Jenny De la Torre Castro
Jenny Ignacia De la Torre Castro (* 1954 in Nazca, Peru) ist eine peruanisch-deutsche Ärztin und Gründerin der Jenny De la Torre Stiftung für Obdachlose in Berlin-Mitte.
Leben
Jenny De la Torre Castro wuchs in Puquio (Ayacucho) in den peruanischen Anden auf. Sie war sieben Jahre alt, als ihre Mutter schwer erkrankte. Der einzige verfügbare Arzt wurde mitten in der Behandlung zu einem weiteren Notfall gerufen. Aufgrund des Ärztemangels nahm sie sich vor, später selbst einmal Ärztin zu werden.
1973 begann sie ihr Medizinstudium in Peru. Im Jahr 1976 erhielt sie ein Stipendium in der DDR. Bevor sie ihr Studium beginnen konnte, lernte sie am Herder-Institut in Leipzig deutsch. Anschließend begann sie 1977 ihr Studium an der Universität Leipzig und schloss es 1982 ab. Von 1983 bis 1990 folgte die fachärztliche Ausbildung zur Kinderchirurgin an der Berliner Charité.
Nach dem Studium kehrte sie das erste Mal nach Peru zurück, um dort zu arbeiten, bekam aber keine Genehmigung, da ihr bisheriger Abschluss nicht anerkannt wurde. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland machte sie 1990 an der Berliner Charité ihren Facharzt als Kinderchirurgin und promovierte in Berlin-Buch. Danach kehrte sie erneut nach Peru zurück, doch bürokratische Hindernisse standen einer Anerkennung ihrer Abschlüsse entgegen, weshalb sie wiederum nach Europa zurückkehrte. Ab 1991 arbeitete sie in verschiedenen Krankenhäusern im deutschsprachigen Raum.
Seit 1998 ist sie Gastdozentin an der Charité. 2002 gründete sie mit dem Preisgeld, aus der Verleihung der Goldenen Henne, einer ihr verliehenen Auszeichnung, die Jenny De la Torre-Stiftung zur Gesundheitsversorgung von Obdachlosen. Sie ist laut den Statuten der Stiftung Stiftungsvorsitzende auf Lebenszeit.
Soziales Engagement
Während ihrer ersten Jahre als Ärztin beriet De la Torre 1992/93 ein Projekt für Schwangere und Mütter, welche in Not geraten waren.
Ab 1994 begann sie, bei einem Tochterunternehmen der Berliner Ärztekammer, obdachlose Menschen am Berliner Ostbahnhof zu behandeln. Mit der Zeit wurde sie für die obdachlosen Patienten zu „ihrer Frau Doktor“. Jenny De la Torre reiste umher, hielt Vorträge und machte bei Reden und in Interviews auf das Problem der Obdachlosigkeit aufmerksam.
Ehrenamtliche Helfer unterschiedlichster Fachrichtungen unterstützten das Projekt zunehmend. Besonders wichtig ist bis heute die Unterstützung unterschiedlicher Fachärzte im Gesundheitszentrum für Obdachlose.
Für ihr soziales Engagement wurde sie mehrfach geehrt und wurde 2002 Botschafterin beim Verbundnetz der Wärme,[1] einer Initiative zur Unterstützung von ehrenamtlich Tätigen. Mit dem Preisgeld für die Verleihung der Goldenen Henne im gleichen Jahr konnte sie ihre neugegründete Stiftung finanziell ausstatten und ihren Traum wahr werden lassen: ein Gesundheitszentrum für Wohnungslose. Eine ehemalige Schule in Berlin-Mitte, die zuvor 10 Jahre leer stand, wurde dafür mit Sach- und Finanzspenden umgebaut, die Eröffnung fand am 6. September 2006 statt. Das Zentrum bietet neben ärztlicher und auch zahnärztlicher Behandlung auch eine Kleiderkammer, eine Suppenküche, einen Sozialdienst sowie juristische und psychologische Beratung. Das Haus und die Gehälter der Angestellten werden ausschließlich aus Spenden finanziert.[2]
Jenny De la Torre definiert Obdachlosigkeit als „soziale Krankheit“[3] – eine Einschätzung, die in Fachkreisen nicht übernommen wird, da der Begriff Krankheit die gesellschaftlichen Ursachen von Wohnungslosigkeit ausblendet.
Ehrungen
- 1997: Bundesverdienstkreuz durch Roman Herzog
- 1997: Ehrenbürgerwürde ihrer Heimatstadt Nazca
- 2002: Goldene Henne
- 2010: Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin
- 2011: CharityAward
- 2013: Louise-Schroeder-Medaille
- 2015: Deutscher Stifterpreis des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen[4]
- 2015: Carola-Gold-Preis für gesundheitliche Chancengleichheit
- 2018: Zipfelpreis des Zipfelbundes
Literatur
- Jenny De la Torre: Die juvenile und die aneurysmatische Knochenzyste im Kindesalter: Eine Analyse des Krankengutes der Kinderchirurgischen Klinik des Klinikum Berlin-Buch im Berichtszeitraum von 1968 - 1990. Berlin 1990 (Dissertation, Akademie für Ärztliche Fortbildung).
- Jenny De la Torre: Besonderheiten der Wundversorgung bei obdachlosen Menschen. In: Chirurgische Allgemeine. 12. Jahrgang, 2011, Heft 11/12, S. 667–670.
- Gabriele Goettle: Die Ärztin der Armen. Besuch bei Jenny de la Torre Castro in Berlin-Mitte. In: taz. 30. Dezember 2013.
Weblinks
- Website der Jenny De la Torre Stiftung
- Frauke Lüpke-Narberhaus: Ärztin der Ungeduschten. In: Die Zeit. Nr. 34, 2010
- Zipfelpreis für die Jenny De la Torre-Stiftung. Zipfelbund, 2018
- Seit zehn Jahren gibt es das Gesundheitszentrum für Obdachlose. Berliner Woche, 8. September 2016
Einzelnachweise
- Jenny de la Torre, Berlin. Webseite der Initiative Verbundnetz der Wärme, abgerufen am 6. Januar 2017.
- Jenny De la Torre im Interview mit Verena Mayer und Saskia Reis: Geld allein löst nicht das Problem. Die Berliner Ärztin Jenny De la Torre behandelt seit Jahrzehnten Menschen, die kein Zuhause haben. Ein Gespräch über die Härten der Straße, das Leben im Sozialismus und die schwierige Frage, wie eine Gesellschaft ohne Obdachlosigkeit erreicht werden kann. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 187, 14./15./16. August 2020, S. 30.
- Das Gesundheitszentrum. Webseite der De la Torre-Stiftung, abgerufen am 6. Januar 2017.
- Berliner Obdachlosen-Ärztin Jenny De la Torre Castro erhält Deutschen Stifterpreis. Pressemitteilung Bundesverband Deutscher Stiftungen, 8. Mai 2015 (Memento vom 27. März 2016 im Internet Archive).