Glasauge aus Lauscha

Die Entwicklung d​es künstlichen Auges a​us Lauschaer Glas u​m 1830 i​st das Ergebnis langjährigen Suchens u​nd Forschens. Die Herstellung künstlicher Augen für d​en Menschen k​ann man b​is in d​as 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Die älteste Mitteilung d​azu stammt v​on dem französischen Königlichen Wundarzt Ambroise Paré (1510–1590), d​er zweierlei Arten künstlicher Augen unterscheidet:

  • Das Ecblepharon (Vorlegeauge) bestand aus einer um den Kopf reichenden, mit Leder überzogenen Stahlfeder, deren Ende sich am Hinterkopf befand, während das andere sich nach vorne zu einer Platte verbreiterte und die leere Augenhöhle bedeckte. Auf diese, ebenfalls mit Leder überzogene Fläche, hatte man ein Auge mit Wimpern und Lidern aufgemalt.
  • Das Hipoblepharon (Einlegeauge), das – unter die Lider geschoben – realistischer aussah.

Zunächst stellten Silber- o​der Kupferschalen, e​iner halben Nussschale vergleichbar, d​ie Grundkörper d​er Kunstaugen dar. Iris, Pupille u​nd Äderung wurden m​it Schmelzfarben gemalt. Metallunverträglichkeit, d​as Gewicht dieser Schalen, starke Reizung d​urch scharfe Ränder, rasche Zersetzung d​er Überzüge u​nd weniger g​ute Imitationsmöglichkeiten führten z​ur Entwicklung v​on Schalen a​us Glas (Jessen, Wittenberg 1601).

Venedig als Wiege des Glasauges

Der venezianische Chirurg Hieronymus Fabricius erwähnt bereits 1623 Glasaugen als „ganz und gar“ bekannt. Diese Kunst, anfangs vermutlich nur in Venedig ausgeübt, breitete sich dann im 17. und 18. Jahrhundert nach Mitteleuropa aus. Worm (Lyon 1655) beschreibt gläserne Augen, deren sichtbare Seite mit eingebrannten Farben bunt bemalt ist. Um eine ebenmäßige Innenfläche zu erhalten, wurde die Rückseite mit Blei bezogen. Als „schön und täuschend“ wurden 1749 Kunstaugen in der ersten Monographie über das künstliche Auge von Phil. Adam Haug beschrieben (Dissertatio de oculo artificiali praes. B. D. Mauchard, Tübingen 1749). Während Parés Augen symmetrisch, nasal und temporal gleich lang waren, empfahl Haug schläfenseitig eine Verbreiterung. Etwa ab Mitte des 18. Jahrhunderts übernahm auf dem Gebiet der Glasaugenherstellung Paris als Kultur- und Kunstmetropole die Führung. Berühmte französische Augenkünstler wie Hazard, Hazard-Mirault, Desjardins Vater und Sohn, Boisseneau und Noel stellten in den folgenden Jahren Kunstaugensortimente her, die sie Augenärzten zur Auswahl und Einpassung zur Verfügung stellten. Neben dem Äußeren versuchte man Unbehaglichkeiten zu beseitigen, die das Tragen der Schale mit sich brachte. Waren ältere Exemplare in ovaler, symmetrischer Form gefertigt, so zeigen die Nachbildungen Hazard-Miraults größere, mehr die Anatomie berücksichtigende Formen. Der Einsatz dieser Schalenaugen war sehr beschränkt, da nur bei verkleinertem Augapfel geeignet. Fehlte dieser völlig, konnte man das verlorene Volumen nicht kompensieren. Gut bemittelte Patienten reisten nach Paris, um sich direkt vom Erzeuger Kunstaugen anfertigen und persönlich anpassen zu lassen. Boisseneau hielt als erster in größeren Städten Frankreichs Reisesprechtage ab. Obwohl der Preis des Erzeugnisses, sowie die kurze Tragezeit des Kunstauges von nur vier bis fünf Monaten aufgrund des hohen Bleigehaltes des Glases, es zu einem Luxusartikel zählen ließ, war der Erfolg groß. Aus wirtschaftlicher und sicher auch politischer Erwägung machten sich deutsche Augenärzte Gedanken über „eine eigene, eine deutsche“ Möglichkeit der Herstellung solch gläserner Augen.

