Kreta-Zwergmammut
Das Kreta-Zwergmammut (Mammuthus creticus) lebte am Übergang vom älteren zum mittleren Pleistozän vor rund 740.000 Jahren auf Kreta und stellt die kleinste heute bekannte Mammutart dar. Skelettfunde sind selten, die Größen- und Gewichtsberechnungen beruhen auf Backenzähnen und Röhrenknochen.
Kreta-Zwergmammut | ||||||||||||
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Kreta-Zwergmammut (Mammuthus creticus) | ||||||||||||
Zeitliches Auftreten | ||||||||||||
spätes Altpleistozän bis frühes Mittelpleistozän | ||||||||||||
ca. 800 .000 Jahre | ||||||||||||
Fundorte | ||||||||||||
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Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Mammuthus creticus | ||||||||||||
(Bate, 1907) |
Merkmale
Funde des Kreta-Zwergmammuts umfassen weitgehend fragmentiertes Knochenmaterial. Schädelfossilien sind nicht überliefert, bekannt sind vor allem die Molare. Diese sind bei ausgewachsenen Individuen etwa 13,9 bis 14,5 cm lang, 3,3 bis 3,7 cm breit und besitzen 10 bis 12 Schmelzfalten auf der Kauoberfläche. Weiterhin kommen postcraniale Skelettelemente wie Rippen, Wirbel und Röhrenknochen vor. Ein Oberarmknochen eines ausgewachsenen Tieres weist eine Länge von 33 cm auf. Vor allem aufgrund dieses Fundes wird für das Kreta-Zwergmammut eine Schulterhöhe von etwa 1,13 m ermittelt und ein Körpergewicht von rund 310 kg berechnet. Damit zählt das Kreta-Zwergmammut zu den kleinsten bisher bekannten Vertretern der Elefanten (Elephantidae).[1]
Größenvergleiche
Die Funde von Kreta zeigen eine typische Inselverzwergung, die bei Abtrennung von Populationen ursprünglich großwüchsiger Tiere vom Festlandsgebiet und mit dem damit verbundenen eingeschränkten Nahrungsangebot, aber auch fehlenden Fressfeinden eintritt. Dies ist in der Linie der Elefanten (Elephantidae) mehrfach nachgewiesen. Mit den angegebenen Größenwerten ist das Kreta-Zwergmammut die kleinste bekannte Mammutart der Welt. Unter den übrigen Elefanten wurden lediglich der Sizilianische Zwergelefant (Palaeoloxodon falconeri) und Palaeoloxodon cypriotes, die beide aus dem Jungpleistozän stammen, kleiner. Der Sizilianische Zwergelefant kam auf Malta und Sizilien vor und wurde maximal 1 m hoch, bei einem Gewicht von 170 bis 240 kg, wohingegen Palaeoloxodon cypriotes etwa 250 kg wog. Beide sind Nachkommen des Europäischen Waldelefanten (Palaeoloxodon antiquus), der bis zu 4,2 m groß wurde und rund 11 t wog.[2]
Unter den Mammuten ist die auf Sardinien nachgewiesene mittel- bis jungpleistozäne Art Mammuthus lamarmorai mit einer Schulterhöhe von 1,5 m und einem Gewicht von 800 kg die nächstgrößere Form.[3] Die ursprünglich als verzwergt angesehenen Wollhaarmammute (Mammuthus primigenius) von der Wrangel-Insel im Arktischen Ozean, die bis ins mittlere Holozän datieren und so zu den jüngsten Mammutfunden überhaupt gehören, wiesen dagegen eine Schulterhöhe von 1,8 bis über 2,0 m auf und waren damit kaum kleiner als ihre zuvor ausgestorbenen Verwandten auf dem sibirischen Festland. Das Gewicht wird mit gut 2 t angenommen.[4][5] Möglicherweise noch größer waren die ebenfalls bis ins Mittelholozän überlebenden Wollhaarmammute von den Pribilof-Inseln vor der Küste Alaskas.[6] Die Zwergmammute der Art Mammuthus exilis der Kanalinseln vor der Küste Kaliforniens, die möglicherweise vom Präriemammut (Mammuthus columbi) abstammen und ebenfalls ein jungpleistozänes Alter aufweisen, variierten in ihrer Größe extrem, so dass die Schulterhöhe zwischen 1,2 und 1,8 m liegt.[7]
Ein ausgewachsenes „normales“ Wollhaarmammut besaß eine Schulterhöhe von 2,6 bis 3,7 m und wog im Durchschnitt 5 bis 6 t, wobei spätere Formen durchaus kleiner waren.[4] Während sowohl der Südelefant (Mammuthus meridionalis) als auch das Präriemammut eine Schulterhöhe von 4 m aufwiesen und gut 10 t auf die Waage brachten,[8] war das größte Mammut und gleichzeitig auch das größte heute bekannte Rüsseltier das Steppenmammut (Mammuthus trogontherii), das bis zu 4,5 m hoch wurde (ohne Weichteile) und schätzungsweise ein Gewicht von bis zu 15 t erreichen konnte.[9][10]
