Martin Kind
Martin Kind (* 28. April 1944 in Walsrode) ist ein deutscher Unternehmer, der auch die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt. Er ist Eigentümer und Geschäftsführer der Kind-Gruppe. Mit einjähriger Unterbrechung war er von 1997 bis 2019 Vorstandsvorsitzender des Hannover 96 e. V. Er ist zudem Geschäftsführer der vereinseigenen Hannover 96 Management GmbH, die als Komplementärin zur Geschäftsführung der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA berechtigt ist, in die die professionelle Fußballabteilung des Vereins seit 1999 ausgegliedert ist. Kind ist gemeinsam mit weiteren Investoren über die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG der einzige Kommanditaktionär der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA.[1][2]
Unternehmer
Die Vorfahren von Kind stammen aus Chur in der Schweiz. Sein Großvater wanderte nach Deutschland aus, wo er heiratete. Nach seiner Geburt erhielt Kind auch einen Schweizer Pass.[3] Er übernahm 1970 das von seinem Vater gegründete Hörgeräte-Fachgeschäft, Vorläufer der heutigen Kind Hörgeräte GmbH & Co. KG, das unter ihm zu einem Filial-Unternehmen entwickelt wurde und (Stand 2011) Marktführer im Hörgeräte-Einzelhandel in Deutschland ist.[4] Als einziger Anbieter fertigt sein Unternehmen einen Teil der vertriebenen Ware auch in Deutschland.[5]
Vereinspräsident
Am 26. September 1997 übernahm der gelernte Hörakustikermeister und Kaufmann Martin Kind erstmals ehrenamtlich den Vorstandsvorsitz des Hannoverschen Sportvereins von 1896 e.V. Der Verein stand nach vereinsinternen Querelen um seinen Vorgänger Utz Claassen sowie dem Abstieg in die Regionalliga sportlich und finanziell schlecht da. Unter Martin Kind gelang der Neuaufbau. Er führte die Fußballabteilung des Vereins mit striktem Führungsstil zum Aufstieg aus der Regionalliga Nord wieder in die Bundesliga.
In seiner Amtszeit erfolgte der kreditfinanzierte Umbau des Niedersachsenstadions Hannover zur AWD-Arena (heute: HDI-Arena). Damit wurden erstklassige Voraussetzungen für Fußballspiele in Hannover geschaffen, beispielsweise für den Bundesligabetrieb oder Spiele während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006.
Zu Saisonbeginn 2005/2006 trat Kind mit der Begründung, die Weichen für eine erfolgversprechende Zukunft gestellt zu haben, überraschend zurück. Er übergab die Vereinsführung an Götz von Fromberg. Die Profigesellschaft wurde von den Geschäftsführern Karl-Heinz Vehling und Ilja Kaenzig geführt. Alle drei legten bereits im Juli 2006 ihre Ämter nieder. Grund waren Unstimmigkeiten mit den Investoren der Profifußballgesellschaft, darunter maßgeblich Martin Kind, über den Kurs der Profifußballgesellschaft und die Transferpolitik. Kind nahm noch am Tag von Vehlings Rücktritt die Fäden wieder in die Hand.
