Lutz Reinstrom
Lutz Reinstrom (* 29. März 1948 in Saßnitz) wurde 1992 in Hamburg als „Säurefassmörder“ bekannt, da er die zerstückelten Überreste seiner Opfer in Säurefässern vergraben hatte. Die Taten beging Reinstrom bereits zwischen 1988 und 1991, sie konnten jedoch erst aufgeklärt werden, nachdem die Leichen 1992 gefunden wurden.
Seit dem 17. September 1991 befindet sich Reinstrom ununterbrochen in Haft, da er bereits 1991 wegen Entführung verurteilt wurde. Wegen der beiden Morde, sowie versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und erpresserischem Menschenraub, verurteilte ihn das Landgericht Hamburg am 22. Mai 1996 zu lebenslanger Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die Strafe verbüßt Reinstrom im Hochsicherheitstrakt der Hamburger Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel.
Die Taten
Erste Entführung mit Mord
Der paraphil veranlagte Kürschner neigte zu einer krankhaften Form des Sadomasochismus, der klar von einvernehmlich betriebenem BDSM abzugrenzen ist. Er hatte 1983 auf dem Grundstück seines Reihenhauses am Dompfaffenweg in Hamburg-Rahlstedt einen unterirdischen „Bunker“ errichtet. Dieser diente ihm angeblich entweder zum Schutz vor einem Atomkrieg, manchmal sagte er jedoch auch, er nutze ihn zum Trocknen und Lagern seiner Pelze. Am 12. März 1986 verschleppte er die 61 Jahre alte Ehefrau seines Lehrherrn (des Kürschnermeisters Kurt K.), Hildegard K., nachdem er ihr u. a. Geld und Schmuck im Gesamtwert von etwa 40.000 D-Mark gestohlen hatte. Er fesselte und quälte die Frau und zwang sie darüber hinaus, Briefe an ihre Angehörigen zu schreiben, damit keiner ihr Verschwinden bei der Polizei anzeigte. Nach einer Woche tötete er sie, zersägte ihre Leiche und warf die Stücke in ein Fass mit Säure, welches er in seinem Garten vergrub.[1]
Zweite Entführung mit Mord
Am 5. Oktober 1988 sperrte Reinstrom die 31-jährige Industriekauffrau Annegret B., die er aus dem Schwimmverein kannte, in sein Verlies. Er räumte ihre Konten leer, folterte und missbrauchte sie sexuell und hielt ihre Marter auf Tonbändern und Fotos fest. Während ihrer Gefangenschaft musste auch B. Briefe an ihre Angehörigen schreiben, mit dem Inhalt, sie habe sich entschieden, ab sofort im Ausland zu leben, da sie ihr altes Leben nicht ausgefüllt habe. Zwar gelang es B. in ihren Briefen Hinweise über ihren Täter zu verstecken, diese wurden jedoch erst Jahre später von der Polizei als Botschaft erkannt. Nach etwa vier Wochen zwang Reinstrom sie, sich vor ihrem Tod auf einer Tonbandaufnahme von ihm zu verabschieden, bevor er sie tötete und zerstückelte. Ihre Überreste versteckte er in einem weiteren Säurefass, welches er im Garten seines Ferienhauses in Basedow bei Lauenburg vergrub.[1]
Außerhalb des Kellers führte Reinstrom das Leben eines unbescholtenen und leutseligen Familienvaters. Annegret B.s Mutter bezeichnete Reinstrom gegenüber der Polizei als einen Bekannten ihrer Tochter und möglichen Hinweisgeber, woraufhin er befragt wurde. Reinstrom verstand es jedoch, den Polizeibeamten, den er aus dem Schwimmverein persönlich kannte, zu überzeugen, dass er von nichts wisse, sodass weitere Ermittlungen unterblieben. Vermutlich war Annegret B. zu diesem Zeitpunkt noch am Leben.