Funde
Der überwiegende Teil der Funde des Kreta-Zwergmammuts stammt vom Kap Maleka (⊙ ) auf der Halbinsel Akrotiri im Nordwesten Kretas. Es sind meist Funde von Backenzähnen, aber auch Rippen und Röhrenknochen. Erste Funde, überwiegend Backenzähne, kamen dort bereits 1905 zu Tage und dienten zur Erstbeschreibung der Art. Weitere Funde stammen aus dem Jahr 1973 und wurden vom niederländischen Paläontologen Paul Sondaar getätigt.[11] Die bisher letzten Funde gelangen 2011, darunter Molaren und ein Oberarmknochen.[1] Aufgrund der Beifunde mit dem Nagetier Kritimys kiridus wurde für die Funde ein Alter im Übergang vom Alt- zum Mittelpleistozän angenommen,[12] das allgemein mit 800.000 Jahren angegeben wurde.[13] Aufgrund geophysikalischer Untersuchungen wird heute von einem Alter von 738.000 Jahren ausgegangen.[1]
Systematik
In ihrer ersten, 1907 erschienenen Analyse anhand einiger Funde, die neun Molaren, einige Stoßzahnfragmente und einen zerbrochenen Wirbel umfassten, sprach Dorothea Bate die Funde vom Kap Maleka als Elephas creticus an.[14] Dabei gilt ein hinterer Backenzahn als Lectotyp der Art (Exemplarnummer NHM M 9381). Das Kreta-Zwergmammut wurde meist aufgrund der vermuteten Verwandtschaft mit dem Europäischen Waldelefanten und dessen Zuweisung zu Elephas oder Palaeoloxodon als Elephas (Palaeoloxodon) creticus bezeichnet. Für Irritationen sorgte allerdings auch das Vorkommen zweier weiterer pleistozäner Elefantenarten auf Kreta, die den Arten Palaeoloxodon creutzburgi und Palaeoloxodon priscus zugewiesen wurden, allerdings deutlich jünger und vor allem größer waren und meist in den Europäischen Waldelefanten eingegliedert werden.[3][15] Aufgrund des Alters der Funde und des frühesten Auftretens des Europäischen Waldelefanten in Europa kamen teilweise Zweifel über eine derartige Verwandtschaft auf, bereits 1996 wies der niederländische Paläontologe Dick Mol auf eine mögliche Verwandtschaft mit den Mammuten hin. Allerdings hatte Bate bereits 1907 in ihrer Erstbeschreibung Ähnlichkeiten zu den Mammuten erkannt, vor allem zum Südelefanten, den sie aber als Elephas meridionalis bezeichnete.[16] Molekulargenetische Studien aus dem Jahr 2006 brachten dann weitere Hinweise auf eine Abstammung von Mammuthus.[13] Diese Untersuchung wurde jedoch später aufgrund des hohen Alters der Funde, der nur geringen Anzahl an untersuchten DNA-Basenpaaren (43 bp) und methodischer Fehler stark kritisiert.[17][14] Neue Analysen aus dem Jahr 2011 an neugefundenem Material bestätigten die Zuweisung zu den Mammuten, wobei vor allem die Backenzähne herangezogen wurden. Diese sind bei Mammuthus breiter in Relation zur Länge als bei Palaeoloxodon. Zusätzlich besitzen die Molaren der Mammute auch wesentlich schmalere und häufig durchlaufende Schmelzfalten mit deutlich parallel verlaufenden Kanten, im Gegensatz zu jenen der Vertreter von Palaeoloxodon, deren Schmelzfalten eher unterteilt sind und im mittleren Bereich stärker aufgewölbte Ränder besitzen.[18]
Stammesgeschichte
Theoretisch kommen für den Ursprung des Kreta-Zwergmammuts sowohl der Südelefant als auch das Steppenmammut in Frage. Ersterer entwickelte sich vor mehr als drei, letzteres vor anderthalb Millionen Jahren. Aufgrund des Aufbaus der Backenzähne mit maximal zwölf Schmelzfalten wird ein Ursprung beim Südelefanten als wahrscheinlicher angesehen. Dessen Frühform wird heute häufig als Mammuthus rumanus angesprochen.[19] Eine Besiedlung Kretas durch den Südelefanten vor rund drei Millionen Jahren, welcher die Insel schwimmend erreichte,[16] wäre demnach durchaus möglich und hätte dann durch die Abtrennung von den Festlandspopulationen zur Verzwergung und Ausbildung der Form des Kreta-Zwergmammuts geführt. Wann dieses ausstarb, ist bisher ungeklärt.[1]
Einzelnachweise
- Victoria L. Herridge und Adrian M. Lister: Extreme insular dwarfism evolved in a mammoth. Proceedings of the Royal Society Series B 279, 2012, S. 3193–3200, doi:10.1098/rspb.2012.0671.