2014 teilte Martin Kind mit, dass er sich bis zur Saison 2017/18 vom Vorstandsvorsitz zurückziehen und in den Aufsichtsrat wechseln will. Zu diesem Zeitpunkt sollten sich die Stimmrechte an der Profifußballgesellschaft nach seiner Aussage komplett in der Hand seiner Investorengesellschaft befinden.[6] Die kompletten vereinseigenen Kommanditaktien der Profifußballgesellschaft hat der Verein unter seinem Vorstandsvorsitzenden Martin Kind bereits an eine Gruppe von Geschäftsleuten um ihn übertragen.[7][8]
Entgegen dieser Aussage blieb er auch zur Saison 2017/18 noch im Amt. Er hatte im August 2017 einen Ausnahmeantrag an die DFL gestellt, der die 50+1-Regel außer Kraft setzen sollte, damit die Stimmrechte durch Investoren übernommen werden könnten.[9] Nachdem Anfang Februar 2018 eine Entscheidung der DFL kurz bevor stand und durch die Presse angekündigt wurde, dass der Antrag wohl abgelehnt werden würde, ließ Martin Kind den Antrag ruhen.[10][11] Nach der Reaktivierung seines Antrags wurde dieser von der DFL im Juli 2018 erwartungsgemäß abgelehnt. Das Präsidium der DFL kam zur Entscheidung, dass das Kriterium der "erheblichen und ununterbrochenen Förderung über 20 Jahre" nicht erfüllt sei.[12]
Auf der Mitgliederversammlung des Vereins am 23. März 2019 konnten sich die von Martin Kind favorisierten Aufsichtsratskandidaten nicht durchsetzen. Die vormalige vereinsinterne Opposition stellt seitdem alle fünf Aufsichtsräte. Damit endete Martin Kinds Ehrenamt im Verein. Sein Nachfolger wurde Sebastian Kramer. Seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Profifußballgesellschaft blieb davon unberührt.[13]
Kontroversen
Kind ist ein vehementer Gegner der in der Bundesliga geltenden 50+1-Regel, die als Schutz der Vereine (beziehungsweise der den Vereinen zugehörigen Kapitalgesellschaften) vor rein gewinnorientierten Investoren installiert wurde. Sie besagt, dass die Mehrheit der Anteile an den Profiabteilungen beim „Mutterverein“ (z. B. Hannover 96 e. V.) bleiben muss. Damit haben die jeweiligen Kapitalgesellschaften (z. B. Hannover 96 GmbH & Co. KGaA) nicht die Entscheidungsgewalt. Ausnahmen bildeten in der Bundesliga nur die Werksclubs Bayer 04 Leverkusen und VfL Wolfsburg. Die sogenannte Lex Leverkusen gestattete es den Profiabteilungen der 1. und 2. Bundesliga von ihren Investoren übernommen zu werden, nachdem diese sich mehr als 20 Jahre im Verein engagiert hatten, jedoch nur wenn dies schon vor dem Stichtag 1. Juni 1999 der Fall gewesen war. De facto galt die Regel somit nur für Leverkusen und Wolfsburg.
Gegen diese vermeintliche Ungleichbehandlung drohte Kind mit Klagen. Am Ständigen Schiedsgericht für Vereine und Kapitalgesellschaften der Lizenzligen konnte er im August 2011 die Abschaffung des Stichtags erreichen, so dass nun alle Gesellschaften oder Investoren, die sich nachhaltig über 20 Jahre bei einem Verein engagiert haben, die 50+1-Regel außer Kraft setzen und die Stimmenmehrheit an einem Bundesligisten übernehmen können.[14] Die Formulierung der "erheblichen und ununterbrochenen Förderung über 20 Jahre, welche die Hauptbedingung für eine Ausnahme von der 50+1 Regel ist, wurde 2014 in den Auslegungsleitlinien definiert[15]. Diesen Leitlinien wurde auf der Mitgliederversammlung der DFL, also auch von Hannover 96, mit 35:0 zugestimmt.[16] Im folgendem Jahr hat von der Änderung des Schiedsgerichts 2011 mit den Leitlinien aus 2014 Dietmar Hopp Gebrauch gemacht, der 2015 die Stimmenmehrheit bei der TSG 1899 Hoffenheim übernahm. Der gefundene Kompromiss erlaubt es langjährigen Investoren dann auch, ihre Anteile an Dritte weiter zu veräußern.[17] So will Kind nach Ablauf der 20-Jahre-Frist 2017/2018 den Verein Hannover 96 komplett aus dem Profigeschäft verdrängen und dieses von Investoren übernehmen lassen.[17] Sobald die Übernahme komplett vollzogen ist, will Kind seinen Posten als Vereinspräsident 2018 aufgeben.[18] Bereits im April 2015 wurde auf der Jahreshauptversammlung des Vereins der Verkauf der restlichen Anteile an der Profiabteilung an Kinds Investorengruppe bekanntgegeben, so dass lediglich noch Stimmrechte beim Verein verblieben sind. Laut des Aufsichtsratsvorsitzenden Valentin Schmidt wurde die Abstimmung darüber mit „erheblichen Gegenstimmen“ durchgeführt und musste zweimal wiederholt werden.[19] Die restlichen Anteile von 15,66 Prozent wurden dabei für nur 3,25 Millionen Euro an die Investorengruppe um den Vereinspräsidenten und Unternehmer verkauft.[20] Laut Handelsblatt wurde der Kaufpreis anhand des Buchwertes ermittelt, bei Zugrundelegung des Marktpreises hätte ein Vielfaches gezahlt werden müssen.[8]