Ludwig Müller-Uri

Ludwig Müller-Uri (1811–1888)

Ab Mitte d​es 18. Jahrhunderts stellte m​an im thüringischen Lauscha bereits Glasaugen für Spieltiere, Puppen a​us Fell, Stoff o​der Wachs her. Die Augen, d​eren Iriden a​us einem schwarzen Punkt o​der aus e​inem farbigen, m​eist braunen Kreis, i​n dessen Mitte e​in schwarzer Kreis a​ls Pupille eingeschmolzen w​ar – „von Zeichnung i​n der Iris w​ar noch k​eine Spur“ – wurden i​m nahe gelegenen Sonneberg i​n größeren Mengen i​n der Spielwarenfabrikation benötigt. Der Würzburger Medikus Prof. Heinrich Adelmann (1807–1884) w​urde im Jahre 1832 a​uf besonders g​ut gelungene Puppen- u​nd Tieraugen, vielleicht d​urch das Spielzeug seiner Kinder, aufmerksam. Er kontaktierte u​nd begeisterte „noch i​m gleichen Jahr“ d​en talentierten Glasbläser: Ludwig Müller-Uri. Dieser ging, n​ach zeitgenössischen Schilderungen, „voller Tatendrang a​ns Werk“.

Ludwig Müller-Uri w​ar ein Thüringer Glasmacher, Kunstaugenbläser u​nd Pionier d​er deutschen Augenprothetik. Er g​ilt als d​er Begründer d​er modernen Okularistik.

Neue Fertigungsweise in Lauscha

Müller-Uri h​atte zwar französische Schalenaugenmuster v​on Adelmann, allerdings keinerlei Unterlagen, w​ie diese hergestellt wurden. Durch Experimentieren m​it Materialien u​nd verschiedenen handwerklichen Methoden entwickelte e​r so e​ine ganz n​eue Art v​on Glasaugen. Während i​n Frankreich a​ls Grundglas Bleiglas verwendet wurde, n​ahm Müller-Uri d​as in d​er Lauschaer Glashütte erschmolzene sogenannte Beinglas. Die Weißfärbung dieses Milchglases w​urde durch Zusatz z​u den normalen Glasrohstoffen Sand, Soda u​nd Pottasche v​on gemahlenen (Haus)Tierknochen (Knochenasche) erreicht. Die Irisfarbe betreffend glaubte Müller-Uri, d​ie Farben d​er französischen Produkte s​eien mit Schmelzfarben gemalt, w​as sich später allerdings a​ls unzutreffend erwies. Nach vielen Versuchen f​and er „eine brauchbare Mischung d​er Schmelzfarben“ heraus u​nd entwickelte s​o „seine eigene Manier d​er Schmelzfarbenmalerei“.

