Manfred Genditzki
Manfred Genditzki (* 28. Mai 1960 in Kalübbe, Gemeinde Breesen, Kreis Altentreptow[1]) wurde wegen Mordes an der 87-jährigen Rentnerin Lieselotte Kortüm aus Rottach-Egern in einem Indizienprozess zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Vor und auch nach seiner rechtskräftigen Verurteilung[2][3][4] sind in der Öffentlichkeit Zweifel an der Täterschaft Genditzkis geäußert worden.[5]
Tod von Lieselotte Kortüm
Manfred Genditzki ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater dreier[1] Kinder. Er war Hausmeister in der Wohnanlage, in der Frau Kortüm wohnte, und erledigte für sie Dinge des täglichen Lebens wie Einkaufen, Zubereitung von Mahlzeiten und Wäschewaschen.[4] Nachdem Genditzki sie am 28. Oktober 2008 von einem Klinikaufenthalt nach Hause gefahren hatte, verabschiedete er sich nach eigenen Angaben dort gegen 15:00 Uhr von ihr, weil er seine kranke Mutter besuchen wollte. Zuvor rief er den Pflegedienst an, um die Rückkehr von Frau Kortüm aus dem Krankenhaus zu melden. Wie jeden Tag betrat um 18:30 Uhr eine Pflegekraft die Wohnung; sie fand Frau Kortüm voll bekleidet, tot in der Badewanne.[4]
Bei der Obduktion der Leiche fand man Hämatome am Hinterkopf mit Einblutungen unter unverletzter Kopfhaut,[4] was nicht ungewöhnlich ist, da die Verstorbene gerinnungshemmende Medikamente nahm.[6] Als Todesursache wurde Ertrinken nach einem unglücklichen Sturz in die Badewanne angenommen. Die Leiche wurde am Folgetag eingeäschert.[6]
Verfahren wegen Mordes
Die Staatsanwaltschaft nahm aufgrund des Ergebnisses der Obduktion Ermittlungen auf und nahm an, Genditzki habe die alte Dame getötet, um zu vertuschen, dass er während ihres Klinikaufenthaltes in ihrer Wohnung Geld unterschlagen habe. Als Anhaltspunkt diente, dass Genditzki an dem Tag, als Lieselotte Kortüm ins Krankenhaus kam, einem Bekannten 8000 Euro zurückgezahlt hatte. Im Februar 2009 wurde Genditzki in Untersuchungshaft genommen.[4]
Die Anklageschrift ging davon aus, dass Frau Kortüm am 28. Oktober 2008 die Unterschlagung festgestellt und Genditzki deswegen beschuldigt habe. Im Verlauf der Hauptverhandlung stellte sich jedoch heraus, dass aus dem Vermögen der Frau Kortüm kein Geld fehlte; das Geld für die Rückzahlung stammte aus nachvollziehbaren, völlig legalen Quellen.[6][7] Das Landgericht München II gründete den Schuldvorwurf fortan darauf, dass der Angeklagte die Frau im Verlaufe eines Streits geschlagen habe und die Tötung erfolgt sei, um die vorausgegangene Körperverletzung zu verdecken. Das Gericht verurteilte Genditzki am 12. Mai 2010 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.[8]
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil mit Beschluss vom 12. Januar 2011 auf und verwies die Sache wegen eines Verfahrensfehlers an eine andere Kammer des Landgerichts zurück. Der Austausch der Bezugstat bei Verdeckungsmord sei eine Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes, auf die das Gericht gemäß § 265 StPO in der Hauptverhandlung hätte hinweisen müssen.[9][10]
Die neue Hauptverhandlung endete am 17. Januar 2012 abermals mit einer Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen Mordes.[11][12] Die Kammer sah es als erwiesen an, dass Genditzki und Lieselotte Kortüm in einen Streit geraten seien, bei dem Genditzki der Frau entweder einen Schlag auf den Kopf versetzt oder sie so gestoßen habe, dass sie gegen einen harten Gegenstand gefallen sei und sich die zwei Blutergüsse am Kopf zugezogen habe. In Panik und mit dem Gedanken „Ich hole Hilfe“ habe Genditzki zweimal kurz hintereinander am Festnetztelefon von Frau Kortüm[1] die Nummer des Hausarztes gewählt, aber sofort wieder aufgelegt. Aus Furcht, angezeigt zu werden, habe er Wasser in die Badewanne laufen lassen und Lieselotte Kortüm ertränkt, indem er sie mehrere Minuten unter Wasser gedrückt habe.[13] Die Revision hiergegen wurde als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben habe (§ 349 Abs. 2 StPO).[14][15][12]
Zweifel am Urteil
Für Prozessbeobachter und Medienvertreter blieben Zweifel an der Schuld des Verurteilten. Beobachter der Hauptverhandlung hatten fest mit einem Freispruch gerechnet.[3]
