Horus
Horus (auch Horos, Hor) war ein Hauptgott in der frühen Mythologie des Alten Ägypten. Ursprünglich ein Himmelsgott, war er außerdem Königsgott, zugleich auch Kriegsgott, ein Welten- oder Lichtgott und Beschützer der Kinder. Im Mittleren Reich wird Horus als Gottheit des ersten und elften oberägyptischen Gaues (Ta-seti und Seth-Tier-Gau) aufgeführt, in der griechisch-römischen Zeit dagegen als Gott des 16. oberägyptischen und 14. unterägyptischen Gaues.[1] Meist wurde er als Falke dargestellt.
Horus in Hieroglyphen | |||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Ideogramme |
Horusfalke | ||||||
Frühzeit |
| ||||||
Altes Reich |
| ||||||
Neues Reich |
| ||||||
| |||||||
Griechisch-römische Zeit |
Horus Ḥr Der Ferne / Der oberhalb ist | ||||||
Griechisch | Horos | ||||||
Koptisch | ϩⲱⲣ (Hôr) | ||||||
Name
Horus ist die latinisierte Form des altägyptischen Wortes Ḥr, das vielfach auch als „Hor“ wiedergegeben wird. Der Name bezieht sich auf seinen Status als Himmelsgott. Wie andere Götter, so trat auch Horus bereits im Alten Reich in verschiedenen Erscheinungsformen auf:[2]
- „Der östliche Horus“
- „Horus, der in Schenut ist“
- „Horus-Anubis“
- „Horus von Hierakonpolis“
- „Horus, der Große / Horus der Alte“
- „Horus von Buto“
- „Der nördliche Horus“
- „Der vollkommene Horus“
Darstellung
Abbildungen des Gottes Horus zählen sicherlich zu den zahlreichsten eines Gottes in Ägypten. Er ist sowohl in Texten als auch in bildlichen Darstellungen fast allgegenwärtig. Horus wird als Falke oder auch als stehender Mensch mit Falkenkopf, der zuweilen eine Doppelkrone trägt, dargestellt. In der griechisch-römischen Zeit erfolgte die Darstellung des Gottes häufig als Legionär.[2] Auch das Motiv der den Horusknaben stillenden Isis findet sich gelegentlich auf römischen Münzen mit dem Porträt von Kaiserinnen. Dabei handelt es sich nicht nur um in Alexandria geprägte Münzen für die römische Provinz Ägypten, sondern auch um reichsrömische Münzen, die in Ägypten nicht umliefen.[3] Solche Prägungen dokumentieren die Aufnahmebereitschaft von ursprünglich fremder Mythologie durch die römische Kultur.
Geschichtliche Entwicklung
Überblick
Horus hat in der geschichtlichen Entwicklung der ägyptischen Mythologie zahlreiche Veränderungen erfahren: Es entstanden unterschiedliche Wesensformen in Falkengestalt, die jeweils in einen eigenen Mythos eingebettet sind und deswegen unterschiedliche Eigenschaften und Kultorte haben. Der gesamte Mythos um Horus ist deshalb sehr vielschichtig und erscheint zuweilen sehr kompliziert.
Das älteste Wesen des Gottes Horus war jedoch das eines Himmelsgottes. Die beiden Himmelskörper Sonne und Mond galten als die Augen des Gottes, wobei das rechte Auge das sogenannte Sonnenauge und das linke das Mondauge ist. Um beide Augen ranken sich verschiedene Mythen. Die Flügelspitzen des Gottes berührten die Grenzen der Erde. Ein aus der Frühzeit stammendes Bildsymbol, das ein Flügelpaar, die von Re stammende Sonnenbarke und einen darüber sitzenden Falken zeigt, wird als Kontamination verschiedener Himmelsbilder angesehen. Diese Darstellung gilt als Vorläufer des später häufig auftauchenden Symbols der Flügelsonne (Behedeti).[4]
In seiner Bedeutung als Emblem eines siegreichen Volkes avancierte Horus zum Kriegsgott und zum kriegsbringenden Führer,[5] wodurch der Glaube entstand, der König (Pharao) sei dessen irdische Verkörperung. Seit dieser Zeit trugen die Könige Ägyptens den Falkengott Horus in ihrer Königs-Titulatur. Die Bedeutung von Horus als Himmels- und Königsgott wird als gleich alt beziehungsweise zeitgleich angesehen.
