Jeanne Calment
Jeanne Louise Calment (* 21. Februar 1875 in Arles, Frankreich; † 4. August 1997 ebenda) war eine französische Altersrekordlerin. Sie hält seit 1990 den Rekord des höchsten erreichten Lebensalters eines Menschen. Sie war der erste Mensch, der erwiesenermaßen sein 116. sowie die jeweils darauf folgenden Lebensjahre bis einschließlich des 122. vollendete.
Leben
Die in Arles geborene Südfranzösin war die Tochter des Schiffbauers Nicolas Calment (1838–1931) und seiner Frau Marguerite Gilles (1838–1924), die einer Müllersfamilie entstammte. Jeanne Calments Bruder war François Calment (1865–1962).
Jeanne heiratete am 8. April 1896 Fernand Nicolas Calment (1868–1942), einen Cousin zweiten Grades – ihre Großväter waren Brüder. Er war ein vermögender Ladenbesitzer und versetzte Jeanne Calment in die Lage, nie viel arbeiten zu müssen und Hobbys wie dem Tennissport, Radfahren, Schwimmen, Rollschuhlaufen, Klavierspielen und der Opernkunst nachgehen zu können. Ihr Mann starb im Jahr 1942 an einer Vergiftung durch einen Nachtisch mit verdorbenen, eingemachten Kirschen. Calments Tochter, Yvonne (1898–1934), starb an einer Rippenfellentzündung, die infolge einer Tuberkulose-Erkrankung ausgelöst worden war. Danach zog sie ihren Enkel Frédéric (1926–1963) groß, der später Arzt wurde und im Alter von 36 Jahren bei einem Motorradunfall ums Leben kam. Zwei Jahre nach dem Tod des Enkels verkaufte die damals 90-Jährige ihre Wohnung gegen Zahlung einer Leibrente von 2500 Francs pro Monat an den 47-jährigen Rechtsanwalt Andre-François Raffray. Nach ihrem Tod sollte die Wohnung an Raffray fallen. Raffray erlebte das Ende seiner Zahlungsverpflichtung jedoch nicht mehr. Als er im Dezember 1995 mit 77 Jahren an Krebs verstarb, musste seine Witwe die Rentenzahlungen fortsetzen. Die rund 900.000 Francs, die er bis dahin bezahlt hatte, entsprachen dem doppelten Marktpreis der Wohnung.[1]
Internationale Bekanntheit erlangte sie im Alter von 113 Jahren, als sie davon berichtete, wie sie als 14-Jährige 1889 dem Maler Vincent van Gogh begegnet sei. Dieser habe in einem Geschäft, das ihren zukünftigen Verwandten gehörte und in dem sie Verkäuferin war, Malerbedarf gekauft. Calment wusste jedoch nichts Positives über ihn zu berichten: Nach ihren Aussagen stand sie einem schmutzigen, schlecht gekleideten und unhöflichen Menschen gegenüber. Sie erinnerte sich außerdem an den Bau des Eiffelturms.[2]
Nach einem Interview sprach ihr das Guinness-Buch der Rekorde den Titel des ältesten lebenden Menschen zu. Kurz darauf wurde dieser jedoch an die US-Amerikanerin Carrie White vergeben, deren Lebensdaten inzwischen allerdings widerlegt wurden.[3] Nach Whites Tod 1991 erhielt Calment den Titel zurück. Im selben Jahr hatte sie einen Kurzauftritt als sie selbst in dem Film Vincent et moi („Vincent und ich“). In einem kurzen Interview sagt sie, Vincent van Gogh sei hässlich gewesen. Es folgten 1995 der Dokumentarfilm Au-delà de 120 ans avec Jeanne Calment („Jenseits der 120 Jahre mit Jeanne Calment“) und 1996 die CD Maîtresse du temps („Herrin der Zeit“), auf der sie zu Techno-Rhythmen ihre Lebenserinnerungen sprach. Sie tat dies vor allem, um ein paar Kleinbusse für ihr Altersheim finanzieren zu können. Das Altersheim, in dem Calment ihre letzten Lebensjahre verbrachte, trägt heute ihren Namen.
Am 12. Mai 1990 übertraf sie das Alter der in Deutschland geborenen US-Amerikanerin Augusta Holtz, die nach heutigem Forschungsstand bis dahin den menschlichen Altersrekord hielt.
Calment starb 1997 mit 122 Jahren und 164 Tagen, der bis heute längsten validierten Lebensspanne. Ihr Fall wurde unter allen Supercentenarians am umfassendsten dokumentiert.[4] Sie wurde auf dem Cimetière de Trinquetaille ihrer Heimatstadt Arles beigesetzt.[5]
Gesundheit
Calment fing mit 85 das Fechten an und fuhr noch als 100-Jährige Fahrrad. Bis zum Alter von 110 lebte sie alleine, erst 1985 zog sie in ein Altersheim. Bei einem Sturz im Alter von 115 Jahren brach sie sich zwei Knochen und war nach einer Operation fortan auf den Rollstuhl angewiesen. Blind und fast taub erlebte Calment ihre letzten Jahre, blieb aber geistig rege. Sie tat nach eigenen Aussagen nie etwas Besonderes, um gesund zu bleiben.