Die Verteidigung ging davon aus, dass der Tod der alten Dame ein Haushaltsunfall war. Lieselotte Kortüm habe nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus verschmutzte Wäsche in der Badewanne einweichen wollen.[16] Sie habe dabei einen Schwächeanfall erlitten und sei in die Wanne gestürzt. Ein psychologisches Gutachten weist Genditzki als friedfertig aus.[6] Den Anruf beim Hausarzt erklärte Genditzki damit, er habe mitteilen wollen, dass Frau Kortüm aus der Klinik entlassen und wieder zu Hause sei. Er habe aufgelegt, als nur der Anrufbeantworter der Praxis in der Leitung war.[13]
Das Verfahren wurde in mehreren überregionalen Medien als Justizirrtum dargestellt.[17][18][19][7][20]
Genditzkis Strafverteidigerin reichte 2018 einen seit 2015 aufwändig vorbereiteten Antrag[21] auf Wiederaufnahme des Verfahrens ein.[7][22]
Ein Tatwerkzeug wurde weder identifiziert noch gefunden. Die Plastiktüten mit Wäsche, die Frau Kortüm aus der Klinik mitgebracht hatte, wurden ungesichtet entsorgt. Die Ermittler hatten weder die Temperatur der Leiche noch die des Wassers in der Wanne gemessen.[6]
2015 beauftragten Angehörige Genditzkis den Kriminalisten und Profiler Axel Petermann damit, den Fall erneut zu untersuchen.[23]
Der bayerische SPD-Landtagsabgeordnete Franz Schindler lud am 26. Juli 2018, nach intensiver Beschäftigung mit diesem Fall, zu einer Pressekonferenz in den bayerischen Landtag, bei der er seine Zweifel an dem rechtskräftigen Urteil erläuterte.[24] Dabei wurde eine zu dem Tathergang angefertigte Computersimulation präsentiert. Das Ergebnis der von Syn Schmitt an der Universität Stuttgart angefertigten Simulation widerspricht diametral den Annahmen, die der Verurteilung Manfred Genditzkis zugrunde liegen.[25][26]
Gisela Friedrichsen fragte in einem Artikel der Tageszeitung Die Welt vom 30. Juli 2018 unter Hinweis auf die Fälle Gustl Mollath, Ulvi Kulac und den Todesfall Rudolf Rupp in Bezug auf den inhaftierten Manfred Genditzki: „Kommt auf die bayerische Justiz der nächste Skandal zu?“ Mit Blick auf die neuartige Computersimulation, die 2018 zu dem seinerzeitigen Sturz von Lieselotte Kortüm erstellt wurde, schreibt Friedrichsen: „Geprägt von eiserner Rechthaberei und oft blinder Uneinsichtigkeit, mussten sich Richter und Staatsanwälte in der Vergangenheit schon mehrfach dem Fortschritt in der Kriminaltechnik beugen. Nun der Fall Genditzki. Er treibt viele Leute um, weil sie das Märchen vom mordenden Hausmeister nicht überzeugt.“[27]
Angestrebte Wiederaufnahme des Verfahrens
Am 11. Juni 2019 reichte Genditzkis Verteidigerin Regina Rick einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens beim Landgericht München II ein,[28] der sich dabei vor allem auf eine Computersimulation und auf eine erst in jüngster Zeit bekannt gewordene Zeugenaussage stützte.[29] Am 1. Dezember 2020 lehnte die 1. Strafkammer am Landgericht München I den Antrag ab. Die vorgebrachten neuen Beweismittel seien nicht geeignet, das angefochtene Urteil zu erschüttern. Es lägen keine neuen Tatsachen oder Beweise vor, die einen Freispruch oder eine Strafmilderung bewirken könnten (§ 359 Nr. 5 StPO). Auf die Beschwerde der Verteidigung hob das OLG München diesen Beschluss am 23. September 2021 auf. Das von der Verteidigung vorgelegte Sachverständigengutachten sei als zulässiges neues Beweismittel im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO anzusehen. Das Landgericht habe nun zumindest Beweis durch Anhörung dieses Sachverständigen zu erheben. Erst danach könne es eine Bewertung und Einordnung des Gutachtens vornehmen und über die Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags entscheiden. Eine Unterbrechung der Strafvollstreckung sei vor der nun anstehenden Bewertung des Beweismittels nicht möglich.[30][31]
Literatur
- Dagmar Schön, Mordurteil ohne Tat?, myops 30 (Mai 2017), ISSN 1865-2301, S. 21–32
- Thomas Darnstädt, Der Richter und sein Opfer: Wenn die Justiz sich irrt, ISBN 978-3-492-05558-1, Seite 11–20
Weblinks
- Gudrun Altrogge: Unschuldig im Gefängnis? Der "Badewannen-Mord" von Rottach, Spiegel TV vom 12. Februar 2018 (YouTube)
- ARD Kriminalreport vom 8.10.2018: "Unfall oder Mord? - Sitzt ein Mann unschuldig im Gefängnis?" (Memento vom 12. November 2018 im Internet Archive)
- Spiegel-TV vom 9. Februar 2022 (8 min)
Einzelnachweise
- Urteil des Landgerichts München II, Az. 2 Ks 31 Js 40341/08
- Tochter des Badewannen-Mörders: „Er ist unschuldig“; in: tz Online vom 17. November 2014
- Der Mord, der keiner war; in: Süddeutsche Zeitung Online vom 12. Januar 2012
- Gisela Friedrichsen: Strafjustiz – Auf der falschen Fährte. In: Der Spiegel. Nr. 50, 2011, S. 36 f. (online – 12. Dezember 2011).
