Jean-Pierre Leguay
Leben und Wirken
Jean-Pierre Leguay bekam als blinder Musiker seine ersten Unterweisungen im Fach Orgel bei André Marchal und Gaston Litaize; es folgten Orgelstudien am Conservatoire de Paris bei Simone Plé-Caussade und Rolande Falcinelli sowie im Fach Komposition bei Olivier Messiaen. An dieser Lehranstalt gewann er als Mitglied der Orgelklasse von Rolande Falcinelli bereits im Jahr 1966 den 1. Preis für Orgel und Improvisation. Später gewann er die Improvisationswettbewerbe 1967 in Lyon und 1969 in Haarlem; auch gewann er einen Sonderpreis beim internationalen Kompositions-Wettbewerb 1985 in Erding (Bayern). Im darauf folgenden Jahr ehrte ihn die Pariser Académie des Beaux-Arts mit dem P.-L.-Weiller-Kompositionspreis.
Leguay war von 1961 bis 1964 an der Pariser Kirche Notre-Dame-des-Champs Organist, außerdem wurde er 1968 zum Professor für Orgel, Orgelimprovisation und Musikgeschichte am Konservatorium in Limoges ernannt; diesen Lehrauftrag nahm er bis zum Jahr 1989 wahr. In diesem Jahr bekam er eine Professur für Orgel und Improvisation am Regionalkonservatorium (CRR) in Dijon, die er bis zum Jahr 2003 ausübte. Zuvor, im Jahr 1985, wurde er zusammen mit Yves Devernay, Olivier Latry und Pilippe Lefebvre als Nachfolger von Pierre Cochereau Titularorganist an der Kathedrale Notre-Dame in Paris und übte dieses Amt bis 2016 aus; hier wurde Vincent Dubois sein Nachfolger.
Bedeutung
Jean-Pierre Leguay gehört zur Schule des ebenfalls blinden, legendären Orgelmeisters André Marchal (1894–1980) und dessen Interpretations-Tradition. Leguays dissonanzenreiche und sehr farbige Musiksprache verschafften ihm einen herausragenden Ruf als Improvisator. Die eigenen Orgelkompositionen sind so angelegt, dass sie die typischen Eigenarten verschiedener Orgeln zur Geltung kommen lassen. Es gibt Aufnahmen seiner Sonate I und mehrerer seiner Préludes, und es ist eine CD mit seinen Improvisationen erschienen. Seine Diskografie enthält auch Werke von Haydn, Mozart, Beethoven, Brahms, Liszt, Gigout und Vierne.
Chronologische Werkliste
- »Cinq esquisses« (Fünf Skizzen) für Klavier und Orgel, 1959–1960
- »Prélude, trio de timbres, fugato« (Präludium, Glockentrio, Fugato) für Orgel, 1961
- »Au maitre de la paix« (Beim Meister des Friedens) für Orgel, 1963–1964
- »Cinq versets sur Veni Creator« (Fünf Versetten über Veni Creator) für Orgel, 1965
- »Sextuor« (Sextett) für Flöte, Oboe, Klarinette, Horn, Fagott und Klavier, 1967
- »Péan I« für Orgel, drei Posaunen, Marimba und Schlagzeug, 1968–2010
- »Gitanjâli« (Zigeunermäßiges) für großes Orchester, 1969
- »Aurore« (Morgenröte) für Flöte, Oboe, Violoncello und Harfe, 1969–1970
- »Péan II« für Trompete und Orgel, 1970–1971
- »Péan III« für Orgel, 1971–1972
- »Hexagonal« (Sechseckig) für Flöte und Harfe, 1972
- »Angle« (Winkel) für zwei Harfen, 1972
- »Flamme« (Flamme) für Oboe oder Altsaxophon, 1973
- »Sonate I« für Orgel, 1973–1974
- »Sève« für Altsaxophon und Klavier, 1974
- »Granit« (Granit) für vier Posaunen und Orgel, 1975
- »XIX Préludes« (19 Präludien) für Orgel, 1965–1975
- »Job« (Hiob) für Frauenchor und Orgel, 1976
- »Le matin sûrement va venir« (Der Morgen wird sicher kommen) für Ondes Martenot, Klavier und Schlagzeug, 1977
- »Trio« für Violine, Viola und Violoncello, 1978
- »Madrigal I« für vier Posaunen, 1979
- »Madrigal II« für Orgel, 1979
- »Préludes XX« für Orgel, 1980
- »Préludes XXI« für Orgel, 1980
- »Préludes XXII« für Orgel, 1980
