Iklan
Die Iklan (Sg.: Akli[1]), auch: Éklan / Iklan in Tamascheq, Bouzou in Hausa, Bella in Songhai genannt, sind eine Gesellschaftsklasse innerhalb des Tuareg-Volkes, die aus der Zeit der Sklaverei stammt. Es handelt sich um Schwarze, die den Tuareg verdingt waren, beziehungsweise ihnen unterworfene Lebensgemeinschaften stellten. Deren Nachkommen leben in Gemeinschaften, die verteilt sind auf die Staaten Niger, Mali, das südliche Algerien und Libyen. Außerdem trifft man sie gelegentlich in Teilen des nördlichen Burkina Faso sowie Nigerias an. In den 1910er Jahren unternahm die französische Kolonialverwaltung Anstrengungen, die Sklaven der Tuareg zu befreien, da die Sklaverei seit 1906 als unvereinbar mit den in Französisch-Westafrika herrschenden Grundprinzipien erachtet wurde.[2] Soweit diese Maßnahmen in großen Teilen griffen, leben in Teilen Westafrikas Iklan-Nachfahren gleichwohl bis heute in Sklaverei oder ähnlichen Beziehungen zu Tuareg-Familien.[3]
Die Situation der Iklan ist vergleichbar mit der der Haratin, den Nachkommen von Sklaven der Oasen der westlichen Sahara, Mauretaniens, Südmarokkos, Senegals, Algeriens und Malis. Wie die Haratin haben die Iklan sich ihre Bezeichnung als Iklan, die eine negative Konnotation trägt, nicht selbst gegeben.
Das Klassensystem
Die Tuareg hatten in der Vergangenheit ein sehr ausgeklügeltes und sozial geschichtetes Gesellschaftssystem.[4] Bis zur Kolonialzeit der Franzosen stand den Stämmen der Tuareg der König voran. Die oberste soziale Kategorie nahmen die Imajaren (auch: Imajeghen/Imuhagh/Imushagh (Adelsschicht)) ein, die für das Kriegshandwerk und den damit verbundenen Überfällen zuständig waren. Die Ineslemen (Korangelehrte) bildeten dahinter den Kern der Tuareggesellschaft. Dahinter wiederum reihten sich die Imrad (Vasallen) ein, die Funktionen als Viehzüchter und Soldaten innehatten und dem Oberbefehl der Imajaren unterstanden.
Die Iklan/Bella/Bouzou waren die Sklaven oder Abhängigen.[5] Sie spielten innerhalb des komplex abgestuften hierarchischen Sozialmodells der Tuareg eine wesentliche wirtschaftliche Rolle. Sie stellten zwar das Eigentum einer Familie dar, wurden jedoch in die Haushalte wie Familienmitglieder integriert. Häufig wurden Iklan freigelassen und erhielten dann Bezeichnungen, wie Iderafan, Ikawaren oder Izzegharen.[6] Gleichwohl sie die gleiche Sprache sprechen wie ihre Obrigkeit und weithin gleiche kulturelle Bräuche pflegen, leben die Iklan zumeist abgeschieden von anderen Gemeinschaften und haben unterschiedliche Gepflogenheiten.[7][8]
Geschichte und Funktion der Iklan
Bereits im 11. Jahrhundert zogen die Tuareg aus den Gebieten der Mittelmeerküste südwärts. Als kriegerisches nomadisches Berber-Volk[5] unterwarfen sie auf ihren Raubzügen ihre Gegner und machten sie zu Kriegsgefangenen und Sklaven. Die meisten Sklaven wurden unter den subsaharischen Afrikanern, den Songhai, Zarma, Kanuri und Hausa genommen, aber auch unter konkurrierenden Tuareg-Konföderationen. Diese bildeten die Iklan-Gemeinschaften.[9] Die Unterworfenen hatten sich in zweierlei Hinsicht mit ihren Herren zu arrangieren. Entweder waren sie „Haussklaven“ und lebten als Hausangestellte wie Familienmitglieder bei ihren Eigentümern, oder sie wurden Hirten, Bauern oder zur Salzgewinnung abgestellt. Damit waren Letztere ausschließlich außer Hauses tätig. Beide Gruppen waren damit nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen Hab und Gut der Tuareg-Obrigkeit.[10] Die gefangen genommenen Tuareg-Konkurrenten konnten sich als in der Würde noch unter die Iklan gestellt wiederfinden, genauso aber auch als Sklaven mit Privilegien.[9]
Imajaren (Adelige) und Imrad (Vasallen) durften versklavte Frauen heiraten, wobei ihre gemeinsamen Kinder rechtlich „Freie“ waren. Reine Iklan-Familien behielten den Status der Leibeigenschaft.