Dadurch, dass die Könige zur selben Zeit den Gott Re verehrten, kam es zu einer Identifizierung des Horus mit der Sonne. Der zur Staatsreligion gegensätzlichen Vorstellung des Volkes zufolge war Horus jedoch zwischenzeitlich mit dem Sohn des Osiris gleichgesetzt worden. Die so entstandenen Wechselbeziehungen beider Identifizierungen eines Gottes führten zu einer verschiedenen Mythenbildung. Trotz der Unterschiede dieser beiden Horus-Götter verschmolzen die Ägypter den Sonnen-Horus in späterer Zeit mit dem gleichnamigen Gott des Osiriskultes zu einem Gott Horus. Allerdings führte dieser Verschmelzungsprozess (Synkretismus) in verschiedenen Kultzentren zu unterschiedlichen Ergebnissen, so dass es schließlich fünfzehn verschiedene Horus-Götter gab.
Trotz dieser vielen Sonderformen kann durch die Abstammungsgeschichte, die Horus im Mythos zugeschrieben wurde, eine grobe Einteilung vorgenommen werden:
Weitere Formen des Gottes Horus
Name | Darstellung in Hieroglyphen | Transkription | kurze Beschreibung/Bedeutung | Namensvariante | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Behdeti | Bḥdtj | „Der von Edfu“. Ursprünglich aus dem 4./5. unterägyptischen Gau. | |||||||
Harachte | Ḥr-3ḫtj | „Der horizontische Horus“, „Horus der beiden Horizonte“. Gott der Morgensonne. Eine Unterform des Gottes Horus. | Hor-Achti | ||||||
Harmachis | Ḥr-m-3ḫt | „Horus im Horizont“. Personifikation der aufgehenden Sonne. Berühmteste Darstellung: Große Sphinx von Gizeh. | Houroun (französisch) | ||||||
Haroeris | Ḥr-wr | „Horus der Große“ oder „Horus der Alte“. | Her-ur | ||||||
Harpare | Ḥr-Rʿ | „Horus, die Sonne“. Der Gott schützt den König vor Krankheit und Unheil. | Hor-Re, Re-Hor | ||||||
Harsiese | Ḥr-s3-3st | „Horus, Sohn der Isis“. Bezeichnung für den Gott Horus in seiner Eigenschaft als Sohn. | Harsiesis | ||||||
Hor-Behdeti | Ḥr-Bḥdtj | „Horus des südlichen Edfu“. | |||||||
Horus Iunmutef | Ḥr-Jwn-mw.t=f | „Horus, der Pfeiler seiner Mutter“. Bezeichnung für den Gott Horus in seiner Eigenschaft als familiäre Stütze und Beschützer der Isis. | |||||||
Harsomtus | Ḥr-sm3-t3wj | „Horus, der die beiden Länder vereint“. | Hor-Semataui |
Bedeutung für das Königtum
Horus war der Königsgott. Der Falke selbst stellte in vorgeschichtlicher Zeit ein Totem dar, das von den Nomadenstämmen im oberägyptischen Bereich als späteres Gauzeichen verehrt wurde. Der König wurde bereits seit Beginn der Vor- und Frühdynastischer Zeit mit dem Himmelsgott gleichgesetzt:[7] Horus offenbarte sich in der Person des Königs; der lebende König war Horus.
Horus im Königstitel
Für alle Könige Ägyptens war die Herrschaft des Horus Vorbild. Sie nahmen den Titel „Lebender Horus“ an, und so ist der Horusname der älteste ägyptische Königstitel. Er ist z. B. bereits für die Könige Hat Hor und Skorpion I. belegt. Der Titel wird durch einen Falken symbolisiert, der auf einem Rechteck, dem Serech, sitzt. Dieses enthält im unteren Teil die sogenannte Palastfassade und darüber den Namen des Königs. Auf der sogenannten Narmer-Palette, die in die 0. Dynastie datiert, ist ein Falke abgebildet, der als Horus bezeichnet wird. Bis in die 4. Dynastie war der Horusname der einzige Name des Königs (Pharaos), es kam aber noch in derselben Dynastie der Goldhorusname (auch Goldname) als weiterer Königstitel hinzu.