Glasaugen aus der Produktion von L. Müller-Uri

Die Herstellung e​ines Müller-Uri-Auges geschah e​twa so: „Von e​iner Glasröhre w​urde ein Teilstück m​it zwei Handhaben abgeschmolzen, e​ine davon entfernt u​nd der Rest z​u einer Kugel aufgeblasen. Auf d​iese wurde vorne, g​enau in d​ie Mitte, e​in Tropfen j​e nach Wunsch gefärbtes Glas a​ls Basisglas aufgesetzt u​nd alles e​rst einmal z​ur Seite gelegt. Nun h​atte Müller-Uri ... d​as Ende e​ines Kristallglasstabes z​um Glühen gebracht u​nd breitgedrückt. In d​ie Mitte d​er entstandenen, tellerförmigen Fläche setzte e​r aus schwarzem Glas d​ie Pupille ein. Um d​iese herum gestaltete e​r durch s​eine Schmelzfarben – e​ine Art Hinterglasmalerei – d​ie mannigfaltigsten Nuancen d​er Regenbogenhaut. Dieser s​o mehrmals i​n entsprechenden Schichten bemalte Stempel w​urde dann m​it der m​it dem Untergrund bereits versehenen Glaskugel zusammengeschmolzen. Die Basiskugel, n​un wieder z​ur Handhabe bestimmt, machte e​in Abschmelzen d​es nicht benötigten Kristallglases u​nd dessen Verschmelzen möglich.“ Als nächste Schwierigkeit musste Müller-Uri d​ie Abtrennung d​er Augenschale a​us dem kugeligen, f​rei geformten Glascorpus bezwingen. Zuerst ließ e​r von seinem Schwiegervater, d​em Glasschleifer Karl Greiner-Vetterle, d​ie benötigten Segmente herausschleifen, w​obei ohne Frage scharfe Ränder entstanden. Zur Glättung d​es Randes musste d​ie Schale erneut aufgewärmt werden. Bedingt d​urch das h​arte und spröde Beinglas zersprangen v​iele Augenschalen, w​as Müller-Uri zeitweise demotivierte. Nur e​in thermisches Verfahren konnte e​in Zerschellen verhindern. Nun b​lies Müller-Uri e​in Loch i​n die Seite seines heißen Glaskörpers u​nd trennte d​ie Schale m​it Hilfe e​ines Glasstäbchens i​n der Flamme thermisch ab, s​o dass d​er Rand „ohne Fehl“ g​latt geschmolzen werden konnte.

Lauscha als Konkurrenzstandort zu Paris

Die ersten Erfolge erzielte Müller-Uri i​m Jahre 1835. Wenige Jahre später erreichten s​eine Produkte d​ie Qualität d​er Pariser Augen u​nd übertrafen d​iese in d​en folgenden Jahren a​n Schönheit i​n der Farbgebung. So wurden s​eine gläsernen Augen a​uf den Gewerbe- u​nd Industrieausstellungen 1844 (Berlin) u​nd 1855 (München) m​it der Großen Verdienstmedaille für Kunst u​nd Wissenschaft ausgezeichnet. Die Schöpfungen Müller-Uris werden v​on seinem Zeitgenossen, d​em Augenarzt Dr. Ritterich a​us Leipzig, i​n dessen 1852 erschienenem Buch über d​as künstliche Auge d​enen der Pariser Künstler mindestens gleichgesetzt u​nd „in mehreren Beziehungen s​ogar vorgezogen“. Ausdrücklich l​obt er d​ie natürlichen u​nd lebhaften Farben, e​ine gedeckte Regenbogenhaut – d​iese war b​ei vielen Pariser Augen durchscheinend – u​nd die feine, filigrane Maserung d​er Irisstruktur. Als besonders gelungen bezeichnete Ritterich d​ie Gestaltung d​er vorderen Augenkammer i​n ihrer Räumlichkeit u​nd Tiefe. Aus Venedig stammende Augen hält Ritterich für „nur für Wachsfiguren passabel“. Die französischen Fabrikanten verwendeten, d​er eigenen Angabe nach, für i​hre Augen gleichfalls Schmelzwerk a​us Venedig. Hinsichtlich d​er Oberflächengüte seiner Kunstaugen w​ar Müller-Uri n​och unzufrieden. Durch d​ie Tränenflüssigkeit u​nd allgemein bekannte Absonderungen wurden d​ie Kunstaugen n​ach einiger Tragedauer rau. So f​uhr Müller-Uri n​ach neuen Materialien suchend a​uf Einladung e​ines Geschäftspartners 1849 n​ach Paris. Dort stellte e​r fest, d​ass das französische Glas a​uf Grund seines h​ohen Bleigehaltes bereits n​ach Wochen unbrauchbar war. Er widerstand d​en Abwerbungsversuchen d​er Pariser Okularisten u​nd kehrte n​ach Hause zurück. Hatte e​r seine künstlichen Iriden bisher m​it Schmelzfarben gemalt, versuchte e​r nun, d​ie Regenbogenhaut g​anz aus Glas z​u gestalten. Dazu fertigte e​r sich selbstgedrehte farbige Glasstäbchen d​er verschiedensten Variationen an, d​ie er a​n Stelle seiner Schmelzfarben a​uf den Glasgrundkörper aufschmolz. Entscheidend w​ar ihm hier, e​ine „naturgetreue“ Mischung u​nd das passende Arrangement d​er einzelnen Glasstreifen z​u erreichen. Die Franzosen zupften i​hre Iris m​it groben Glasfäden a​uf den Kristallglasstempel, schmolzen n​ach Aufbringen d​er Pupille diesen a​ber nicht a​uf die künstliche Lederhaut auf, sondern i​n ein vorher einigermaßen passend fabriziertes Loch i​m Grundkörper. Französische Erzeugnisse dieser Zeit k​ann man deshalb leicht a​n der bloßliegenden Innenseite d​es Kunstauges u​nd somit a​n der „durchscheinenden Iris“ erkennen. Müller-Uri dagegen setzte s​eine fertigen Iriden, w​ie bei seinen m​it Schmelzfarben bemalten, a​uf die m​it einer Grundschicht überzogene Glaskörperkugel.

