Nanni Moretti
Nanni Moretti (* 19. August 1953 in Bruneck, Südtirol) ist ein italienischer Filmregisseur, Filmproduzent und Schauspieler.
Leben
Nanni Moretti wurde in Bruneck (Brunico) in Südtirol geboren, als seine Eltern dort Urlaub machten; sein Vater ist der Althistoriker Luigi Moretti. Der Literaturwissenschaftler Franco Moretti ist sein Bruder. Seine Jugend verbrachte er in Rom, wo er auch seine großen Leidenschaften entwickelte: Politik, Wasserball und das Kino. Moretti ist mit Silvia Nono, Enkelin von Arnold Schönberg und Tochter von Luigi Nono, verheiratet.
Nach dem Besuch des Gymnasiums schrieb sich Moretti 1973 für den Studiengang „DAMS“ (danza, arte, musica e spettacolo) an der Universität Bologna ein. Im selben Jahr drehte er auch in Rom mit seiner ersten Super-8-Kamera, die er sich durch den Verkauf seiner Briefmarkensammlung leisten konnte, seine ersten Kurzfilme, in denen er zusammen mit Freunden auftrat. Für das Regisseursduo Paolo Taviani und Vittorio Taviani arbeitete er an einem Drehbuch mit und spielte eine kleine Rolle in dem Film Padre Padrone – Mein Vater, mein Herr (1977). Sein erster (auf Super 8 gedrehter) Langfilm Ich bin ein Autarkist entstand 1976 und war 1978 auf diversen Filmfestivals (u. a. Berlin als „Ich bin ein Autarkist“) zu sehen. Es folgte die ebenso selbstironische, auf 16 mm gedrehte Komödie Ecce Bombo (Die Nichtstuer; 1978), die ein großer Überraschungserfolg wurde und auf dem Filmfestival von Cannes lief. Der Film handelt von einer Gruppe junger Intellektueller in Rom, denen ein wirkliches Ziel im Leben fehlt. Auffällig in diesem und den folgenden Filmen sind die einfallsreichen, oft widersinnigen Dialoge, offene Gesellschaftskritik und die bewusste Abwendung von diversen italienischen und ausländischen Populärfilmkonventionen sowie Klischees. Moretti spielte bis 2001 in seinen Filmen jeweils die Hauptrolle, auf die er gelegentlich ironisch überspitzt gewisse eigene Charakterzüge übertrug. Drehbücher schreibt er allein oder in Zusammenarbeit mit Kollegen. Ein Markenzeichen seiner Filme war bis 2001 auch die einfühlsame, dabei jedoch keineswegs sentimentale Musik von Nicola Piovani.
Da Moretti mit Ecce Bombo in Italien bereits zum Star avanciert war, konnte er sich mit seinem nächsten Film, für den nun auch Geld für Kulissen zur Verfügung stand, Zeit lassen. Und er entschied sich bewusst für den schwierigen Film Goldene Träume (1981), der nicht an den Vorgänger anknüpfte und auch kaum kommerziellen Erfolg versprach. Der Film erhielt stattdessen den Spezialpreis der Jury bei den Filmfestspielen von Venedig. Der dritte Spielfilm, Bianca (1984), zeigte einen weiter gereiften Moretti in der Rolle eines jungen Lehrers, der sich in eine Kollegin verliebt und unter Mordverdacht gerät. Auch dies war eine Komödie, jedoch enthielt die Handlung erkennbarer als die Vorgänger einen Plot sowie einen überraschenden Schluss. Der Film Die Messe ist aus (1985) war Morettis erstes Drama, in dem er die Übertreibung seiner Komödien nun in den Dienst einer im Grundsatz ernsten Handlung stellte. Moretti tritt darin als junger Priester auf, der sehr schmerzhaft erfahren muss, dass seine Aufgabe in einer gewandelten Gesellschaft eine große Herausforderung ist. Im Zentrum stehen Konflikte mit alten Freunden der 1968er-Bewegung und Familienmitgliedern. Der Film erhielt 1986 auf der Berlinale den Silbernen Bären.