- Maria Rita Palombo, Ebru Albayrak und Federica Marano: The straight-tusked Elephants from Neumark-Nord. A glance into a lost world. In: Harald Meller (Hrsg.): Elefantenreich – Eine Fossilwelt in Europa. Halle/Saale, 2010, S. 219–249 ISBN 978-3-939414-48-3
- Maria Rita Palombo: Elephants in miniature. In: Harald Meller (Hrsg.): Elefantenreich – Eine Fossilwelt in Europa. Halle/Saale, 2010, S. 275–295 ISBN 978-3-939414-48-3
- Adrian M. Lister: Mammoths in miniature. Nature 362, 1993, S. 288–289
- Sergey L. Vartanyan, Khikmat A. Arslanov, Juha A. Karhu, Göran Possnert und Leopold D. Sulerzhitsky: Collection of radiocarbon dates on the mammoths (Mammuthus primigenius) and other genera of Wrangel Island, northeast Siberia, Russia. Quaternary Research 70, 2008, S. 51–59, doi:10.1016/j.yqres.2008.03.005
- J. M. Enk, D. R. Yesner, K. J. Crossen, D. W. Veltre und D. H. O’Rourke: Phylogeographic Analysis of the mid-Holocene Mammoth from Qagnax Cave, St. Paul Island, Alaska. Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology 273 (1–2), 2009, S. 184–190
- V. Louise Roth: Pleistocene dwarf elephants from the California Islands. In: Jeheskel Shoshani und Pascal Tassy (Hrsg.): The Proboscidea. Evolution and palaeoecology of the Elephants and their relatives. Oxford, New York, Tokyo, 1996, S. 249–253
- Adrian Lister und Paul Bahn: Mammuts – Die Riesen der Eiszeit. Sigmaringen, 1997 (S. 24 und 29) ISBN 3-7995-9050-1
- Jeheskel Shoshani: Understanding proboscidean evolution: a formidable task. Tree 13, 1998, S. 480–487
- Mikael Fortelius und John Kappelmann The largest land mammal ever imagined. Zoological Journal of the Linnean Society 107, 1993, S. 85–101
- Alexandra van der Geer, George Lyras, John de Vos und Michael Dermitzakis: Evolution of island mammals. Adaption and extinction of placental mammals on islands. Oxford 2010 (hier S. 43–61), ISBN 978-1-4051-9009-1, ()
- Maria Rita Palombo: Endemic elephants of the Mediterranean Islands: knowledge, problems and perspectives. In: G. Cavarretta et al. (Eds.): The World of Elephants – International Congress. Consiglio Nazionale delle Ricerche. Rom, 2001, S. 486–491
- Nikos Poulakakis, Aris Parmakelis, Petros Lymberakis, Moysis Mylonas, Eleftherios Zouros, David S. Reese, Scott Glaberman und Adalgisa Caccone: Ancient DNA forces reconsideration of evolutionary history of Mediterranean pygmy elephantids. Biological Letters (The Royal Society) 2006, S. 1–4
- Dorothea M. A. Bate: On Elephant Remains from Crete, with Description of Elephas creticus, sp. n. Proceedings of the Zoological Society of London 77 (2), 1907, S. 238–250 ()
- Lucia Caloi, Tassos Kotsakis, Maria R. Palombo und Carmelo Petronio: The Pleistocene dwarf elephants from Mediterranean islands. In: Jeheskel Shoshani und Pascal Tassy (Hrsg.): The Proboscidea. Evolution and palaeoecology of the Elephants and their relatives. Oxford, New York, Tokyo, 1996, S. 234–239
- C. S. Doukas und A. Athanassiou: Review of the Pliocene and Pleistocene Proboscidea (Mammalia) from Greece. In: J. W. F. Reumer, J. De Vos und D. Mol (Hrsg.): Advances in Mammoth Research (Proceedings of the Second International Mammoth Conference, Rotterdam, May 16-20 1999). Deinsea 9, 2003, S. 97–110 ()
- Ludovic Orlando, Marie Pagés, Sébastien Calvignac, Sandrine Hughes und Catherine Hänni: Does the 43bp sequence from an 800000 year old Cretan dwarf elephantid really rewrite the textbook on mammoths?. Biology Letters 3 (1), 2007, S. 57–59
- Victoria L. Herridge und Adrian M. Lister: Extreme insular dwarfism evolved in a mammoth: Supplementary Information. Proceedings of the Royal Society series B 279, 2012, doi:10.1098/rspb.2012.0671.
- Adrian M. Lister und Hans van Essen: The earliest mammoth of Europe. 18th International Senckenberg Conference in Weimar 2004 Abstracts ()