Der Horus-Thron
Durch die Krönung zum König Ägyptens wurde der Herrscher zum Horus. Dies drückte sich nicht nur durch den Horusnamen selbst aus. Texte auf Stelen sprechen davon, dass der König auf „den Horusthron der Lebenden“ kam: Der König saß auf dem Thron des Horus. Eine der bekanntesten Stelen, auf der dieser Satz ebenfalls zu finden ist, ist die sogenannte Restaurationsstele Tutanchamuns, wo es u. a. heißt: „Erschienen auf dem Horusthron der Lebenden“ und „um einen König für immer zu schaffen, einen Horus, der dauert für alle Zeit“.[8]
Verehrung und Kultorte
Vor der Reichseinigung war Horus im oberägyptischen Hierakonpolis beheimatet. Weitere Kultorte waren Letopolis und Wawat, ein Gebiet, das südlich vom 1. Katarakt, im unteren Teil Nubiens, lag. Erst später kam Edfu hinzu. Hier wurde er zusammen mit seiner Frau Hathor und dem gemeinsamen Sohn als Dreiheit verehrt. In Kom Ombo wurde er als Haroeris und als Sohn des Re verehrt, in Heliopolis hingegen als Harachte, dem Gott der Morgensonne. Als Harpokrates wurde er hingegen unter anderem in Achmim, Philae, Edfu, Alexandria, Pelusium und dem Fajum verehrt. Als spätere Gottheit Unterägyptens galt er schließlich als Herr des Fruchtlandes von ganz Ägypten.[9]
Ägyptische Mythologie
Durch die geschichtliche Entwicklung und seine verschiedenen Wesensformen ist Horus in der ägyptischen Mythologie in unterschiedlichen Mythen vertreten. Sowohl Harsiese („Horus, Sohn der Isis“) als auch Hor-pa-chered („Horus, das Kind“) zählen zum Osirismythos, wohingegen die Wesensformen des Horus als Haroeris, Horus-Behedeti, Harachte und Harmachis an den Sonnenkult gebunden sind. Daraus ergeben sich die unterschiedlichen Schilderungen über seine Herkunft.
Im Osirismythos ist er der Sohn des Osiris und der Isis. Aber auch Hathor, deren Name mit „Haus des Horus“ übersetzt wird, wurde als seine Mutter angesehen, wobei die Inschriften des Tempels von Edfu sie als seine Gemahlin bezeichnen. Horus gehört nicht zum Kreis der Neunheit von Heliopolis, da der König (Pharao) als Sohn des Osiris ihn verkörpert. Somit steht er der Neunheit gegenüber. Horus wurde während des Monats von Ka-her-ka (Oktober/November) geboren.
Als „Horus der Ältere“, auch „Horus der Alte“, (Haroeris, auch Her-ur oder Her-wer) waren er und Isis die Eltern der vier Horussöhne (auch Kanopengötter) Amset, Hapi, Duamutef und Kebechsenuef. Den Horussöhnen oblag nicht nur der Schutz der Kanopen, sondern sie wurden auch von ihrem Vater als Wächter über die vier Himmelsrichtungen bestimmt, in die sie als Krönungsboten entsandt wurden.
Der Streit zwischen Horus und Seth
Dieser wohl bekannteste Mythos um Horus ist die grundlegende Frage um die Thronfolge nach dem Tod seines Vaters Osiris, der zwischen ihm und dessen Bruder Seth ausgefochten wird. Eine erzählerische Variante des Streits zwischen Horus und Seth wurde im Neuen Reich während der Regierungszeit von Ramses V. verfasst:
Das Kleinkind Horus, Harsiese (Sohn der Isis), wurde von Isis durch die Begattung ihres verstorbenen Gatten Osiris empfangen. Isis zog ihn in den Sümpfen bei Buto auf. Als Horus schließlich zum Mann herangereift war, begann er, Krieg gegen Seth zu führen, um den Thron seines Vaters zurückzugewinnen. Er hatte viele andere Götter als Verbündete und errang im Kampf den Titel Harendotes: Der Beschützer seines Vaters. Obwohl Horus in den Kämpfen gegen Seth und seine Streitmächte sehr erfolgreich war, erholte sich dieser immer wieder von seinen Wunden und Horus konnte ihn nicht besiegen. Der Krieg zog sich hin, und der listenreiche Seth versuchte, für sich Vorteile zu erringen, indem er den Streit um die Thronfolge vor ein Göttergericht brachte.