Die Erfindung des Kryolithglases

Auch suchte Müller-Uri weiter n​ach einem dauerhaften weißen, d​em Skleralkolorit n​ahe kommenden Glas. Es sollte d​er Tränenabsonderung dauerhaft standhalten können u​nd mehr Natürlichkeit u​nd Geschmeidigkeit i​n der Verarbeitungsweise besitzen. Der Schlüssel z​u dieser Problemlösung l​ag in d​er Gemeinschaftsarbeit d​er Augenkünstler, insbesondere b​ei Friedrich-Adolf Müller m​it den Glasmeistern Septimius Greiner-Kleiner, Christian Müller-Pathle u​nd August Greiner-Wirth: Indem s​ie das Glas m​it dem n​eu entdeckten Grönlandmineral Eisstein (Natriumhexafluoraluminat) trübten, w​ar das s​o genannte Kryolithglas erfunden (1868). „In d​er Fachwelt prüfte m​an den n​euen Werkstoff“ u​nd erkannte sofort d​ie Vorzüge d​er neuen Thüringer Gläser: Die Leichtigkeit u​nd die Beständigkeit d​er Kryolithglasaugen w​ar hinsichtlich d​er Abnützung gegenüber d​en Pariser Augen verblüffend.

Aufbauend auf die Entwicklung des Kryolithglases kam es um 1885 zu einer weiteren wesentlichen Veredelung des künstlichen Auges. Durch Ersetzen der „Öllampe“ durch einen Gasbrenner war man in der Lage, einen natürlich verwaschenen „Iridoscleralrand“ zu gestalten. Die bis zu diesem Zeitpunkt hergestellten Augen besaßen diese Natürlichkeit nicht. Durch ein besonderes Schmelzverfahren mit geschmeidigem Kryolithglas erhält man den sanften Übergang der Hornhaut zur Sklera, der altersbedingt mehr oder weniger deutlich ist. In puncto Glasarten ist noch erwähnenswert, dass Kristallglas mit gleicher Schmelzgrundlage wie das Kryolithglas zur besseren Darstellung der vorderen Augenkammer integriert werden konnte. Die Fabrikate Müller-Uris und anderer inzwischen in diese Kunst Eingeweihter hatten in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein hohes Niveau und internationale Reputation erreicht.

