mappa mundi
Eine mappa mundi (lat., Mehrzahl: mappae mundi) ist eine mittelalterliche Weltkarte in der Tradition europäischer Kartografie. Aufgrund der früheren ptolemäischen Tradition gibt es teilweise Bezüge zu den islamischen Karten dieser Zeit. Der zeitliche Schlusspunkt dieser Kartenart liegt im 15. Jahrhundert, als die Seefahrt Entdeckungen und die Kartografie Fortschritte machten.
Mappa ist ursprünglich ein weißes, ausgebreitetes Tuch.
Allgemeines und Quellenwert
Harvey zufolge sind aus dem Europa des 7. bis einschließlich 14. Jahrhunderts über tausend Weltkarten überliefert, dabei handelt es sich großteils aber um einfache Diagramme, bei denen man irgendwelche Informationen räumlich arrangiert hat. Sie erscheinen etwa als Illustrationen zu philosophischen oder wissenschaftlichen Abhandlungen.[1]
Mappae mundi werden als historische Quellen in der Historischen Geographie behandelt, einer Historischen Hilfswissenschaft. Sie sollten nicht allein danach bemessen werden, ob eine geografische Information nach heutigen Erkenntnissen richtig ist. Zwar dienen diese Karten auch dazu, das damalige geografische Wissen zu bestimmen. Anna-Dorothee von den Brincken weist darauf hin, dass ihr heutiger Wert nicht so sehr naturwissenschaftlicher, sondern geisteswissenschaftlicher Art ist: Nicht um geografische Details gehe es, sondern um den ordo im Sinne des Weltbildes.[2] Sie sind vor allem als thematische Karten zu verstehen, nicht als Mittel der konkreten geografischen Orientierung.
Vorgeschichte
Vorläufer der mittelalterlichen Weltkarten sind römische T-O-Karten, auf denen Tanais (Don), Nil, Schwarzes und Ägäisches Meer Asien von Europa und Afrika trennen, die wiederum durch das Mittelmeer getrennt wurden. Allerdings gibt es keine überlieferten Karten aus der römischen Zeit; daher ist auch die Vermutung nicht untermauerbar, es habe in der Antike eine hervorragende Kartentradition gegeben, die im Mittelalter untergegangen sei. Das Werk des griechischen Geografen Claudius Ptolemäus (um 150 n. Chr.) ist nur als Text überliefert, die bekannten darauf beruhenden Karten sind neuzeitlich. Die Tabula Peutingeriana (nach 330 n. Chr.) ist eine Straßenkarte. Ferner soll es eine Ökumene-Karte von Augustus’ Schwiegersohn Marcus Vipsanius Agrippa gegeben haben.
Fragestellungen
Bei der Auswertung von mittelalterlichen Weltkarten sind einige Fragen gängig geworden; dabei unterscheidet man nach Gervasius zwischen pictura und scriptura. Die pictura, also das Bild, das Gemalte, sollte möglichst genau kopiert werden, in der scriptura, der Schrift oder der Kartenlegende, war man freier und konnte Unsicheres diskutieren.
Von Bedeutung ist die geografische Ausrichtung; während heutige Karten normalerweise genordet sind (Norden ist „oben“), waren im europäischen (christlichen) Mittelalter Karten meist geostet, da aus dem Osten das Heil kommt. Der Mittelpunkt mehrerer Karten ist Jerusalem, der Nabel der Welt. Teilweise wird sogar der Leib Christi mit der Karte verbunden, so dass man oben seinen Kopf, unten Füße und links und rechts Hände erkennen kann. Überhaupt beachtet man die Außenabgrenzung solcher Karten. Politische Grenzen findet man meist nicht, denn Herrschaften wurden erst im Spätmittelalter territorial verstanden, so von den Brincken.
Häufig sind zwei Regionen besonders groß (meist überproportioniert) dargestellt:
- das Heilige Land (Palästina), aufgrund seiner heilsgeschichtlichen Bedeutung und der vielen biblischen Details, die man zeigen will;
- die Region des Kartenautors, der seine eigene Region (Wohn- oder Herkunftsgebiet) besser als andere kennt.
Traditionell unterscheidet (und kennt) die Antike wie auch das Mittelalter drei Kontinente: Europa, Asien, Afrika. Sie werden mit Noahs Nachfahren Jafet, Sem und Ham in Verbindung gebracht. Danach gab es aber noch die Frage eines Vierten Kontinents (terra australis incognita), wo die Autoren oft Monster ansiedelten („Antipoden“).
Schließlich ist die Ausarbeitung der Küstenlinien und die geografische Kenntnis des Autors durchaus von Bedeutung. Eine möglichst genaue Darstellung ist das eine Extrem, eine sehr schematische Darstellung mit drei Flächen (Kontinenten) und drei trennenden Meeren ist das andere (T-O-Karte). In die Art der Darstellung fließen geografische und – aus heutiger Sicht – eher philosophisch-spekulative Ideen ein.
