Michigan Central Station
Michigan Central Station (Michigan Central Depot oder MCS), von 1910 bis 1913 errichtet, ist ein unter Denkmalschutz stehender monumentaler Bahnhof in der Stadt Detroit im US-Bundesstaat Michigan. Während der Bauzeit war das Bahnhofsgebäude das höchste der Welt.[1] Nach Ende der Nutzung war es jahrzehntelang dem Verfall preisgegeben. Seit 2018 ist der Bahnhof Eigentum der Ford Motor Company, die ihn durch eine bis Ende 2022 laufende Sanierung zum Ankerpunkt eines Mobilitäts-Forschungscampus' machen will.[2][3]
Lage
Der Namensbestandteil „Central“ bezieht sich nicht auf die Lage des Bahnhofs innerhalb der Stadt, sondern auf die ehemalige Eisenbahngesellschaft Michigan Central Railroad. Der Bahnhof steht im Stadtteil Corktown von Detroit nahe der Ambassador Bridge, etwa 3,2 km südwestlich der Innenstadt. Vor dem Gebäude befindet sich eine größere Parkanlage, der Roosevelt Park. Man hoffte, mit dieser etwas dezentralen Lage eine Aufwertung der umliegenden Stadtteile zu bewirken, der erhoffte Aufschwung fand aber nie statt. Das monumentale, aber isolierte Gebäude ist seit 1975 im National Register of Historic Places eingetragen.
Geschichte
Erste Planungen für das Gebäude gab es schon 1906, als mit den Bauarbeiten eines Unterwassertunnels, des Michigan Central Railway Tunnel, nach Windsor im Südwesten von Detroit begonnen wurde. Ein neues, viel größeres Bahnbetriebswerk als das bisherige im Zentrum der Stadt sollte den Eingang des Tunnels markieren. Der vorherige Kopfbahnhof (1885–1913) erfüllte schon lange nicht mehr die Anforderungen der wachsenden Eisenbahngesellschaft. 1908 wurde mit dem Kauf von Gelände rund um das heutige Stationsgebäude begonnen. Eineinhalb Jahre später hatte man ein Grundstück von etwa fünf Hektar Größe, indem man etwa 300 Häuser aufgekauft oder Personen enteignet hatte. Die Stadt kaufte das Gelände vor dem Gebäude (1915), um den heutigen Roosevelt Park anzulegen. Dies war beispielhaft für die Zeit, in der bei großen öffentlichen Gebäuden repräsentative Grünanlagen errichtet wurden.
Mit dem Bau des neuen Gebäudes wurde am 16. Mai 1910 begonnen, nachdem die Michigan Central Railroad, eine Tochtergesellschaft der New York Central Railroad, die Architekten Warren & Wetmore und Reed & Stem beauftragt hatte. Beide hatten zusammen schon die Grand Central Station in New York gebaut. Reed & Stem wurden durch den Bau zahlreicher Bahnhöfe bekannt, Warren & Wetmore vielmehr durch Hotelentwürfe, was auch die Fassade des 18-stöckigen Bürohochhauses kennzeichnet. Das schlichte Anfügen und Nebeneinanderstellen der beiden großen Baukörper, Büroturm und Eingangshalle, löste seinerzeit zahlreiche Diskussionen aus und brachte deutliche Kritik hervor.[4]
Das neoklassizistische Gebäude war das höchste Bahnhofsgebäude der Welt und das viertgrößte von Detroit. Es sollte offiziell am 4. Januar 1914 eröffnet werden. Diese Eröffnung fand aber nie statt, da durch einen Brand im bestehenden Bahnhof am 26. Dezember 1913 dieser unbenutzbar wurde. Noch während der Löscharbeiten kam es zur Aufnahme des Betriebes im neuen Bahnhof. Der erste Zug verließ ihn nach Chicago.
Ausbleibende städtebauliche Entwicklung
Der Bahnhof ist bewusst 3,7 Kilometer (2,6 miles) entfernt vom Stadtzentrum errichtet worden. Es sollte als Initiator für ein neues Stadtgebiet stehen, da der Stadtteil Corktown als nur schlecht entwickelt galt und als Slum bezeichnet wurde. Es war gedacht, das Stadtzentrum in Richtung Westen zu erweitern und damit dieses Gebiet aufzuwerten. Das ist allerdings nie passiert.