Kritische Betrachtung findet auch Kinds (medial oft so bezeichneter) „Verschleiß“ von Managern und Trainern und die somit fehlende Kontinuität in der sportlichen Entwicklung. So arbeiteten in Kinds Amtszeit (1997–2005, 2006–2016) fünfzehn Cheftrainer und zehn Sportdirektoren.[21][22] Mangelnde Konstanz, fragwürdige Personalentscheidungen und ein ungezügelter Mitteilungsdrang von Martin Kind gelten als Hemmnisse einer erfolgreichen Entwicklung von Hannover 96 und werden auch für sportliche Rückschritte verantwortlich gemacht.[23]
So fällt Martin Kind regelmäßig durch unbedachte Äußerungen gegenüber den Medien auf, in denen er sich oft verletzend über Mitarbeiter und Anhänger des Vereins äußert. Er bezeichnete z. B. einen Spieler nach längerer Verletzungspause als bequem und übergewichtig[24] und eigene Anhänger als „Arschlöcher“.[25] Sämtliche Titel und eine mehr als hundertjährige Vereinsgeschichte vor seinem eigenen Engagement dort fasste er mit den Worten „Hannover 96 ist ein Scheißverein gewesen“ zusammen.[26] Als ungewöhnlich muss auch gelten, die Namen von abgelehnten (und anderweitig beschäftigten) Bewerbern gegenüber der Presse zu nennen.[27]
Seit etwa 2013 kommt es bei Heim- und auch bei Auswärtsspielen vorwiegend aus den Fanblöcken zu „Kind muss weg“-Rufen und zum Zeigen von Spruchbändern, die die Absetzung von Kind als Vereinspräsident fordern. Dies setzte sich auch fort, nachdem die Ultras aus Protest gegen Kind zur Saison 2014/15 die Spiele der Profimannschaft komplett boykottiert hatten und seither nicht mehr anwesend sind. Auch Fans anderer Mannschaften schließen sich immer wieder den Protesten und Absetzungsforderungen an. Kind sagte bei der Ankündigung seines Rücktritts 2014 dazu: „Dann höre ich auf. Außerdem: Ich habe die tiefe Überzeugung, dass man keinen Job machen darf, nur um am Ende Dankbarkeit zu erwarten.“[18] Anfangs kam es dabei zu heftigen Gegenreaktionen anderer Zuschauer aus dem Sitzplatzbereich, die teilweise noch Kind-freundlich eingestellt waren, teilweise eine für die Mannschaft negative Stimmung durch die Rufe befürchteten. Etwa seit 2018 ebbten die Gegenreaktionen jedoch ab und die Kind-muss-weg-Rufe sind regelmäßig aus allen Teilen des Stadions zu hören.
Privat
Kind ist verheiratet und hat zwei Söhne.[28]
Vermögen
2013 wurde sein Vermögen auf 600 Millionen Euro geschätzt, damit rangierte er auf Rang 188 der reichsten Deutschen.[29]
Auszeichnungen
2006 wurde ihm die Stadtplakette von Hannover verliehen. 2013 erhielt er den zehnten Ehrenring vom Freundeskreis Garbsen.[30] 2018 wurde er mit der Niedersächsischen Landesmedaille ausgezeichnet.[31]
Mitgliedschaften
Martin Kind ist
- Ehrenmitglied von Lesestart Hannover[32]
- Seit 2002 Kuratoriumsmitglied Rudolf-von-Bennigsen-Stiftung
- Seit 2004 Vorstandsvorsitzender Die Wahren Dorff Freunde e. V.
- Seit 2005 Aufsichtsratsmitglied Hannoverscher Rennverein e. V.
- Seit 2005 Aufsichtsratsmitglied NORD/LB
- Seit 2006 Mitglied Stifterkreis Mädchenchor Hannover e. V.
- Seit 2006 2. Vorsitzender Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung
- Seit 2007 Beiratsmitglied Gerald-Asamoah-Stiftung
- Mitglied im Beirat des Deutsch-Türkischen Netzwerk Niedersachsen
Siehe auch
Weblinks
- Vereine sind Unternehmen (Martin Kind über die 50+1-Regelung) im Fußballmagazin 11 FREUNDE
- Martin Kind im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
Einzelnachweise
- Hannover 96 verkauft sich an Kind. In: Spiegel Online. 28. April 2015, abgerufen am 18. November 2015.
