Knochenflöte
Knochenflöten sind sehr einfache kleine Blasinstrumente. Anders als bei einer Holzflöte lässt sich kaum ein in sich stimmiges Instrument aus Knochen bauen, da der Hohlraum des Knochens nie gleichförmig ist. Der größere Teil der Knochenflöten ist als Kernspalt-Flöte oder Blockflöte konzipiert. Dabei wird ein Wachspropfen als Block ins obere Ende des Knochens eingefügt und enthält das Anblasloch. Der Luftstrom wird am Labium beziehungsweise Aufschnitt geteilt. Andere Knochenflöten werden wie Querflöten seitlich angeblasen.
Geschichte
Steinzeit
Knochenflöten sind die ältesten archäologisch nachgewiesenen Musikinstrumente der Menschheit. Funde gibt es bereits aus dem Aurignacien, einer Kultur der europäischen Altsteinzeit. 2009 wurde der Fund einer gut erhaltenen, aus dem Flügelknochen eines Gänsegeiers gefertigten Flöte aus dem Hohlefels auf der Schwäbischen Alb bekannt, die ca. 42.000–43.000 Jahre alt ist.[1] Zuweilen ist schwierig zu beurteilen, ob Grifflöcher tatsächlich von Menschenhand hergestellt oder Verbissspuren von Raubtieren sind. Ebenfalls zu den ältesten Funden gehören drei Exemplare aus der Geißenklösterle-Höhle bei Blaubeuren, nur wenige Kilometer vom Hohlefels entfernt. Besonders bekannt wurde die erste dort gefundene Flöte, die aus dem Radius eines Singschwans hergestellt wurde. Kürzlich ließen sich Mammutelfenbein-Stücke zu einer Flöte zusammenfügen, die mindestens drei Grifflöcher aufwies.
Metallzeiten und römische Epoche
Aus dieser langen Zeit liegen erstaunlicherweise keine Knochenflöten vor. Die römische Tibia wurde aus Holz, Elfenbein oder Metall gefertigt, auch wenn der Name noch auf eine ursprüngliche Herstellung aus Schienbeinknochen verweist.
Mittelalter
Im Mittelalter kamen Flöten aus Schienbeinen (Tibiae) von Schafen am häufigsten vor. Die Anzahl der Grifflöcher für die Finger variierte: meistens drei oder vier Löcher, seltener zwei, fünf oder sechs Löcher, einige zusätzlich mit Daumenloch. Daneben gab es auch Flöten aus Vogelknochen. Zu den frühesten mittelalterlichen Funden zählen Flöten aus dem karolingischen Kloster Müstair (Schweiz, Kanton Graubünden) sowie aus den norddeutschen Siedlungen Haithabu und Schleswig. Erstaunlich viele Funde stammen von Burgen.
Herstellung
Am besten eignet sich ein möglichst gerader Röhrenknochen, beispielsweise Schienbeinknochen (Tibiae) junger Schafe oder Knochen von Vögeln. Beim mazerierten Knochen entfernt man ein oder beide Gelenkenden. Danach bohrt man die Löcher. Das oberste, das den Luftstrom teilt, nennt man Labium oder Aufschnitt. Dann folgen nach Wunsch ein Daumenloch auf der Rückseite sowie Grifflöcher für die Finger auf der Vorderseite. Ins obere Ende der Flöte setzt man einen Pfropfen aus Bienenwachs als Mundstück ein, in den der Luftkanal geschnitten werden muss.
Spielweise
Aufgrund der Unterschiede beim Knochenquerschnitt und der Länge lassen sich keine Gesetzmäßigkeiten für den Bau eines stimmigen Instrumentes ableiten. Gerade die bewusst gewählte geringe Anzahl Grifflöcher bei mittelalterlichen Exemplaren zeigt, dass im Gegensatz zu Holzflöten die Konstruktion eines vielseitigen Instrumentes gar nicht beabsichtigt war.
Steinzeit
Melodien aus der Steinzeit sind naturgemäß nicht überliefert. Friedrich Seeberger, Fachmann für die Rekonstruktion archäologischer Musik, führte Experimente mit modernen Nachbauten steinzeitlicher Flöten durch. Mit den einfachen Instrumenten lässt sich bemerkenswert abwechslungsreiche Musik spielen.
Mittelalter
Auch für diese Zeit fehlen überlieferte Melodien, Informationen zur Spielweise und darüber, wer überhaupt auf diesen „einfachen“ Instrumenten spielte. Die zumindest in der Schweiz vergleichsweise zahlreichen Funde auf Burgen könnten als Hinweis auf eine dort besonders gepflegte derartige Tradition dienen; entweder durch den Burgadel oder durch Sennen, die das burgeigene Vieh hüteten. Hirten bevorzugten einfache Melodien, wie unter anderem der Satz „Pastorale“ (italienisch: Hirtenlied) im Weihnachtskonzert von Arcangelo Corelli zeigt. Auch fahrende Musikanten kommen als Spieler auf Knochenflöten in Betracht. Auf mehrlochigen Instrumenten konnte ein geschickter Spielmann mit Gabelgriffen, Halbdeckungen der Löcher und Überblastechnik durchaus Melodien zum Besten geben. Insgesamt aber hat die Bohrung der Löcher kein System, dementsprechend tönen sie auch: Nur selten ergibt sich eine Tonleiter, meistens in sich unstimmig.
Literatur
- Gerd Albrecht, C.Stephan Holdermann, Tim Kerig, Jutta Lechterbeck, Jordi Serangeli, „Flöten“ aus Bärenknochen – Die frühesten Musikinstrumente? Archäologisches Korrespondenzblatt 28, 1998, 1–19.
- Christine Brade, Die mittelalterlichen Kernspaltflöten Mittel- und Nordeuropas, Neumünster 1975.
- Tim Kerig, Schwanenflügelknochen-Flöte: vor 35000 Jahren erfinden Eiszeitjäger die Musik. Stuttgart: Württembergisches Landesmuseum, 2004
- Knochenklang. Mitteilungen der Prähistorischen Kommission / Österreichische Akademie der Wissenschaften 36, Wien 2000, CD und Begleitheft.
- Raymond Meylan, Die Flöte. Grundzüge ihrer Entwicklung von der Urgeschichte bis zur Gegenwart, Mainz 2000.
- Stefanie Osimitz, Die karolingischen Knochenflöten aus dem Kloster St. Johann in Müstair. In: Jahresbericht des Archäologischen Dienstes und der Denkmalpflege Graubünden 2006, Chur 2007, 68–73.
Quellen
- uni-tuebingen.de: Universität Tübingen – NewsFullview-Pressemitteilungen (Memento vom 7. November 2014 im Internet Archive), abgerufen am 7. November 2014