Die Verhandlung dauerte achtzig Jahre, ohne dass die Götter des Tribunals zu einer Entscheidung gelangten. Die Mitglieder des Gerichtshofes von Heliopolis waren stets mit dem letzten Sprecher, den sie als Zeugen geladen hatten, einer Meinung und wechselten demzufolge immer wieder ihre Ansicht. Die meisten der Richter sprachen für Horus, während Re-Harachte, der den Vorsitz hatte, Seth begünstigte, da dieser der Sohn der Nut war. Schließlich setzten sich Schu und Thot für Horus ein, die die Gerechtigkeit vor der Gewalt aufrechterhalten wollten. Isis, die davon ausging, dass der Streit nun beendet sei, verkündete, es sei der Wille des Gerichts, dass das „Auge“, das Symbol der Königsmacht, an Horus gegeben werde. Re-Harachte, der sich so seiner Führung des Gerichts enthoben sah, wurde zornig und hielt die Götter davon ab, Horus das Auge auszuhändigen. Seth hingegen bedauerte inzwischen, den Fall vor Gericht gebracht zu haben, und da er von seinen Argumenten nicht mehr sehr überzeugt war, schlug er einen Zweikampf vor. Thot widersetzte sich, und so war das Gericht erneut an einem toten Punkt angelangt. Es erfolgte die Vorladung weiterer Götter, darunter der Widder von Mendes, der zusammen mit Ptah erschien, sowie die Göttin Neith. Diese sprach sich dafür aus, Horus den Thron zuzuerkennen, und dass Seth eine Entschädigung erhalten müsse, indem sein Besitz verdoppelt würde und er zwei weitere Frauen (Astarte und Anath) bekommen sollte. Die göttlichen Richter glaubten jetzt, endlich eine Lösung gefunden zu haben, allerdings war Re-Harachte verärgert. Daraufhin gerieten die übrigen Götter in Zorn, und nur Hathor gelang es, Re-Harachte zu besänftigen und dazu zu bewegen, sich wieder zum Gericht zu begeben.
Das Gericht trat abermals zusammen, aber die Diskussion, ob die Thronfolgerechte des direkten Nachkommen wichtiger seien als die besondere Eignung eines anderen Thronanwärters, führte zu keiner Entscheidung. Isis war von Seth von der Verhandlung ausgeschlossen worden und bestach den Fährmann der Götter, Anti, sie zur Insel der Gerichtsverhandlung zu bringen. Hier verwandelte sie sich in ein junges Mädchen. Als Seth das Mädchen sah, verließ er seinen Platz und lauerte ihr auf und Isis erzählte ihm eine Geschichte: Ihr Mann, ein Hirte, sei gestorben und sie sei allein mit ihrem kleinen Jungen zurückgeblieben. Später sei ein Fremder gekommen, der drohte, den Sohn zu schlagen, das Vieh wegzunehmen und sie fortzujagen. Und so bat sie Seth um Beistand gegen den Fremden. Seth, der ihr gefallen wollte, antwortete: „Soll Vieh an Fremde fallen, wenn ein Mann einen Sohn zum Erben hat?“ Nach diesen Worten verwandelte sich Isis in einen Milan, flog davon und rief Seth zu, dass er sein eigenes Urteil gesprochen habe. Seth ärgerte sich, auf ihre List hereingefallen zu sein, und beklagte sich darüber bei Re-Harachte. Dieser konnte jedoch nichts anderes tun, als das Urteil zu bestätigen, und antwortete Seth, dass dieser sich selbst verurteilt habe. Re-Harachte wurde ungeduldig und befahl den Göttern, Horus sofort zu krönen.
