IBM Deutschland Research & Development
Die IBM Deutschland Research & Development GmbH ist das deutsche Forschungs- und Entwicklungszentrum der IBM und ist der IBM Deutschland GmbH zugeordnet. Der Hauptsitz ist Böblingen bei Stuttgart. Daneben arbeiten weitere Teams in St. Leon-Rot (Baden), Kelsterbach, München und Berlin.
IBM Deutschland Research & Development GmbH | |
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Rechtsform | Gesellschaft mit beschränkter Haftung |
Gründung | 1953 |
Sitz | Hauptsitz Böblingen, Deutschland |
Leitung | Dirk Wittkopp |
Branche | Informationstechnik |
Website | IBM Deutschland Research & Development GmbH |
Die Palette an Entwicklungsprojekten reicht von Hard- und Firmware sowie Betriebssystemen für Großrechner über Speichertechnologien bis zu Softwarelösungen für Cloud, Data & KI, dem Internet der Dinge sowie Komponenten im Umfeld von Quantencomputern. Dabei kommt einem kleinen Team auch die Aufgabe zu, die Verfügbarkeit des ersten kommerziellen Quantencomputers in Europa am Standort Ehningen, der exklusiv für die Fraunhofer-Gesellschaft Ende 2020 aufgebaut wurde, sicherzustellen.
Im November 2018 wurde bekannt gegeben, dass der Standort am Schönaicher First in Böblingen aufgegeben wird. Der zukünftige Technology Campus in Ehningen wird sowohl die Zentrale der IBM für Deutschland, Österreich und der Schweiz sein wie auch das Forschungs- und Entwicklungszentrum beheimaten.
Geschichte
Gründung 1953
Die Forschungs- und Entwicklungsstätte wurde 1953 von Professor Karl E. Ganzhorn und sieben Mitarbeitern als deutsches Forschungs- und Entwicklungszentrum der IBM in Böblingen gegründet. Bereits zuvor existierte in Böblingen ein mechanischer Konstruktionsbereich von IBM, der mit der Weiterentwicklung von Lochkartenmaschinen befasst war.
Während der 1950er Jahre arbeiteten Entwickler in den verschiedenen europäischen Forschungs- und Entwicklungszentren in Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Niederlanden und Schweden unter lokalem Management an ersten elektronischen Projekten. Erst 1958 wurden schließlich alle europäischen IBM Entwicklungszentren unter der Leitung von R.G. Mork zusammengefasst. Dabei wurden die zukünftigen Entwicklungsgebiete der europäischen Entwicklungszentren abgegrenzt und festgelegt.
Der deutsche Standort sollte sich um die Entwicklung kleiner und mittlerer Datenverarbeitungssysteme, sowie Peripheriegeräten, insbesondere Schnelldrucker, kümmern. Als weitere Aufgabe wurde die Schaffung einer Halbleiter-Entwicklung als Ausgangsbasis für eine spätere Halbleiterproduktion in Deutschland etabliert. Der bestehende mechanische Konstruktionsbereich wurde in das Entwicklungszentrum integriert. Dr. Ganzhorn wurde offiziell als erster Direktor des IBM Entwicklungszentrums in Böblingen bestellt.
Zudem beschloss man eigene Gebäude für das Entwicklungszentrum zu errichten. Die Entscheidung fiel auf den Schönaicher First bei Böblingen, in Reichweite des Produktionsstandorts Sindelfingen. Im November 1959 begannen die ersten Bauarbeiten. Im Dezember 1960 nahmen die ersten Ingenieure ihre Arbeit am neuen Standort des Böblinger Entwicklungszentrums auf.
1960–1969
Zum Ende des Jahrzehnts waren 700 Mitarbeiter beschäftigt. 1962 begann man mit der Softwareentwicklung, wofür ein Rechenzentrum eingerichtet wurde. Physiker und Elektroniker des Entwicklungszentrums schrieben damals Software für das in Böblingen entwickelte System/360 Modell 20. Der Umfang ihrer Arbeit war aber zunächst durch die damals äußerst knappen Speicherressourcen begrenzt.
Im Umfeld des SLT Bausteins (Solid Logic Technology), der Basistechnologie für die /360 Systeme, beschäftigt sich das Entwicklungszentrum mit der Forschung zu Halbleiter-Materialien (z. B. GaAs) und mit integrierten Schaltkreisen in Silizium Technologie. Im Jahr 1965 entwickelte man den ersten integrierten Schaltkreis der IBM, einen „cross point switch“, bestehend aus drei integrierten Bauteilen. 1968 erhielt das Entwicklungszentrum den längerfristigen Auftrag für die Entwicklung von integrierten Halbleiterbauelementen.
In der Halbleiter-Entwicklung entwarf man eine Pilotlinie zu Produktion von Prototypen. Diese wurde von Mitte der 1960er bis Anfang der 1990er Jahre betrieben.
