Kolonialrevisionismus
Kolonialrevisionismus ist ein Schlagwort der Politikwissenschaft für das Bestreben, „verloren gegangene“ Kolonien wieder zu erlangen (lat. revidere). In Deutschland spielte der Kolonialrevisionismus nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg 1919 und bis in die 1940er Jahre hinein eine wichtige Rolle in der politischen Diskussion. Spätere Ansätze, die sich nicht auf die Kolonien bis 1919 beziehen, laufen unter dem politischen Begriff des Neokolonialismus.
Geschichte
Der Versailler Friedensvertrag entzog Deutschland 1919 seine Kolonien in Afrika, Asien und Ozeanien. Damit setzten eine „koloniale Nostalgie“ und ein „kolonialer Revisionismus“ ein. Es war von der „kolonialen Schuldlüge“[1] die Rede, meist gepaart mit der Behauptung rassischer Überlegenheit und der Forderung nach Lebensraum für das deutsche Volk.
Weimarer Republik
In der Weimarer Republik gab es zwei kolonialrevisionistische Gruppen: Die eine lehnte die Republik ab, weil diese das „Schanddiktat von Versailles“ akzeptiert hatte, und zog sich in ihre Traditionsvereine zurück. Die andere versuchte, die Rückgewinnung der Kolonien auf parlamentarischem Weg durch eine Umschreibung des Versailler Vertrags zu erreichen. Hier war der wichtigste Vertreter die Deutsche Kolonialgesellschaft, welche Lobbyarbeit betrieb, Posten und Lehrbereiche an deutschen Universitäten einrichtete, aber politisch ohne Durchschlagskraft blieb. Es erschienen Zeitungen und Zeitschriften mit Titeln wie Deutsche Kolonialzeitung, Der Kolonialdeutsche, Brücke zur Heimat und Jambo. Auch der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer engagierte sich für den Kolonialrevisionismus.[2]
NS-Staat
Die Nationalsozialisten griffen das Thema zwar ab 1933 auf und betrieben auf hoher politischer Ebene den Kolonialrevisionismus in Form einer 1939 erschienenen Publikation des Reichspostministeriums,[3] richteten aber ihr primäres Interesse auf die Gewinnung von Lebensraum im Osten.[4] Adolf Hitler forderte in einer Reichstagsrede am 30. Januar 1937 für „unser so dicht besiedeltes Land“ die Rückgabe der Kolonien. Der Schulungsbrief des Hauptschulungsamts der NSDAP widmete sich 1939 ausschließlich dem Thema. Darin unterstellte der Jurist Rudolf Krohne den Alliierten, die „Kolonialschuldlüge“ erfunden zu haben, „um den eigenen Raub und Angriffswillen der Ententemächte zu verdecken.“ Und der NSDAP-Reichstagsabgeordnete Franz Woweries machte das „Recht auf Kolonien“ daran fest, dass „der deutsche Raum eng“ geworden sei.
Literatur
- Heinrich Albert Schnee: Die koloniale Schuldlüge (Sachers und Kuschel, Berlin 1924) – Standardwerk des deutschen Kolonialrevisionismus
- Jan Esche: Koloniales Anspruchdenken in Deutschland 1914–1933 (Dissertation Universität Hamburg 1989)
- Mathias Mulumbar Rwankote: Ostafrika in den Zielvorstellungen der Reichspolitik (Dissertation Universität Köln 1985)
- Wolfe W. Schmokel: Dream of Empire: German Colonialism 1919–1945. Yale University Press, New Haven – London 1964
- Adolf Rüger: Der Kolonialrevisionismus der Weimarer Republik (in: Helmuth Stoecker (Hrsg.): Drang nach Afrika. Die koloniale Expansionspolitik und Herrschaft des deutschen Imperialismus in Afrika von den Anfängen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Akademie-Verlag, Berlin 1977, S. 243–280)
Einzelnachweise
- Friedrich Wilhelm Arning. Abgerufen am 8. Januar 2022.
- Adenauer sah im Kolonialbesitz ein Heilmittel gegen der Intoleranz der Jugend (Die Kolonialfrage – das Problem der Jugend, 1931) und hielt „die Leitung und Erziehung der unmündigen Völker“ für „die große Kulturaufgabe des deutschen Volkes“. (Rede auf der Kolonialkundgebung in Köln am 28. November 1931)
- Geschichte der Deutschen Post in den Kolonien und im Ausland
- Das Selbstverständnis der Weimarer Kolonialbewegung im Spiegel ihrer Zeitschriftenliteratur. Abgerufen am 8. Januar 2022.