- Dagmar Schön, Mordurteil ohne Tat?, myops 30 (Mai 2017), ISSN 1865-2301, S. 21–32
- https://www.youtube.com/watch?v=wJigwbEdfxE , Bayerischer Rundfunk vom 22. Februar 2017
- Im Zweifel gegen den Angeklagten. In: Süddeutsche Zeitung Online vom 10. März 2017.
- LG München II, 12. Mai 2010 - 1 Ks 31 Js 40341/08
- BGH, 12. Januar 2011 - 1 StR 582/10 auf, abgerufen am 2. Mai 2017
- Justizpanne im Badewannen-Mord. In: tz Online vom 1. November 2011.
- LG München II, 17. Januar 2012 - 2 Ks 31 Js 40341/08
- Mord an Seniorin: Das zweite Lebenslang für den Hausmeister; in: Spiegel Online vom 17. Januar 2012
- Nach dem Urteil im Badewannen-Mord: Ein Sturz – aber warum? In: Süddeutsche Zeitung Online vom 20. Januar 2012.
- Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. September 2012 im Volltext, Az. 1 StR 272/12
- Bundesgerichtshof weist Revision zurück. In: Süddeutsche Zeitung Online vom 2. Oktober 2012.
- Hans Holzhaider: "Badewannen-Mord" von Rottach-Egern: Der Tod einer alten Dame Süddeutsche Zeitung, 7. November 2011
- In den Fängen der Justiz – Unschuldig in Haft, VOX-Reportage vom 14. November 2015 (YouTube)
- Bayerischer Rundfunk – TV-Reportage vom 22. Februar 2017: (YouTube)
- Thomas Darnstädt: Der Richter und sein Opfer – Wenn die Justiz sich irrt, Piper Verlag 2013, ISBN 978-3-492-05558-1; der Fall Genditzki wird geschildert auf den Seiten 50–53, 126–128, 213–216 und 301–302
- Manfred Genditzki: Das Gericht hat immer recht. Abgerufen am 6. Juli 2021., Die Zeit
- sueddeutsche.de 5. Dezember 2020 / Hans Holzhaider: Manfred Genditzkis Hoffnung hat sich zerschlagen
- Nicole Kleim: Neue Beweise im Rottacher „Badewannen-Mord“? Simulation soll Genditzkis Unschuld beweisen Tegernseer Stimme, 26. Juli 2018
- Justizirrtum? - Profiler rollt den „Badewannen-Mord“ von Rottach wieder auf; in: Abendzeitung München vom 24. Juni 2015
- Video-Mitschnitt der Pressekonferenz vom 26. Juli 2018 im Bayerischen Landtag
- Hans Holzhaider: Tod in der Badewanne: Computersimulation soll aufklären; in: Süddeutsche Zeitung Online vom 26. Juli 2018
- Schindler: Staatsanwaltschaft sollte Badewannenfall noch einmal aufrollen; in: SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag
- Ein Badewannen-Mord, der wahrscheinlich keiner war; in: Die Welt vom 30. Juli 2018
- Hans Holzhaider: Was, wenn alles anders war? Süddeutsche Zeitung, 12. Juni 2019
- Spiegel-TV vom 1. Oktober 2019, Der "Badewannenmord"
- Hans Holzhaider: Gericht beschäftigt sich erneut mit "Badewannen-Mord". In: sueddeutsche.de. 23. September 2021, abgerufen am 13. Oktober 2021.
- OLG München: Pressemitteilung Verfahren gegen Manfred G. („Badewannenmord“), 23. September 2021