1970–1979
Bei den IBM DOS/VS-Release-Versionen 28 und 29 nahm das Entwicklungszentrum einige funktionale Erweiterungen von DOS vor, bekannt unter dem Namen Extended DOS. Ab 1978 übernahm man die alleinige Verantwortung für DOS/VSE. 1971 begann die Entwicklung und Fertigungseinführung des 2048 Bit RIESLING Chips. Der in n-FET-Technologie ausgeführte Chip bestückte während der 1970er Jahre in praktisch allen IBM Rechnern den Hauptspeicher. Das Riesling Chip wurde mit 4 µm Minimalstrukturen ausgelegt und hatte etwa 15.000 Transistoren.
Bei der Fortentwicklung der DRAM Speicherzelle und der Entwicklung darauf basierender Speicher übernahm die Böblinger Halbleiterentwicklung eine Führungsrolle. Man wirkte an den Produkten der 18 kBit CONCORDE Familie, des 64 kBit COMMON_E Chip sowie der Entwicklung eines 256 kBit MÜLLER Chip-Prototypen mit.
1980–1989
1980 wurde der vollautomatische Geldausgabeautomat 4731 entwickelt. Vom 4731 und den Nachfolgemodellen wurden weltweit mehr als 15.000 Stück verkauft.
Mitte der 80er Jahre integrierte man eine gesamte /370-Processing-Unit (PU) auf einem CMOS Chip. 1988 wurde dieses CAPITOL genannte Chipset marktreif. Auf insgesamt drei Chips in 1µ-CMOS-Technologie wurden die PU-, die Cache- und die Floating Point-Funktionen realisiert und im System 9370 eingebaut. Der Capitol Chip markierte den Beginn eines dauerhaften Engagements in die Entwicklung von Chip-Design-Tools. Im Rahmen dessen wurde 1987 ein Kooperationsvertrag mit der Uni Bonn geschlossen.
1990–1999
MQSeries Workflow MERVA, eine Software zur Steuerung von Geschäftsprozessen, wurde in Böblingen entwickelt. Im Bereich des Data-Mining erstellte das Forschungs- und Entwicklungszentrum die Produkte Intelligent Miner for Data und den DB2 Scoring Service. Im Datenbankumfeld lieferte man Software zum Entwurf logischer und physischer Datenmodelle, wie DataAtlas. Zudem wurde die Übersetzungssoftware Translation Manager in Böblingen entwickelt. In ihrer Freizeit portierten Mitarbeiter das Betriebssystem Linux auf die IBM System/390. Die Böblinger Prozessorentwicklung vollzog einen Technologieschwenk von bipolar zu CMOS. Ab Anfang der 90er wurden die Microprozessor Chip Sets RENOIR, PICASSO, MONET-J und MONET und die darauf basierenden /390 Systeme entwickelt.
Die CMOS-Prozessoren aus Böblingen verkleinerten die Performancelücke zu den wesentlich größeren und teureren bipolaren Prozessoren. Ab 1993 wurde infolgedessen die gesamte IBM weite /390-Entwicklung von bipolar auf CMOS umgestellt. Die darauf folgenden /390-Prozessor-Chip-Sets wurden später gemeinsam mit dem IBM Standort Poughkeepsie entwickelt. Dies waren die ALLIANCE-, die SYMPHONY- und die OPERA-Chip Sets. Insgesamt wurden in den 1990er Jahren sieben Generationen von /390-CMOS-Prozessoren entwickelt, die auf Uni-Prozessor Ebene einen etwa 200-fachen Performancezuwachs realisierten. Ende der 1990er gründete man ein ASIC Design Center. Für europäische Großkunden, primär aus der Telekommunikationsindustrie, wurden ASICs nach Kundenspezifikationen entwickelt.[1]
2000–2009
IBM eröffnete 2000 in Europa insgesamt sieben ISV-Support-Zentren. Zum Linux Center of Competence wurde das Böblinger IBM Forschungs- und Entwicklungszentrum bestimmt. Es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit mit den IBM Standorten Endicott (z/VM) und Tucson (Storage Systems).
In dieser Dekade wurde die Softwareentwicklung in Böblingen für DB2 Software und WebSphere Software fortgeführt. Die Projekte lagen im Bereich von Such-Technologien, Data-Mining, Werkzeugen für Datenbanken, wie die Archivierungssoftware CommonStore und Workflow. Neu hinzugekommen war die Verantwortung der Böblinger Softwareentwickler für Kundendienstleistungen (im Bereich DB2 und Werkzeuge, SAP R/3, WebSphere, MQSeries-Familie inklusive Workflow, ASF, DocumentConnect) und die Unterstützung von Drittanbietern (ISVs), die IBM Technologie in ihren Produkten einzusetzen.[2]
2009–20xx
In den letzten zehn Jahren erweiterte das Zentrum seine Kompetenzen in Richtung der neuen strategischen Wachstumsfelder der IBM Corporation wie Cloud, KI, Security, Analytics, IoT und Blockchain. Daneben steht nach wie vor die Weiterentwicklung der IBM Großrechnerarchitekturen im Vordergrund. Zudem gewinnt das Thema Quantum Computing an Bedeutung.
2013 wurde das damals vierte IBM (Design) Studio der Corporation eröffnet. Dort arbeiten Designer verschiedener Fachrichtungen mit Entwicklungsbereichen gemeinsam an den nächsten Generationen von IBM-Produkten.