Moretti ordnet sich selbst politisch klar links ein und ist von dieser Warte aus gesellschaftskritisch; mit der Politik der Linksparteien war er jedoch selten zufrieden. In Wasserball und Kommunismus (1989) verkörperte Moretti einen unter Amnesie und Verwirrung leidenden Politiker sozialistischer Gesinnung, den die Vergangenheit in Form diverser Gastfiguren einholt, während er an einem Wasserballturnier teilnimmt. Im Gegensatz zu seinen früheren Filmen drehte Moretti dafür größtenteils auf Sizilien, wo die nötigen Freibad-Kulissen aufgebaut worden waren. Für La cosa (1990) filmte Moretti über Monate politische Debatten der Kommunistischen Partei Italiens mit, die nach dem Mauerfall eine neue Orientierung suchte. Das Wirrwarr der Stimmen und Köpfe blieb unkommentiert. 1991 eröffnete er ein Programmkino in Rom, das sich bis heute gehalten hat. Mittlerweile produzierte Moretti auch Filme junger Regisseure und nahm gelegentlich Rollen in deren Filmen an. Sein nächster eigener, 1994 erschienener Film mit dem Titel Liebes Tagebuch… (1993) wurde ein internationaler Erfolg. Er setzt sich aus drei Episoden zusammen, die alle autobiographisch angehaucht sind, von denen aber der dritte, so exakt wie möglich nachgestellt, Morettis Erlebnisse mit Ärzten dokumentiert, von denen er aufgrund eines Leidens diverse aufgesucht hat. Dafür gewann er 1994 die Auszeichnung für die beste Regie bei den Filmfestspielen von Cannes.
In dem an den Vorgänger erinnernden Film Aprile (1998) dokumentiert Moretti Vaterfreuden und berichtet halbfiktiv von seinen Bemühungen, einen Dokumentarfilm über die politische Situation und die Medien in Italien zu machen. Etwas in dieser Art war 1994 unter dem Titel L'unico paese al mondo – ein von Moretti mitorganisierter Episodenfilm mehrerer Regisseure, der seine erste filmische Notiznahme von Silvio Berlusconi enthielt – erschienen. Aprile ging noch einmal auf Berlusconis 1996 verlorene Wahl ein und feierte den vorläufigen Sieg der Linken. Mit dem in Ancona entstandenen Familiendrama Das Zimmer meines Sohnes gewann Moretti 2001 bei den Filmfestspielen von Cannes die Goldene Palme. In diesem bereits länger geplanten Projekt, das Moretti wegen der Geburt seines Kindes zurückgestellt hatte, ging es – offen und mutig erzählt – um den Umgang einer heilen kleinbürgerlichen Familie mit dem unerklärlichen Unfalltod des Sohnes. Moretti spielte hier den als Psychoanalytiker tätigen Vater. Im Gegensatz zu den früheren Filmen war dieser frei von Übertreibungen, Scherzen und dem Spiel mit der Autobiografie.
Im Jahr 2001 gehörte Moretti zu den Organisatoren der „Girotondo“-Bürgerversammlungen gegen Berlusconi. Ab 2003 engagierte er sich zunehmend politisch, wobei er sich wie erwartet gegen Berlusconis Vorgehensweise aussprach und von den linken Parteien forderte, ein brauchbares Alternativprogramm zu erarbeiten sowie die Bevölkerung hinter sich zu bringen. Moretti war in dieser Zeit aus den italienischen Fernsehnachrichten kaum wegzudenken. In New York entstand während einer Pressereise der Kurzfilm The Last Customer.
Ende März 2006, zwei Wochen vor den Parlamentswahlen, kam der Film Der Italiener in die italienischen Kinos, in dem er in Zusammenarbeit mit anderen Autoren kritisch die von Berlusconi geprägte italienische Gegenwart behandelte. Die Hauptrolle spielte Silvio Orlando, einer seiner Stammschauspieler. Der Film, der ebenfalls in Cannes im Programm war, erhielt in Italien mehrere David di Donatello, u. a. als bester Film und für die beste Regie. 2007 amtierte Moretti nach einigem Hin und Her als Kurator der Filmfestspiele von Turin und schickte wie viele Regisseure anlässlich des 60. Jubiläums des Festivals einen Kurzfilm nach Cannes. Im Februar 2008 wurde Stilles Chaos auf der Berlinale vorgestellt. Moretti spielte die Hauptrolle in dieser von Antonello Grimaldi inszenierten Romanadaption, an dessen Drehbuch er mitwirkte.