Jeanne Calment war seit 1896 Raucherin und versuchte erst 1992, mit 117 Jahren, das Rauchen aufzugeben, kehrte jedoch ein Jahr später wieder zum Rauchen zurück. Endgültig Schluss war allerdings wiederum ein Jahr darauf im Alter von 119 Jahren. Infolge ihrer Blindheit war sie nicht mehr in der Lage, sich selbst eine Zigarette anzuzünden, und sie hasste es, andere um Hilfe zu bitten. Laut ihrem Arzt spielten dabei keine gesundheitlichen Aspekte, sondern vielmehr Calments Stolz eine Rolle. Sie selbst führte ihr Alter auf den Genuss von Olivenöl, Knoblauch, Gemüse und Portwein zurück. Laut dem Spiegel war Calments Lieblingsgericht „Aioli mit viel Knoblauchzehen“.[6]
Betrugsvorwürfe
Zwei russische Wissenschaftler, der Mathematiker Nikolai Sak und der Gerontologe Waleri Nowoselow, äußerten im Jahr 2018 den Verdacht, dass es sich bei Jeanne Calments Altersrekord um einen Betrugsfall handeln könnte. Ihre These[7] ging davon aus, dass Calment im Jahre 1934 starb und ihre 1898 geborene Tochter Yvonne (die damals offiziell an einer Rippenfellentzündung starb) ihre Identität annahm, um die Erbschaftsteuer zu sparen. Als Indizien nannten Sak und Nowoselow unter anderem Abweichungen in den früheren Angaben, konkret in den 1930er Jahren, zu Augenfarbe und Körpergröße in offiziellen Dokumenten. Zum Beweis ihrer These schlugen sie eine Exhumierung und Obduktion vor.[8][9] Diesen Zweifeln wurde im Jahr 2019 jedoch mit statistischen und historischen Argumenten entgegengetreten; die Identität Calments ließ sich angabegemäß belegen.[10] In einer ausführlichen Reportage im New Yorker kam auch Lauren Collins 2020 zu dem Schluss, dass für einen Identitätswechsel mit der Tochter zu viele Personen eingeweiht gewesen sein müssten, um die Theorie glaubhaft zu machen.[11]
Siehe auch
Literatur
- Michel Allard, Victor Lèbre, Jean-Marie Robine: Les 120 ans de Jeanne Calment: doyenne de l’humanité. Le Grand livre du mois, Paris 1995 (französisch).
- Englische Ausgabe: Jeanne Clament. From Van Goghs time to ours („Les 120 ans de Jeanne Calment. Doyenne de l’humanité“). Freman, New York 1998, ISBN 0-7167-3251-3. (Enthält u. a. Interviews mit Jeanne Calment.)
- France Cavalié: Jeanne Calment. L’oubliée de Dieu. Editions TF!, Boulogne 1995, ISBN 2-87761-072-1.
- Jean-Marie Robine, Michel Allard: Jeanne Calment. Validation of the Duration of Her Life. In: Bernard Jeune (Hrsg.): Validation of Exceptional Longevity. Odense University Press, Odense 1999, ISBN 87-7838-466-4.
- Gabriel Simonoff u. a.: Jeanne Calment. Le passion de vivre. Editions du Rocher, Paris 1995, ISBN 2-268-01938-1.
Weblinks
- Anja Jardine: Wer war die Frau, die 122 wurde? , NZZ, 24. September 2021
- Lucien Degoy: A cent vingt ans, Jeanne Calment a l’âge de ses chromosomes. (Memento vom 18. April 2010 im Internet Archive) L’Humanité, 21. Februar 1995.
- Jeanne Calment – ein Rätsel der Langlebigkeit. „Supercentenarians“ auf der Website des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, abgerufen am 21. Februar 2015.
- Believed to be world’s oldest, woman in France dies at 122. Eintrag bei supercentenarian.com aus: Houston Chronicle News Services, 4. August 1997 (englisch)
- Bilder von Jeanne Calment im Alter von 20–122 Jahren (Webarchiv)
- Jeanne Calment in der Internet Movie Database (englisch)
Einzelnachweise
- Yuri Deigin: J’Accuse…! Why Jeanne Calment’s 122-year old longevity record may be fake. 24. Januar 2019, abgerufen am 13. Juli 2021 (englisch).
- World’s oldest person marks 120 beautiful, happy years. Associated-Press-Bericht in The Deseret News, 21. Februar 1995, Seiten A1–A2.
- Robert Young: Age 115 or more in the United States: Fact or Fiction? Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Abschnitt 3.3, S. 274–276 (PDF; 298 kB).
- J.-M. Robine, M. Allard: Jeanne Calment: Validation of the Duration of Her Life. In: Bernard Jeune, James W. Vaupel (Hrsg.): Validation of Exceptional Longevity.
- Das Grab von Jeanne Calment. In: knerger.de. Klaus Nerger, abgerufen am 21. Februar 2019.
- Oliver Schulz: Später Abgang. In: Der Spiegel. 10. August 1997, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 29. Oktober 2021]).
- (PDF) Jeanne Calment: the secret of longevity. Abgerufen am 13. Juli 2021 (englisch).
- www heuta at Heute: War die älteste Frau aller Zeiten eine Betrügerin? Abgerufen am 4. Januar 2019.
- Wissenschaftler glauben nicht an Altersrekord von Französin faz.net, abgerufen am 3. Januar 2019.
- NZZ: Nach Zweifel am Altersrekord von Jeanne Calment: Forscher bestätigen erneut ihr langes Leben. Abgerufen am 17. September 2019.
- „How many people would Yvonne have had to co-opt? Two notaries, a priest, a seven-year-old boy, a crowd full of mourners, a whole city? The theory made no sense [...]“; Lauren Collins: Was Jeanne Calment the oldest person who ever lived–or a fraud?, in: The New Yorker, 10. Februar 2020