Kardinalzahlarithmetik

Unter Kardinalzahlarithmetik versteht man in der Mengenlehre Regeln über mathematische Operationen zwischen Kardinalzahlen. Diese Operationen sind die aus der Theorie der natürlichen Zahlen bekannten Addition, Multiplikation und Potenzierung, die auf die Klasse der Kardinalzahlen ausgedehnt werden. Im Gegensatz zur Ordinalzahlarithmetik werden diese Operationen nicht durch transfinite Induktion, sondern durch Mengenoperationen definiert. Die Addition und die Multiplikation erweisen sich als sehr einfach, über das Potenzieren hingegen kann man in der ZFC-Mengenlehre nur unter der Annahme zusätzlicher Axiome zu starken Aussagen kommen.

Definitionen

Die Idee der Kardinalzahlen besteht im Vergleich von Mächtigkeiten. Mit Hilfe des Auswahlaxioms kann man zu jeder Menge eine zu ihr gleichmächtige Ordinalzahl finden und wegen deren Wohlordnung auch eine kleinste solche Ordinalzahl, die man die Kardinalität oder Mächtigkeit der Menge nennt und mit bezeichnet. Die als Mächtigkeit auftretenden Ordinalzahlen heißen bekanntlich Kardinalzahlen, diese werden mit griechischen Buchstaben , , ... bezeichnet, wohingegen Ordinalzahlen mit den Anfangsbuchstaben , ... des griechischen Alphabets notiert werden. Die endlichen unter den Kardinalzahlen sind die natürlichen Zahlen, die unendlichen können durch die -Funktion aufgezählt werden, das heißt die unendlichen Kardinalzahlen sind die , wobei die Ordinalzahlen durchläuft.

  • Zur Addition zweier Kardinalzahlen und finde man zwei disjunkte zu ihnen gleichmächtige Mengen und und definiere , also als die Mächtigkeit der disjunkten Vereinigung.
  • Zur Multiplikation zweier Kardinalzahlen und finde man zwei zu ihnen gleichmächtige Mengen und und definiere , also als die Mächtigkeit des kartesischen Produktes.
  • Zur Potenzierung zweier Kardinalzahlen und finde man zwei zu ihnen gleichmächtige Mengen und und definiere , also als die Mächtigkeit der Menge aller Funktionen von nach .

In allen drei Fällen kann man zeigen, dass die Definition nicht von der Wahl der Mengen und abhängt. Da und selbst Mengen sind, kann man auch einfach

schreiben, die zuerst gegebenen Definitionen sind aber flexibler zu handhaben. In der dritten Definition steht links die zu definierende Potenz zweier Kardinalzahlen, rechts bedeutet die Menge aller Funktionen , für beides wird dieselbe Notation verwendet. Ferner überlegt man sich leicht, dass die so definierten Operationen für endliche Kardinalzahlen, das heißt für natürliche Zahlen, mit den bekannten Operationen übereinstimmen.

  • Die oben definierte Addition kann wie folgt auf unendliche Summen ausgedehnt werden: Ist eine Familie von Kardinalzahlen, so seien zu den gleichmächtige und paarweise disjunkte Mengen, zum Beispiel . Die Summe der ist wie folgt definiert:
  • Auch die Multiplikation lässt sich auf unendliche Produkte erweitern: Ist eine Familie von Kardinalzahlen, so seien zu den gleichmächtige Mengen. Das Produkt der ist wie folgt definiert:
Dabei tritt das Produktzeichen in zwei Bedeutungen auf: Auf der linken Seite steht es für das zu definierende unendliche Produkt von Kardinalzahlen und auf der rechten Seite für das kartesische Produkt.

Auch die Definitionen der unendlichen Operationen sind von der Auswahl der Mengen unabhängig und daher wohldefiniert.

Addition und Multiplikation

Addition u​nd Multiplikation erweisen s​ich für unendliche Kardinalzahlen a​ls triviale Operationen, d​enn es gilt:

  • Ist wenigstens eine der von 0 verschiedenen Kardinalzahlen und unendlich, so gilt
,
beziehungsweise in der Aleph-Notation für alle Ordinalzahlen und , siehe Satz von Hessenberg.
  • Ist eine unendliche Kardinalzahl und sind , von 0 verschiedene Kardinalzahlen, so gilt
.
  • Für Kardinalzahlen und , gelten die erwarteten Regeln
,
.

Summe u​nd Produkt stehen ferner d​urch den Satz v​on König i​n Beziehung, w​as zu wichtigen Ungleichungen führt.