Seth war damit nicht einverstanden und schlug erneut einen Zweikampf vor. Die Götter stimmten dem Kampf, in dem sich beide in Flusspferde verwandeln sollten, zu. Gewinner wäre derjenige, der am längsten unter Wasser bliebe. Isis war sich sicher, dass Seth, dessen natürliche Gestalt die des Flusspferdes war, ihren Sohn Horus töten würde. Sie befestigte eine Harpune an einem langen Seil und warf diese ins Wasser. Ihr erster Wurf jedoch traf Horus, und als sie ihren Fehler bemerkte, warf sie die Harpune erneut und traf dieses Mal Seth. Seth flehte seine Schwester an, er solle sie ihrer beider Mutter wegen wieder befreien, und Isis befreite ihn. Wütend über diese Schwäche seiner Mutter sprang Horus aus dem Wasser und schlug ihr den Kopf ab. Daraufhin beschlossen die Götter, Horus zu bestrafen, konnten ihn aber nicht finden. Seth hingegen fand ihn auf dem Berg, riss ihm die Augen aus und vergrub diese in der Erde. Als Seth zu den Göttern zurückkehrte, erklärte er, er habe Horus nicht finden können. In einer Fassung des Mythos wurde Horus am Hang liegend von Thot, in einer anderen von Hathor gefunden. Hathor wusch ihm die Augenhöhlen mit Gazellenmilch aus, wodurch er sein Augenlicht wieder erlangte. Gemeinsam kehrten sie zum Göttergericht zurück. Doch erneut brach ein Streit aus, und Verleumdung, Betrug und Gewalt wurden beidseitig eingesetzt, um ein Ergebnis herbeizuführen. Isis vereitelte einen Anschlag von Seth gegen Horus, und Horus versuchte Seth in einem Duell zu betrügen, in dem er Seth schwer verwundete. Es konnte immer noch keine Entscheidung getroffen werden, und so rief das Gericht erneut Neith an, die jedoch nicht weiter helfen konnte.
Thot schlug schließlich vor, sich wegen eines letzten Urteils an Osiris zu wenden, der zugunsten seines Sohnes sprach. Osiris schimpfte die Götter für die lange Dauer der Urteilssprechung und, dass sie Horus so schlecht behandelt hatten. Osiris trug vor, er sei der Gott der Vegetation und die anderen Götter würden ihm Dank für Korn und Vieh schulden, denn kein anderer Gott außer ihm habe solche Dienste geleistet. Diese Äußerung machte Re-Harachte wütend und er entgegnete Osiris, es gäbe auch ohne ihn Korn. Durch seine Antwort beendete Osiris den Streit und stellte die Machtverhältnisse für den Gott der Lebenden und der Toten fest. Er pries den höchsten Gott der Neunheit und berief sich darauf, dass Maat missachtet worden sei. Seine eigentliche Drohung, dass ihm „Boten mit den wilden Gesichtern“ zur Verfügung stünden, sprach er nicht aus: Diese Boten könnten das Herz eines jeden Gottes oder Sterblichen holen, der Böses vollbracht habe. Außerdem sei es Bestimmung, dass jedes Wesen in den Westen, das Land der Toten, kommen würde. Und dort unterstünden alle dem Urteil von Osiris, der letztlich der Herr über alle sei. Diese Drohung blieb nicht wirkungslos: Das Urteil wurde eilends zugunsten von Horus gefällt, und Seth in Ketten vor die Götter gebracht. Re-Harachte nahm ihn nach Fürsprache als „Sohn der Nut und seinen Sohn“ zu sich, damit „Seth fortan mit ihm lebe, im Himmel donnere und man ihn fürchten solle“. Horus trat sein Erbe an, erhielt den Titel „Horus, Herr beider Länder“ und wurde Herrscher über Ober- und Unterägypten.[10]
In der griechischen Mythologie wird Horus per Interpretatio Graeca dem Gott Apollon gleichgesetzt.
Das Horus-Auge
In einer Version des Mythos Der Widerstreit von Horus und Seth sticht Seth Horus beide Augen aus (siehe oben), in einer anderen Fassung hingegen verlor Horus im Kampf gegen Seth nur das linke Auge, das sogenannte Mondauge. Dieses wird als „Horus-Auge“, auch „Udjat-Auge“, bezeichnet. Es ist das heile oder gesunde Auge. In beiden Fassungen des Mythos erhält Horus jedoch das Augenlicht zurück, indem Thot das Auge heilt.
