Karte des Piri Reis
Die Karte des Piri Reis ist eine osmanische Seekarte des Zentralatlantiks, die dem Admiral Piri Reis zugeschrieben und deren Entstehung auf den Monat Muharram des Jahres 1513 (9. März bis 17. April) datiert wird. Sie befindet sich im Topkapı-Palast in Istanbul und wurde 2017 in die Liste des Weltdokumentenerbes der UNESCO aufgenommen.[1]
Wiederentdeckung
Bei einer vom damaligen Präsidenten Mustafa Kemal Atatürk gewünschten Inventur der osmanischen Palastbibliothek entdeckten 1929 türkische Archivare altgriechische Texte, woraufhin sie den in Ephesos arbeitenden Adolf Deißmann zu Rate zogen. Dabei entdeckten sie die osmanische Seekarte und Deißmann konsultierte den Orientalisten Paul Kahle, der sich zufällig in Istanbul aufhielt und erst kürzlich ein Werk über die osmanische Seefahrt verfasst hatte und somit die Karte schnell identifizierte. Die Restauration übernahm Hugo Ibscher.[2][3]
Inhalt
Die Karte ist auf Pergament aus Kamelhaut[4] gezeichnet, mit arabischen Schriftzeichen in osmanischer Sprache beschriftet und in einer der Beischriften auf den Muharram des islamischen Jahres 919 (entspricht 1513 in der christlichen Zeitrechnung) datiert. Das Buch von Piri Reis, aus dem diese Karte stammt (Bahriye), ist in zwei Redaktionen aus den Jahren 1521 und 1524 erhalten.[5]
„Diese Karte ist vom armen Mann Piri ben Hadji Mohammed, bekannt als Neffe des Kemal Reis, in der Stadt Gelibolu (Gallipoli) gezeichnet worden – möge sich Gott der beiden erbarmen – im Monat Muharram des Jahres 919.“[4]
Sie zeigt neben schon lange bekannten Gegenden Westeuropas, des Mittelmeers und Nordafrikas auch Küstenlinien Westafrikas sowie Nord- und Südamerikas. Diese Küstenlinien stimmen in Europa, Afrika und Südamerika in einer Reihe von Punkten mit den tatsächlichen Gegebenheiten überein, enthalten aber gleichzeitig Ungenauigkeiten und auch Fehler. Markante Landpunkte (Buchten, Flussmündungen, Inseln) sind – wahrscheinlich als Navigationshilfen – stark vergrößert dargestellt. Beim linken oberen Teil der Karte können die in die Karte eingearbeiteten Fragmente den realen Landpunkten des Golfs von Mexiko nicht klar zugeordnet werden. Der linke untere Teil der Karte zeigt nach vorherrschender Meinung Südamerika; einzelne Autoren meinen darin aber auch die Nordküste Südamerikas oder gar Südamerika mit der Antarktis zu erkennen.
Die Küste Südamerikas ist in mäßigem Detailreichtum zu sehen und in den Elementen von heutigen Kartenwerken wiederzuerkennen. Erklärungsbedürftig sind dabei aber die auf der Karte der Küste vorgelagerten Inseln, zu denen es in der Realität keine Entsprechung gibt, sowie der Umstand, dass die Küstenlinie im Süden nach Osten fortgesetzt wird. Der Autor Arlington H. Mallery formulierte 1956 die These, dass diese Linie die Küste des Königin-Maud-Landes in der Antarktis zeige.[6] Deutlich erkennbar im südlichen Bereich der Ostküste Südamerikas ist die Mündung des Río de la Plata[4]
Tatsächlich ist die Karte ab dem südlichen Brasilien schwer mit aktuellen Küstenlinien zu vergleichen und eine Kartographie der antarktischen Küstenlinie mit den Mitteln des 16. Jahrhunderts unmöglich. Zur Ähnlichkeit mit der tatsächlichen Geographie wird festgestellt:
“Features on the South American coast down to southern Brazil can be identified with certainty. Beyond that, though, the map is fantasy. It doesn’t match either South America or Antarctica very well.”