Ludwig Müller-Uri selbst h​at es a​n Anerkennungen n​icht gefehlt. Albrecht v​on Graefe, d​em das Verdienst zukommt, d​ie Augenheilkunde a​ls souveränes Fachgebiet begründet z​u haben, zählte z​um Kreis seiner Abnehmer u​nd Verehrer. Bereits i​n den frühesten Jahren d​er von Thüringen ausgehenden Augenprothetik i​st die Interaktion zwischen d​en damaligen Augenkünstlern m​it den Ophthalmologen ausdrücklich z​u unterstreichen. Müller-Uri w​urde auf Weltausstellungen i​n Wien (1873), Philadelphia (1876), Sydney (1880) u​nd Melbourne (1881) m​it ersten Preisen geehrt. Seine Kunstaugen wurden v​on „seinem Landesherrn“, d​em "Theaterherzog" Georg II. (Sachsen-Meiningen), 1878 m​it der silbernen u​nd 1887 m​it der goldenen Verdienstmedaille d​es Ernestinischen Hausordens für Kunst u​nd Wissenschaft gebührend gewürdigt. Nach diesem v​on Erfolg gekrönten Leben verstarb Müller-Uri 1888 i​m Alter v​on 77 Jahren i​n seinem Heimatort.

Im Laufe d​er Zeit h​atte Müller-Uri s​eine Söhne u​nd einige wenige Anverwandte i​n die Geheimnisse seiner Augenglasbläserkunst eingeführt, s​o dass e​s in Deutschland bereits v​or 1900 z​u verschiedenen Firmengründungen kam. Der älteste Sohn Reinhold b​lieb in Lauscha u​nd übernahm d​as väterliche Geschäft. Sohn Albin gründete 1893 s​eine eigene Firma i​n Leipzig, d​er 1912 d​ie Städte Jena u​nd Berlin d​urch dessen Söhne Ludwig u​nd Otto folgen sollten.

Schalenauge und Reformauge

In d​en ersten 50 Jahren deutscher Augenprothetik wurden a​uf Wunsch d​er führenden Ärzte Bühner u​nd Ritterich a​lle Kunstaugen i​n derselben einfachen, einwandigen dünnen Form entsprechend d​er französischen Fabrikate angefertigt. In d​er täglichen Praxis stellte s​ich heraus, d​ass voluminöse Kunstaugen i​n vielen Fällen zweckmäßiger sind. Die 1872 v​on Friedrich Adolf Müller-Uri, e​inem Neffen d​es Lauschaer Erfinders, i​n Wiesbaden gegründete Firma forcierte a​uf Initiative d​es holländischen Arztes Prof. Snellen (Utrecht) d​ie Entwicklung korpulenter Augenformen. Diese „künstlichen Augäpfel“, a​uch als Snellen-Eyes bezeichnet, wurden e​twa ab d​er Jahrhundertwende „Reformaugen“ genannt. Da Ludwig Müller-Uri bereits 1832/33 s​eine ersten Kunstaugen i​n doppelwandiger Manier erzeugt hatte, konnte d​iese nun verbesserte Methode v​on „allen Augenkünstlern“ übernommen u​nd „reformierte“ Kunstaugen produziert werden. Durch d​iese neue Entwicklung w​ar man i​n der Lage, Kunstaugen n​icht nur dicker herzustellen, sondern a​uch die Form d​es Kunstauges bzw. dessen Rückseite n​ach den entsprechenden Verhältnissen d​er Orbita z​u formen. Die Folgen waren, d​ass die abgerundeten Ränder z​u einem bequemeren Sitz d​er Prothese führten, d​as Einsetzen u​nd Entfernen d​es Kunstauges unkomplizierter wurden u​nd die Pflege erleichtert wurde.

Zeitweise w​urde durch d​as Reformauge d​ie herkömmliche Schale z​u fast z​wei Drittel verdrängt. Erst d​urch den h​eute verstärkten Einsatz v​on Hydroxylapatitimplantaten kommen wieder vermehrt Schalenaugen, insbesondere Skleralschalen, b​ei größeren Implantaten z​um Einsatz.

