Hamid al-Din al-Kirmani
Hamīd ad-Dīn Abu l-Hasan Ahmad bin ʿAbdallāh al-Kirmānī (arabisch حميد الدين أبو الحسن أحمد بن عبد الله الكرماني, DMG Ḥamīd ad-Dīn Abu-'l-Ḥasan Aḥmad bin ʽAbd Allāh al-Kirmānī; † nach 1020/21) war ein herausragender ismailitischer Dāʽī und einer der wichtigsten ismailitischen Theologen und Philosophen seiner Zeit.
Leben
Dass nur wenig biographische Daten von ihm bekannt sind und er von zeitgenössischen Historikern nicht erwähnt wird, ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass er den größten Teil seiner Zeit als ismailitischer Dāʽī und Gelehrter in einer feindlichen Umgebung aktiv war, bzw. in einer Umgebung, die von Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen religiösen und politischen Gruppierungen geprägt war. Was man über sein Leben weiß, ist daher zum größten Teil seinen eigenen zahlreichen Werken entnommen.[1]
Im Irak
Seine Nisba lässt darauf schließen, dass er in der persischen Provinz Kirman geboren wurde. Das Jahr seiner Geburt ist nicht bekannt. Aufgrund seiner Schriften ist nur die Lebenszeit von 399/1008 bis 411/1020 sicher. Al-Kirmānī lebte und lehrte zuerst im heutigen Irak. Der Titel seines nicht erhaltenen Werks al-Mağālis al- baġdādīya wa-l-baṣrīya[2] deutet darauf hin, dass er in diesen beiden Städten, Bagdad und Basra, tätig war. Idrīs ʽImād ad-Dīn al-Quraischī, ismailitisch-fatimidischer Dāʽī und Historiker (gest. 872/1468) im Jemen, bezeichnet al-Kirmānī als Ḥuğğat al-ʽIrāqain[3] (Irak und Persien), d. h. als die höchste Autorität innerhalb der ismailitischen Daʿwa in der Region, was darauf schließen lässt, dass sich seine Tätigkeit auch auf Zentral- und Westpersien erstreckte.[4] Zur damaligen Zeit waren Bagdad und Basra Zentren unterschiedlicher geistiger Strömungen und damit die Heimat einiger wichtiger geistiger Führer, wie z. B. Vertretern der Muʿtazila. In seinen Schriften aus dieser Zeit setzt sich al-Kirmānī mit diesen Strömungen auseinander.[5] Muhammad Kāmil Husain, Herausgeber von al-Kirmānīs Risāla al-wāʽiẓa, ist der Meinung, dass al-Kirmānī Mitglied der sogenannten „Lauteren Brüder“ (Iḫwān aṣ-Ṣafāʾ) war. Dies begründet er damit, dass al-Kirmānī hauptsächlich in Basra tätig war, wo sich auch die „Lauteren Brüder“ befanden. Außerdem sind viele Wissenschaftler der Meinung, dass die „Lauteren Brüder“ ebenfalls Ismailiten waren.[6][7] Neben der Darlegung der ismailitischen Glaubenslehre verfolgte al-Kirmānī im Irak mit seinen Schriften das Ziel, lokale Herrscher und Stammesführer für die ismailitische Sache zu gewinnen. Mit einigem Erfolg: 401/1010-11 erklärten der Herrscher von Kufa und Mosul und der Führer der Banū Asad ihre Loyalität gegenüber den Fatimiden.[8] In seinem Werk al-Maṣābīḥ fī iṯbāt al-imāma, das vermutlich zwischen 402/1011 und 406/1015 entstand, wendet sich al-Kirmānī direkt an Fachr al-Mulk, den buyidischen Wesir. Obwohl sie Schiiten waren, unterstützten oder tolerierten die Buyiden das abbasidische Kalifat. Al-Kirmānī übt offene Kritik an dieser Haltung.[9] Möglicherweise setzte sich al-Kirmānī mit dieser Kritik einer hohen Gefahr im Irak aus. Sicherlich geschah es aber auch in Anerkennung seiner Verdienste um die ismailitische Sache und im Vertrauen auf seine Fähigkeiten, dass er 405 oder 406 n. H. (1014/1015), im Zusammenhang mit der Erneuerung der dortigen Daʽwa, nach Kairo, die Hauptstadt der ismailitischen Fatimiden und ihres Herrschers und Imams al-Hākim bi-Amr Allāh (386–411/996–1021), berufen wurde.[10]
In Ägypten
Die Situation, die al-Kirmānī in Ägypten vorfand, war völlig anders als diejenige im Irak, wo der sunnitische Islam abbasidischer Prägung dominierte. Im Gegensatz dazu ging in Ägypten die Gefahr für die ismailitische Normenlehre von innen aus, und zwar durch unorthodoxe ismailitische Daʽīs, die extremistische Tendenzen verfolgten. Die größte Gefahr stellten hierbei al-Hasan al-Farghānī al-Achrām, Hamza b. ʽAlī b. Ahmad und Muhammad b. Ismāʽīl ad-Darazī dar,[11] die den Imam al-Hākim bi-Amr Allāh als letzte physische Inkarnation Gottes verehrten. Mit seinen Sendschreiben, die in den Jahren zwischen 1017 und 1020 entstanden, wurde Hamza b. ʽAlī b. Ahmad zum Begründer der drusischen Lehre. Ad-Darazī, einer der Dāʽīs, die von Hamza ausgesandt wurden, war in Kairo so einflussreich, dass von seinem Namen die Bezeichnung der neuen Lehre abgeleitet wurde. Während seiner Zeit in Kairo spielte al-Kirmānī eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung dieser Ghulāt, indem er in seinen dort entstandenen Schriften die festen und gültigen ismailitischen Glaubenslehren, vor allem auch was die Imamatsvorstellung und die Stellung des Imam anbelangt, formulierte, um so wieder Ruhe und Ordnung innerhalb der Daʽwa zu schaffen.[12] Durch die wenigen Jahre, die al-Kirmānī in Kairo verbrachte, wurde er zum Augenzeugen der turbulenten Ereignisse während der letzten Jahre der Herrschaft von al-Hākim bi-Amr Allāh. Aufgrund seiner hohen Funktion innerhalb der Daʽwa konnte er die Dimensionen der Ereignisse besser ermessen als andere, so dass er zu einer wichtigen Quelle für die spätere ismailitische Geschichtsschreibung wurde, was diese Zeit und die Herrschaft al-Hākims insgesamt anbelangt.[13] Das Imamat von al-Hākim bi-Amr Allāh endete mit dessen Verschwinden am 13. Februar 1021. Schon zuvor war al-Kirmānī in den Irak zurückgekehrt. Die endgültige Version seines bedeutendsten Werks Rāhat al-ʿaql entstand 411/1020 im Irak. Der Grund seiner Ausreise aus Ägypten ist nicht bekannt. Das Todesjahr von al-Kirmānī liegt ebenfalls im Dunkeln. Keine seiner Schriften ist az-Zāhir, dem Nachfolger al-Hākims, gewidmet. Daher liegt es nahe, dass er nicht viel später als 411/2021 starb.[14]
Lehre
