Lucius Sergius Catilina
Lucius Sergius Catilina (* vermutlich 108 v. Chr.; † 62 v. Chr.) war ein römischer Politiker. Bekannt ist er vor allem durch den als Catilinarische Verschwörung bezeichneten Umsturzversuch, mit dem er im Jahr 63 v. Chr. die Macht in der Römischen Republik an sich reißen wollte. Hintergründe und Verlauf dieser Verschwörung sind besonders durch Ciceros Reden gegen Catilina sowie durch Sallusts historisches Werk De coniuratione Catilinae überliefert.
Die von Cicero in seiner Rede vor dem Senat am 7. November 63 v. Chr. gebrauchte Redewendung „Wie lange noch, Catilina, wirst du unsere Geduld missbrauchen?“ (Quo usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra?) taucht heute noch in politischen Diskussionen auf.[1]
Leben
Herkunft
Lucius Sergius Catilina entstammte dem patrizischen Geschlecht der Sergier, das für sich in Anspruch nahm, sein Ursprung gehe bis auf die Anfänge Roms zurück. Der Stammvater Sergestus war angeblich einer der Begleiter von Aeneas, der nach dem Untergang Trojas nach Italien floh. Die Patrizierfamilie der Sergier hatte zwar seit geraumer Zeit politisch geringen Einfluss, ragte aber innerhalb der einflussreichen römischen Familien aufgrund der militärischen Verdienste einiger Familienmitglieder hervor. Zu den berühmtesten Vorfahren Catilinas zählte Marcus Sergius Silus, der im zweiten punischen Krieg gegen Hannibal kämpfte und der als der erste Mann gilt, der als Träger einer Handprothese an einer kriegerischen Auseinandersetzung teilnahm.[2]
Seine Frau Gratiana war die Schwester von Marcus Marius Gratidianus. Somit war er mit Gaius Marius und Marcus Tullius Cicero verschwägert.
Laufbahn
Sein erstes Auftreten als Mitglied eines consilium des Konsuls Gnaeus Pompeius Strabo fällt in das Jahr 89 v. Chr.; dieses consilium beschloss die Verleihung des römischen Bürgerrechts an eine spanische turma wegen hervorragender Tapferkeit. In dieser Zeit könnte Catilina den Posten eines Tribuns oder Präfekten innegehabt haben; ein gewisses, vielleicht nicht geringes Maß an militärischen Fähigkeiten dürfte er jedenfalls besessen haben.
Nach der Rückkehr Sullas aus dem Krieg gegen Mithridates im Jahre 83 v. Chr. schlug sich Catilina zusammen mit seinem Onkel mütterlicherseits auf dessen Seite, da er sich wohl von ihm den größten Vorteil für seine weitere Laufbahn versprach.
Wirken unter Sulla
82 v. Chr. soll er seinen Bruder getötet und den Mord dadurch gerechtfertigt haben, dass er den Bruder nachträglich in die Proskriptionslisten eintragen ließ. Im selben Zusammenhang wird ihm auch die Schändung von dessen jungfräulicher Tochter vorgeworfen. Wie weit diesen Nachrichten jedoch Glauben geschenkt werden kann, ist zweifelhaft.
Später erhielt er von Sulla den Auftrag, seinen Schwager Marcus Marius Gratidianus zu foltern und zu töten, weil der mit Gaius Marius verwandt war. Die Tatsache, dass Marius Gratidianus der Bruder seiner Frau war, schien ihn von der Ausführung nicht abgehalten zu haben. Einige Autoren berichten, Catilina habe den eigenhändig abgetrennten Kopf des Opfers zu Sulla in den Apollotempel gebracht und sich dort die blutigen Hände im Weihwasserbecken gewaschen. Als Legat war er im selben Jahr an der Eroberung von Praeneste durch sullanische Truppen beteiligt und tat sich in der Folge als engagierter Verfolger der von Sulla Proskribierten hervor. Zu seinen Opfern zählte wohl auch der Ehemann seiner Schwester, ein gewisser Quintus Caecilius.