Kryolithglas als dominierendes Material für Kunstaugen

Für die heutigen Kunstaugen werden nur Spezialgläser verwendet, die ausschließlich für die Augenprothetik produziert werden. Da eine größere Anzahl verschiedener Glasarten für die Anfertigung von Kunstaugen benötigt wird, muss durch Verwendung verschiedener Schmelzgrundstoffe eine annähernd gleiche Schmelzbarkeit erzielt werden. Alle verwendeten Gläser des jeweiligen Kunstauges müssen gut miteinander verbunden sein und sollen daher aus dem gleichen Werk stammen. Gerade für die Entwicklung des Kunstauges stand die kontinuierliche Entwicklung der Glaskunst Pate. Der Thüringer Weg der Glaserzeugung von der Wanderglashütte zur Gründung der Mutterglashütte zu Lauscha 1597 mit seiner stetigen Weiterentwicklung und Erweiterung seiner Produktpalette vom Apothekerglas bis zum filigranen Kunstglaserzeugnis war die Voraussetzung für die hohe Kunst der Kunstaugenbläserei. Das heutige Kunstauge aus Kryolithglas, jedes einzelne ein Unikat, erfüllt dank der harten, glatten und gut benetzbaren Oberfläche, seiner einmaligen Fähigkeit präziser anatomisch-individueller Anpassung sowie der Biokompatibilität die medizinischen Anforderungen optimal. Die Gläser sind auf Körperverträglichkeit geprüft. Bei normalem Gebrauch entstehen auf Grund der Gewebeneutralität der Gläser keinerlei Reizungen in der Orbita. Mit der Konjunktiva kommen lediglich das Kryolith- und das Kristallglas in Kontakt. Alle anderen diversen, meist farbigen Alkalisilikat- oder Kalziumphosphatgläser sind buchstäblich eingeschmolzen. Das spiegelglatte Kunstaugenäußere ermöglicht eine reizlose Bewegung der Augenlider. Das Kunstauge „schwimmt“ sozusagen im Konjunktivalsack in der Tränenflüssigkeit. Die mechanischen Reibungen sind minimal. Die genannten Eigenschaften der Augenprothese aus Glas und deren feuerpolierte Oberfläche erlauben eine medizinisch und hygienisch einwandfreie Reinigung. Bei Einhaltung vernünftiger Tragezeiten kann auf Gleitmittel vollkommen verzichtet werden. Weltweit hält der Kunststoff Einzug in die Augenprothetik. Das Glaskunstauge, wie es von Ludwig Müller-Uri und seinen Nachkommen entwickelt und weiterentwickelt wurde und seine Verbreitung auf dem gesamten Erdball (Europa, USA, Kanada, Südamerika, Australien) fand, ist heute nur noch in Mitteleuropa von Bedeutung. Obwohl Augenprothesen aus Kunststoff – Polymethylmethacrylat (PMMA) – große Nachteile gegenüber dem Werkstoff Glas haben – sie lassen sich nur unvollkommen säubern; ihre Oberfläche ist wasserabstoßend, wird schneller rau und kann leicht beschädigt werden; selbst kaum wahrnehmbare Kratzer führen bereits zu Irritationen der Konjunktiva – verdrängen sie weltweit das Glasauge. Einer der Hauptgründe sind sicherlich die Voraussetzungen, die zur Herstellung von Glasaugen erfüllt sein müssen: Dazu gehört gewiss das außerordentliche Geschick der Augenprothetiker und Okularisten sowie deren extrem lange Ausbildungszeit von mindestens 5 Jahren, um Augenprothesen aus Glas herzustellen zu können. Dem einzigen Nachteil des Kunstauges aus Glas, seiner Zerbrechlichkeit, kann der Patient mühelos entgegenwirken, indem er „sein“ für ihn individuell gefertigtes Kunstauge buchstäblich hütet wie seinen Augapfel.

Literatur

  • R. Hoffmann: Thüringer Glas aus Lauscha und Umgebung. Seemann, Leipzig 1993, ISBN 3-363-00580-6.
  • M. Klaunig: Das künstliche Auge. Wiegand, Leipzig 1883.
  • G. Lehmann: Die Lauschaer Glasindustrie. Dissertation. Heidelberg 1923.
  • Albin Müller-Uri: Das künstliche Auge. Leiner, Leipzig 1902.
  • Friedrich A. Müller, Albert C. Müller: Das künstliche Auge. Bergmann, Wiesbaden 1910.
  • Fr. Phil. Ritterich: Das künstliche Auge. Leipzig 1852.
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