Moderne
Auch im heutigen Ägypten erfreut sich eine Verbindung zu Horus großer Beliebtheit, wahrscheinlich auch durch die Wertschätzung der muslimischen Araber für Jagdfalken. Die nationale Fluggesellschaft Egypt Air hat Horus als Signet und Logo, die Business-Class wurde früher Horus Class genannt. Auf dem Nil verkehrende Schiffe haben das Auge des Horus vorne am Bug beidseitig aufgetragen, um Unglück abzuwenden.
Siehe auch
Literatur
- Mary Barnett: Götter und Mythen des alten Ägypten. Gondrom, Bindlach 1998, ISBN 3-8112-1646-5.
- Hans Bonnet: Lexikon der ägyptischen Religionsgeschichte. Nikol, Hamburg 2000, ISBN 3-937872-08-6, S. 307–314.
- Adolf Erman: Die Aegyptische Religion. Reimer, Berlin 1909.
- Rolf Felde: Ägyptische Gottheiten. 2. erweiterte und verbesserte Auflage, R. Felde Eigenverlag, Wiesbaden 1995.
- Lucia Gahlin: Ägypten – Götter, Mythen, Religionen. Edition XXL, Fränkisch-Crumbach 2005, ISBN 3-89736-312-7.
- Wolfgang Helck, Eberhard Otto: Kleines Lexikon der Ägyptologie. Harrasowitz, Wiesbaden 1999, ISBN 3-447-04027-0.
- Erik Hornung: Der eine und die Vielen, Ägyptische Gottesvorstellungen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1971/ 7. Auflage, von Zabern, Darmstadt/ Mainz 2011, ISBN 978-3-8053-4364-0.
- Veronica Ions: Die Götter und Mythen Ägyptens. (= Die großen Religionen der Welt – Götter, Mythen und Legenden.) Neuer Kaiser Verlag – Buch und Welt, Klagenfurt 1988.
- Richard W. Larisch: Frau auf dem Horusthron. Makarê – Königin von Saba? Larisch, Bonn 1980.
- Christian Leitz u. a.: Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen (LGG). Band 5: Ḥ – ḫ (= Orientalia Lovaniensia analecta. Band 114). Peeters, Leuven 2002, ISBN 90-429-1150-6, S. 230–237.
- Manfred Lurker: Lexikon der Götter und Symbole der alten Ägypter. Scherz, Bern/ München/ Wien 1998, ISBN 3-502-16430-4.
- Günther Roeder: Ägyptische Mythen und Legenden (= Die Bibliothek der Alten Welt). Artemis, Zürich 1960.
Weblinks
- Der altägyptische Königtum-Mythos. Humboldt-Gesellschaft
Anmerkungen und Einzelnachweise
- Christian Leitz u. a.: LGG. Leuven 2002, S. 233.
- Rolf Felde: Ägyptische Gottheiten. Wiesbaden 1995, S. 25.
- Ursula Kampmann: Die Münzen der römischen Kaiserzeit. 1. Auflage, Battenberg 2004, München/ Gietl, Regenstauf 2004, ISBN 3-89441-549-5, S. 215 Nr. 50.38.
- W. Helck, E. Otto: Kl. Lexikon der Ägyptologie. Wiesbaden 1999, S. 127.
- Veronica Ions: Die Götter und Mythen Ägyptens. Klagenfurt 1988, S. 66.
- Veronica Ions: Die Götter und Mythen Ägyptens. Klagenfurt 1988, S. 67.
- Manfred Lurker: Lexikon der Götter und Symbole der Alten Ägypter. Bern u. a. 1998, S. 101.
- Hermann A. Schlögl: Echnaton, Tutanchamun. Fakten und Texte. Harrassowitz, Wiesbaden 1983, ISBN 3-447-02337-6, S. 129.
- Rolf Felde: Ägyptische Gottheiten. Wiesbaden 1995, S. 26.
- Der vollständige Mythos in Übersetzung und mit Erläuterungen ist nachzulesen bei: Günther Roeder: Ägyptische Mythen und Legenden. Zürich 1960; sowie in der vierbändigen Reihe Die ägyptische Religion in Texten und Bildern (= Bibliothek der alten Welt.). Artemis-Verlag, Zürich 1959–1961; und bei Veronica Ions: Die Götter und Mythen Ägyptens. Klagenfurt 1988.