Iván Böszörményi-Nagy
Iván Böszörményi-Nagy (* 19. Mai 1920 in Budapest; † 28. Januar 2007 in Glenside, Pennsylvania) war ein ungarischer Arzt, Psychotherapeut und Hochschullehrer, der als Widerstandskämpfer unter Hitler und Stalin 1950 zur Emigration in die Vereinigten Staaten gezwungen war. Er ist der Begründer der Kontextuellen Therapie und hat wesentliche Beiträge zur Entwicklung der Systemischen Familientherapie geleistet.
Leben
Böszörményi-Nagy promovierte 1944 zum Dr. med. an der Universität Budapest und wurde 1948 Assistenzprofessor in der dortigen Psychiatrie. Über Salzburg, wo er die Internationale Flüchtlingsorganisation beriet, kam er nach Chicago und New York. 1957 gründete er – gemeinsam mit Geraldine Spark – eines der ersten Forschungszentren für Familientherapie am Eastern Pennsylvania Psychiatric Institute (EPPI) in Philadelphia. Ausschlaggebend waren empirische Daten, die besagten, dass die Behandlung von schizophrenen Patienten erfolgreicher war, wenn Familienangehörige einbezogen waren. Diese Gründung entwickelte sich später zum größten Ausbildungszentrum für Familientherapie in den USA. Von 1976 bis 1994 leitete er den Bereich Familientherapie in der Psychiatrischen Abteilung der Drexel University in Philadelphia.[1]
Als wichtigste seiner Neuerungen wird wahrscheinlich die Mehrgenerationen-Perspektive erinnert werden. Beruhend auf Hegel, Buber und Fairbairn kombiniert er vier Elemente des Faktischen, des Individualpsychologischen, die Transaktionalität und die Beziehungsethik, das Gleichgewicht von Geben und Nehmen (Ausgleich),[2] zu einer Therapieform. Böszörményi-Nagy hat auch neue Begriffe eingeführt, beispielsweise Loyalität, Parentifizierung und Allparteilichkeit.
Ausgleich und Mehrgenerationen-Perspektive[3] sind heute wesentliche Grundlagen der Aufstellungsarbeit.
Schriften
- deutschsprachige Publikationen
- Familientherapie: Theorie u. Praxis, Hg. von Ivan Boszormenyi-Nagy u. James L. Framo. Reinbek bei Hamburg 1975 (2 Bände)
- Dialektische Betrachtungen der Intergenerationen-Familientherapie. Ehe 12: 117-131
- Mann und Frau: Verdienstkonten in den Geschlechterrollen. Familiendynamik 2: 35-49
- Gruppenloyalität als Motiv für politischen Terrorismus. (Gemeinsam mit BR Krasner). Familiendynamik 3: 199-208
- Kontextuelle Therapie: Therapeutische Strategien zur Schaffung von Vertrauen. Familiendynamik 6: 176-195
- Unsichtbare Bindungen, Die Dynamik familiärer Systeme, Stuttgart 1981 (Originalausgabe und dt. Erstausgabe 1973)
Literatur
- Renate Riegler-Singer: Boszormenyi-Nagy, Ivan. In: Stumm/Pritz: Personenlexikon der Psychotherapie, Wien, New York 2005, 60-62
Weblinks
- Marie-Luise Conen (2007): Nachruf
- Konferenz Video: Dr Catherine Ducommun-Nagy, Brüssel, Nov. 2006 (frz.)
- Obituary: New York Times - Ivan Boszormenyi-Nagy, 86, an Innovator of Family Therapy, Dies, Nachruf in der New York Times (englisch).
Einzelnachweise
- Marlene F. Watson: Ivan Boszormenyi-Nagy, MD: a testimony to life, Nachruf in: Journal of Marital and Family Therapy, Juli 2007, auf findarticles.com, abgerufen 3. Mai 2009 (englisch)
- „Desungeachtet muß eine innere subjektive Quantifikation von Geben und Nehmen die Grundlage des Kontos bilden, das dann in allen folgenden Beziehungen des Menschen zum Ausgleich gebracht werden muß.“ (Unsichtbare Bindungen, Die Dynamik familiärer Systeme, Stuttgart 1981, S. 234.)
- „Die Schuld und Verdienst-Buchführung innerhalb des Gesamtsystems besitzt indes eine eigene faktische Realität und eine entsprechende generationsübergreifende Motivationsstruktur.“ (Unsichtbare Bindungen, Die Dynamik familiärer Systeme, Stuttgart 1981, S. 77.)