In der Anfangszeit des Betriebes stellte es kein Problem dar, dass der Bahnhof weit außerhalb zu finden war. Das öffentliche Nahverkehrsnetz brachte die Menschen direkt zum Osteingang des Gebäudes. Dies war deshalb auch der meistgenutzte Eingang des Gebäudes. Hier befand sich ein Straßenbahnterminal. Der repräsentative Haupteingang mit großen Rundbogenfenstern im Norden wurde nur wenig benutzt. In der Anfangszeit des Bahnhofes spielte das Automobil noch keine gewichtige Rolle. Dies ist an den mangelnden Parkmöglichkeiten zu erkennen, die der Station im späteren Verlauf Probleme bereiteten. Man setzte auf Straßenbahnen (streetcars) und Überlandbusverbindungen (interurban) für die umliegenden Orte.
Als Henry Ford in den 1920er Jahren damit begann, umliegende Grundstücke um den Bahnhof aufzukaufen, um ein großes Business-Center zu errichten, konnte das Gebiet einer möglichen Aufwertung entgegen schauen. Kurz darauf wurden allerdings jegliche Ambitionen weiterer Investoren durch die Große Depression erstickt. In den folgenden Jahren stellten die Fernverkehrsbusse ihren Betrieb ein und schließlich durch die wachsende Beliebtheit des privaten Automobils 1938 auch die Straßenbahnverbindung zum Zentrum. Die Fahrgastzahlen sanken aber erst nach 1945 dramatisch. Durch die gänzlich fehlenden Parkplätze wurde der Bahnhof unattraktiver und fiel einer zunehmend isolierteren Stellung fernab der Bevölkerung zu.
Einen Aufschwung erfuhr der Bahnhof durch den Zweiten Weltkrieg, in dem er als Knotenpunkt militärischer Maschinen- und Soldatentransporte diente. Das Besucheraufkommen änderte sich aber schnell wieder nach Beendigung des Krieges. Auch der staatlich subventionierte Ausbau von Autobahnen und der inländisch aufkommende wachsende Flugverkehr trugen ihren Teil zum Rückgang des Passagieraufkommens bei.
Während im Ersten Weltkrieg, zum Höhepunkt der Bahnfahrt in den Vereinigten Staaten, mehr als 200 Züge am Tag den Bahnhof verließen, in den 1940er Jahren mehr als 4000 Gäste am Tag den Wartebereich benutzten und 3000 Personen im Büroturm an sieben Tagen der Woche arbeiteten, wurden in den 1950er Jahren nach und nach zahlreiche Bereiche verkleinert (das Restaurant wurde halbiert, die restaurierungsbedürftige Gewölbedecke mit einer Kassettendecke abgehängt) und vor der Öffentlichkeit verschlossen (der ehemalige Warteraum wurde mittlerweile als Lager benutzt). Ein Versuch, den Bahnhof 1956 für 5 Millionen US-Dollar, ein Drittel der Baukosten von 1913, zu verkaufen, scheiterte, desgleichen ein weiterer Verkaufsversuch im Jahr 1963. Im Jahre 1967 wurde der Bahnhof teilweise geschlossen, namentlich der Haupteingang, die Geschäfte und das Bahnhofsrestaurant.
Kurze Blüte unter Amtrak
Die Übernahme des Personenverkehrs durch Amtrak im Jahr 1971 brachte eine kurze Periode der Hoffnung. Haupteingang und großer Wartesaal wurden 1975 wieder geöffnet, und 1978 kam es zu größeren Reparaturarbeiten. 1984 wurde das Gebäude an eine Transportgesellschaft verkauft. Am 6. Januar 1988 verließ der letzte Amtrak-Zug den Bahnhof nach Chicago.
