Konversionsstörung
Konversionsstörungen sind eine Gruppe neurotischer Störungen. In der internationalen Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 werden sie synonym als dissoziative Störungen bezeichnet. Typische Symptome sind ein Verlust des Identitätsbewusstseins, Erinnerungsstörungen und eine mangelnde Kontrolle über Körperbewegungen.[1] Patienten nehmen neurologische Symptome wie Taubheit, Blindheit, Lähmung, ungewollte Muskelkontraktionen oder Anfälle wahr, für die keine neurologische Ursache zu finden ist. Es wird derzeit vermutet, dass diese Probleme in Reaktion auf Schwierigkeiten im Leben des Patienten entstehen. Im US-amerikanischen Klassifikationssystem DSM-IV wird die Konversionsstörung als somatoforme Störung verstanden.
Klassifikation nach ICD-10 | |
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F44 | Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen) |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Psychoanalyse
Historisch stammt der Begriff Konversion aus der Psychoanalyse nach Sigmund Freud. Hier hatte er eine umfassendere Bedeutung als heute. Freud bezog den Begriff generell auf die Übertragung von Affekten wie Angst, Aggression, Wut, Ärger, Schuld, sexuelle Triebwünsche usw. auf Organe. Nicht nur Symptome wie beispielsweise Erektionsstörungen, Ohnmacht, Kopfschmerzen bzw. Migräne, Magen-Darm-Störungen, sondern auch allgemeine körperliche Reaktionen wie Erröten ließen sich ihm zufolge als psychosomatische Prozesse der Verschiebung einordnen. Dabei geht es um das Verdrängen von unerträglichen psychischen Zuständen auf die körperliche Ebene. Eine besondere Form der Konversion ist das Affektäquivalent, als eine Abwehrreaktion des Körpers, die anstelle der auslösenden Emotionen empfunden wird.
Der Vorgang der Verschiebung von der Psyche in das Soma (Körper) wird in der Psychoanalyse als ein Abwehrmechanismus gesehen. Er soll unangenehme, unerträgliche Konflikte vom Ich-Bewusstsein fernhalten. Dem Unbewussten erscheint es unmöglich, sich dem Konflikt zu stellen und ihm adäquat zu begegnen. Die Konversion ist eine naheliegende Schutzfunktion des Ichs, die wegen der körperlichen Leiden, die dadurch ausgelöst werden, pathogen ist.
Diskussion der Zuordnung
Historisch wurden Konversionsstörungen der Hysterie zugeordnet.
Neuere Forschungen empfehlen, Konversionsstörungen und psychosomatische Störungen den „dissoziativen Störungen“ zuzuordnen. Sie fallen dann in den Bereich Somatoforme Dissoziation und sollten unter diesem Oberbegriff zusammengefasst werden, in Abgrenzung zur psychoformen Dissoziation.
Patienten mit dissoziativen Störungen leiden oftmals unter chronischen körperlichen Beschwerden, welche als Dissoziationen aufzufassen sind. Der Behandelnde sollte die Körpersymptome seines Patienten dann als Anzeichen für eine Desintegration der Gesamtpersönlichkeit ansehen.
Die Symptome sind hier vermutlich die Folge einer instinktiven Überlebensreaktion des Menschen, ähnlich der von Tieren, und erzeugen Erregungs- oder Betäubungszustände. Die Betrachtung der Endorphin-Neurotransmitter auf biochemischer Ebene zeigt so ein tieferes Verständnis der Dissoziation auf der Verhaltensebene.
Studie
Ärzte und Wissenschaftler aus den Kliniken Schmieder (Lurija-Institut) haben zusammen mit Kollegen der Universitätskliniken Marburg und Magdeburg mittels kernspintomographischer Verfahren Patienten mit konversionsbedingten Lähmungen und gesunde Individuen, die eine Lähmung simulierten, untersucht. Die Studienautoren wiesen Unterschiede in hemmenden Netzwerken des Frontalhirns für die motorische Kontrolle bei Schein-Simulanten und Konversionspatienten nach. Diese Kenntnis neuronaler Korrelate ergibt nach Ansicht der Autoren Ansatzpunkte für die Diagnostik und Therapie der Konversionstörungen.[2]
Literatur
- Ellert R. S. Nijenhuis: Somatoform dissociation. Phenomena, measurement, and theoretical issues. Van Gorcum, Assen 1999, ISBN 90-232-3527-4 (In deutscher Sprache: Somatoforme Dissoziation. Phänomene, Messung und theoretische Aspekte (= Reihe Fachbuch Traumaforschung.). Junfermann, Paderborn 2006, ISBN 3-87387-623-X).
Weblinks
- Konversion (Memento vom 12. Juni 2013 im Internet Archive) auf logotherapie.net (PDF-Datei; 106 kB)
Einzelnachweise
- WHO: ICD-10 Kapitel V, klinisch-diagnostische Leitlinien, Genf 1992.
- T. Hassa, E. de Jel, O. Tuescher, R. Schmidt, M. A. Schoenfeld: Functional networks of motor inhibition in conversion disorder patients and feigning subjects. In: NeuroImage. Clinical. Band 11, 2016, S. 719–727, doi:10.1016/j.nicl.2016.05.009, PMID 27330971, PMC 4900693 (freier Volltext).