In seinen Schriften legt al-Kirmānī die ismailitische Normenlehre dar. Anlass für seine Bücher und Sendschreiben waren oft Theorien, von denen eine Bedrohung für die ismailitische Lehre von innen ausging, oder Behauptungen, die von schiitischen oder sunnitischen Gegnern der Ismailiya erhoben wurden. Manchmal wurde er auch ausdrücklich gebeten, zu einer theologischen Frage Stellung zu beziehen. Al-Kirmānī war aber nicht nur Theologe, sondern auch einer der bedeutendsten Philosophen seiner Zeit. Er war mit den hebräischen und syrisch-aramäischen Texten der Bibel und nachbiblischen jüdischen Schriften ebenso vertraut wie mit den Lehren des Aristoteles, der in der islamischen Welt vorherrschenden Richtung des Neuplatonismus und islamischen Philosophen, wie al-Fārābī und Ibn Sīnā.[15] Damit steht er in der Tradition seiner Glaubensrichtung, da die auf den Werken von Aristoteles und Platon beruhenden philosophischen Lehren vor allem bei den Ismailiten auf großes Interesse stießen. Von Muhammad an-Nasafī (gest. 942) stammt ein früher ismailitischer Text neuplatonischer Ausrichtung. Abū Yaʽqūb as-Sidschistānī (gest. um 1000) entwickelte diese Ideen weiter zu einem komplexen Gedankengebäude. al-Kirmānī war es schließlich, der all diese Strömungen und Einflüsse, unter Einbeziehung neuerer philosophischer Ideen, vor allem der Kosmologie al-Fārābīs, in einem eigenen metaphysischen System zusammenfasste[16] Seine philosophischen Standpunkte, die in Vielem von denen seiner Vorgänger abwichen, fanden allerdings keinen großen Anklang innerhalb der ismailitischen Daʽwa. Die philosophischen Theorien von Abū Yaʿqūb as-Sidschistānī, insbesondere dessen Kosmologie, waren zur damaligen Zeit wesentlich populärer. Aus diesem Grund geriet al-Kirmānīs Werk für einige Zeit in den Hintergrund, bis es von der ismailitischen Gemeinschaft der Taiyibiten im 6./12. Jh. im Jemen wiederentdeckt wurde.[17]
Zentrale Themen in al-Kirmānīs Werk
Hintergrund
Einige Kritiker beschuldigten die Ismailiten, dass sie nur die esoterischen Aspekte des Gesetzes und der Schrift anerkennen würden. Sie behaupteten, die Ismailiten würden lehren, dass die Erfüllung der äußeren Pflichten nicht mehr notwendig sei, sobald man die innere Wahrheit (al-bāṭin) erkannt habe. Die Ismailiten wurden daher als "al-Bātinīya" verspottet.[18] Tatsächlich gab es schon in der frühen Schia, auch der Ismailiya, Gruppierungen, die der Ansicht waren, dass besondere Personen wie Propheten oder Imame in der Lage seien, ihr Wissen von der inneren Bedeutung (al-bāṭin) der göttlichen Offenbarung einem bestimmten privilegierten Kreis von Personen weiterzuvermitteln, die dann aufgrund dieses geheimen Wissens die äußeren Pflichten (aẓ-ẓāhir) eines Muslims, wie Beten, Fasten etc., nicht mehr zu erfüllen brauchten. Gleichzeitig gab es die Vorstellung, dass das Erscheinen des Messias in der Zukunft die Ära des Islam und damit die normative Gültigkeit der islamischen Scharia beenden werde. Diese Tendenzen erhielten zur Zeit al-Kirmānīs neuen Auftrieb durch ismailitische Dissidenten wie al-Hasan al-Farghānī al-Achrām, Hamza b. ʽAlī b. Ahmad und Muhammad b. Ismāʽīl ad-Darazī, al-Achrām und Hamza, die die Ansicht verbreiteten, dass mit dem Auftreten al-Hākims die Auferstehung (qiyāma) bereits stattgefunden und das Zeitalter des Islam somit geendet habe und damit auch die Pflicht zur Einhaltung der Gebote der islamischen Scharia[19][20].
Die zweifache Verehrung (al-ʿibādatain)
Dagegen wendet sich al-Kirmānī entschieden mit seiner Doktrin von der zweifachen Verehrung (al-ʿibādatain), nämlich zum einen durch die Ausübung der rituellen Handlungen, die Einhaltung der religiösen Gebote und moralischen Pflichten (al-ʿibāda al-ʿamalīya) und zum anderen durch „Wissen“, d. h. die Kenntnis von der eigentlichen Bedeutung hinter den Glaubenshandlungen, von der Einzigkeit (tauḥīd) Gottes und von der wahren Realität des Universums und der Schöpfung (al-ʿibāda al-ʿilmīya). Eine ähnliche Einstellung findet sich zwar in der gesamten erhaltenen ismailitischen Literatur, aber nirgendwo so konkret wie bei al-Kirmānī, der die Bedeutung dieses Themas für ihn schon dadurch deutlich macht, dass er die Anhänger seiner Glaubensrichtung in allen seinen Werken als Ahl al-ʿibādatain (Leute der zweifachen Verehrung) bezeichnet.[21] Ein Aspekt in diesem Zusammenhang ist für al-Kirmānī die Frage, ob Muslim sein gleichbedeutend ist mit Gläubiger zu sein. Für al-Kirmānī ist ein Muslim nur dann auch ein Gläubiger, wenn er beides, die Glaubensaspekte und die Erfüllung der praktischen Pflichten beachtet.[22] Wer Gott nur auf die eine Art verehrt, betreibt nach al-Kirmānī Gotteslästerung.[23] Die religiösen Handlungen sind ihm zufolge eine Übung für die Seele. Durch sie erhält die zuerst nur potentiell existierende Seele Beständigkeit und endgültige Realität.[24] Systematisch und detailliert geht al-Kirmānī auf das Thema der zweifachen Verehrung durch Wissen (ʿilm) und Werke (ʿamal) vor allem in seiner Abhandlung ar-Risāla al-waḍīʾa fī maʿālim ad-dīn ein. Darin führt er auch die Inhalte der Gottesverehrung durch Wissen in absteigender Reihenfolge auf.[25]
Gottesvorstellung
Auf der höchsten Stufe dieses Wissenskanons steht das Verständnis von der absoluten Einzigkeit Gottes (tauḥīd). In der Vermittlung der Wahrheit dieser Einzigkeit Gottes besteht für al-Kirmānī der höchste Zweck aller Lehre.[26] Im Mittelpunkt steht dabei nicht das Erkennen Gottes oder der Gottesbeweis. Das Ziel ist vielmehr, das Dogma von der Einzigkeit Gottes von jeder Beeinträchtigung durch die Unvollkommenheit der menschlichen Vorstellungskraft und Erkenntnis freizuhalten.[27] Den Ausgangspunkt für al-Kirmānīs Argumentation bilden die diesbezüglichen Erklärungsversuche der Muʽtaziliten, der Philosophen und früherer ismailitischer Dāʽīs, vor allem an-Nasafīs und as-Sidschistānīs, die er jedoch alle aus dem einen oder anderen Grund für unzulänglich hält.[28]
In seinem Werk Rāḥat al-ʽaql fasst al-Kirmānī seine Gottesvorstellung in folgenden Punkten zusammen: Hierfür benutzt al-Kirmānī alte arabische Begriffe wie „al-ais“ zur Bezeichnung der Existenz bzw. des Existierenden (al-wuǧūud wa-l-mauǧūd) und „al-lais“ zur Bezeichnung der Nicht-Existenz bzw. des Nicht-Existierenden (al-ʿadam wa-l-maʿadūm).