„Bestimmte Charakteristika der Küste Südamerikas hinunter bis nach Südbrasilien können mit Sicherheit identifiziert werden. Darüber hinaus ist die Karte aber reine Phantasie. Sie stimmt weder mit Südamerika noch der Antarktis wirklich überein.“[7]
Die Inseln können auf Irrtümer hinsichtlich der Lage, der Größe oder der Existenz von Inseln zurückzuführen sein. Dass der Atlantik durch die Kugelgestalt der Erde im südlichen Bereich die umliegenden Kontinente näher zusammenrückt, mag ein weiterer Aspekt sein, der hier auf dieser Karte seinen Niederschlag fand.
Entstehung der Karte
Historische Quellen
Zur Frage, wie Piri Reis an die in der Karte enthaltenen Informationen gelangt ist, gibt es verschiedene Spekulationen. Piri Reis gibt selbst an, mindestens 20 Karten zur Herstellung der Piri-Reis-Karte verwendet zu haben, von denen einige bis auf die Zeit Alexander des Großen zurückgingen. Offensichtlich sind ihm dabei Fehler unterlaufen, welche die Ungenauigkeiten hervorriefen. Piri Reis nimmt Bezug auf die Reisen von Christoph Kolumbus, die zwischen 1492 und 1504 in die Karibik führten. Im Text, der im südlichen Teil Südamerikas wiedergegeben ist, werden etwa 20 See- und Weltkarten erwähnt, unter ihnen auch eine Karte der westlichen Region, die von Qulünbü (Kolumbus) gezeichnet worden sei.[4]
Die Karibik wird aber in der Karte sehr ungenau wiedergegeben. Es wird daher vermutet, dass für diesen Teil der Karte andere Quellen für die Erstellung verwendet wurden. Auf der Karte befinden sich Kommentare, die ausdrücklich davon sprechen, dass das Wissen portugiesischer Seefahrer in die Karte eingeflossen sei. Unklar ist jedoch, ob dies lediglich die östliche oder auch die westliche Atlantikküste betrifft. Immerhin sind die Küstenlinien Südamerikas relativ gut aufgelöst, was eventuell den Portugiesen zugerechnet werden könnte. Einige vermuten hierzu, dass die portugiesische Krone schon lange vor Kolumbus über genauere Kenntnisse dieser Gebiete verfügt hätte, diese aber als Staatsgeheimnis zu Gunsten der eigenen Seefahrer gehütet worden wären. Vom südlichen Teil nimmt man an, dass er auf eine portugiesische Karte zurückgehe.[8]
Gestützt wird diese Hypothese dadurch, dass Kolumbus zuerst in Portugal Unterstützung suchte, bevor er mit Erfolg bei der spanischen Krone vorstellig wurde. Auch der Umstand, dass Kolumbus Glasperlen und andere Waren mit an Bord genommen hatte, um damit Handel zu treiben, wird zur Stützung dieser These herangezogen.
Kartometrische Untersuchungen zeigten, dass die Genauigkeit der Piri-Reis-Karte deutlich schlechter war als die von Juan de la Cosa. Juan de la Cosa begleitete Kolumbus auf mehreren Fahrten nach Amerika.
„Vergleicht man die Ergebnisse dieser Untersuchung mit der Genauigkeit der Karte des Juan de la Cosa aus dem Jahre 1500 […], so werden bemerkenswerte Unterschiede ersichtlich. Juan de la Cosa nahm als Eigner des Flaggschiffes Santa Maria im Jahre 1492 an der Entdeckung Amerikas teil und verfügte bezüglich der Darstellung Amerikas offensichtlich über bessere Quellen.“[9]
Andere Untersuchungen zeigten, dass die Spanier schon viele Jahre vor Piri Reis bessere Resultate bezüglich der Kartografie in der Darstellung der Neuen Welt erzielten.
„Von den vier besprochenen Karten scheinen drei, nämlich die von Piri Reis, Juan de la Cosa und Alberto Cantino, miteinander verwandt, ohne daß eine von der anderen kopiert zu sein scheint. Es ist möglich, daß sie auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen.“[10]
Literatur
- Paul Kahle (Hrsg.): Piri Re'îs. Bahrîje. Das türkische Segelhandbuch für das Mittelländische Meer vom Jahre 1521. Berlin 1926.