- »Etoilé« (Voller Sterne) für Cembalo oder Orgelpositiv, kleine und große Flöte, Oboe, Englischhorn, Klarinette, Bassklarinette, Violine und Violoncello, 1981
- »Madrigal III« für Cembalo oder Orgelpositiv, 1982
- »Prélude XXIII« für Orgel, 1982
- »Madrigal IV« für Gitarre, 1982
- »Sonate II« für Orgel, 1982–1983
- »Madrigal V« für Orgel, 1983
- »Scabbs« für Altsaxophon und Kontrabass oder Bariton-Saxophon, 1983–1984
- »Souffle« (Hauch) für vierzehn Soloinstrumente, 1984
- »Madrigal VI« für vier Saxophone, 1985
- »Madrigal VII« für Orgel, 1985
- »Cinq pieces« (Fünf Stücke) für Viola, Kontrabass und Schlagzeug, 1985–1986
- »Aube« (Morgendämmerung) für Orgelpositiv und Kammerorchester, 1986
- »Vigiles« (Vorabende) für Vokalquartett oder kleinen Chor, Kinderchor, großen gemischten Chor, Orgelpositiv ad libitum, große Orgel, Posaune und Schlagzeug, 1986
- »Madrigal VIII« für Schlagzeug, 1986–1989
- »Chant d’airain« (Ehernes Lied) für Posaune solo, 1986
- »Prélude I« für Gitarre, 1986
- »Granit, version II« für zwei Trompeten, zwei Posaunen und Orgel, 1987
- »Madrigal IX« für Orgel, 1988
- »Chant« (Lied) für Frauenchor und Schlagzeug, 1989–1990
- »Quatuor« (Quartett) für Streicher, 1989–1995
- »Capriccio« für Orgel zwei- und vierhändig, 1990
- »Azur« (Himmelsblau) für Klavier, 1990–1991
- »Spicilège« für Orgel, 1992–1993
- »Horizon« (Horizont) für Orgel, 1995
- »Animato« für Orgel, 1995
- »Psaume XXI« (Psalm 21) für Vokal-Sextett a cappella, 1996–1997
- »Trois esquisses« (Drei Skizzen) für Flöte mit oder ohne Klavier, 1998
- »Secundum Matthaeum« für Tenor und Orgel, 1999
- »Missa Deo gratias« für Sopransolo, gemischten Chor, eine oder zwei Orgeln, Blechbläser und Schlagzeug, 1999–2000
- »Breve« für Orgel, M. Louise Girod gewidmet, 2000
- »Pater noster« für Tenor mit oder ohne Orgel, 2000–2001
- »Alleluia« für Tenor mit oder ohne Orgel, 2001
- »Sept pieces breves« (Sieben kurze Stücke) für Flöte und Orgel, 2003–2004
- »Péan IV« für Orgel, 2004
- »Sonate III« für Orgel, 2005–2006
- »Cinq reflets« (Fünf Abbilder) für Orgel, 2006
- »Et puis, et puis encore?« (Und dann, und dann nochmals?) [Besetzung nicht angegeben], 2008
- »Cendres d’ailes« (Die Asche der Flügel) für Tenorstimmen und Klavier über Gedichte von Henri Michaux, 2009–2010
- »Breve II« für Orgel, Maurice Moerlen gewidmet, 2010
- »Allume l’aube dans la source« (Anfang der Morgendämmerung in der Quelle), sechs Stücke für Klavier, 2010–2011
- »Et il chante l’aurore« (Und er besingt die Morgenröte) für Orgel, Joachim Fontaine gewidmet, 2012
Literatur (Auswahl)
- Elke Völker: Auf der Suche nach der „Belle Epoque“, Institut national des Jeunes aveugles (INJA) [Das staatliche Blindeninstitut in Paris], in: Organ – Journal für die Orgel, Band 1, Nr. 3, 1998, S. 30–36
- Thomas Daniel Schlee: Abkehr und Einkehr. Anmerkungen zu Eitelkeit und Demut in der Orgelmusik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Musik und Kirche, Band 75, 2005, S. 200–208
- À chacun son chant: Jean-Pierre Leguay, musiques pour orgue et avec orgue, in: L’Orgue Nr. 269, 2005, S. 3–187.
Weblinks
Quellen
- François Sabatier: Leguay, Jean-Pierre, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, hrsg. von Stanley Sadie, 2nd Edition, Band 14, McMillan Publishers, London 2001, ISBN 0-333-60800-3, S. 490
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Titularorganist an der Église Notre-Dame-des-Champs 1961–1984 | ||
Pierre Cochereau | Titularorganist an der Orgel von Notre Dame de Paris seit 1985 (gemeinsam mit Vincent Dubois, Philippe Lefebvre Olivier Latry Yves Devernay († 1990)) |