Die letzte Entführung
Drei Jahre später entführte Reinstrom, am 6. September 1991, Christa S. (53) (die neue Lebensgefährtin von Kurt K.), in ihrem eigenen Auto und verschleppte sie unter Einsatz eines Elektroschockers in seinen Bunker. Er fesselte sie mit Handschellen und zeigte ihr perverse Folterfotos, die er von Annegret B. angefertigt hatte. Reinstrom forderte 300.000 D-Mark Lösegeld von seinem ehemaligen Chef. Da die Übergabe sich verzögerte und seine Frau vorzeitig aus dem Urlaub kam, fürchtete er, entdeckt zu werden. Nach sieben Tagen im Kerker brachte Reinstorm Christa S. am 13. September 1991 nach Hamburg-Langenhorn und ließ sie vor der Polizeiwache frei.[1]
Ermittlung
Reinstrom wurde daraufhin am 17. September 1991 in Haft genommen, nachdem eine Fangschaltung während der Erpresseranrufe den Verdacht erneut auf ihn gelenkt hatte.[2] Er wurde am 26. Mai 1992 im Fall Christa S. wegen erpresserischen Menschenraubes zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
In der Hauptverhandlung sagte die Kriminalbeamtin Atzeroth-Freier als Zeugin aus. Sie war in der Nacht vom 13. auf den 14. September 1991 zugezogen worden, um Christa S. nach ihrer polizeilichen Einvernahme nach Hause zu bringen. In einer Verhandlungspause wurde die Beamtin von der Mutter Annegret B.s angesprochen, weil ihr Ähnlichkeiten im Fall zu ihrer vermissten Tochter aufgefallen waren und sie ebenfalls eine Bekannte von Reinstrom war. Atzeroth-Freier forderte daraufhin die Vorgänge Hildegard K. und Annegret B. an, befragte Angehörige der Vermissten, fertigte Listen der mit ihnen abhandengekommenen Gegenstände an und ermittelte so – teilweise in ihrer Freizeit, da die Mordkommission, der sie angehörte, sich für Vermisstensachen nicht zuständig fühlte – die auffälligen Parallelen der drei Fälle.
Schließlich erreichte sie gegen hartnäckigen Widerstand die Einrichtung einer Sonderkommission für weitere Ermittlungen. Nachdem herauskam, dass Reinstrom das Auto eines seiner Opfer verkauft hatte, wurde die Durchsuchung seines Grundstücks in Hamburg-Rahlstedt, sowie seines Wochenendgrundstücks angeordnet.[1]
Aufklärung
Auf dem Gelände des Sommerhauses in Basedow (Herzogtum Lauenburg) schlugen die Leichenspürhunde an, ohne dass man zunächst Leichenteile finden konnte. Nachbarn in Basedow berichteten, dass Reinstrom dort einige Zeit nach dem Verschwinden von Annegret B. eine tiefe Grube ausgehoben habe. Als die Polizei darauf mit schwerem Gerät anrückte, stieß sie am 1. Dezember 1992 in Basedow auf einen Kanister mit menschlichen Überresten in Salzsäure. Die Knochen, die noch nicht zersetzt waren, stammten nachweislich von Annegret B. Damit konfrontiert, teilte Reinstrom der Polizei mit, die Leiche der Hildegard K. in einem Säurefass am Dompfaffenweg vergraben zu haben, welches am 4. Dezember 1992 von den Ermittlern auf dem Grundstück in Hamburg sichergestellt wurde.[1]
Verfahren vor dem Schwurgericht
Die Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht unter dem Vorsitzenden Gerhard Schaberg begann am 11. Januar 1995 und dauerten 93 Tage.[3] Der Angeklagte Reinstrom bestritt jede Schuld am Tod der beiden Frauen und machte auf Empfehlung seiner drei Verteidiger Leonore Gottschalk-Solger, Klaus Martini und Uwe Maeffert weitgehend von seinem Schweigerecht Gebrauch. Er sprach davon, dass eine „Organmafia“ die Frauen zur Gewinnung von Transplantationsmaterial getötet oder dass Hildegard K. sich unglücklicherweise beim Sturz auf der Treppe das Genick gebrochen habe. Zuletzt behauptete er, Annegret B. sei in der Sauna zu Tode gekommen, als sie ihn nach einvernehmlichem Geschlechtsverkehr heftig in den Penis gebissen habe, so dass er sie nicht weniger heftig von sich gestoßen und sie in der Sauna zurückgelassen habe, um sich um sein blutendes Glied zu kümmern. Das Schwurgericht sah sich dadurch veranlasst, den Gerichtsmediziner Klaus Püschel mit der Untersuchung des Angeklagten auf derartige Bissverletzungen zu beauftragen.
Nach 15 Monaten verhängte das Schwurgericht am 22. Mai 1996 ein Urteil mit den schwersten im deutschen Strafrecht vorgesehenen Sanktionen: lebenslange Freiheitsstrafe bei Feststellung besonderer Schwere der Schuld mit anschließender Sicherungsverwahrung.[3] Anders als im Fall Annegret B. sah sich das Gericht im Fall Hildegard K. nicht imstande, eine Tötung aus sexuellen Gründen, d. h. aus Mordlust oder zur Befriedigung des Geschlechtstriebs (§ 211 StGB), als erwiesen anzusehen, war aber davon überzeugt, dass die Tötung jedenfalls aus Habgier und zur Verdeckung einer Straftat erfolgt sei.
