Joaquín La Habana
Joaquín La Habana (* 30. August 1952 in Havanna, Kuba) ist ein interdisziplinärer queerer Künstler, dessen Schaffen sich zwischen Gesang, Tanz, Show, Travestie und (experimentellem) Film bewegt.
Leben und Werk
In Kuba geboren, wanderte La Habana 1966 in die USA aus und begann dort bereits als Teenager seine künstlerische Ausbildung. In Boston nahm er Unterricht in klassischem Gesang und Tanz, mit den Schwerpunkten Modern Dance und Afrokaribischer Tanz bei Lehrern wie Talley Beatty und den (ehemaligen) Mitgliedern des Alvin Ailey American Dance Theater Geoffrey Holder und James Truitte.[1]
In den 1970er Jahren lebte La Habana in New York, wo er kleine Rollen als Tänzer am Broadway und in Musicalfilmen wie Hair und The Wiz übernahm. Gleichzeitig begann er sich mit dem Genre Drag/Travestie zu beschäftigen, und lebte für einige Zeit auch im Alltag eine weibliche Identität.[2] Er trat im Studio 54 mit Gesangs- und Tanznummern auf, die mit Androgynität und Geschlechterwechsel spielen und selbstironisch die Erwartungen an seine kubanische Herkunft unterwandern, u. a. in Anlehnung an Josephine Baker[3]. La Habana wirkte im Off-Off-Broadway im Umfeld der queeren Theateravantgarde des La MaMa E.T.C., Charles Ludlam und Jack Smith, und spielte eine Hauptrolle im queeren Experimentalfilm Love Thing[4].
Seit 1981 lebt La Habana in Berlin. Sein Einstieg in die deutsche Theaterlandschaft erfolgte 1982 mit dem Travestiekabarett Chez Nous, wo er mit seinen androgynen Performances durch die deutschen Provinzen von Helmstedt bis Timmendorf tourte.[5] Mit dem sozialkritischen und politischen Anspruch seiner Nummern stieß er jedoch schnell an die Grenzen der klassischen Travestie.[6] Im Rahmen des homosexuellen Theaterfestivals Stern.Zeichen II am Theater am Turm, Frankfurt, präsentierte 1983 La Habana dann den Androgyn-Abend[7], eine multimediale Performance über Genderkonzepte in verschiedenen Epochen und Kulturen. Als Solist war er in Inszenierungen von La Cage aux Folles in verschiedenen Stadttheatern zu sehen, wie auch von 1982 bis 2017 (mit Unterbrechungen) im Berliner Revuetheater La Vie en Rose. La Habana wirkte in verschiedenen Filmen von Rosa von Praunheim mit, u. a. gemeinsam mit Angie Stardust in Stadt der verlorenen Seelen (1983).
Ab den 1990er Jahren zeigt La Habana vornehmlich „Götterperformances“ wie Caravan of Gods (1989) oder Tanz der Orishas (2015) sowie afrokubanische Tanz- und Musikshows, mit denen er im Ethnologischen Museum in Berlin-Dahlem, Haus der Kulturen der Welt, Werkstatt der Kulturen, zahlreichen Berliner Stadtteilfesten aber auch auf großen Show-Events am Brandenburger Tor und der EXPO 2000 Hannover zu sehen war.
1996 bis 2009 nahm er regelmäßig am Karneval der Kulturen teil, teilweise mit eigenen Ensembles von bis zu 60 Personen, wo er u. a. im Format des Straßenumzugs die (Kolonial-)Geschichte Kubas durch afrokubanische Tänze erzählt hat.
Joaquín La Habana praktiziert als Santería-Priester, und gibt regelmäßig Workshops und Seminare zu Musik- und Performanceaspekten afrokubanischer Kultur. Er lebt und arbeitet in Berlin.
Filmografie
- 1972: Joaquín (Dokumentarfilm) – Regie: Serge Raoul
- 1978: The Wiz – Das zauberhafte Land – Regie: Sydney Lumet
- 1980 (2012): Love Thing; u. a. mit Jack Smith – Regie: Michael Mannetta
- 1979: Hair – Regie: Miloš Forman
- 1981: The Bronx – Regie: Daniel Petrie
- 1983: Stadt der verlorenen Seelen – Regie: Rosa von Praunheim
- 1984: Horror Vacui – Regie: Rosa von Praunheim
- 1984: Drama in Blond – Regie: Lothar Lambert
- 1986: Ein Virus kennt keine Moral – Regie: Rosa von Praunheim
- 2007: Die Kunst der Verführung (Kurzfilm) – Regie: Bernhard P. Beutler
- 2013: Joaquín La Habana – LebenZwischenWelten (Dokumentarfilm) – Regie: Bernhard P. Beutler
- 2017: Überleben in Neukölln – Regie: Rosa von Praunheim
Bibliografie
- Gilles Larrain: Idols. New York, Links 1973 (Neuauflage 2011).
- Veretta Cobler: New York Underground 1970-1980. New York, Parkstone 2004.
- Norbert Kosmowski, Ronald Dittrich (Hrsg.): Male Performance. Berlin, borderline 1986, S. 11–15.
Weblinks
- Joaquín La Habana in der Internet Movie Database (englisch)
- Joaquín La Habana, Porträt auf der Homepage der Künstler*innenvermittlung AHOI
- Interview mit Joaquín La Habana auf We're in this together (in Englisch)
- Ausschnitte aus verschiedenen Performances auf YouTube
Einzelnachweise
- Interview mit Joaquín La Habana im Winter 2020/21, wereinthistogether.de.
- Joaquín (Dokumentarfilm). Regie: Serge Raoul. USA 1972.
- Fotografien dieser Performances finden sich in Gilles Larrain: Idols. New York, Links 1973 und Veretta Cobler: New York Underground 1970-1980. New York, Parkstone 2004.
- http://www.lovethingmovie.com/.
- Tourneeplan des Chez Nous, Europatournee 1982, SARCH.
- Interview mit Joaquín La Habana im Winter 2020/21, wereinthistogether.de.
- Androgyn-Abend: Faces – 1 Portrait – 3 Masken: Leben, Traum und Kampf, Uraufführung am 23. Dezember 1983, Theater am Turm. Vgl. auch röm: Bewegung zwischen Tag und Traum. Die Schau des Exilkubaners Joaquin La Habana. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 28. Dezember 1983, ISSN 0174-4909. Einen Ausschnitt aus einer späteren Fassung dieser Performance gibt es in der Sendung Berliner Nachtschwärmer vom 10. Juli 1984 (SFB).