1) Gott hat keine Eigenschaften;
2) Er hat weder einen Körper noch ist er in einem Körper;
3) Niemand kann Gott mit dem Verstand erfassen;
4) Niemand kann Gott mit den Sinnen wahrnehmen;
5) Gott hat weder eine Gestalt noch Materie;
6) Es gibt weder ein Gegenteil noch etwas Vergleichbares zu Gott;
7) Keine Sprache kann etwas auf Gott Zutreffendes zum Ausdruck bringen.[29]
Um alle Zweideutigkeiten auszuschließen, verwendet al-Kirmānī das Mittel der doppelten Verneinung. Gott ist weder körperlich noch nicht körperlich, weder an einem Ort noch nicht an einem Ort, weder zeitlich noch ewig.[30] Für Mustafā Ghālib kommt hierin der Versuch al-Kirmānīs zum Ausdruck, die Argumente der Gegner der Ismailiten zu entkräften und die Verbindung zwischen der Ismailiya und dem Islam als Basis der Ismailiya zu betonen.[31] Nach al-Kirmānī ist Gottes Existenz unbestreitbar. Wenn die Schöpfung existiert, muss auch Gott existieren. Am Anfang der Schöpfungskette steht für ihn jedoch nicht Gott, sondern der "erste Intellekt".[32] Dieser erste Intellekt ist das, was die Menschen meinen, wenn sie von Gott sprechen.[33] Gott dagegen ist das, worauf die Existenz des ersten Seienden und des kosmischen Systems überhaupt zurückgeht, aber selbst außerhalb des Systems steht.[34] Er ist für den Verstand nicht fassbar. Schon der Versuch, Gott zu begreifen, würde die Distanz zu ihm vergrößern. Auch die Sprache ist für al-Kirmānī ein unzureichendes Mittel, um sich der Wahrheit Gottes zu nähern. Streitigkeiten unter früheren islamischen Theologen in dieser Frage seien darauf zurückzuführen, dass diese nicht verstanden hätten, dass die Attribute Gottes im Koran nicht wirklich auf Gott zutreffen. Dass es Gott gibt, drückt al-Kirmānī mit dem Begriff huwa bzw. huwīya aus. Er spricht von Gott als "einzigartig" (fard) und als Schöpfer (mubdiʿ), das sei aber nur als ungefährer Hinweis nicht als Bezeichnung oder Beschreibung zu verstehen.[35] Um alle Zweideutigkeiten auszuschließen, verwendet al-Kirmānī das Mittel der doppelten Verneinung. Gott ist weder körperlich noch nicht körperlich, weder an einem Ort noch nicht an einem Ort, weder zeitlich noch ewig. Gott ist damit für den Menschen weder mit Mitteln des Verstandes noch der Wahrnehmung fassbar.[36]
Schöpfung und kosmisches System
Der Begriff, der von zahlreichen islamischen Gelehrten, so auch al-Kirmānī, verwendet wird, wenn es um den Ursprung der Schöpfung geht, ist ibdāʿ. Er steht für den einzigartigen Schöpfungsakt Gottes, der zur Entstehung von etwas „nicht aus etwas“ (lā min šaiʾ) geführt habe. So wie Gott selbst für den Menschen unbekannt und unbegreiflich sei, so auch seine Rolle als Schöpfer (mubdiʿ).[37] Das Ergebnis des Schöpfungsaktes ist nach al-Kirmānī der erste Intellekt (al-ʿaql al-auwal) als erstes Seiendes im kosmischen System und erste Ursache (prima causa, primum movens). Dieser erste Intellekt sei das, was die Menschen unter Gott verstehen. Der zweite Intellekt entsteht als eine Art Reflexion des ersten, indem letzterer, aus Freude über sein Dasein, ein Abbild seiner selbst erzeugt. Dieser Schöpfungsvorgang wird als Emanation (inbiʿāṯ) bezeichnet. Anders als der erste habe der zweite Intellekt die Eigenschaften von Urmaterie (hayūla). Aus dem zweiten Intellekt entstehen, in hierarchischer Ordnung, acht weitere Intellekte. Aus diesen gehen wiederum die Sphären hervor. Die äußerste Sphäre bildet das schwarze Himmelsgewölbe, das sich in westlicher Richtung bewegt, die zweite diejenige der Fixsterne. Die Sphären drei bis zehn entsprechen den Sphären der sieben Planeten. Die Körper dieser Sphären bewegen sich in östlicher Richtung. Durch ihre perfekte stetige Kreisbewegung dienen und verehren sie Gott. Diese Bewegung gleicht derjenigen eines Pilgers um die Kaaba.[38] Der zehnte Intellekt ist derjenige der irdischen Welt. Seine Materie sind die Elemente, aus denen Mineralien, Pflanzen und Tiere entstehen.[39]
Al-Kirmānī ist der erste Vertreter der ismailitischen Daʽwa, der dieses System aus zehn Intellekten zwischen Gott und der irdischen Welt lehrte. Dieses System geht für den arabischen Raum auf die Philosophie al-Fārābīs (872–950) zurück.[40] Al-Kirmānīs Kosmologie wurde von der fatimidischen Daʽwa nicht übernommen, stellte aber später die Grundlage für die Entwicklung des vierten und endgültigen Stadiums der ismailitischen Kosmologie durch taiyibitische Gelehrte im Jemen dar.[41]
Die Seele
In vielen seiner Werke befasst sich al-Kirmānī mit Fragen der Seele. In seinem Werk al-Aqwāl aḏ-ḏahabīya, in dem er auf Fragen der Medizin und der Behandlung von Krankheiten eingeht, bezeichnet al-Kirmānī die Seele als das, was dem Individuum, von außen kommend, Leben verleiht. Die Seele ist Leben und lebendig zugleich. Im Zeitpunkt des Todes trennen sich Körper und Seele. Während der Körper stirbt, lebt die Seele weiter.[42] Al-Kirmānī wendet sich damit gegen die neuplatonische Vorstellung von einer universellen Seele, an der die menschliche Seele Anteil hat. Die Seele fängt für ihn in dem Moment an zu existieren, in dem das entsprechende Individuum ins Dasein tritt.[43] Al-Kirmānī bezeichnet die Seele als erste Perfektion des Körpers.[44] Zu Beginn ihrer Existenz gleicht sie, ihm zufolge, einem weißen Blatt Papier, ohne jedes Wissen und Verständnis in Bezug auf sich selbst und das Universum.[45] Durch gute Lehre (mauʿiẓa ḥasana) müsse die menschliche Seele dazu angeregt werden, sich nach ihrer zweiten wahren Perfektion und endgültigen Rettung zu sehnen.[46] Diese zweite Perfektion und ewiges Leben erreicht sie durch Erlangung des wahren Wissens.[47] Eine Seelenwanderung (tanāsuḫ) oder Wiedergeburt von Seelen in einer höheren oder niedrigeren Lebensform als Belohnung oder Bestrafung für vollbrachte Taten lehnt al-Kirmānī strikt ab.[48]