Der Fall wurde von großem Interesse der Medien begleitet, die ausführlich über alle verfügbaren Einzelheiten berichteten. Die Verteidiger beschwerten sich darüber, dass die Unschuldsvermutung für Teile der Presseleute nicht zu existieren scheine. Der Vorsitzende des Schwurgerichtes erwähnte in der mündlichen Urteilsbegründung auch diesen Punkt, indem er sagte, obgleich der Mordfall habe großes Aufsehen erregt und die Fantasie herausgefordert, gehöre die Beurteilung der medialen Berichterstattung nicht zu den Aufgaben des Gerichtes.[3]
Verdachtsmomente in Verbindung mit anderen Fällen
Zum Zeitpunkt der Verhandlung wurde darüber hinaus spekuliert, ob Reinstrom etwas mit dem Tod weiterer Frauen, oder insbesondere mit dem Verschwinden von Birgit Meier, Schwester des Hamburger Polizeipräsidenten Wolfgang Sielaff, zu tun haben könnte. Es konnten ihm keine weiteren Taten angelastet werden. Der Fall Meier wurde erst 2017 gelöst und in der 3-teiligen Dokuserie Eiskalte Spur medial aufgearbeitet – Reinstrom hatte nichts mit der Sache zu tun.[1]
Zusammenarbeit mit Kriminalpsychologen
Reinstorm war bereits gut 10 Jahre in Haft, als er dem Profiler und Kriminalpsychologen Thomas Müller 2003 in einem Interview Einblicke in seine Beweggründe und Erfahrungswelt gab. Die psychologische Erörterung von den Zusammenhängen zwischen der Persönlichkeit eines Täters, seinem Verhalten, und der Art und Weise, wie Straftaten begangen werden, ist ein wichtiger Zweig innerhalb der Forensik und wird genutzt, um mit Hilfe einer operativen Fallanalyse ein Täterprofil zu erstellen (eng. "Offender Profiling"). Außerdem tragen Gespräche mit Intensivtätern, die wie Reinstrom bereit sind, Aussagen zu ihren Taten zu machen, dazu bei, die potenzielle Gefährlichkeit einzuschätzen, die Jahre später von solchen Tätern ausgeht.[4]
Reinstrom gab Auskunft darüber, wie sich sein Wunsch nach Macht, Kontrolle und Dominanz auf die Planung und Umsetzung seiner Taten ausgewirkt hatte. Müller vertritt die Ansicht, dass die Bearbeitung außerordentlicher Straftaten immer wieder Probleme in der Bearbeitung und Beurteilung mit sich bringen, da die Erfahrungswelten der Täter den Ermittlern in der Regel verborgen bleiben.[4]
Verfilmung
Für Amazon Prime wird der Säuremörderfall 2021, unter dem Arbeitstitel „Gefesselt“, als sechsteilige True Crime-Reihe von Regisseur Florian Schwarz verfilmt. Gedreht wird nicht an den Originalschauplätzen, sondern in München, sowie auf dem Gelände der ehemaligen Schule Berne, als Justizvollzugsanstalt.[5] Für einige Aufnahmen steht auch ein Ateliergebäude der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig zur Verfügung. Die Serie mit Oliver Masucci als Mörder Raik Doormann und Angelina Häntsch, in der Rolle seiner Gegenspielerin von der Mordkommission, soll 2022 ausgestrahlt werden.[6]
Literatur
- Heinrich Thies: Hilferuf aus dem Folterkeller. Die Hamburger Säurefassmorde – Eine Spurensuche. Zu Klampen, Springe 2014, ISBN 978-3-86674-400-4.
- Thomas Müller: Bestie Mensch. Tarnung. Lüge. Strategie. Rowohlt Verlag, Hamburg, 2006, ISBN 978-3-499-62092-8.
Weblinks
- Sabine Rückert: „Noch ein Keller“ – In: Die Zeit vom 8. Mai 2008
- mopo.de: Der Sadist mit dem Säurefass
- Gerhard Mauz: Mal kräftig reingehackt. In: Der Spiegel. Nr. 22, 1996, S. 37–38 (online – 27. Mai 1996).
- Hauke Goos: Der Großwildjäger. In: Der Spiegel. Nr. 1, 2005, S. 42–46 (online – 3. Januar 2005).
- Die Geheimnisse der Toten. Rechtsmedizin auf Täterjagd. Dokumentation dieses und eines weiteren Falles bei ZDFinfo, 2017
Einzelnachweise
- Als die Säurefass-Morde Hamburg erschütterten NDR, aufgerufen am 16. November 2021
- Cover. Abgerufen am 9. Februar 2021.
- Strafjustiz »Mal kräftig reingehackt« Der Spiegel, aufgerufen am 17. November 2021
- Thomas Müller: Bestie Mensch. Tarnung. Lüge. Strategie. Rohlwolt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2006, ISBN 978-3-499-62092-8.
- Serie über den „Säurefassmörder“ Hamburger Wochenblatt, aufgerufen am 17. November 2021
- German Crime Story. Gefesselt: Dreharbeiten zur ersten deutschen True Crime-Serie bei Amazon Prime Video gestartet Presseportal, aufgerufen am 17. November 2021