Für eine Übergangszeit bediente Amtrak einen Behelfsbahnsteig neben der Michigan Central Station.[5] Unter Führung des Verkehrsministeriums des Staates Michigan wurde 1994 der verkehrsgünstig gelegene Bahnhof Detroit an der Baltimore Street nördlich der Innenstadt eröffnet (⊙ ). Amtrak band die Züge von und nach Chicago zugleich innerhalb der Metropolregion Detroit mit heute zwei Zwischenhalten – Royal Oak und Troy – auf 37 Kilometern bis Pontiac durch. Am neuen Bahnhof halten neben der Amtrak-Linie „Wolverine“ die 2017 eröffnete Straßenbahn QLine sowie Stadt- und Fernbusse.
Jahrzehnte des Verfalls
In den Jahren nach 1988 wechselte das Gebäude mehrmals den Besitzer, einmal für weniger als 80.000 Dollar. Ideen einer möglichen Um- und Nachnutzung konnten aufgrund zu großer finanzieller Hürden oder rechtlicher Bedenken nicht verwirklicht werden. Ein durch die Nähe zu Kanada mögliches Zoll-Handelszentrum, ein Convention-Center, Hotel, Büropark, ein Bahnhof mit Hochgeschwindigkeitszügen, Casino und das Detroiter Polizeipräsidium waren denkbare Nutzungen.
Von 1996 bis 2018 war der Bahnhof in Eigentum der Controlled Terminals Inc., einem zu Lebzeiten von Manuel Moroun kontrollierten Unternehmen. Immer wieder sorgte der Zustand des Gebäudes für zahlreiche Diskussionen in Öffentlichkeit und Presse, wenn es um mögliche Vorschläge einer Nachnutzung des Gebäudes ging.[6] Die Moroun-Familie ist unter anderem seit 1979 Eigentümerin der Ambassador Bridge, die in Sichtweite zur Michigan Central Station steht, und erzielt im Güterkraftverkehr, mit Mauteinnahmen, Tankstellen und mit Duty-Free-Läden an der Brücke und am Detroit-Windsor-Tunnel Einnahmen. Der 2020 verstorbene Moroun hatte sich vom Sohn eines Tankstelleninhabers zum Milliardär hochgearbeitet und wurde 2009 auf Platz 296 der Forbes-Liste der reichsten Amerikaner geführt.[7][8][9][10]
Am 7. April 2009 stimmte der Stadtrat, der zuvor aufgrund der hohen Kosten Abstand von einem Umbau jeglicher Art genommen hatte, dem Abriss des Gebäudes zu. Die Maßnahme sollte mit Mitteln des Konjunkturpaketes American Recovery and Reinvestment Act der Bundesregierung nach der Finanzkrise von 2007 finanziert werden. Daraufhin verklagte ein Einwohner von Detroit die Stadt und forderte den Erhalt des Gebäudes, da der Abriss gegen den National Historic Preservation Act of 1966 verstoße.[11] Im September 2009 wurde die Michigan Central Station Preservation Society gegründet, die sich den Erhalt des Gebäudes zum Ziel gesetzt hatte.[12]
Michigan Central Station war bis 2011 ein eindrucksvolles Beispiel für den in Detroit ausgeprägten Stadtverfall und wurde zum Tummelplatz für Vandalen, Obdachlose, Sprayer und Junkies. Darüber hinaus war es immer wieder Ort für Filmaufnahmen (Transformers, Die Insel, Vier Brüder und 8 Mile) und Anlaufstelle für ausländische Reporter.[13]
Die Eigentümerfamilie Moroun gab 2011 über 4 Millionen Dollar für Sicherungsmaßnahmen am Gebäude aus und kündigte 2015 an, weitere 15 bis 25 Millionen Dollar in den Erhalt des Gebäudes stecken zu wollen.[12][14] Im Juni 2018 kaufte die Ford Motor Company den Bahnhof für 90 Millionen Dollar[15] von den Morouns.[16][17]
Gegenwärtige Situation
Stadtplaner sehen in dem Gebiet rund um Michigan Central Station eine Schlüsselstellung, um Menschen aus Kanada ins Stadtzentrum nach Detroit zu bringen. Die Ambassador Bridge, die Hauptverbindung nach Kanada, könnte durch eine Aufwertung der Stadtquartiere Mexicantown und Corktown die Menschen, anstatt sie auf die Autobahn zu schleusen, ins Stadtinnere führen.[18]
Die Renovierung des Bahnhofs will Ford, unwesentlich beeinträchtigt durch die Covid–19-Pandemie, im Jahr 2022 planmäßig abschließen.[2]
Einzelnachweise
- Kavanaugh, Kelli B.: Detroit's Michigan Central Station (Images of America). Arcadia Publishing, 2001, ISBN 0-7385-1881-6.
