Johanna Diehl
Johanna Diehl (* 1977 in Hamburg) ist eine deutsche Künstlerin, Fotografin und Professorin. Sie lebt und arbeitet in Berlin.
Beruflicher Werdegang
Diehl hat an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig zunächst bei Timm Rautert und dann als Meisterschülerin bei Tina Bara studiert.[1] Außerdem besuchte sie während eines Gastaufenthaltes an der École nationale supérieure des beaux-arts de Paris die Klassen von Jean-Marc Bustamante und Christian Boltanski und arbeitete mit dem Gastprofessor Boris Mikhailov an einem Projekt in Odessa.
Nach ihren Serien Displace, Borgo und der zuletzt in der Pinakothek der Moderne in München ausgestellten Serie Ukraine Series, gilt Johanna Diehl laut der Sendung ARTE metropolis als „Archäologin der jungen deutschen Fotografie“.
Seit 2019 ist Diehl Professorin für Fotografie der Fakultät Gestaltung an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt.[2]
Werke (Auswahl)
Borgo Romanià Alleanza (2012/2014)
Potemkinsche Dörfer zwischen Pinien: In ganz Italien wurden unter Mussolinis Diktatur sogenannte Borghi gebaut, am Reißbrett geplante Mustersiedlungen im Sinne der faschistischen Agrarreform. Besonders in Sizilien stehen sie nach wie vor leer, sind Kulissendörfer geblieben. Diehl nimmt in ihrer puristisch-konzeptuellen Serie Borgo mit der Plattenkamera über zwanzig dieser utopischen Plansiedlungen auf und zeigt sie als geisterhafte Theaterszenerien, mitsamt Parteigebäuden und Triumphbögen. In der Folge Romanità untersucht die Künstlerin Materialien und Bildprogramme öffentlicher Gebäude Roms aus dieser Zeit: Marmor und martialische Fresken schlagen historische Bögen vom alten Rom bis zum Faschismus und bestimmen bis heute die Atmosphäre in Ministerien und im Kongresszentrum der Stadt. Im Zentrum von Diehls Arbeiten steht die Frage, wie Rhetoriken der Macht durch Architektur auf das einzelne Subjekt wirken. In Alleanza geht es um die machtvolle Allianz zwischen Kirche und Staat in den Jahren der Diktatur, wie sie in der Formensprache damaliger pathetischer Kirchenbauten Ausdruck fand. „Johanna Diehls fotografischer Blick ist konzeptuell. Erst formt sie eine Idee, ein Thema. Dann geht sie auf die Suche nach ihren Motiven und auf Reisen entstehen dann ihre konzentrierten Werke. (...) Die Kunst der Fotografie, Schärfe, Licht und Perspektive präzise einzusetzen, erreicht bei Johanna Diehl den perfekten Grad. Sie ist eine Ausnahmefotografin.“[3] Hierzu ist 2014 eine Publikation bei Hatje Cantz erschienen.[4]
Displace (2009)
Der Titel Displace, was sowohl „Vertreiben“ als auch „Ersetzen“ bedeutet, verweist auf die in den Fotografien charakteristische Abwesenheit der Menschen, die ihre Heimat und ihre Gebetsstätten – Moscheen im christlich-orthodoxen Süden sowie Kirchen im muslimischen Norden – verlassen mussten. Zugleich beschreibt dieser Begriff aber auch den Vorgang der Umwidmung und des Wiederbeschreibens durch eine andere Volksgruppe, die sich in den verlassenen Dörfern neu angesiedelt hat. „Es ist vor allem die überraschende Verknüpfung von objektiver Bildsprache und Diehls fotografischer Interpretation des vieldeutigen Bildgegenstands, die den Betrachter verwirren und zum genaueren Hinsehen animieren.“[5] Diese Arbeit wurde 2011 im Fotohof Salzburg publiziert.[6]
Ukraine Series (2013/2015)
2013 besuchte Johanna Diehl ehemalige Synagogen auf dem Gebiet der heutigen Ukraine. Während der deutschen Besatzung teilweise zerstört, wurden diese unter der sowjetischen Herrschaft völlig zweckentfremdet: als Autowerkstatt, Essigfabrik, Krankenstation, Kino, Näherei, Sporthalle oder KGB-Gefängnis. Die Gebäude verdeutlichen die rücksichtslose Machtdemonstration der einen oder der anderen Ideologie über die Synagoge als religiösem Kulturraum. Eine zugemauerte Thora-Nische oder historische Deckenmalereien, die unter einem abbröckelnden Anstrich wieder hervorscheinen, weisen manches Mal auf das reiche religiöse Leben hin, das über Jahrhunderte in diesen Räumen blühte. Die mit einer Großformatkamera gemachten einfühlsamen und zugleich schonungslosen Aufnahmen werden in der 2015 im Sieveking Verlag erschienenen Publikation durch sehr persönliche, literarische Texte von Juri Andruchowytsch bereichert, einem der renommiertesten ukrainischen Schriftsteller.[7]
Trivia
Diehl ist die Nichte des documenta-Gründers Arnold Bode.[8]