- Paul Kahle: Die verschollene Kolumbuskarte von 1498 in einer türkischen Weltkarte von 1513. Berlin/Leipzig 1933.
- Afet İnan: Life and works of Pirî Reis. The oldest map of America. Ankara 1975.
- Gregory C. McIntosh: Christoph Kolumbus und die Piri-Reʿis-Karte von 1513. In: Cartographica Helvetica Heft 11 (1995) S. 36–42 Volltext.
- Peter Mesenburg: Kartometrische Untersuchung und Rekonstruktion der Weltkarte des Pīrī Re'īs (1513). In: Cartographica Helvetica Heft 24 (2001) S. 3–7 Volltext.
- Charles Hapgood: Die Weltkarten der alten Seefahrer. Die Entdeckung der Antarktis vor 6000 Jahren und Amerikas vor Kolumbus. Deutsche Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Ulrike Bischoff. Verl. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2002 (Original 1966/1996), ISBN 3-86150-419-7. Original-Titel der amerikanischen Ausgabe: Maps of the Ancient Sea Kings.
- Dimitri Michalopoulos: L'énigme de la carte de Piri Reis. In: Boletim da Sociedade de Geografia de Lisboa, série 134, Nos 1-12 (janvier-décembre 2016), S. 39–42. (PDF; 2,7 MB).
- Susanne Billig: Die Karte des Piri Re'is. Das vergessene Wissen der Araber und die Entdeckung Amerikas. Beck, München 2017, ISBN 978-3406713514.
Weblinks
- Steven Dutch, University of Wisconsin, Green Bay: The Piri Reis Map.
- Peter Mesenburg: Untersuchung zur Geometrie und zur Genese alter Karten. Universität Duisburg-Essen
- Paul F. Hoye, Paul Lunde: Piri Reis and the Hapgood Hypotheses. In: Aramco World Magazine. Jan/Feb 1980, S. 18–31.
- Re: Piri Reis Map Zitat: „William Miller wrote: …The examinations that I have made of it show all sorts of errors that certainly falsify any claim of unusual accuracy for this map…“
- Paul Heinrich: The Mysterious Origins of Man: The Oronteus Finaeus Map of 1532. Paul Heinrich kritiserer her Dr. Charles Hapgood’s Antarktis fortolkninger.
Einzelnachweise
- The Piri Reis World Map. UNESCO - Memory of the World, abgerufen am 26. Juni 2019 (englisch).
- Albrecht Gerber: Deissmann the Philologist. Walter de Gruyter, 2010, S. 199.
- Celal Şengör: PİRî REİS’İN 1513 TARİHLİ HARİTASINI KİM BULDU? (Memento vom 12. Januar 2014 im Internet Archive)
- Peter Mesenburg: Kartometrische Untersuchung und Rekonstruktion der Weltkarte des Piri Re`is (1513). In: Cartographica Helvetica 24 (2001) S. 3
- Fuat Sezgin: Geschichte des arabischen Schrifttums. Band 13: Mathematische Geographie und Kartografie und ihr Fortleben im Abendland. Frankfurt 2007, S. 129.
- Charles H. Hapgood: Die Weltkarten der alten Seefahrer. 2. Aufl. Frankfurt 2002 S. 17 f.
- Steven Dutch: The Piri Reis Map. Natural and Applied Sciences, University of Wisconsin, 8. Juli 1998.
- Fuat Sezgin: Die Entdeckung des Amerikanischen Kontinents durch Muslimische Seefahrer vor Kolumbus. Exzerpt aus Geschichte des Arabischen Schrifttums. Band 13, 2006, S. 20. Volltext
- Peter Mesenburg: Kartometrische Untersuchung und Rekonstruktion der Weltkarte des Piri Re`is (1513). In: Cartographica Helvetica 24 (2001) S. 5.
- Fuat Sezgin: Die Entdeckung des Amerikanischen Kontinents durch Muslimische Seefahrer vor Kolumbus. Exzerpt aus Geschichte des Arabischen Schrifttums. Band XIII, 2006, S. 26. Volltext