Daʿwa
Das Wissen, das der Seele ewiges Leben verleiht, ist gewöhnlichen Menschen nicht direkt zugänglich. Es kommt von den Propheten Gottes und ihren Nachfolgern, den Imamen, und wird in deren Namen und Auftrag weiterverbreitet und gelehrt von der Daʿwa.[49] In seinem Werk ar-Riyāḍ schreibt al-Kirmānī, dass Gott gewusst habe, dass nicht alle seine Diener selbst zu einem vollkommenen Verständnis der Hierarchie und Einzigkeit Gottes gelangen könnten. Daher habe er in jedem Zeitalter eine bestimmte Person, einen Imām, mit einer Perfektion ausgezeichnet, durch die er die Emanation empfangen könne, die von den Engeln kommend in die Welt ströme. Diesem Imam müssten die Menschen gehorchen und folgen, damit ihnen die Barmherzigkeit Gottes zuteil werde. Dies geschehe durch den zweifachen Gottesdienst (al-ʿibādatain).[50] Aufgabe der Daʿwa ist es innerhalb dieses Systems, als Führer und Lehrer zu fungieren.[51]
Muhammad ʽAnān zufolge war die ismailitische Daʽwa der „bedeutendste“ Aspekt der fatimidischen Herrschaft, weil sie die undurchsichtige Basis ihrer Herrschaft darstellte.[52] Sie kontrollierte und schützte die Regierung. Während der Fatimidenherrschaft war sie auf dem Höhepunkt ihres Erfolges. Sie kontrollierte Ägypten und entsandte Prediger in alle Himmelsrichtungen. Laut einer Botschaft des Fatimidenkalifen al-Muʿizz li-Dīn Allāh (ca. 930 - 975) an al-Hasan al-Aʽsam (gest. 977), den Führer der Qarmāten, gab es keine Region der Erde, „in der wir keinen Prediger (dāʽī) haben, der zu uns aufruft“[53] Aufgrund ihrer Bedeutung für den Fatimidenstaat wurde die Daʽwa im Fatimidenpalast organisiert. Ihre Lehre verbreiteten die Dāʽīs im Rahmen sogenannter Mağālis, die großes Interesse fanden. So berichtet der Historiker al-Musābihī, dass im Jahr 385 der Hidschra elf Menschen während eines Vortrags des Rechtsgelehrten Muhammd ibn an-Nuʿmān, des Begründers der ismailitischen Rechtsschule, aufgrund der großen Menschenmasse gestorben seien.[54]
In seinem Werk Rāḥat al-ʽaql spricht al-Kirmānī von der offenen (ad-daʽwa aẓ-ẓāhira) und der verborgenen Daʽwa (ad-daʽwa al-bāṭina), wobei die offene Daʽwa die Unterrichtung in den Formen der praktischen Anbetung darstellt, während die verborgene Daʽwa die spirituelle Anbetung zum Inhalt hat.[55] Außerdem sagt al-Kirmānī, dass es innerhalb der ismailitischen Daʽwa zehn verschiedene Stufen (ḥudūd) gibt, von denen drei wesentlich und sieben untergeordnet sind. Die drei wesentlichen Stufen sind: ar-Risāla („die Botschaft“, gemeint ist die Prophetie Muhammads), al-Wiṣāya („die Vormundschaft“, gemeint ist die ʽAlī ibn Abī Tālibs) und al-Imāma („das Imamat“). Jede Stufe beherrscht dabei die nachfolgende, aber nicht umgekehrt.[56]
Werke
Nachdem seine Werke im 6./12. Jh. von der ismailitischen Gemeinschaft der Taiyibiten im Jemen wiederentdeckt worden waren, entwickelte sich al-Kirmānī für diese spezielle Gemeinschaft zum bedeutendsten Philosophen, insbesondere in kosmologischen Fragestellungen. Dieses große Interesse war sicher der wesentliche Grund dafür, dass viele seiner Schriften erhalten geblieben sind. Praktisch alle noch existierenden Abschriften sind auf die Sammeltätigkeit der taiyibitischen Daʿwa zurückzuführen. Idrīs ʿImād ad-Dīn, Historiker und Oberhaupt der taiyibitschen Daʿwa von 832/1428 bis 872/1468 erstellte eine Liste aller Schriften von al-Kirmānī, die sowohl diejenigen umfasste, die zu Idrīs Lebzeiten im Jemen vorhanden waren, als auch diejenigen, die ihm nur dem Titel nach bekannt waren, vor allem weil al-Kirmānī selbst in seinen erhaltenen Werken darauf Bezug nimmt. Daraus ergibt sich ein Korpus von insgesamt neunundzwanzig Werken. Von diesen sind achtzehn Bücher und Abhandlungen erhalten.[57] Da seine Werke zum großen Teil fast ein Jahrtausend lang nur taiyibitschen Kreisen zugänglich waren,[58] war al-Kirmānī bis in die Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts hinein Außenstehenden praktisch unbekannt. Dies änderte sich etwas mit der Veröffentlichung seines Hauptwerks Rāḥat al-ʿaql durch Muhammad Kāmil Husain und Muhammad Mustafā Hilmī 1953 in Kairo. Einen Meilenstein für die Forschungstätigkeit zu al-Kirmānī und seinem Werk bedeutete 1995 die Veröffentlichung von Daniel De Smet’s La Quiétude de l’intellect: Néoplatonisme et gnose ismaélienne dans l’oeuvre de Ḥamīd ad-Dīn al-Kirmānī (Xe/XIes.).[59]
Chronologie
Nur drei von al-Kirmānīs Werken, nämlich ar-Risāla al-ḥāwiya (399/1008), ar-Risāla al-wāʿiẓa (408/1017) und die letzte Version von Rāḥat al-ʿaql (411/1020), sind eindeutig datiert. Anhand von Verweisen al-Kirmānīs in seinen Werken auf frühere seiner Schriften und aufgrund von darin enthaltenen Hinweisen auf historische Ereignisse gelangt Paul E. Walker zur unten aufgeführten ungefähren chronologischen Reihenfolge. Eine eindeutige zeitliche Einordnung ist größtenteils nicht möglich, weil al-Kirmānī seine Werke selbst immer wieder überarbeitete, so dass aus einem Verweis auf ein anderes Werk nicht zwangsläufig zu schließen ist, dass es sich dabei um ein älteres handelt.[60]
Frühe Phase im Irak
- al-Mağālis al-baġdādīya wa-'l-baṣrīya (nicht erhalten): Der Titel ist ein Hinweis darauf, dass al-Kirmānī in Bagdad und Basra Lehrsitzungen (mağālis) abhielt.