Bei den Wahlen in Italien im Frühjahr 2008 versuchte Moretti die Öffentlichkeit vergeblich daran zu erinnern, dass Berlusconi mehrere Fernsehkanäle kontrollierte und die staatlichen Institutionen nicht respektierte. Er forderte die vielen links eingestellten Wahlabstinenzler zum Urnengang auf. Berlusconis klaren Sieg hielt er für sehr italienisch und tragisch. Im selben Jahr gab Moretti seinen Direktorenposten bei den Turiner Filmfestspielen auf, um sich neuen Filmprojekten zu widmen.[1]
Ab März 2010 drehte er den Film Habemus Papam in Rom, der 2011 fertiggestellt wurde. Der Film stellt die Beziehung eines neu gewählten Papstes (gespielt von Michel Piccoli) zu seinem Psychoanalytiker (Moretti) in den Mittelpunkt. Habemus Papam brachte Moretti seine sechste Einladung für den Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes ein. Beim 65. Festival von Cannes, am 16. Mai 2012 eröffnet, leitete der 58-Jährige die Wettbewerbs-Jury.[2] Auch mit seinen folgenden Werken Mia Madre (2015) und Tre piani (2021) konkurrierte er um die Goldene Palme von Cannes.
In Deutschland sind bislang Das Zimmer meines Sohnes, Der Italiener, Stilles Chaos und Habemus Papam – Ein Papst büxt aus auf DVD erschienen.
Nanni Moretti betreibt in Rom außerdem seine eigene Produktionsfirma Sacher Film[3] sowie ein Kino, das Nouvo Sacher in Trastevere.[4]
Filmografie
Regie, Drehbuch und Produktion sowie Schauspieler
- 1973: La sconfitta – Kurzfilm
- 1973: Pâté de bourgeois
- 1974: Come parli frate? – Kurzfilm
- 1976: Ich bin ein Autarkist (Io sono un autarchico)
- 1978: Die Nichtstuer (Ecce Bombo)
- 1981: Goldene Träume (Sogni d’oro)
- 1984: Bianca
- 1985: Die Messe ist aus (La Messa è finita)
- 1989: Wasserball und Kommunismus (Palombella rossa)
- 1990: La Cosa – Dokumentarfilm
- 1993: Liebes Tagebuch… (Caro diario)
- 1994: L’unico paese al mondo – Episode
- 1996: Am Tag der Premiere von Close Up (Il giorno della prima di Close-Up) – Kurzfilm
- 1998: Aprile
- 2001: Das Zimmer meines Sohnes (La stanza del figlio)
- 2002: The Last Customer – Kurzfilm
- 2003: Il grido d’angoscia dell’uccello predatore: Tagli d’Aprile – Kurzfilm
- 2006: Der Italiener (Il Caimano)
- 2006: Il diario del Caimano – Dokumentarfilm
- 2007: Diario di uno spettatore – Kurzfilm
- 2011: Habemus Papam – Ein Papst büxt aus (Habemus Papam)
- 2015: Mia Madre
- 2018: Santiago, Italia – Dokumentarfilm
- 2021: Tre piani
nur Schauspieler
- 1977: Padre Padrone – Mein Vater, mein Herr (Padre Padrone) – Regie: Paolo Taviani und Vittorio Taviani
- 1988: Von Räubern, Kavalieren und harmonischen Menschen (Domani accadrà) – Regie: Daniele Luchetti
- 1991: Der Taschenträger (Il Portaborse) – Regie: Daniele Luchetti
- 1996: Das zweite Mal (La seconda volta) – Regie: Mimmo Calopresti
- 1996: Drei Leben und ein Tod (Trois vies et une seule mort) – Regie: Raúl Ruiz
- 2008: Stilles Chaos (Caos calmo) – Regie: Antonello Grimaldi
nur Drehbuch
- 2008: Stilles Chaos (Caos calmo) – nach dem Roman von Sandro Veronesi
Literatur
- Charlotte Lorber: Die Filme von Nanni Moretti: Erfahrung und Inszenierung von Räumlichkeit und Zeitlichkeit. Schüren Verlag, 2011
Weblinks
- Nanni Moretti in der Internet Movie Database (englisch)
- Website über Nanni Moretti (italienisch)
- Morettis Produktionsfirma Sacher Film
Einzelnachweise
- vgl. Turiner Filmfestival: Gianni Amelio wird neuer Direktor. Der Standard, 10. Dezember 2008 (aufgerufen am 11. Dezember 2008)
- Nanni Moretti leitet Jury in Cannes. Kurier, 20. Januar 2012.
- Moretti: «La sacher? Meglio il profitterol E benedico il ritorno di Zeman.» Il Messaggero, 13. Juli 2012.
- Cinema Nouvo Sacher auf Sacherfilm.eu (italienisch)