Mit der französischen Kolonialzeit zerbrach der rechtliche Status der Iklan zwar grundsätzlich, denn die Sklaverei wurde unter der neuen Obrigkeit abgeschafft. Gleichwohl suchten die Franzosen (nach verschiedenen Auffassungen) keine vehemente Vollstreckung, denn sie waren weit mehr daran interessiert, die traditionellen politischen und wirtschaftlichen Lebensweisen zu zerbrechen, die von den Sklaven, beispielsweise durch Hirtenwirtschaft, lediglich unterstützt wurde.[11] Andererseits gehen Historiker davon aus, dass die Franzosen Versuche in großem Maßstab unternommen hätten, die Sklaven zu befreien, was besonders für die Zeit des Kaosenaufstands gelte.[12] Trotzdem berichteten französische Beamte, dass nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu 50.000 Bella unter unmittelbarer Kontrolle ihrer Tuareg-Obrigkeit in den Regionen Gao und Timbuktu standen.[11] Damit konnte die Sklaverei in diesen Gegenden mehr als 40 Jahre über deren offizielle Abschaffung hinaus, überdauern. Ab 1946 begannen serienweise Massendeportationen von Tuareg-Sklaven nach Nioro du Sahel und später nach Menaka, die sich von dort aus zügig entlang des Nigertals ausbreiteten.[11] Noch in den 1910er Jahren schätzten die Beamten der Kolonialverwaltung, dass das Verhältnis freier zu leibeigenen Menschen in Französisch-Sudan bei 1:8, wenn nicht bei 1:9 lag.[11] Zeitgleich soll die versklavte Rimaibe-Bevölkerung der Masina-Fulbe etwa 70–80 % der Fulbe-Population ausgemacht haben. Ähnlich liegt das Verhältnis bei den Songhai. Der Historiker Martin A. Klein kommt zu dem Schluss, dass annähernd 50 % der Gesamtbevölkerung Französisch-Sudans versklavt war.[11]
Gegenwärtige Bedingungen
Während sich afrikanische Staaten nach ihrer Unabhängigkeitserklärung stets darum bemühten, die Sklaverei aus ihren Rechtsstatuten zu streichen, liegt bei den Tuareg eine Gemengelage vor. Mancherorts setzten sie das traditionelle Gemeinschaftswesen Freier und Unfreier fort und schafften dabei keine außerhalb der Sklaverei liegenden Freiräume.[9][13][14][15] In einigen Gegenden, in denen die Bella ansässig sind (Songhai), sind noch die Nachkommen versklavt. Im Niger wurde die Sklaverei als Rechtsinstitut 2003 abgeschafft; Studien belegen jedoch, dass etwa 8 % der dortigen Bevölkerung noch Unterjochte sind.[16]
Situation in Mali
In Mali berichteten Iklan, dass ihnen keine gleichwertigen Bildungschancen eingeräumt würden und weiterhin ihrer Freiheitsrechte beraubt seien. Aus Gao und Menaka wurden Fälle gezielter Diskriminierung durch die lokalen Verwaltungen bekannt; betroffen seien davon insbesondere die Wohnraumsuche, die Erlangung von Ausweisdokumenten, der Schutz vor Tierdiebstahl und Zugriff auf Entwicklungshilfemaßnahmen.[17]
Im Jahr 2008 berichtete die malische Menschenrechtsbewegung „Temedt“ gemeinsam mit der international tätigen Anti-Slavery International, dass „mehrere tausend Bella-Tuareg“ noch immer versklavt seien. Obgleich der Klageweg offensteht und Rechtsbehelfe die bestehenden Rechtsvorschriften flankieren, wird vor den malischen Gerichten ein Fall nur selten zufriedenstellend gelöst.[18]
Situation im Niger