- Markus Wanderl: Alle Macht dem Kind. In: Neue Zürcher Zeitung (online). 28. April 2015, abgerufen am 18. November 2015.
- «Schweizer Charakter treibt mich an»7. August 2011
- FAZ: „Hörgeräte können noch viel mehr“, 30. Oktober 2011
- Handelsblatt: „Erfolg ist so einfach!“, 25. März 2014
- Hannover-Präsident Kind: „Ich kann niemanden zwingen, Karten zu kaufen“ In: Spiegel-Online. 17. November 2014.
- Streit um den Millionen-Deal des Alphatiers In: faz.net. 28. April 2015.
- Das System Hannover 96. In: Handelsblatt. 11. Mai 2015, S. 22 f.
- Hannover 96: Martin Kind stellt Antrag auf Mehrheitsübernahme. (handelsblatt.com [abgerufen am 5. Februar 2018]).
- DFL wird wohl Übernahme von Hannover 96 verweigern. Abgerufen am 5. Februar 2018.
- NDR: 96-Übernahme: Kind lässt Antrag ruhen. Abgerufen am 5. Februar 2018.
- DFL-Präsidium lehnt Antrag auf Bewilligung einer Ausnahme von der 50+1-Regel für Hannover 96 und Herrn Martin Kind ab. In: DFL Deutsche Fußball Liga GmbH - dfl.de. 18. Juli 2018, abgerufen am 10. Dezember 2018 (deutsch).
- welt.de vom 23. März 2019, Martin Kind abgestraft – Machtwechsel bei Hannover 96, abgerufen am 1. Dezember 2019.
- Kind kann 2017 Hannover 96 übernehmen, 30. August 2011, abgerufen am 29. November 2015
- Fragen und Antworten zur 50+1-Regel. In: DFL Deutsche Fußball Liga GmbH - dfl.de. 18. Juli 2018, abgerufen am 10. Dezember 2018 (deutsch).
- Präsidium DFL: DFL Rundschreiben 2014, Leitlinien/Voraussetzungen für 50+1 Ausnahmen. (PDF) DFL, 12. Dezember 2014, abgerufen am 10. Dezember 2018.
- Ungeliebte Investoren (Memento vom 16. Januar 2014 im Internet Archive) In: Sportschau.de. Abgerufen am 8. April 2014.
- Martin Kind kündigt Rückzug an, 28. Oktober 2014, abgerufen am 29. November 2015
- Fußballbundesligist: Hannover 96 verkauft sich an Kind, 28. April 2015, abgerufen am 29. November 2015
- Ärger bei der Mitgliederversammlung. (Memento vom 28. April 2015 im Webarchiv archive.today) In: Lüneburger Zeitung-online. 28. April 2015.
- Bei Martin Kind geben die Trainer von allein auf. In: welt.de. Abgerufen am 23. März 2016.
- Nach Trennung von Schaaf: 96-Präsident Kind zählt auch Bader an. In: 11freunde.de. Abgerufen am 5. April 2016.
- Mangelhafte Leistungsstruktur auf Führungsebene. In: Huffington Post. Abgerufen am 12. April 2021.
- Kind: „Bei Lakic waren wir zu spät dran“. In: Kicker.de. 12. Januar 2012.
- Volker Königkrämer: Hannover-Boss nennt eigene Fans „Arschlöcher“. In: stern.de. 3. September 2012.
- Martin Kind: „Hannover 96 ist ein Scheißverein gewesen“. In: HAZ.de. 5. April 2013.
- Lukas Rilke: Hannover 96: Trapattoni wollte Slomka-Nachfolger werden. In: Spiegel Online. 2. Januar 2014.
- vgl. Referenten-Beschreibung In: manager-lounge.manager-magazin.de.
- Erfolg ist so einfach! In: Handelsblatt. 25. März 2014.
- Martin Kind erhält Ehrenring in Garbsen. Bilder. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung. 19. November 2013, abgerufen am 1. Dezember 2019.
- Landesmedaille für Professorin Dr. Eva-Maria Neher, Professorin Gudrun Schröfel, Martin Kind und Dirk Roßmann – Ministerpräsident Stephan Weil würdigt vier herausragende Persönlichkeiten des Landes (Memento vom 29. August 2018 im Internet Archive), Presseinformation des Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur vom 28. August 2018
- Wer wir sind, Unterseite von lesestart-hannover.de