Leo Kok (Antiquar)
Leo Kok (eigentlich Lion Andries Kok; geboren 24. November 1893 in Amsterdam; gestorben 7. August 1992 in Ascona) war ein niederländischer Musiker, Komponist, Antiquar und Widerstandskämpfer in der Zeit des Nationalsozialismus.
Leben
Leo Kok wurde 1893 als Sohn jüdisch-protestantischer Eltern geboren. Nach deren frühem Tod wuchs er erst bei seiner Großmutter, dann bei einer Tante auf. Von ihr erhielt er seine erste musikalische Ausbildung. Ab 1912 studierte er am Koninklijk Conservatorium Den Haag.
Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 wurde Kok, der als überzeugter Pazifist den Wehrdienst verweigerte, für drei Jahre in der Festung Den Helder interniert.
Nach seiner Freilassung arbeitete er zunächst als Pianist und Dirigent des Schifforchesters an Bord eines Dampfers auf der Route Rotterdam – Rio De Janeiro.
1919 heiratete Leo Kok die Sopranistin Hetty Marx, 1921 wurde der gemeinsame Sohn Iddo geboren.
Durch die mehrjährige Zusammenarbeit mit der Ausdruckstänzerin Charlotte Bara kam Leo Kok 1920 erstmals nach Ascona. Paul Bachrach, der Vater von Charlotte Bara, hatte 1928 dort das Teatro San Materno für seine Tochter als Privatbühne erbauen lassen. Über diesen Veranstaltungsort kam Leo Kok auch mit der Bohéme-Welt des Monte Verità in Berührung.
Neben der Zusammenarbeit mit Charlotte Bara übernahm Leo Kok eine Stelle als Kapellmeister im Kursaal von Locarno, verbrachte aber einen wesentlichen Teil seiner Zeit in Paris.
In Paris fand er Anschluss an die dortige künstlerische Avantgarde[1], vor allem über seine Freundschaft zu den Brüdern Alexandre und Charles-Albert Cingria. Zu seinem Bekanntenkreis gehörten unter anderem Arthur Honegger und Giacinto Scelsi.
Im Zweiten Weltkrieg schloss sich Leo Kok der französischen Résistance an und half Flüchtlingen bei der Ausreise nach Spanien, Afrika und England. Er wurde am 29. November 1943 in Paris von der Gestapo verhaftet und am 24. Januar 1944 als politischer Häftling in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht.
Nach der Befreiung des Lagers am 11. April 1945 übernahm Leo Kok die künstlerische Verantwortung für die Trauerzeremonie am 19. April 1945, bei der der Schwur von Buchenwald verlesen wurde.[2][3]
Leo Kok kehrte nach Paris zurück und gründete ein Antiquariat, in dem er Bücher aus seinem eigenen Besitz verkaufte, die während des Krieges bei Freunden untergebracht waren. Bereits 1946 zog er allerdings um nach Ascona, wo er 1951 das Antiquariat Libreria della Rondine gründete.
Sein Antiquariat entwickelte sich schnell zu einem Treffpunkt für die Künstlerszene des Tessin; unter anderem verkehrten hier Hermann Hesse, Walter Mehring, Hans Habe, Jo Mihaly, Henry Jaeger und Erich Maria Remarque. Letzterer verarbeitete unter anderem Koks KZ-Erfahrungen in seinem Buch „Der Funke Leben“. Eine Freundschaft verband ihn auch mit dem Arche-Verleger Peter Schifferli.[4]
Als Konzertpianist wurde Leo Kok nicht mehr aktiv, wahrscheinlich vor allem wegen der bei der Folter in Buchenwald erlittenen Verletzungen an den Händen. Er komponierte jedoch weiter und begleitete musikalisch das Marionettentheater von Ascona, das von einer Künstlergruppe um Jakob Flach gegründet und betrieben wurde. Im Rahmen des Marionettentheaters arbeitete Kok unter anderen mit dem Holzschnitzer und Maler Ignaz Epper (Puppen), dem Dichter und Maler Richard Seewald (Dekoration) und dem Schweizer Maler und Architekt Werner J. Müller (Kulisse) sowie dessen Sohn Dimitri (Sprecher und Sänger) zusammen.
1979 übergab Leo Kok sein Antiquariat an einen Nachfolger.
