die Worte vernehmen: Der Herr tröste euch inmitten der anderen Trauernden Zions und Jerusalems. Mit dem gleichen Trostspruch werden sie zu Beginn des Sabbats in der Synagoge von der Gemeinde begrüßt.
Schiwa-Sitzen
Nach dem Begräbnis beginnt die Woche der tiefsten Trauer, das sogenannte Schiwa-Sitzen (hebr. schiwa = sieben [Tage]). In dieser Trauerzeit sitzen die dazu Gekommenen auf niedrigen Hockern oder wie ursprünglich schuhlos auf dem Boden. Alle Spiegel und Bilder im Hause sind verhängt worden, das Haus wird von den Trauernden nicht verlassen. Die Nachbarn und Bekannten kommen, um zu kondolieren und die Trauernden mit mitgebrachtem Essen zu stärken. Der Schriftsteller Manès Sperber schildert im dritten Band seiner Autobiographie Bis man mir Scherben auf die Augen legt das Schiwa-Sitzen nach dem Begräbnis seines Großvaters.[4]
An den sieben ersten Tagen der Trauerzeit wird weder der beruflichen Arbeit noch den Alltagspflichten nachgegangen. Allein der Sabbat unterbricht die Trauerbräuche. Im Gedenken des Verstorbenen brennt eine Kerze: Eine Lampe vor Gott ist die Seele des Menschen (Sprüche Salomos 20, 26). Die Schiwa wird – je nach Verwandtschaftsgrad – nach der Trauerwoche, dem Trauermonat oder Trauerjahr mit einer Gedächtnisfeier beendet. Der Jahrestag des Todes – Jahrzeit genannt – wird mit einer Kerze und einem Kaddisch begangen.
Trauer
Das hebräische Wort für die Trauer (Ewel) enthält in seinen Buchstaben bereits alle verbindlichen Angaben der sieben Verwandten, um die überhaupt getrauert wird: Das sind vor allem die Eltern, der Vater, die Mutter, um die ein ganzes Jahr getrauert wird. Um den Bruder, die Schwester, den Sohn, die Tochter, die Ehefrau, den Ehemann werden lediglich dreißig Tage getrauert.
Die Bräuche weichen in der Geschichte des Judentums voneinander ab. Sie sind durch die Übernahme und die Ablehnung nichtjüdischer Rituale und von den eigenen Vorstellungen im Judentum gekennzeichnet. In der Frömmigkeit wird die Trauer des Einzelnen unterschieden von der Trauer der Gemeinschaft, wie sie etwa am Versöhnungstag (Jom Kippur) oder am Trauertag um die Opfer der Schoah zum Ausdruck kommt, da die Betenden ihre Sterbegewänder tragen. In der jüdischen Tradition wird berichtet von der Trauer Gottes um Mose, den er selbst begraben (5. Mose 34,6) haben soll, um die Zerstörung Jerusalems und seines Tempels sowie um sein Volk.
Siehe auch
Literatur
- Günter Sternberger: Der Talmud. Einführung – Texte – Erläuterungen. 2. Aufl. Verlag C.H. Beck, München 1998, ISBN 3-406-08354-4.
- Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Mit Apokryphen. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1999.
- Jüdisches Lexikon. Ein Enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden. Begründet von Georg Herlitz und Bruno Kirscher. Jüdischer Verlag, Königstein (1927) 1982, Band III, S. 1027–1031.
- Friedrich Thieberger (Hrsg.): Jüdisches Fest, jüdischer Brauch. Jüdischer Verlag Athenäum, Königstein 1937. (3. Auflage. 1985, S. 434–450)
- Israel Meir Lau: Wie Juden leben. Glaube Alltag Feste. Aufgezeichnet und redigiert von Schaul Meislisch, aus dem Hebräischen übertragen von Miriam Magall; unter Mitarbeit von Michael Krupp; Mit einem Geleitwort von Josef Burg; mit einem Nachwort von Benyamin Zeev Barslei. 3. Auflage. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1988, ISBN 3-579-02155-9, S. 341–358.
- Klaus Dirschauer: Das jüdische Begräbnis und die Rituale seiner Trauer. In: Friedhofskultur. Zeitschrift für das gesamte Friedhofswesen. 102. Jg., 1/2012, S. 15–17.
- Klaus Dirschauer: Das jüdische Begräbnis und die Rituale seiner Trauer. In: Mit Worten begraben: Traueransprachen entwerfen und gestalten. Donat Verlag, Bremen 2012, ISBN 978-3-943425-08-6, S. 91–99.
DVDs
- Der Tango der Rashevskis
- Alles auf Zucker!
Einzelnachweise
- „Die Ehrfurcht vor dem Tode und dem Toten wird nur durch die vor dem Leben und den Lebenden übertroffen.“ Max Simonsohn: Trauervorschriften und Trauerbräuche. In: Friedrich Thieberger (Hrsg.): Jüdisches Fest, jüdischer Brauch. Jüdischer Verlag Athenäum, Königstein 1937. (3. Auflage. 1985, S. 434)
- Die Bestattungskultur des Judentums, Ahorn-Gruppe. Abgerufen am 13. Mai 2021.
- Sehr anschaulich in den Komödien "Der Tango der Rashevskis" und "Alles auf Zucker!"
- "Während der Woche, die auf die Todesnachricht folgte, verwandelte sich unsere Wohnung in ein Bethaus. Gemäß der Tradition verließ der Vater nicht das Haus; vom frühen Morgen bis in die späte Nacht saß er auf dem Schemel, Freunde und Bekannte kamen auf Trost-Besuch. Jene, die den Verstorbenen gekannt hatten, sprachen lobend über ihn und versicherten, dass ihm im Jenseits Gerechtigkeit widerfahren, somit nur Gutes geschehen werde. Der Trost wurde von den Anwesenden mit tiefen Seufzern und am Ende mit lauten „Amen“ begleitet. Bei alledem kam es darauf an, dass mein Vater morgens, nachmittags und abends das Totengebet sprechen könnte, ohne das Haus zu verlassen; dazu brauchte man jedoch ein Minjan, das heißt zumindest neun Männer, um mit ihm zusammen eine Betgemeinde zu bilden. Es war zumeist nicht schwer, das Minjan zusammenzubringen, da wir, die drei Söhne, zumeist anwesend waren." In: Manès Sperber: All das Vergangene. Band 3: Bis man mir Scherben auf die Augen legt. Europaverlag, Wien 1977, ISBN 3-203-50642-4, S. 134.