Einzelausstellungen (Auswahl)
- 2021 Broken Repertoire, Jahresausstellung des Kunstvereins Göppingen[9]
- 2019 In den Falten das eigentliche, Haus am Waldsee, Berlin
- 2017 Constellations, Galerie Wilma Tolksdorf, Frankfurt am Main
- 2016 Johanna Diehl und Claudia Wieser, Galerie der Villa Massimo, Rom
- 2016 Akademie Schloss Solitude, Stuttgart
- 2015 Ukraine Series, Pinakothek der Moderne, München
- 2015 Eurotopians, Oldenburger Kunstverein, Oldenburg
- 2015 SETS, Galerie Wilma Tolksdorf, Frankfurt am Main
- 2013 Eurotopians, Galerie Wilma Tolksdorf, Frankfurt am Main
- 2013 Displace, Hospitalhof, Stuttgart
- 2012 Borgo. Romanità, Overbeck-Gesellschaft, Kunstverein, Lübeck
- 2012 Galerie Fiebach, Minninger, Köln
- 2011 Borgo, Galerie Wilma Tolksdorf, Frankfurt am Main
- 2010 Displace, Oldenburger Kunstverein, Oldenburg
- 2010 Galerie Wilma Tolksdorf, Berlin
- 2010 Galerie Fiebach&Minninger, Köln
- 2009 Atelierfrankfurt, Frankfurt am Main; New Positions 2009; Art Cologne/ Förderkoje
- 2008 Das Gedächtnis der Orte, Stadtmuseum im Spital, Crailsheim
- 2007 Galerie Fiebach & Minninger, Köln
- 2007 Galerie Emmanuel Post, Leipzig
Gruppenausstellungen (Auswahl)
- 2017 "Vermisst – Der Turm der blauen Pferde von Franz Marc, Haus am Waldsee, Berlin
- 2016 "Not here yet", H2 Zentrum für Gegenwartskunst, Glaspalast Augsburg
- 2015 "Es war einmal ein Land", Heidelberger Kunstverein
- 2015 Freude Schöner Götter Funken, Galerie ABTART, Stuttgart
- 2014 Facts and Fiction, Multimedia Art Museum, Moskau
- 2013 Internationaler Welde Kunstpreis für Fotografie, Alte Feuerwache Heidelberg
- 2013 Religion&Riten, Art Foyer DZ Bank Kunstsammlung
- 2012 Paris Photo, Grand Palais, Paris
- 2012 Wie zusammen leben?, Salzburger Kunstverein
- 2012 Über-Zeit / Showing the case: Showcase #2, Heidelberger Kunstverein
- 2012 Bildspuren – Unruhige Gegenwarten, Darmstädter Tage der Fotografie
- 2012 Viaggio in Italia / Italienische Reise, Werkschauhalle, Baumwollspinnerei Leipzig
- 2011 Nachbilder – Junge Fotografie, Schloss Ritzebüttel, Cuxhaven
- 2011 G#11, Galerie Fiebach, Minninger, Köln
- 2011 SCHAURAUM II, KG Freiräume, Hallein (Österreich)
- 2011 Selection/Auswahl, Photoforum PasquArt, Biel/Bienne
- 2010 Re-Envisioning Cyprus, Pantheon Gallery, Nicosia/Zypern
- 2010 Enovos Preis Junge Kunst 2010, Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen
- 2010 10 Jahre Kunstverein, Palais für aktuelle Kunst, Glückstadt
- 2010 REMINDER, The Forgotten Bar Project, Galerie im Regierungsviertel, Berlin
- 2010 International Festival for Photography & Video, Gallery Iang, Seoul/Korea
- 2010 Im Verborgenen, F-Stop Fotografiefestival, Leipzig
- 2009 No Sound of Music, Salzburger Kunstverein (Österreich)
- 2009 Parcours, KG Freiräume, Hallein (Österreich)
- 2009 Stille Welt – Realität und Symbolik der Dinge, Städtische Galerie Traunstein
- 2008 Vertrautes Terrain – Aktuelle Kunst in und über Deutschland, ZKM Karlsruhe
- 2008 Zeitbilder, Marta-Hoepffner-Gesellschaft für Fotografie, Stadtmuseum Hofheim am Taunus
- 2007 R.O.T.-die vierzehnte, Leipziger Jahresausstellung, Leipzig
- 2007 Frozen Moments, Galerie Christa Burger, München
- 2007 F-Stop-1. Internationales Fotografiefestival Leipzig, ZZF Leipzig
- 2007 Ortswechsel, Atelierfrankfurt, Frankfurt am Main
- 2005/2006 THE LEIPZIG LENS, German Embassy, London
- 2005 The Glasgow School of Art, Glasgow
- 2005 Caxap-Zucker, Galerie Aspekte, München
- 2005 Kalte Herzen, Klasse Rautert, Kunstverein Radolfzell
- 2005 Si jeunes, on ne se retrouvera plus, Galerie Droite, ENSBA, Paris
- 2005 Kalte Herzen, Klasse Rautert, Kunstbunker Tumulka, München
- 2004 Auf der Suche nach Identität, Kunsthalle Villa Kobe Halle
- 2002/2003 CAXAP-Zucker, HGB Leipzig
- 2002/2003 Silver & Gold, Klasse Rautert, Städtische Galerie Wolfsburg, Palais für aktuelle Kunst, Glückstadt/ Festspielhaus Hellerau, Dresden/ Galerie 20.21, Essen
Auszeichnungen
Johanna Diehl erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Dazu zählen unter anderem das Arbeitsstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung (EHF) (2016), der Stiftung Kunstfonds Bonn (2014), der Robert Bosch Stiftung (2012), des DAAD, der Stiftung Kulturwerk, der Rudolf Augstein Stiftung, der Akademie Schloss Solitude, Stuttgart (2015), sowie der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo für die Casa Baldi.
