Immanente Kritik
Immanente Kritik ist ein grundlegendes hermeneutisches Verfahren der Auseinandersetzung mit philosophischen Texten, Kunstwerken und ähnlichem, bei dem der Gegenstand auf Grundlage seiner eigenen Mittel, Begriffe und Denkfiguren sowie deren Performativität einer Kritik unterzogen wird.
Im Gegensatz zur Standpunktkritik, bei der die Kritik dem Text eine andere Position entgegensetzt, ist die immanente Kritik eine Auseinandersetzung mit der Argumentation einer vorliegenden Position des kritisierten Textes. Aufgezeigt werden beispielsweise unzulässige Schlüsse, unzureichende Begründungen einer These oder Widersprüche und Inkonsistenzen einer Theorie. Die immanente Kritik ist heute in der Philosophie weit verbreitet, gilt jedoch im Besonderen als wichtiges Moment der kritischen Theorie.
Als Urheber und Begründer werden immer wieder verschiedene Philosophen angegeben. So soll Popper sich die Methode der immanenten Kritik Adornos zu eigen gemacht haben. Adorno wiederum war diesbezüglich von Hegels immanent vorgehender Phänomenologie des Geistes inspiriert. Letztlich ist es jedoch eine sehr alte Methode der Philosophie. Unter anderem beschäftigte sich Baruch de Spinoza 1677 mit den Problemen der Auslegung von Texten und stellte dazu Grundsätze auf: „Die Hauptregel der Schriftinterpretation besteht also darin, dass man der Schrift keine Lehre zuschreiben soll, die nicht mit völliger Deutlichkeit aus ihrer Geschichte sich ergibt“.
Ein bekanntes Beispiel für die konsequente „Beurteilung der Werke an ihren immanenten Kriterien“ ist Walter Benjamins Schrift Zur Kritik der Gewalt.
Immanente Kritik kann zwar als eine Methode der Dekonstruktion bezeichnet werden, unterscheidet sich aber von der Immanenzphilosophie von Gilles Deleuze.
Literatur
- Baruch de Spinoza (1677): Theologisch-politischer Traktat. (dort: Von der Auslegung der Schrift)
- Robert J. Antonio (1981): Immanent Critique as the Core of Critical Theory: Its Origins and Developments in Hegel, Marx and Contemporary Thought. In: The British Journal of Sociology. Band 32, Nr. 3, S. 330–345.
- Jean-François Lyotard (1987): Der Widerstreit. München.
- Marcus Hawel (2008): Das ideologiekritische Verfahren der immanenten Kritik. Goethe-Institut, München (online (Memento vom 21. Dezember 2013 im Internet Archive)).
- José M. Romero (Hg.) (2014): Immanente Kritik heute. Bielefeld, Transcript Verlag. Verlagsseite
- Titus Stahl (2013): Immanente Kritik. Elemente einer Theorie sozialer Praktiken. Frankfurt am Main, Campus. Verlagsseite
- Martin Weißmann (2017): Wie immanent ist die immanente Kritik? Soziologische Einwände gegen Widerspruchsfreiheit als Ideal der Sozialkritik. In: Zeitschrift für Soziologie. Band 46, Nr. 6, S. 381–401. Link zum Volltext