Potenzierung

Das Potenzieren von Kardinalzahlen erweist sich als wesentlich interessanter, da dies die Frage nach zusätzlichen Axiomen der Mengenlehre aufwirft. Schon die naheliegende Frage, ob gilt, die sogenannte Kontinuumshypothese, lässt sich mittels ZFC nicht entscheiden. In der folgenden Darstellung wird es darum gehen, für die Potenz einen geschlossenen Ausdruck oder eine andere Potenz mit kleineren Kardinalzahlen zu finden. Die wegen der Fallunterscheidungen zunächst unübersichtlich erscheinende Situation vereinfacht sich, wenn man zusätzliche Axiome zur Mengenlehre hinzunimmt. Wir beginnen mit den wichtigen Zweierpotenzen und wenden uns dann den allgemeinen Potenzen zu.

Kontinuumsfunktion

Die Zweierpotenzen zur Basis sind Mächtigkeiten von Potenzmengen, denn ist offenbar eine Bijektion von auf die Potenzmenge von . Die Funktion wird auch Kontinuumsfunktion genannt.

Die folgenden Abkürzungen werden im nachfolgenden Satz über diese Potenzen verwendet: Ist eine Kardinalzahl, so bezeichne ihre Konfinalität. Mit sei das Supremum über alle mit bezeichnet, wobei eine Limes-Kardinalzahl sei. Dann hat man:

  • Für Kardinalzahlen gilt .
  • für unendliche Kardinalzahlen .
  • für Limes-Kardinalzahlen .

Führt man schließlich noch die sogenannte Gimel-Funktion ein, so kann man die Zweierpotenzen durch diese Gimel-Funktion und Zweierpotenzen mit kleineren Exponenten ausdrücken:

  • für Nachfolger-Kardinalzahlen .
  • für Limes-Kardinalzahlen, wenn die Kontinuumsfunktion unterhalb schließlich konstant wird.
  • für Limes-Kardinalzahlen, wenn die Kontinuumsfunktion unterhalb nicht schließlich konstant wird.

Dass die Kontinuumsfunktion unterhalb schließlich konstant wird, bedeutet, dass es ein gibt, so dass für alle konstant ist.

Aus dem Satz von König folgt für jede Kardinalzahl die Ungleichung .

Allgemeine Potenzen

Für unendliche Kardinalzahlen und gilt:

  • Ist , so ist .

Man hat es also mit den oben behandelten Zweierpotenzen zu tun. Der Fall erfordert weitere Unterfälle:

  • Ist und gibt es ein mit , so ist .
  • Ist und für alle , so ist .

Die Situation vereinfacht sich, wenn man ZFC durch die sogenannte Singuläre-Kardinalzahlen-Hypothese erweitert. Diese besagt, dass für singuläre Kardinalzahlen mit die Gleichung bestehen soll, wobei die Nachfolger-Kardinalzahl zu ist. Damit lässt sich die Potenz von Kardinalzahlen bereits etwas kompakter darstellen:

  • Unter der Annahme der Singuläre-Kardinalzahl-Hypothese gilt für zwei unendliche Kardinalzahlen:

Die Singuläre-Kardinalzahl-Hypothese f​olgt aus d​er verallgemeinerten Kontinuumshypothese. Setzt m​an sogar letztere voraus, erhält m​an die denkbar einfachsten Potenzierungsgesetze:

  • Unter der Annahme der verallgemeinerten Kontinuumshypothese gilt für zwei unendliche Kardinalzahlen:

Hausdorff-Formel

Ohne zusätzliche Axiome g​ilt die 1904 v​on Felix Hausdorff bewiesene u​nd nach i​hm benannte Formel

für alle Ordinalzahlen und und alle natürlichen Zahlen .[1]

Formel von Bernstein

Auf Felix Bernstein g​eht die a​uch als Bernsteinscher Alephsatz bezeichnete Formel

für alle Ordinalzahlen und alle natürlichen Zahlen zurück,[1] die sich leicht aus der Hausdorff-Formel ergibt.

Vergleich mit Ordinalzahlarithmetik

Zwar werden d​ie Kardinalzahlen a​ls Teilklasse d​er Ordinalzahlen aufgefasst, a​ber die o​ben beschriebenen Kardinalzahloperationen s​ind nicht d​ie Einschränkungen d​er gleichnamigen Operationen zwischen Ordinalzahlen. Bezeichnet m​an die Ordinalzahloperationen m​it einem Punkt, s​o gilt etwa

,

für Kardinalzahlen hingegen g​ilt nach Obigem

.

Die Ordinalzahl ist nicht einmal eine Kardinalzahl, denn ist gleichmächtig zu , aber eine Kardinalzahl ist stets die kleinste unter allen gleichmächtigen Ordinalzahlen.

Literatur

  • Thomas Jech: Set Theory. 3rd millennium edition, revised and expanded, corrected 4th print. Springer, Berlin u. a. 2006, ISBN 3-540-44085-2, insbesondere Kapitel 5.
  • Dieter Klaua: Allgemeine Mengenlehre. Ein Fundament der Mathematik. Akademie-Verlag, Berlin 1964.

Einzelnachweise

  1. s. Klaua, 1964, VII., § 38, S. 512.
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