Inter sanctorum solemnia
Inter sanctorum solemnia („Unter den Festen der Heiligen“) ist eine Bulle des Papstes Coelestin V. vom 29. September 1294. In ihr erteilt er der Kirche Santa Maria di Collemaggio in L’Aquila das Privileg eines vollkommenen Ablasses, den alle erwerben können, die nach Empfang des Bußsakramentes am Fest der Enthauptung Johannes’ des Täufers (29. August, vom Vorabend bis zum Folgeabend) diese Kirche andächtig besuchen.
Waren vollkommene Ablässe – Erlässe aller zeitlichen Sündenstrafen, vollkommene Reinigung für die ewige Seligkeit – bis dahin nur Kreuzfahrern gewährt worden, die vor dem Aufbruch beichteten und die Kommunion empfingen, wurde diese Gewährung durch Coelestin V. erstmals mit dem Besuch einer Kirche verbunden.[1]
Geschichte
Coelestin, mit Taufnamen Pietro, geboren Anfang der 1210er Jahre, war Benediktiner und hatte um die Mitte des Jahrhunderts einen eigenen Eremitenorden mit verschärfter Benediktsregel, später Cölestiner genannt, gegründet. Auf dem Zweiten Konzil von Lyon 1274 erlangte er dessen endgültige Anerkennung. Während der Rückreise hatte er auf dem Berg Collemaggio bei L’Aquila einen Jakobsleiter-Traum, in dem ihm Maria den Bau einer Kirche an dieser Stelle auftrug. Die neue Ordenskirche war 1289 vollendet.
Am 5. Juli 1294 wurde der über 80-Jährige als Kompromisskandidat zum Papst gewählt und am 29. August in Santa Maria di Collemaggio gekrönt. Am 13. Dezember desselben Jahres trat er im Zuge politischer Intrigen vom Papstamt zurück – der einzige Papstrücktritt bis Benedikt XVI.
Aber schon einen Monat nach seinem Amtsantritt – er weilte noch in L’Aquila und gelangte wohl nie nach Rom – erließ er das Ablassprivileg für „seine“ Kirche, das dieser einen gewaltigen Aufschwung gab. Im ganzen Mittelalter ließen Ablassprivilegien an den festgesetzten Ablasstagen große Menschenmengen in die privilegierten Kirchen strömen, und Prozessionen, Märkte und Volksfeste entwickelten sich darum. Der bis dahin ungekannte vollkommene Ablass in L’Aquila hatte entsprechend große Anziehungskraft, noch verstärkt durch die Heiligsprechung Coelestins 1313 und die Überführung seiner Gebeine in die Collemaggio-Basilika 1326. Die Bulle Coelestins wurde und wird als kostbarer Schatz von der Stadt L’Aquila gehütet, und die Festlichkeiten der Perdonanza Celestiniana sind seit 2019 Immaterielles Kulturerbe der UNESCO.
Zwar widerrief Coelestins Nachfolger Bonifatius VIII. schon 1295 das Collemaggio-Privileg eines vollkommenen Ablasses als schädliche Neuerung; aber er selbst erteilte für das erste Heilige Jahr 1300 allen Gläubigen, die nach Beichte und Kommunion die römischen Patriarchalbasiliken besuchten, einen solchen Generalablass, und im 14. Jahrhundert vervielfältigte man die Gnadenorte. Später wurde die Möglichkeit, vollkommene Ablässe zu erwerben, auf alle Pfarrkirchen an zwei Tagen im Jahr ausgedehnt.[2]
Text
Coelestinus episcopus, servus servorum Dei, universis Christifidelibus praesentes litteras inspecturis salutem et apostolicam benedictionem. |
Coelestin, Bischof, Diener der Diener Gottes, entbietet allen Christgläubigen, die dieses Schreiben lesen werden, Heil und apostolischen Segen. |
Literatur
- Theodor Dieter und Wolfgang Thönissen: Der Ablassstreit. Dokumente, Ökumenische Kommentierungen, Beiträge. Leipzig 2021, S. 26–29
- Roberto Paciocco: Inter sanctorum solennia. Papa Celestino V e la Perdonanza aquilana. In: Il Perdono di Assisi e le indulgenze plenarie. Atti dell‘incontro di studio in occasione dell‘VIII centenario dell‘indulgenza della Porziuncula (1216–2016) (S. Maria degli Angeli, 14–16 luglio 2016), Spoleto 2017, S. 83–115. (Nachweis in IRIS)
Einzelnachweise
- Der Franz von Assisi angeblich 1216 von Honorius III. gewährte Portiuncula-Ablass ist dokumentarisch mangelhaft belegt (Dieter/Thönissen S. 26).
- bestätigt von Papst Paul VI. im Enchiridion Indulgentiarum
- Text nach Theodor Dieter und Wolfgang Thönissen: Der Ablassstreit. Dokumente, Ökumenische Kommentierungen, Beiträge, Leipzig 2021, S. 28