Musikalische Arbeiten
Leo Kok war zunächst vor allem als Klavierbegleiter aktiv und arbeitete sowohl für Opernsängerinnen wie Rita Streich, seine Ehefrau Hetty Marx und die schwedische Sopranistin Louise Alvar als auch für Tänzerinnen wie Lili Green und Charlotte Bara. Für die beiden Letztgenannten komponierte Leo Kok auch.
Leo Koks Lieder und Kammermusik wurden unter anderem 1925 und 1927 bei dem Londoner Verlagshaus Chester und 1935 in einem Band der Edition GLM[5] des Verlegers Guy Lévis Mano veröffentlicht.
Seine Komposition Il canto del cucú, die er 1924 für das Ballet für das Kamelienfest in Ascona geschrieben hatte, entwickelte sich im Tessin und in Italien zum Volkslied[6].
In Paris arbeitete Leo Kok in den 1930er Jahren als Begleiter der mit Maurice Chevalier liierten Sängerin Mistinguett[7][8][9].
Eine Auswahl seiner Kompositionen wurde 2013 in einer Produktion der Gideon Boss Musikproduktion und des Deutschlandfunks eingespielt.
Werke
- 2013: Leo Kok: Lieder und Kammermusik (Deutschlandfunk/Gideon Boss Musikproduktion)
Literatur
- Marek Kalina: Leo Kok – Ein bewegtes Leben. Begleitbuch zur CD "Leo Kok: Lieder und Kammermusik", Remscheid (2013); Deutschlandfunk/Gideon Boss Musikproduktion
- Niklaus Starck: Das Marionettentheater von Ascona 1937-1960, Porzio Verlag, Breitenbach 2014
- Hanspeter Manz: Ein tapferes und exemplarisches Leben, in: Nikolaus Starck: Libreria della Rondine Ascona 1951 - 2021. Hommage an Leo Kok, Hanspeter Manz und ihre Nachfolger. Porzio Verlag, Breitenbach 2021
- Carine Alders, Eleonore Pameijer: Verfolgte Komponisten in den Niederlanden. Verbotene Musik im Zweiten Weltkrieg, Hentrich und Hentrich Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-95565-379-8
Weblinks
- Historisches Video: Porträt Leo Kok
- Beitrag BR Klassik: Xaver Frühbeis: Leo Kok - Komponist, Widerstandskämpfer, Buchhändler
- Eintrag im Verzeichnis jüdischer Musiker Mes musiques régénérées
- Historisches Video: Walter Mehring in Ascona (mit Aufnahmen von Leo Kok im Gespräch mit Walter Mehring und Bildern der Libreria della Rondine)
- Website des Antiquariats von Leo Kok, der Libreria della Rondine
- Aufnahmen von Kompositionen von Leo Kok bei You Tube (mit Bildmaterial zu Leo Kok und der Libreria della Rondine): Drei Lieder, Zwei Liebeslieder, Deux Chansons, Plainte, Memoires for piano
- Seite für Leo Kok bei der niederländischen Leo Smit Stichting: Leo Kok
Einzelnachweise
- David Bret: Maurice Chevalier : up on top of a rainbow. Robson, London 1992, S. 106.
- Uwe Ramlow: Er sollte nie wieder Klavier spielen können. In: Tessiner Zeitung, S. 5, 10. April 2015
- Jean Rudolf Salis: Notizen eines Müssiggängers. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-596-25680-1, S. 498.
- Elke Lipp: Ein Antiquariat wird zur Legende: Die "Libreria della Rondine" in Ascona. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr. 42, S. 279–282, 28. Mai 1999
- Catalogue général des livres par ordre alphabétique des auteurs. Association Guy Lévis Mano, abgerufen am 22. April 2021.
- Holger Wilmesmeier: Al canto del cucù. Abgerufen am 22. April 2021.
- Mistinguett mit Leo Kok & Orchestre du Casino de Paris "Avez-Vous Vu Huber?" In: YouTube. 13. Oktober 2017, abgerufen am 27. Dezember 2021.
- Mistinguett et Léo Kok " Juliette " 1938. In: YouTube. 1. September 2014, abgerufen am 27. Dezember 2021.
- Mistinguett et Léo Kok " je cherche un millionnaire " 1938. In: YouTube. 1. September 2014, abgerufen am 27. Dezember 2021.