Ihr Buch „Borgo, Romanità, Alleanza“, erschienen 2014 bei Hatje Cantz, erhielt den Deutschen Fotobuchpreis in Silber.
Monographien, Kataloge, Künstlerbücher
- Johanna Diehl/Niklas Maak Eurotopians – Fragmente einer anderen Zukunft, Hirmer Verlag, München 2017, ISBN 978-3-7774-2883-3[10]
- Vermisst – der Turm der blauen Pferde von Franz Marc – Hg. Haus am Waldsee, Berlin, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2017
- Religion und Riten – Hg. DZ Bank Art Foyer, Frankfurt am Main 2012
- Johanna Diehl. Ukraine Series – mit Texten von Juri Andruchowytsch und einer Einleitung von Bernhard Maaz, Sieveking Verlag,[11] München/Berlin 2015, ISBN 978-3-9448-7414-2
- Johanna Diehl. Borgo. Romanità. Alleanza – Hatje Cantz, Ostfildern 2014, ISBN 978-3-7757-3879-8[12]
- Johanna Diehl. Displace – Fotohof, Salzburg 2011, ISBN 978-3-902675-28-6[13]
- Re-Envisioning Cyprus – University of Nicosia Press, Nicosia/Zypern 2010
- Im Verborgenen / In the Hidden – Zentrum für Zeitgenössische Fotografie Leipzig, Kehrer Verlag, Heidelberg – Berlin 2010
- JUNGE KUNST 2010 – Enovos – Hg. Wilhelm Hack Museum Ludwigshafen am Rhein; Enovos Deutschland AG 2010
- photo speaks 2010 – Hg. The society of Korean Photography 2010
- Vertrautes Terrain – Aktuelle Kunst in und über Deutschland – Hg. Gregor Jansen / Thomas Thiel, Kehrer Verlag Heidelberg 2009
- Zeitbilder – Marta Hoepffner-Preis für Fotografie 2008 – Hg. Magistrat der Stadt Hofheim am Taunus Stadtmuseum/Stadtarchiv und Marta Hoepffner Gesellschaft für Fotografie e.V., Hofheim am Taunus 2008
- R.O.T.-die vierzehnte – Hg. Leipziger Jahresausstellung e.V., Leipzig 2007
- F/STOP- 1.Internationales Fotografiefestival Leipzig 2007, Hg. Zentrum für Zeitgenössische Fotografie Leipzig e.V., 2007
- CAXAP/Zucker – Zwölf Tage in Odessa, Deutscher Kunstverlag München Berlin und Hochschule für Grafik und Buchkunst, 2005
- Echtes Leipziger Allerlei, Hochschule für Grafik und Buchkunst, 2004
- Kalte Herzen, Schaden.com Buchhandlung GmbH, 2004
- Silver&Gold, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2003
Weblinks
- http://www.johannadiehl.com (Website der Künstlerin)
Einzelnachweise
- Artnet: Johanna Diehl. (16. August 2013)
- Prof. Johanna Diehl – Fakultät Gestaltung Würzburg. Abgerufen am 4. März 2021.
- Swantje Karich, »Verloren in Vollkommenheit«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Januar 2012, Nr. 6, S. 37
- Johanna Diehl, Borgo. Romanità. Alleanza, Ostfildern (Hatte Cantz) 2014
- Miriam Paeslack, »Übersetzungen, Raum und Gedächtnis«, in: Johanna Diehl, Displace, Fotohof edition, Salzburg 2012, o. S.
- Johanna Diehl, Displace, Salzburg (Fotohof edition) 2011
- Johanna Diehl, Ukraine Series, München/Berlin (Sieveking Verlag) 2015
- Großmutter, warum hast du nichts erzählt? Abgerufen am 25. Februar 2021.
- BROKEN REPERTOIRE. Johanna Diehl. In: Kunstverein Göppingen. Abgerufen am 4. März 2021 (deutsch).
- Eurotopians: Fragmente einer anderen Zukunft | Hirmer Verlag. Abgerufen am 3. Dezember 2019.
- Johanna Diehl. Ukraine Series. In: Sieveking Verlag. Abgerufen am 3. Dezember 2019 (englisch).
- Johanna Diehl | Fotografie | Hatje Cantz Verlag. Abgerufen am 3. Dezember 2019.
- Fotohof | GESAMTPROGRAMM. Abgerufen am 3. Dezember 2019.