- ar-Risāla al-ḥāwiya fi ʾl-lail wa-n-nahār (399/1008): Es ist das früheste erhaltene Werk von al-Kirmānī. Es ist aber anzunehmen, dass sein literarisches Schaffen in die Zeit davor zurückreicht. In der kleinen Abhandlung beantwortet al-Kirmānī die Anfrage eines untergeordneten Dāʽī darüber, ob der Tag oder die Nacht früher dagewesen sei in Zusammenhang mit der Frage der Vorrangigkeit und der Stellung sog. sprechender Propheten (nuṭaqā’) gegenüber sog. Gründern (asās).[61][62]
- Iklīl an-nafs wa-tāğuhā (nicht erhalten): al-Kirmānīs Einführung zu al-Aqwāl aḏ-ḏahabīya zufolge, behandelte er in diesem Werk Fragen der Führung (siyāsa), die Vorzüge bestimmter Tiere und des Menschen gegenüber anderen Wesen und das Weiterleben der Seele nach dem Tod.[63]
- al-Muqāyis (nicht erhalten): Wird von al-Kirmānī ebenfalls in seiner Einführung zu al-Aqwāl aḏ-ḏahabīya erwähnt. Es handelte sich um eine Gegenschrift gegen ġulāt und deren Behauptungen in Bezug auf Seelenwanderung.[64]
- al-Waḥīda fi 'l-maʽād bzw. Fi 'l-maʽād (nicht erhalten): Wird von al-Kirmānī an 17 Stellen in sechs von seinen Werken erwähnt. Der Titel findet sich auch in Katalogen ismailitischer Handschriften, wobei es sich dort aber wohl um das Werk eines späteren Autors handelt.[65]
- Tāğ al-ʽuqūl (nicht erhalten): In al-Aqwāl aḏ-ḏahabīya erwähnt. Befasste sich vermutlich mit Fragen der Seele.[66]
- Risālat al-Mafāwiz wa-'l-ḥadā'iq (nicht erhalten): In al-Aqwāl aḏ-ḏahabīya erwähnt. Befasste sich vermutlich mit Fragen der Seele.[67]
- Kitāb an-Naqd wa-'l-ilzām (nicht erhalten): Einem Hinweis in al-Aqwāl aḏ-ḏahabīya nach handelte es sich dabei um eine Gegenschrift gegen den führenden zeitgenössischen muʽtazilitischen Theologen ʽAbd al-Ğabbār ibn Aḥmad, worin al-Kirmānī die Seele als die von außen kommende Kraft bezeichnet, die den Körper mit Leben erfüllt. Die Seele ist, ihm zufolge, Leben und lebendig gleichzeitig. während ʽAbd al-Ğabbār bestreitet, dass Leben (al-ḥayāt) etwas sei, das lebt (al-ḥayy).[68]
- ar-Risāla al-lāzima fī ṣaum šahr Ramaḍān wa-ḥīnihi: al-Kirmānī beantwortet darin eine Anfrage bezüglich des Beginns des Fastenmonats im Jahr 400/1010. Die Ismailiten ermittelten den Beginn des Ramadan durch astronomische Berechnungen, während für die Sunniten der sichtbare Neumond entscheidend war. Im Jahr 400/1010 lag der Beginn nach ismailitischer Berechnung und entsprechender Verfügung des Imams zwei Tage vor dem tatsächlichen Erscheinen des Neumonds. al-Kirmānī rechtfertigt den Unterschied.[69]
- al-Aqwāl aḏ-ḏahabīya: Eine Gegenschrift gegen aṭ-Ṭibb ar-rūḥānī von Abū Bakr ar-Rāzī, worin al-Kirmānī Abū Bakr ar-Rāzī attackiert und ihm die Qualifikation abspricht, sich mit Krankheiten der Seele zu befassen, auch wenn er dessen Fähigkeiten auf dem Gebiet der Medizin anerkennt.[70]
- Maʽāṣim al-hudā wa-'l-iṣāba fī tafḍīl ʽAlī ʽala ʽṣ-ṣaḥāba (nach 401 n. H.): Die erste Hälfte des Werks ist verlorengegangen.[71] Die chronologische Einordnung beruht darauf, dass es auf einen Erlass von al-Hākim bi-Amr Allāh im Jahr 401 n. H. Bezug nimmt.[72] al-Kirmānī attackiert darin Amr ibn Bahr al-Dschāhiz, der in seinem Werk Kitāb al-ʽUṯmānīya die Überlegenheit von ʿAlī ibn Abī Tālib über Abū Bakr, ʽUmar und ʽUthmān leugnet. al-Kirmānī beschreibt die Tugenden und Vorzüge, durch die sich ʽAlī vor allen anderen Gefährten auszeichnet, erweist aber auch Abū Bakr Respekt.[73]
- al-Maṣābiḥ fī iṯbāt al-imāma (zwischen 402 und 407): Von al-Kirmānī in der Absicht verfasst, Fachr al-Mulk, den buyidischen Wesir im Irak, selbst Schiit, für die ismailitische Sache und das Imamat von al-Hākim bi-Amr Allāh zu gewinnen.[74] Er legt darin die Imamatslehre nach fatimidischem Verständnis dar.[75]
In Kairo entstandene Werke
- Risālat mabāsim al-bišārāt bi-'l-Imām al-Ḥākim bi-Amr Allāh: Dem Mu'dhdhin von al-Azhar, ʽAlī ibn al-Husain ibn Ahmad al-Isfahānī, gewidmet. al-Kirmānī beklagt darin das Chaos innerhalb der ägyptischen Daʽwa, das er nach seiner Ankunft in Kairo (405/1014 oder 406/1015) vorfand. Das Werk, in dem er das Imamat im Allgemeinen und das von al-Hākim bi Amr-Allāh im Besonderen verteidigt, ist ein erster Schritt seinerseits, die Ordnung wiederherzustellen.[77] Al-Kirmānī wendet sich darin gegen die drusische Bewegung, indem er erklärt, dass al-Hākim lediglich von Gott ernannt und nicht selbst göttlich sei.[78]