Im Niger wurde die Praxis der Sklaverei im Jahr 2003 verboten. Eine Studie ergab jedoch, dass mehr als 800.000 Menschen noch immer Sklaven sind, nahezu 8 % der Bevölkerung.[13][16] Sklaverei hatte im Niger eine Jahrhunderte alte Tradition und konnte überhaupt erst durch die langjährige Lobbyarbeit der Anti-Slavery International im Zusammenspiel mit der nigrischen Menschenrechts-Gruppe Timidria kriminalisiert werden.[15]
Abstammungsbedingte Sklaverei gibt es bei mindestens vier der acht im Niger beheimateten Volksgruppen. Dabei geht es um die hellhäutigeren Gruppen der Tuareg, Fulbe, Tubu und Araber.[19] Vermutet wird, dass entlang des rechten Nigerufers drei Viertel der Bevölkerung um 1904–1905 aus Sklaven bestand.[20]
Siehe auch
Literatur
- Jeremy Keenan, The Tuareg. People of Ahaggar. Allan Lane, London 1977. ISBN 978-0-312-82200-2
- Salak Kira, The Cruelest Journey: Six Hundred Miles To Timbuktu, ISBN 0-7922-7457-1, National Geographic, 2004
- Thomas Krings, Sahelländer. WBG-Länderkunden, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006, ISBN 3-534-11860-X
- Samuel Decalo, Historical Dictionary of Niger. Scarecrow Press, London and New Jersey (1979). ISBN 0-8108-1229-0
- Jolijn Geels, Niger. Bradt London and Globe Pequot New York (2006). ISBN 1-84162-152-8
- Martin A. Klein. Slavery and Colonial Rule in French West Africa. (African Studies, number 94.) New York: Cambridge University Press. (1998) ISBN 978-0-521-59678-7
Einzelnachweise
- Abdourahmane Idrissa und Samuel Decalo, Historical Dictionary of Niger, S. 266
- Afrique occidentale française (A.O.F.)
- vgl. Salak Kira, (siehe Lit.)
- Arthur Köhler, Verfassung, soziale Gliederung, Recht und Wirtschaft der Tuareg: Drittes Kapitel: Soziale Gliederung, S. 20 ff.
- vgl. Thomas Krings, S. 33
- vgl. Jeremy Keenan, (siehe Lit.)
- vgl. Samuel Decalo, (siehe Lit.)
- vgl. Jolijn Geels, (siehe Lit.)
- NIGER: Slavery – an unbroken chain
- Reuben Lévy, The Social Structure of Islam: Being the Second Edition of The Sociology of Islam S. 87
- Martin A. Klein (siehe Lit.), S. 234–263
- Frederick Brusberg, "Production and Exchange in the Saharan Air", Current Anthropology, Vol. 26, No. 3. (Juni 1985), Seite 394 f. Field research on the economics of the Aouderas valley, 1984.
- Hilary Andersson, Born to be a slave in Niger
- Brian Handwerk für National Geographic News, 5. Dezember 2002, Kayaking to Timbuktu, Writer Sees Slave Trade, More
- Mike Pflanz, Contributors to The Christian Science Monitor, Georgina Cranston, Contributors to The Christian Science Monitor / March 10, 2005, On the way to freedom, Niger's slaves stuck in limbo – 7,000 slaves in Niger were set to be freed last Saturday – until the government denied slavery even existed there.
- The Shackles of Slavery in Niger
- www.state.gov, Bureau of Democracy, Human Rights, and Labor: Mali 2006
- MALI: Thousands still live in slavery in north
- Paul Raffaele im Smithsonian magazine, September 2005: Born into Bondage -Despite denials by government officials, slavery remains a way of life in the African nation of Niger (Memento des Originals vom 10. September 2012 im Webarchiv archive.today) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Slavery in Niger (Historical, Legal and Contemporary Perspectives).pdf