Cicero und Sallust bescheinigen Catilina zwar einen ausschweifenden Lebenswandel, der hohe Schulden zur Folge hatte, nachdem sein unter Sulla erworbenes Vermögen verprasst war, doch kann es sich hierbei durchaus um eine tendenziöse Behauptung handeln, die den Zweck hatte, Catilina weiter herabzusetzen. Bekanntermaßen strapazierte der cursus honorum die private Kasse eines jeden, der ein Amt anstrebte oder innehatte; verwiesen sei an dieser Stelle nur auf Caesar, der mit der Kriegsbeute aus Gallien seine Kassen füllte.
Anklage durch Clodius
Im Jahre 73 v. Chr. wurde Catilina von Clodius wegen Unzucht mit einer Vestalin angeklagt,[3] aber wohl aufgrund des Eingreifens des ehemaligen Konsuls Quintus Lutatius Catulus und Bestechung der Richter (wahrscheinlich durch Caesar und Crassus) freigesprochen.
Statthalterschaft in der Provinz Africa
Nach seiner Prätur im Jahr 67 v. Chr. ging Catilina pro praetore in die Provinz Africa, die er sehr wahrscheinlich etwas gründlicher ausbeutete, als es ohnehin für Statthalter üblich war.
Catilinarische Verschwörung und Tod
→ Siehe auch: Catilinarische Verschwörung
Catilinas Ambitionen, das Amt des Konsuls und damit das einflussreichste politische Amt Roms zu erlangen, wurden durch ein Repetundenverfahren in den Jahren 65/64 v. Chr. und vom Widerstand seines Gegenspielers Marcus Tullius Cicero bei den Konsulatswahlen im Jahr 63 v. Chr. zurückgeworfen. Catilina war nach den verlorenen Konsulatswahlen hoch verschuldet.[4] Ein Putschversuch, bei dem er versuchte, die Ärmsten Roms hinter sich zu vereinen, scheiterte, er wurde zum Staatsfeind erklärt und floh mit seinen Truppen aus Rom. Im Jahre 62 v. Chr. kam er schließlich in der Schlacht bei Pistoria ums Leben, als er sich im Angesicht der Niederlage ins Schlachtgetümmel stürzte.
Nachwirkung
Die Person Lucius Sergius Catilina wurde in römischer Zeit nach der Niederschlagung der Catilinarischen Verschwörung zu einem sprichwörtlichen Symbol für Schurkerei. Sein Name wurde außerdem als Schimpfname für ungeliebte römische Kaiser gebraucht. Vergil lässt ihn darüber hinaus in seiner rund 50 Jahre nach der Niederschlagung der Verschwörung geschriebenen Aeneis auftreten, wo ihn in der Unterwelt die Furien quälen.[5]
Für römische Historiker, die sich mit zivilem Ungehorsam und Aufstand im Verlauf der römischen Geschichte auseinandersetzten, stellte der Fall Catilina das Musterbeispiel dar, auf das sie zurückgriffen, auch wenn diese eine Umkehrung der chronologischen Reihenfolge darstellte. Titus Livius beispielsweise beschreibt mit seinem Marcus Manlius einen römischen Adeligen aus der römischen Frühgeschichte, der sich mit dem römischen Pöbel verbündet und eine zum Scheitern verurteilte Revolution anzettelt. Aus Sicht von Althistorikerin Mary Beard ist dies eine Projektion Livius' der catilinarischen Verschwörung auf die römische Frühzeit.[6]
Verschiedene Autoren setzten sich im Laufe der Jahrhunderte mit der Figur Catilina auseinander. Dabei wurde sie sowohl negativ als auch positiv ausgedeutet, je nach politischer Einstellung des Autors: Der am englischen Hof angestellte Ben Jonson veröffentlichte Catiline His Conspiracy im Jahre 1611. Catilina ist der Staatserschütterer, den es zu bekämpfen gilt, sein Gegenspieler, Marcus Tullius Cicero, ist der strahlende Retter des Vaterlandes. Ganz anders interpretiert Ferdinand Kürnberger den Stoff im Jahre 1855. Der revolutionär eingestellte Kürnberger sieht Catilina als Sozialrevolutionär, der die verkommene, starre Ordnung aufbrechen möchte. Auch bei Henrik Ibsen begegnet in seinem Erstlingsdrama Catilina (1849) ein nicht gänzlich negativer Catilina.