Quellen der Autoren
Für die Inhalte der Karten orientierten sich die Autoren vor allem an der Literatur, die sie über ferne Länder finden konnten. Oftmals handelt es sich um die allseits beliebten und verbreiteten Werke der bekannten Autoritäten. Zu unterscheiden ist nach Herkunft und Inhalt:
- die Bibelgeschichte, auch wichtig im Zusammenhang mit der Heilsgeschichte;
- die klassische Antike zusammen mit der Mythologie und fiktionaler Literatur wie der Alexandersage;
- die naturwissenschaftlichen Werke der Antike und des Mittelalters, etwa für exotische Tiere;
- das Wissen, wie es in den so genannten Weltchroniken zu finden war.
Entwicklung und bekannte Beispiele
Harvey und Englisch zufolge ist es falsch, eine einfache Entwicklung vom Primitiven zum Elaborierteren zu sehen. Es geht um die Herkunft und den Kontext, insbesondere aber um die beabsichtigte Aussage einer mappa mundi.
Zu den bekanntesten mappae mundi zählen die
- Mappa mundi d’Albi, die im 8. Jahrhundert entstandene Karte ist eine der beiden ersten nicht-symbolischen und nicht-abstrakten Weltkarten;
- die Tabula Rogeriana des arabischen Geographen Idrisi aus dem 12. Jahrhundert,
- Hereford-Karte aus dem 13. Jahrhundert, die oft als die typische Mappa Mundi angesehen wird; sie ist die größte noch erhaltene dieser Karten;
- die kleine Londoner Psalterkarte aus dem 13. Jahrhundert,
- die Ebstorfer Weltkarte um 1300, deren Original im Zweiten Weltkrieg verbrannt ist, sowie
- die 1448 entstandene Weltkarte des Andreas Walsperger
- die Mappa Mundi des Fra Mauro von 1459/60
Die Vinland-Karte gilt bei den meisten Fachleuten als Fälschung.
Bereits 1375 schuf der jüdische Kartograf Jáfuda Cresques Abraham de Aragón den sogenannten Katalanischen Atlas, die mapa mondí, eines der berühmtesten Kartenwerke des Mittelalters, in dem erstmals eine Windrose eingezeichnet ist. In ihm werden u. a. Marco Polos Asienreise und südlich der Mittelmeerküste Reisende mit Kamelen auf dem Weg nach Mali illustriert. Der auf Mallorca arbeitende Cresques Abraham de Aragón hat Zugang sowohl zu christlichen wie islamischen Quellen, was den katalanischen Atlas so einzigartig macht. Der Atlas wurde 1380 von König Peter IV. von Aragón dem französischen König Karl V. geschenkt.
Zusammen mit solchen Kartenwerken weisen die Portolankarten (Seekarten zum praktischen Gebrauch) den Weg zu den modernen Karten.
Siehe auch
Literatur
- Anna-Dorothee von den Brincken: Kartographische Quellen. Welt-, See- und Regionalkarten (= Typologie des Sources du Moyen Âge Occidental. 51). Brepols, Turnhout 1988, ISBN 2-503-36000-9.
- Paul D. A. Harvey: Medieval Maps. The British Library, London 1991, ISBN 0-7123-0232-8.
- Hartmut Kugler: Mittelalterliche Weltkarten und literarische Wissensvermittlung. Zur Erdbeschreibung Rudolf von Ems. In: Horst Brunner, Norbert Richard Wolf (Hrsg.): Wissensliteratur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Bedingungen, Typen, Publikum, Sprache (= Wissensliteratur im Mittelalter. 13). Reichert, Wiesbaden 1993, ISBN 3-88226-555-8, S. 156–176.
- Brigitte Englisch: Ordo orbis terrae. Die Weltsicht in den Mappae mundi des frühen und hohen Mittelalters (= Orbis mediaevalis. 3). Akademie, Berlin 2002, ISBN 3-05-003635-4 (Zugleich: Hamburg, Universität, Habilitations-Schrift, 2000).
- Rudolf Simek: Erde und Kosmos im Mittelalter. Das Weltbild vor Kolumbus. Beck, München 1992, ISBN 3-406-35863-2.
Weblinks
- Die Hereford Mappa Mundi (Memento vom 12. Januar 2012 im Internet Archive) (englisch)
- Detaillierte Mappa Mundi des Fra Mauro (im Artikel ganz unten)
Einzelnachweise
- P. D. A. Harvey: Medieval Maps. The British Library, London 1991, S. 19.
- Von den Brincken: Kartographische Quellen. 1988.
- Gerd Spies (Hrsg.): Braunschweig. Das Bild der Stadt in 900 Jahren. Geschichte und Ansichten. Band 2: Braunschweigs Stadtbild. Städtisches Museum Braunschweig, Braunschweig 1985, S. 17.