Kontorhaus
Ein Kontorhaus ist ein Gebäudetyp, der in der Zeit von 1886 bis etwa 1938 nach nordamerikanischem Vorbild für die ausschließliche Unterbringung von Büroräumen der (Handels-)Unternehmen entworfen und gebaut wurde. Der Schwerpunkt der Verbreitung liegt in den norddeutschen Hafenstädten. Der Typ zeichnet sich durch eine konstruktionsbedingte Flexibilität in der Raumaufteilung aus.[1]
Geschichte
Der Bautyp des Kontorhauses war in den Vereinigten Staaten von Amerika schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt, aber bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr zweckmäßig, da Bürohäuser wegen knapper und teurer Grundstücke zunächst in Chicago, später auch in New York in die Höhe gebaut wurden. Typischerweise wurden die Kontorhäuser nicht für die Nutzung durch eine einzelne Firma oder die Verwaltung eines Konzerns konzipiert, sondern sollten von vornherein an zahlreiche Mieter vermietet werden. Der Bau erfolgte in der Regel als Renditeobjekt.
In Deutschland entstand das erste Kontorhaus 1886 in Hamburg. Der Dovenhof war der Prototyp dieser Gebäudeart. Zwar entstanden Kontorhäuser auch anderenorts, Hamburg sollte aber das deutsche Zentrum dieses markanten Bautyps werden und bleiben. Kontorhäuser setzten sich schon bald als architektonisches Erfolgsmodell durch, von denen in schneller Folge Hunderte entstanden.[2]
Das Kontorhaus ist ein reines Bürogebäude, mit dem das Arbeiten vom Wohnen oder von der Warenlagerung getrennt werden konnte. Diese Entwicklung der Separation des Lagerguts wurde in Hamburg begünstigt durch die Entstehung der zentrumsnahen Speicherstadt, die Lagerflächen großen Umfangs bereithielt. Die in den Büroräumen arbeitenden Commis, also Handlungsgehilfen oder kaufmännische Angestellte, hatten nach ihrer Lehre einen Zwölf-Stunden-Tag und mussten mit der Hand schreiben, denn die bereits 1873/1874 fabrikmäßig hergestellten Schreibmaschinen zogen erst 1894 in die Kontorhäuser ein.[3]
In Hamburg beherrschten die Kontorhäuser im Zuge des Umbaus der Stadt zu einem modernen Handels- und Geschäftszentrum bald das Bild der Innenstadt. 1910 war der Gebäudetyp ausgereift. In den 1920er-Jahren entstand sogar ein einzigartiges Kontorhausviertel. Eines der zuletzt gebauten Kontorhäuser war 1938 das Pressehaus am Speersort. In der im Zweiten Weltkrieg gebietsweise arg zerstörten Hansestadt blieben etwa 250 Gebäude dieser Art unbeschädigt.[4]
Bauweise
Ein Kontorhaus zeichnet sich äußerlich im Wesentlichen durch einen regelmäßigen Grundriss und zumeist etwa fünf bis sieben Geschosse aus. Obere Geschosse schließen häufig nicht mit der übrigen Fassade der unteren Geschosse ab, sondern sind treppenförmig zurückversetzt (Staffelgeschoss). Dadurch wird insbesondere an schmaleren Straßen eine optische Aufweitung nach oben erzielt.
Die Fassadengliederung ist funktionsbestimmt: Stahl- und Betonbau erlauben die Konstruktion tragender Außenwände als Pfeilersystem, das eine optimale Raumvariation und -belichtung gewährleistet. Die Außenwände sind darüber hinaus gleichmäßig in Fensterflächen aufgelöst und bis zum Ersten Weltkrieg zumeist mit Werkstein verkleidet, später verklinkert. Durch den Verzicht auf tragende Wände im Inneren können die sich einmietenden Unternehmen je nach Anzahl und Bedürfnis die Geschosse frei einteilen, ohne an bestimmte Raumgrößen und -formen gebunden zu sein.[5]
Die Verbindung zwischen den Geschossen übernahmen zumeist Paternoster, die in Hamburg erstmals auf dem europäischen Kontinent zum Einsatz kamen. Auch Innenhöfe sind – bei entsprechend wuchtigen Baukörpern – oft ein typisches Merkmal. Weitere technische Neuerungen der Kontorhäuser waren Zentralheizungen, Telefon- und Rohrpostanlagen sowie zentralisierte Sanitärbereiche. Die Fassaden und Foyers sind als Gebäudeschmuck je nach Zeitgeschmack zumeist in der Art der Neorenaissance, des Jugendstils, des Expressionismus oder der Reformarchitektur gestaltet.[6]
Literatur
- Ralf Lange: Das Hamburger Kontorhaus. Architektur – Geschichte – Denkmal. Dölling und Galitz, Hamburg 2015, ISBN 978-3-86218-067-7.
Einzelnachweise
- Christoph Wetzel, Heidi Wetzel u. a.: Seemanns großes Lexikon der Weltarchitektur, Seemann Verlag, Leipzig, 2010 ISBN 978-3-534-23890-3, S. 262.
- Daniel Tilgner (Hrsg.): Hamburg von Altona bis Zollenspieker. Das Haspa-Handbuch für alle Stadtteile der Hansestadt. Hoffmann und Campe, Hamburg 2002, ISBN 3-455-11333-8, S. 423.
- Ernst Christian Schütt u. a.: Chronik Hamburg. 2., aktualisierte Auflage. Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh/München 1997, ISBN 3-577-14443-2, S. 300.
- Franklin Kopitzsch, Daniel Tilgner (Hrsg.): Hamburg Lexikon. 2., durchgesehene Auflage. Zeiseverlag, Hamburg 2000, ISBN 3-9805687-9-2, S. 284.
- Daniel Tilgner (Hrsg.): Hamburg von Altona bis Zollenspieker. Das Haspa-Handbuch für alle Stadtteile der Hansestadt. Hoffmann und Campe, Hamburg 2002, ISBN 3-455-11333-8, S. 423.
- Franklin Kopitzsch, Daniel Tilgner (Hrsg.): Hamburg Lexikon. 2., durchgesehene Auflage. Zeiseverlag, Hamburg 2000, ISBN 3-9805687-9-2, S. 283.