Aktuelle belletristische Bearbeitungen des Stoffs sind: Robert Harris: Titan, München 2009; Dietrich Oldenburg: Die Spur der Wölfe, Frankfurt 2001; John Maddox Roberts: Die Catilina-Verschwörung, München 2003; Steven Saylor: Das Rätsel des Catilina, München 1996.
Aufgrund der meist negativen Ausdeutung der Catilina-Figur wird Catilina heute anders als andere bekannte antike Persönlichkeiten selten als Namensgeber verwendet.[7] Ausnahmen sind die Residenze Torre di Catilina, eine Hotelanlage in Pistoia, in dem Ort, an dem der historische Catilina getötet wurde, und der deutschsprachige Anbieter für online Lateinkurse Schola Latina Catilina.[8]
Quellen
- Cassius Dio: Römische Geschichte. Übersetzt von Otto Veh. Band 2, Akademie Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-05-005755-2.
Zu Catilina siehe Cassius Dio 37,10; 37,29–37,33; 37,39–37,42. - Cicero: Die catilinarischen Reden. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Manfred Fuhrmann. Akademie Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-05-005273-1.
- Cicero: Die politischen Reden. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Manfred Fuhrmann. Band 1, Artemis & Winkler, München 1993, ISBN 3-7608-1673-8.
Zu Catilina siehe Cicero, Pro Murena 6; 17; 48–49; 51–53; 78–79; 81; 83–85; 87. - Plutarch: Cicero. Mit Einleitung, Anmerkungen und Namenindex von Friedhelm L. Müller. Shaker, Aachen 1998, ISBN 3-8265-4162-6.
Zu Catilina siehe Plutarch, Cicero 10–12; 14–18; 21–22. - Sallust: Die Verschwörung des Catilina. Herausgegeben von Wilhelm Schöne. de Gruyter, Berlin 2014, ISBN 978-3-11-035550-5.
- Sueton: Die Kaiserviten. Berühmte Männer. Herausgegeben und übersetzt von Hans Martinet. de Gruyter, Berlin 2014, ISBN 978-3-05-006391-1.
Zu Catalinas Verschwörung siehe Sueton, Divus Iulius 14.
Literatur
- Matthias Gelzer: Sergius 23). In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band II A,2, Stuttgart 1923, Sp. 1693–1711.
- Mary Beard: SPQR: A History of Ancient Rome. Profile Books, London 2015, ISBN 978-1-84765-4410.
- Yanick Maes: Catilina. In: Peter von Möllendorff, Annette Simonis, Linda Simonis (Hrsg.): Historische Gestalten der Antike. Rezeption in Literatur, Kunst und Musik (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 8). Metzler, Stuttgart/Weimar 2013, ISBN 978-3-476-02468-8, Sp. 247–258.
- Jürgen von Ungern-Sternberg: Catilina. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 2, Metzler, Stuttgart 1997, ISBN 3-476-01472-X, Sp. 1029–1031.
- Wolfgang Will: Julius Caesar. Eine Bilanz. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1992, ISBN 3-17-009978-7.
Weblinks
Einzelnachweise
- Mary Beard: SPQR. A History of Ancient Rome. London 2015, S. 41f.
- Im Besonderen hierzu Loretana de Libero: Mit eiserner Hand ins Amt? Kriegsversehrte römische Aristokraten zwischen Recht und Religion, Ausgrenzung und Integration. In: Jörg Spielvogel (Hrsg.): Res publica reperta. Zur Verfassung und Gesellschaft der römischen Republik und des frühen Prinzipats. Festschrift für Jochen Bleicken zum 75. Geburtstag (= Sonderband zur Zeitschrift Hermes und den Einzelschriften). Franz Steiner, Stuttgart 2002, S. 172–191; Mary Beard: SPQR. A History of Ancient Rome. London 2015, S. 21.
- Sall. Catil. 15, Cic. Catil III 4, 9
- Mary Beard: SPQR. A History of Ancient Rome. London 2015, S. 27f.
- Mary Beard: SPQR. A History of Ancient Rome. London 2015, S. 42f.
- Mary Beard: SPQR. A History of Ancient Rome. London 2015, S. 42f.
- Nicola Criniti: cognomen atque omen? In: Studi M. Bellincioni. 1990, S. 16–29.
- Schola Latina Catilina. Abgerufen am 1. November 2017.