- ar-Risāla ad-durrīya fī maʽnā at-tauḥīd wa-'l-muwaḥḥid wa-l-'muwaḥḥad (nach 406): Wahrscheinlich wurde al-Kirmānī von Abū Mansūr Chatkīn al-ʽAḍudī, dem Dāʽī ad-Duʽāt, mit dieser Abhandlung beauftragt, um eine Frage zu beantworten, die während einer Versammlung der Dāʽīs gestellt worden war. al-Kirmānī erkennt darin die wichtige Rolle von Chatkīn an, der möglicherweise auch für seine Berufung nach Kairo verantwortlich war. Auch in dieser Schrift geht al-Kirmānī auf die beklagenswerten Zustände innerhalb der Daʽwa ein.[79]
- Risālat ar-rauḍa fi l'-azalī wa-'l-azalīya: Hängt inhaltlich mit ar-Risāla az-zāhira zusammen. al-Kirmānī kritisiert darin Abū Yaʽqūb as-Sidschistānī für dessen Verwendung der Begriffe al-azal (das Ewige), al-azalī (Ewigkeit) und al-azalīya (Ewigkeit).[80]
- ar-Risāla az-zāhira fī ğawāb masā'il: Darin beantwortet al-Kirmānī die Anfrage eines Dāʽī, ob eine Abū Yaʽqūb as-Sidschistānī zugeschriebene Abhandlung tatsächlich von diesem stamme, was al-Kirmānī verneint.[81]
- ar-Risāla al-muḍī’a fi-ʼl-amr wa-l-ʼāmir wa-ʼl-maʼmūr wa-fīhā radd min qaul ṣāḥib al-maqālīd: Hängt inhaltlich mit ar-Risāla al-waḍī’a zusammen. al-Kirmānī widerspricht darin außerdem einer Lehrmeinung von Abū Yaʽqūb as-Sidschistānī.[82]
- ar-Risāla al-waḍī’a fī maʽālim ad-dīn wa-uṣūlihā: Von al-Kirmānī als Einführung in die Grundlagen der offiziellen ismailitischen Glaubenslehre verfasst. Er behandelt darin ausführlich und systematisch seine Lehre von der zweifachen Verehrung Gottes durch Wissen und Werke (al-ʽibādatain). Im ersten Teil des Werks führt al-Kirmānī die Inhalte des Wissens auf, wie die Einheit und Einzigkeit Gottes (tauḥīd), Engel, Propheten, heilige Schriften und Gesetze, Seele etc., im zweiten Teil, der im Wesentlichen dem Werk Daʽā’im al-Islām von Qādī an-Nuʽmān (gest. 363/974), dem Begründer der ismailitischen Rechtsschule, folgt, die praktischen religiösen Pflichten, wie Glaubensbekenntnis, Gebet, Almosengeben, Fasten, Pilgerfahrt, Ğihād und ethisches Verhalten.[83]
- Risālat an-nuẓum fī muqābalat al-ʽawālim baʽḍuhā baʽḍan bimā fīhā min al-mauğūdāt: Von al-Kirmānī verfasst, um Themen, die er bereits in ar-Risāla ad-durrīya behandelt hatte, weiter klarzustellen.[84]
- ar-Risāla ar-raḍīya fī ğawāb man yaqūl bi-qidam al-ğauhar wa ḥudūṯ aṣ-ṣūra: Hängt inhaltlich mit Risālat an-nuẓum zusammen.[85]
- ar-Risāla al-wāʽiẓa ʽan masā'il al-māriq min ad-dīn Ḥasan al-Farġānī (408/1017): Von al-Kirmānī in Antwort auf ein Pamphlet von al-Achrām verfasst. Er weist darin al-Hākims Göttlichkeit zurück und beschuldigt die Abweichler als Ghulāt und Kuffār. Er bestreitet, dass die Auferstehung durch das Erscheinen al-Hākims bereits eingetreten sei und die Ära des Islam damit geendet habe.[86][87]
- Tanbīh al-hādī wa-'l-mustahdī: Al-Kirmānī gibt an, das Buch geschrieben zu haben, weil er festgestellt habe, dass die Muslime in viele Fraktionen zerfallen und von ihrer wahren Religion abgewichen seien. In einem Teil des Buches stellt er die offizielle Lehre der ismailitischen Daʽwa in Bezug auf grundlegende Themen dar. Im Wesentlichen argumentiert er darin aber gegen Gruppierungen und Strömungen, wie die Philosophen (al-mutafalsifūn), die Muʽtaziliten, Zaiditen, Zwölfer-Schiiten etc., die in Opposition zum Imamat der Fatimiden standen.[88][89]
- Kitāb ar-Riyāḍ: Al-Kirmānī widmet sich darin Streitfragen innerhalb der ismailitischen Daʽwa, die auf philosophischen Auseinandersetzungen zwischen Muḥammad Nasafī, Abū Yaʽqūb as-Sidschistānī und Abū Chātim ar-Rāzī über Fragen der Seele, des Geistes, der Schöpfungsordnung, des Tauḥīd-Verständnisses etc., beruhten.[90][91] In seinem Hauptwerk Rāhat al-ʽaql empfiehlt al-Kirmānī, sein ar-Riyāḍ zur Vorbereitung auf Rāhat al-ʽaql mehrmals zu lesen.[92]
Nach der Rückkehr in den Irak
