Musicae compendium

Musicae compendium i​st eine musiktheoretische Abhandlung, d​ie René Descartes 1618 i​m Alter v​on 22 Jahren verfasst hat, u​nd die e​rst 1650 veröffentlicht worden ist. Es i​st sein Versuch, m​it Hilfe e​iner mathematischen Proportionentheorie, musikalische Harmonien u​nd Intervalle z​u erklären.[1]

Inhalt

Abbildung aus Musicae Compendium, Utrecht 1650

Descartes behandelt in seiner kurzen Untersuchung Parameter des Klangs, Rhythmus und Intervalle, Konsonanzen und Assonanzen, und zwar sowohl in physikalischer als auch in psychologischer Hinsicht. Jedem speziellen Intervall ordnet er einen Effekt auf die Sinne und damit auf die Seele zu, der von einfachem Wohlgefallen bis zu komplexen Affekten reichen kann. In dem Kapitel De numero vel tempore in sonis observando entwirft er eine Lehre der Zahlenproportion, die er im 2. Kapitel als Proportion der Strecken aufgestellt hat, und wendet sie auf den musikalischen Zeitablauf an, d. h., er formuliert zum ersten Mal eine Theorie der zeitlichen Anordnung der Musik und „nimmt […] die Takt- und Periodenbaulehre der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts weit voraus“.[2]

Entstehungs- und Publikationsgeschichte

Descartes erarbeitete den Text im November/Dezember 1616 und schickte das Manuskript an Isaac Beeckman zur Kenntnisnahme und mit der Bitte, es für sich zu behalten. Das originale Manuskript ist nicht erhalten, es existieren aber mehrere zeitgenössische Kopien vom Original, u. a. durch Constantijn Huygens (1637) und Frans van Schooten (um 1640), auf deren Basis die erste gedruckte Ausgabe entstanden ist.[3] Es folgten Nachdrucke 1656 bei Jansson in Amsterdam und 1695 bei Knoch in Frankfurt a. M. Die erste Übersetzung ins Englische erschien 1653 in London bei Thomas Harper, 1661 und 1669 folgten die Übersetzungen ins Flämische und ins Französische. Die französische Übersetzung des Oratorianers Nicolas Joseph Poisson erschien mit ausführlichen Anmerkungen 1669 in Paris bei Charles Angot unter dem Titel Abregé de musique.[4]

Rezeption

Descartes' Abhandlung, d​er sich i​n seiner Untersuchung a​uf Texte v​on Gioseffo Zarlino u​nd Francisco d​e Salinas (1513–1590) stützt, w​ar zwar Rameau bekannt, a​uch Jean Jacques Rousseau n​immt unter d​em Stichwort Consonance seines Dictionnaire d​e Musique (1767) kritisch z​u Descartes Stellung[5], s​ie blieb a​ber sonst i​n der Folgezeit weitgehend unbeachtet. In Deutschland bekannt w​urde sein Buch d​urch Wolfgang Caspar Printz, d​er sich i​n seinem Compendium musicae signatoriae e​t modulatoriae vocalis v​on 1669 m​it Descartes auseinandersetzt[6], s​owie durch Georg Andreas Sorge, d​er ihn i​n seinem Vergemach musikalischer Komposition (1745/47) zitiert.[5]

Textausgaben

  • Oeuvres de Descartes. Publiées par Charles Adam & Paul Tannery. Sous les Auspices de Ministere de L'Instruction Publique. 12 Bände u. Registerband
Band 10: Physico-Mathematica. Compendium Musicae. Regulae ad Directionem Ingenii. Recherche de la Verité. Supplement a la Correspondance. Paris: Cerf 1897. Neuausgabe Paris: Vienne 1966. (Die maßgebliche Werkausgabe.)
  • Musicae Compendium. Leitfaden der Musik. Lateinisch-deutsch. Hrsg. u. übers. von Johannes Brockt. 3. unveränderte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2011, ISBN 978-3-534-24307-5.

Literatur

  • B. Wardhaugh (Hrsg.): The „Compendium Musicæ“ of René Descartes: Early English Responses. Tournholt, Brepols 2013, ISBN 978-2-503-54898-2.
  • M. Wald: René Descartes. Musicae compendiu. In: Kindlers Literatur Lexikon. Metzler, Stuttgart 2009.
  • B. Augst Descartes’s Compendium on Musicae. In: Journal of the history of idea. Vol. 26, Nr. 1. 1965. S. 118–132.
  • Ichiro Sumikura: Rene Descartes Compendium Musicae. Eine Betrachtung über seine Stellung in der Geschichte der Musiktheorie. In: Aesthetics. Vol. 26, Issue 3, 1975.
  • Thomas Christensen: Rameau and Musical thought in the Enlightment. Cambridge University Press, 1993. (Cambridge Studies in Music Theory and Analysis.)
  • Larry M. Jorgensen: Descartes on Music: Between the Ancients and the Aestheticians. In: The British Journal of Aesthetics. Vol. 52, Issue 4, 2012. S. 407–424.
Commons: Musicae compendium – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Dominik Perler: René Descartes. 2. Auflage. Beck, München 2008, S. 14.
  2. Birger Peterson-Mikkelson: Die Melodielehre des Vollkommenen Capellmeisters von Johann Mattheson. Eine Studie zuzm Paradigmenwechsel in der Musik des 18. Jahrhunderts. Diss. Kiel 2001. Eutin 2002. (Eutiner Beiträge zur Musikforschung. 1.)
  3. Raoul Corazzon: René Descartes. Bibliographie annotée. Abschnitt 4. 2019.
  4. Compendium Musicae – various editions and manuscripts. In: Medienarchiv der Künste. Abgerufen am 22. Juli 2020.
  5. Johannes Brockt: Einleitung, in: René Descartes. Musicae Compendium Leitfaden der Musik. 3. Aufl. Darmstadt: Wiss. Buchges. 2011, S. XII.
  6. Harald Heckmann: Der Takt in der Musiklehre des 17. Jahrhunderts. In: Archiv für Musikwissenschaft. Jg. 10, H. 2, 1953, S. 116–139.
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