- Phoebe Wall Howard: Detroit train station renovation still moving ahead in pandemic: Where it stands. In: Detroit Free Press. 5. August 2020, abgerufen am 12. März 2021 (englisch).
- Ford Acquires Iconic Michigan Central Station as Centerpiece of New Detroit Campus to Usher in Ford’s Smart, Connected Future. Ford Media Center, 19. Juni 2018, abgerufen am 12. März 2021 (englisch).
- Harold D. Eberlein, erschienen in Architectural Record, Volume 36, 1914 und in "Trains, Volume 38, Kalmbach Pub. Co., 1978: „The exterior of the Detroit Station presents an extraordinary lack of continuity of conception. Seen from a distance, the casual observer, unless otherwise informed, would never take the two parts of the station to be portions of one and the same building, so utterly different are they. Each part taken separately might be good. Joined together, they are architecturally incongruous.“
- Detroit, MI (Amtrak's Wolverine). In: The Subway Nut. 11. November 2011, abgerufen am 12. März 2021 (englisch).
- Manuel J. Moroun, der zu Zeiten des Kaufes noch ein Casino-Projekt an dieser Stelle Vorschlug, antwortet mittlerweile auf die Frage einer möglichen Nutzung „I hate being associated with that, what the hell am I supposed to do with it? I can't sell it, and I won't give it away for a dollar. I can't redevelop it. Who would want to go in there? Nobody. There's no reason. That's throwing money to the wind. Can't tear it down, it's an historic landmark.“; aus den Detroit-News vom 15. Dezember 2008
- Forbes Detailseite. Abgerufen am 27. Januar 2011
- Fitch, Stephanie and Joann Muller (11-15-04).The Troll Under the Bridge. Forbes. Archivfassung, abgerufen am 27. Januar 2011.
- S. Voyles: The Man Behind the Bridge. Matty Moroun Talks about Detroit, Business and Being Sentimental. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Corp! Magazine. Mai 2009, archiviert vom Original am 6. Oktober 2011; abgerufen am 12. März 2021 (englisch).
- Charlie LeDuff: Ambassador Bridge owner Manuel (Matty) Moroun eyes 'twilight deal' as his son rises. In: Detroit Free Press. 22. März 2018, abgerufen am 12. März 2021 (englisch).
- Associated Press: Detroit man sues to block demolition of rail depot. In: fox28.com. 14. April 2009. Abgerufen am 25. März 2010.
- Michigan Central Station Preservation Society. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 15. September 2015; abgerufen am 12. März 2021 (englisch).
- Verlassenes Detroit: Die Wrack-Stadt
- The Detroit News, 25. August 2011, Dusting off the depot: Moroun making good on cleanup
- Breana Noble: Morouns could chart new path following death of patriarch. In: The Detroit News. 14. Juli 2020, abgerufen am 10. Mai 2021 (englisch).
- Confirmed: Ford bought Michigan Central Station. In: Curbed Detroit. (curbed.com [abgerufen am 12. Juni 2018]).
- Laurel Wamsley: Once An Icon Of Detroit Decay, Historic Train Station Has New Owner: Ford. NPR, 11. Juni 2018, abgerufen am 12. März 2021 (englisch).
- Archivierte Kopie (Memento vom 23. Januar 2011 im Internet Archive) Eine neue Schlüsselstellung der Michigan Central Station, TheDetroitNews, 8. November 2010
Weblinks
- Texte und Fotos nach Forgotten Detroit
- Auszug aus dem Buch von Kelli B. Kavanaugh,2001
- 'Ruins of the golden Age'
- 'Seeking a Future for a Symbol of a Grander Past', New York Times (2010)
- „Detroit, eine Ruine des Automobilen Zeitalters“, Nora Sobich, erschienen auf Stylepark.com (2009)