- Rāhat al-ʿaql: Dies ist nicht nur al-Kirmānīs wichtigstes und umfangreichstes Werk, sondern eines der interessantesten Werke der ismailitischen Daʽwa überhaupt.[93] Al-Kirmānīs eigenen Aussagen zufolge entstand die endgültige Fassung 411/1020 im Irak.[94] Verweise auf den Titel in anderen Werken lassen vermuten, dass es eine frühere Version gab, die er schon mit nach Ägypten brachte.[95] Schon der systematische Aufbau des Werkes ist bemerkenswert. Seinen Inhalt bildet das Wissen, durch welches der Leser, al-Kirmānī zufolge, die "geistige Ruhe" (Rāhat al-ʽaql) findet und seine Seele ewiges Leben erlangt. Dieses Wissen strukturiert al-Kirmānī in Form einer Stadt, der Stadt Gottes, in Anlehnung an den berühmten Hadith des Propheten Muḥammad: „Ich bin die Stadt des Wissens, und Ali ist ihr Tor. Und wer Wissen will, der gelangt dazu durch sein Tor.[96]“ Diese Stadt besteht aus sieben Befestigungsmauern bzw. Wällen (aswār), die jeweils zu sieben Wegen (mašāriʽ) führen, bis auf den letzten Wall, von dem vierzehn Wege abgehen. Die Mauern erfüllen hierbei die Funktion einer hierarchischen Unterteilung des Wissens, während die Wege einzelne Themen oder Bereiche symbolisieren.[97] Insgesamt handelt es sich um eine systematische Zusammenfassung des metaphysischen Wissens, das ein Gläubiger, nach al-Kirmānī, haben muss, um seine Pflicht der Verehrung Gottes durch Wissen (al-ʽibāda al-ʽilmīya) im Rahmen der zweifachen Verehrung (al-ʽibādatain) zu erfüllen.[98] Gleichzeitig entwickelt al-Kirmānī hierin, auf der Grundlage unterschiedlicher philosophischer Traditionen, seine eigene Kosmologie, mit der er das neuplatonische Zweiersystem aus Intellekt (ʽaql) und Seele (nafs), das von früheren ismailitischen Gelehrten übernommen worden war, in Anlehnung an al-Fārābī, durch ein System aus zehn Einzelintellekten ersetzte.[99]
Die folgenden Werke, deren Titel nur aufgrund von Verweisen darauf bekannt sind, können zeitlich nicht eingeordnet werden:
- Maidān al-ʿaql bzw. Maidan al-ʽuqūl (nicht erhalten): In Rāhat al-ʽaql zitiert.[100]
- Risālat al-fihrist (nicht erhalten): Möglicherweise ein von al-Kirmānī spät verfasstes Verzeichnis seiner Werke.[101]
- ar-Risāla al-lailīya (nicht erhalten): Vielleicht mit ar-Risāla al-ḥāwiya fi 'l-lail wa-'n-nahār identisch.[102]
- ar-Risāla at-taʾwīlīya (nicht erhalten): Möglicherweise handelt es sich dabei nicht um ein eigenständiges Werk, sondern um mehrere Abhandlungen über die Auslegung von Koranversen.[103]
- aš-Šiʽrī fi 'l-ḫawāṣṣ (nicht erhalten): In Risālat mabāsim al-bišārāt zitiert.[104]
Literatur
Veröffentlichungen von Werken al-Kirmānīs
Siehe zum Folgenden: Walker, al-Kirmānī, S. 156–160:
- al–Aqwāl aḏ–ḏahabīya, ed. Ṣalāḥ aṣ-Ṣāwī, Teheran 1977.
- Kitāb Maʽāṣim al-hudā wa-'l-iṣāba fī tafḍīl ʽAlī ʽala ʽṣ-ṣaḥāba, Ms. 724, copied in Surat 1356/1937 and 107, undated, The Institute of Ismaili Studies Library, London. All specific citations, by folio number, are to Ms. 724.
- Kitāb al-Maṣābīḥ fī iṯbāt al-imāma, ed. Muṣṭafā Ġālib, Beirut, 1969.
- Kitāb Rāhat al-ʿaql, ed. Muḥammad Kāmil Ḥusain und Muḥammad Muṣṭafā Ḥilmī, Kairo, 1953; ed. Muṣṭafā Ġālib, Beirut, 1967; Ms. Hamdani Collection (from photocopy ARCE, Cairo).
- Kitāb ar-Riyāḍ, ed. ‘Ārif Tāmir, Beirut, 1960; Ms. Hamdani Collection.
- Kitāb Tanbīh al-hādī wa-'l-mustahdī, Ms. 723, in: The Institute of Ismaili Studies Library, London. (See Gacek, p. 152). Ms. Fyzee Collection, Bombay University Library, no. 57 (Goriawala). References by page number to the first of these.
- Mağmū‘at rasā’il al–Kirmānī, ed. Muṣṭafā Ġālib, Beirut, 1983 (darin enthalten: ad-Durrīya, an-Nuẓum, ar-Raḍīya, al-Muḍī’a, al-Lāzima, ar-Rauḍa, az-Zāhira, al-Ḥāwiya, Mabāsim, al-Wāʽiẓa, al-Kāfiya, sowie zwei Abhandlungen Fi ’r-radd ‘ala man ankara [yunkiru] al-‘ālam ar–rūḥānī und Ḫazā’in al-adilla (nicht von al-Kirmānī)).
- ar-Risāla ad-durrīya fī maʽnā at-tauḥīd, ed. Muḥammad Kāmil Ḥusain, Kairo, 1952; ed. Muṣṭafā Ġālib in: Mağmū‘at rasā’il al–Kirmānī, pp. 19–26. Ms. Tubingen University.
- ar-Risāla al-lāzima, ed. Muḥammad ‘Abd al-Qādir ‘Abd an-Nāṣir in: Mağallat Kullīyat al-Ādāb, Ğāmi‘at al-Qāhira, 31 (1979), pp. 1–52; ed. Muṣṭafā Ġālib in: Mağmū‘at rasā’il pp. 61–80.
- Risālat mabāsim al-bišārāt, in: Ḥusain, Ṭā’ifat ad-durūz, pp. 52–71; in: Ġālib, al-Ḥaraka al-bāṭinīya fi ’l-Islām, pp. 205–33, and in: Mağmū‘at rasā’il al–Kirmānī, pp. 113–33.
- Risālat an-nuẓum fī muqābalat al-ʽawālim, ed. Muḥammad Kāmil Ḥusain, Kairo, 1952 (mit ad–Durrīya); ed. Muṣṭafā Ġālib in: Mağmū‘at rasā’il, pp. 27–34. Ms. Tubingen University.
- ar-Risāla ar-raḍīya, ed. Muṣṭafā Ġālib in: Mağmū‘at rasā’il, pp. 35–42. Ms. Tubingen University.
- ar-Risāla al-waḍī’a fī maʽālim ad-dīn wa-uṣūlihā, Ms. Fyzee Collection, Bombay University Library.