Projekte
Großrechner, Firmware und Prozessoren
Das deutsche IBM Forschungs- und Entwicklungszentrum entwickelt zentrale Technologiekomponenten für die zukünftigen Generationen der IBM Z und IBM Power Systems. Dazu gehören Chip-, Packaging- und Firmware sowie Systems Management.
In Böblingen sitzt eines der Teams für zentrale Bestandteile des führenden IBM Betriebssystems für Großrechner, z/OS.
Das Storage Software Development Team in Kelsterbach bei Frankfurt ist führend in der Entwicklung von Software-Defined Storage-Lösungen für datei- und objektbasierte Daten. Hierbei handelt es sich um das Spectrum Scale-Dateisystem, dass unter anderen auf den größten Supercomputern der Welt eingesetzt wird. Zum Portfolio gehört auch Spectrum Protect, eine Lösung zum Schutz und der Wiederherstellung von Daten in physischen, Cloud-basierten und softwaredefinierten Umgebungen.
Open Source
Das deutsche IBM Forschungs- und Entwicklungszentrum ist die Geburtsstätte für die Anpassung des freien und offenen Betriebssystems Linux auf die IBM z Systems Großrechnerarchitektur. Die deutschen Experten arbeiten an der Weiterentwicklung der beiden Betriebssysteme Linux on z Systems und z/VSE sowie an den Virtualisierungstechnologien z/VM und KVM for IBM z Systems. Dazu kommt eine enge Kooperation mit Red Hat.
Cloud
Das deutsche R&D Team entwickelt unter anderem verschiedene Komponenten für IBM Cloud. Dort können Unternehmen unkompliziert auf Services von IBM und Geschäftspartnern zugreifen um eigene Cloud-basierte Anwendungen und Apps zu entwickeln.
Security
Die Entwickler am Standort Kassel arbeiten unter anderem im Umfeld von IBM X-Force: Sie beobachten und analysieren die sich ständig ändernde Landschaft der IT-Sicherheit und entwickeln Technologien zum besseren Schutz von IT-Netzwerken in Unternehmen. Dazu gehört auch die Bereitstellung von Informationen für IBM X-Force Exchange. Basierend auf IBM Cloud, bietet die Plattform die aktuellsten Informationen zu IT Gefährdungspotentialen sowie die Möglichkeit, entsprechende Erfahrungen und Neuigkeiten mit anderen zu teilen. Neben ihrer Arbeit für IBM X-Force richten die Experten ihre Aufmerksamkeit auch auf die Integration und Verteilung von Threat Protection, um IBM-Produkte noch sicherer und robuster gegen mögliche Security-Attacken zu machen.
Kognitive Technologien
Entwicklungsprojekte in diesem Kontext sind IBM Data Science Experience und IBM Watson Data Platform, Stream Computing sowie IBM Counter Fraud Management for Safer Payments.
Internet der Dinge
Ein gemeinsames Entwicklerteam des R&D Zentrums und des IBM Watson IoT Centers in München arbeiten an Lösungen mit kognitiven Komponenten. Darüber hinaus entwickeln sie spezielle IoT Plattformen für verschiedene Industrien wie Automobil und den Einzelhandel.
Erwähnenswertes
- Großen Anteil daran, dass das Böblinger Forschungs- und Entwicklungszentrum die beschriebene Entwicklung nehmen konnte, hatte der erste Leiter des Böblinger Entwicklungszentrums, Karl E. Ganzhorn. Bei einem Besuch des Gründers der IBM, Mr. Thomas J. Watson senior, im Mai 1953 präsentierte er Ansätze und Vorstellungen für die elektronische Entwicklung in der Datenverarbeitung. Im Anschluss daran gab Mr. Watson der deutschen Geschäftsleitung die schlichte Weisung: „Geben Sie dem jungen Mann, was er wünscht.“[3] Dies war ein nachhaltig wirkender Freibrief für den Aufbau der Entwicklung in den kommenden Jahren.
- Das IBM Forschungs- und Entwicklungszentrum pflegt enge Kontakte mit einer Reihe von Lehrstühlen und Forschungseinrichtungen in Deutschland. Darüber hinaus lehren eine Reihe von Mitarbeitern an Fachhochschulen und Universitäten.
Literatur
- Karl E. Ganzhorn: The IBM laboratories Boeblingen: Foundation and build-up. Röhm Verlag, Sindelfingen 2000.
- Herbert Kircher (Hrsg.): IT, Technologien, Lösungen, Innovationen. Springer-Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-540-46164-7.
- Helmut Painke (Hrsg.): Die IBM Laboratorien Böblingen: System-Entwicklung. Sindelfingen 2003, ISBN 3-937267-00-X
Weblinks
Einzelnachweise
- Karl E. Ganzhorn: The IBM laboratories Boeblingen: Foundation and build-up. Röhm Verlag, Sindelfingen 2000, S. 7ff.
- Das IBM Forschungs- und Entwicklungszentrum in Deutschland.
- IBM Geschichte im Jahr 1953. (Memento des Originals vom 17. August 2009 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.