- ar-Risāla al-wāʽiẓa, ed. Muḥammad Kāmil Ḥusain in: Mağallat Kullīyat al-Ādāb, Ğāmi‘at Fu’ād al-Auwal, 14 (1952), pp. 1–29; ed. Muṣṭafā Ġālib in: Mağmū‘at rasā’il, pp. 134–47.
Sekundärliteratur
- ʽAnān, Muḥammad ʽAbdallāh: al-Ḥākim bi-Amr Allāh wa-asrār ad-daʽwa al-fāṭimīya, Riad: Dār ar-Rifāʿī, 1983.
- Daftary, Farhad: ḤAMĪD-AL-DĪN KERMĀNĪ, Encyclopaedia Iranica, XI/6, pp. 639- 641, verfügbar unter http://www.iranicaonline.org/articles/hamid-al-din-kermani
- Ḥusain, Muḥammad Kāmil: ar-Risāla al-wāʿiẓa fī nafī dāʿwā ulūhīyat al-Ḥākim bi-Amril-lāh. Mağallat Kullīyat al-Ādāb, Ğāmi‘at Fu’ād al-Auwal, 14 (1952), pp. 1–29
- al-Kirmānī: Rāḥat al-ʽaql li-d-dāʿī Aḥmad Ḥamīd ad-Dīn al-Kirmānī, ed. Muṣṭafā Ġālib, Beirut: Dār al-Andalus, 1983.
- Rudolph, Ulrich: Islamische Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München: C. H. Beck, 2013.
- Walker, Paul E.: Ḥamīd ad-Dīn al-Kirmānī. Ismaili Thought in the Age of al-Ḥākim. I.B. Tauris & Co. Ltd. London 1999.
Einzelnachweise
- Walker, Paul E.: Ḥamīd ad-Dīn al-Kirmānī. Ismaili Thought in the Age of al-Ḥākim. I. B. Tauris & Co., London 1999, S. 3, 10.
- Von al-Kirmānī selbst in seinem Werk Kitāb ar-riyāḍ, S. 108, zitiert.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 10.
- Daftary, Farhad: ḤAMĪD-AL-DĪN KERMĀNĪ. In: Encyclopaedia Iranica. Band XI/6, S. 639–641 (verfügbar unter http://www.iranicaonline.org/articles/hamid-al-din-kermani).
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 51 f.
- Ḥusain, Muḥammad Kāmil: ar-Risāla al-wāʿiẓa fī nafī dāʿwā ulūhīyat al-Ḥākim bi-Amril-lāh, S. 4
- Laut Ulrich Rudolph ist es umstritten, ob die "Lauteren Brüder" wirklich Ismailiten sind: Manche halten ihre Lehren für die offizielle ismailitische Doktrin. Andere vermuten, dass sie von neuplatonischen Philosophen verfasst wurden. Wieder andere vermuten hinter den "Lautere Brüder" ismailitische Dissidenten, die Gegner der Fatimiden geworden waren. Siehe Rudolph, Ulrich: Islamische Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München: C. H. Beck, 2013, S. 39.
- Daftary: ḤAMĪD-AL-DĪN KERMĀNĪ.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 11 ff.
- Walker: al-Kirmānī, 1999. S. 8f.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 21 ff.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 18 ff.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 3 f.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 24.
- Daftary: ḤAMĪD-AL-DĪN KERMĀNĪ.
- Rudolph: Islamische Philosophie. S. 39.
- Daftary: ḤAMĪD-AL-DĪN KERMĀNĪ.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 20 f.
- Daftary: ḤAMĪD-Al-DĪN KERMĀNĪ.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 41 f., 63 ff.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 66 f.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 67.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 70.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 70.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 68 f.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 82 f.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 84.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 84 f.
- al-Kirmānī: Rāḥat al-ʽaql li-d-dāʿī Aḥmad Ḥamīd ad-Dīn al-Kirmānī, ed. Muṣṭafā Ġālib, Beirut: Dār al-Andalus, 1983, S. 54f.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 86 ff.
- al-Kirmānī: Rāḥat al-ʽaql, ed. Muṣṭafā Ġālib. S. 55.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 86.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 86,88.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 88.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 87.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 86 ff.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 92.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 93–96.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 97.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 89.
- Daftary: ḤAMĪD-AL-DĪN KERMĀNĪ.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 36.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 59 f.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 100.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 78,100 f.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 78,102 f.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 76,81.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 35 f.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 75 f.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 76.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 77.
- ʽAnān, Muḥammad ʽAbdallāh: al-Ḥākim bi-Amr Allāh wa-asrār ad-daʽwa al-fāṭimīya. Dar ar-Rifa'i, Riad 1983, S. 252.
- ʽAnān: al-Ḥākim bi-Amr Allāh. S. 253.
- ʽAnān: al-Ḥākim bi-Amr Allāh. S. 254.
- ʽAnān: al-Ḥākim bi-Amr Allāh. S. 257.
- ʽAnān: al-Ḥākim bi-Amr Allāh. S. 277 f.
- Walker: al-Kīrmānī. 1999, S. 27–30.
- Walker: al-Kīrmānī. 1999, S. 25.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. xii.
- Walker: al-Kīrmānī. 1999, S. 30 ff.,125 ff.
- Daftary: ḤAMĪD-AL-DĪN KERMĀNĪ.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 34 f.
- Walker: al-Kīrmānī. 1999, S. 37.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 35,37.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 29 f.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 35.
- Walker: al-Krmānī. 1999, S. 35.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 16,36.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 35.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 37,73.
- Walker: al-kirmani. 1999, S. 29.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 31.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 37 f.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 11,31.
- Daftary: ḤAMĪD-AL-DĪN KERMĀNĪ.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 38.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 9,38 f.
- Daftary: ḤAMĪD-AL-DĪN KERMĀNĪ.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 8 f.,31,39 f.
- Walker: al-KirmānĪ. 1999, S. 40.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 40.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 70.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 41,68 f.,72.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 40.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 40.
- Daftary: ḤAMĪD-AL-DĪN KERMĀNĪ.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 42, 50.
- Daftary: ḤAMĪD-AL-DĪN KIRMĀNĪ.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 32, 42 f.
- Daftary: HAMID-AL-DIN KERMANI.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 32 f., 43 ff., 57 ff., 85.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 44,57.
- Walker: al-Kirmāni. 1999, S. 104.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 10.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 33 f.
- Arabischer Wortlaut: أنا مدينه العلم وعلي بابها فمن أراد العلم فليأته من بابه
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 104 ff.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 106.
- Daftary: ḤAMĪD-AL-DĪN KERMĀNĪ.
- Walker: al-Kirmanī. 1999, S. 130.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 33.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 129.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 33.
- Walker: al-Kirmānī. 1999, S. 30,33.