Flüssigstickstoff
Flüssigstickstoff (englisch liquid nitrogen, LN oder LN2) ist Stickstoff in flüssigem Aggregatzustand, der unter Normaldruck bei 77 K (−196 °C) siedet. Die klare, farblose Flüssigkeit hat eine Dichte von 0,807 g/ml am Siedepunkt und eine Viskosität von etwa 1,5 Millipoise.[1]
Flüssigstickstoff wird industriell in großen Mengen zusammen mit Flüssigsauerstoff durch fraktionierte Destillation von flüssiger Luft hergestellt. Ausreichend isoliert von Umgebungswärme kann Flüssigstickstoff in sogenannten Dewargefäßen aufbewahrt und transportiert werden. Dabei wird die Temperatur durch langsames Sieden des Stickstoffs bei konstant 77 K gehalten, wobei Stickstoff-Gas entweicht. Je nach Größe und Aufbau der Isoliergefäße kann die maximale Aufbewahrungszeit zwischen einigen Stunden bis zu einigen Wochen betragen.
Flüssigstickstoff kann leicht in den festen Zustand überführt werden, indem es in eine Vakuumkammer mit einer Drehschieberpumpe gegeben wird.[2] Stickstoff gefriert bei einer Temperatur von 63 K (−210 °C). Als Kühlungsmittel ist Stickstoff nur bedingt effizient, da Flüssigstickstoff bei Kontakt mit wärmeren Objekten sofort siedet, wodurch das Objekt durch eine Schicht von gasförmigem Stickstoff gegen den Flüssigstickstoff isoliert wird. Dieser Effekt ist als Leidenfrost-Effekt bekannt und kommt in allen Situationen vor, bei denen eine Flüssigkeit mit einem Gegenstand in Kontakt gebracht wird, der eine wesentlich höhere Temperatur hat als der Siedepunkt dieser Flüssigkeit. Schnellere und bessere Kühlung kann erreicht werden, indem ein Gegenstand in eine Mischung aus festem und flüssigem Stickstoff gegeben wird anstatt in flüssigen Stickstoff allein.
Anwendungen
Flüssigstickstoff ist eine kompakte und einfach zu transportierende Quelle von Stickstoffgas. Außerdem ist er in einem weiten Bereich von Anwendungen nützlich, da er als Kältemittel eine Temperatur weit unter dem Gefrierpunkt von Wasser aufrechterhalten kann. Verwendungen:
- In der Kryotechnik
- Zur Kryokonservierung und Aufbewahrung von Blut, Eizellen, Sperma und anderen Zellen, biologischen Proben und Materialien
- Als Quelle für sehr trockenes Stickstoffgas
- Zum Gefrieren von Nahrungsmitteln für den Transport
- Als Kühlmittel für CPUs (Hauptprozessoren), GPUs (Grafikprozessoren) und anderen elektronischen Bauteilen[3]
- In der Kryotherapie, um unansehnliche oder krankhafte Hautveränderungen wie Warzen und aktinische Keratose zu entfernen
- Zur Kühlung von Hochtemperatursupraleitern auf eine niedrige Temperatur, die Supraleitung ermöglicht
- Als ein Kühlmittel von Gasfallen bei Vakuumpumpen und bei der kontrollierten Verdampfung in der Chemie
- Als Kühlmittel, um die Empfindlichkeit von Infrarotsensoren zu erhöhen
- Als Kühlmittel, um mechanische Teile im Maschinenbau einzuschrumpfen (siehe Kaltdehnen), um eine Pressverbindung zu ermöglichen
- Zur Verbindung von Wellen und Laufrädern durch Querverpressung[4]
- Als Bauverfahren im Tiefbau, bei dem der Boden durch künstliches Gefrieren des Bodenwassers verfestigt wird (Bodenvereisung)
- Zur Rohrfrostung, um einen temporären Verschluss einer Rohrleitung herzustellen
- Zur Herstellung von Speiseeis[5]
- Zur Inertisierung von Tanks zur Explosionsvorbeugung[6]
- Bei der kryonischen Konservierung von Menschen und Haustieren, in der Hoffnung, sie irgendwann wiederbeleben zu können
- Bei der sogenannten Promession, einer Form der Leichenbestattung
Sicherheit
Wegen seiner niedrigen Temperatur kann Flüssigstickstoff bei unvorsichtigem Gebrauch in kürzester Zeit Erfrierungen verursachen. Zwar kann man seine Hand kurz in flüssigen Stickstoff tauchen, sofern man keine guten Wärmeleiter wie metallische Ringe trägt, weil der an der Haut verdampfende Stickstoff eine isolierende Gasschicht bildet (Leidenfrost-Effekt). Kommt man aber in Kontakt mit Metall oder anderen Wärmeleitern, ist die Isolation sofort unterbrochen, was zu schweren Erfrierungen und Absterben des Gewebes führt. Zum sicheren Be- und Umfüllen kommen daher oft Schnellkupplungen zum Einsatz.
Wie alle Stoffe dehnt sich Stickstoff beim Sieden stark aus. Sein Volumen steigt beim Übergang vom flüssigen in den gasförmigen Zustand bei Raumtemperatur um den Faktor 694.[7] Das kann explosive Kräfte auslösen. Bei einem Unfall an der Texas A&M University versagte ein verstopfter Tank, explodierte, und wurde durch die Decke über dem Tank geschleudert.[8]
Flüssigstickstoff kann in sogenannten Dewargefäßen mit evakuierter doppelter Wand aus Glas oder Stahl transportiert und gelagert werden. Dabei muss stets ein Druckausgleich zur umgebenden Atmosphäre stattfinden können. Flüssigstickstoff sollte nur von geschulten Personen gehandhabt werden. Es kam in der Vergangenheit zu schweren Verletzungen bis hin zu Todesfällen durch unsachgemäße Handhabung flüssigen Stickstoffs, beispielsweise wenn Flüssigstickstoff, der für die Molekularküche besorgt wurde, in einer fest verschlossenen Thermoskanne transportiert wurde.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) wies auch auf gesundheitliche Risiken bei der Verwendung von Flüssigstickstoff im Rahmen des Food-Trends "Dragon Breath" hin. In mehreren deutschen Bundesländern wurden vereinzelt Fälle gemeldet, bei denen etwa an Kiosken Lebensmittel mit flüssigem Stickstoff gefroren und dann an Verbraucher lose zum Verzehr abgegeben wurden. Während des Verzehrs sorgt der Flüssigstickstoff dafür, dass der Atem kondensiert und wie der namensgebende "Drachenatem" aussehen soll. Das BfR weist darauf hin, dass die extreme Kälte zu Verletzungen der Zunge bzw. Mundschleimhaut (auch bekannt als Gefrierbrand oder Kälteverbrennung) oder Schädigungen der Zähne führen kann.[9]
Wenn Flüssigstickstoff verdunstet und sich mit Luft vermischt, sinkt die Sauerstoff-Konzentration in der Luft. Besonders in geschlossenen Räumen kann das zu Sauerstoffmangel führen. Weil Stickstoff geruch-, farb- und geschmacklos ist, kann unbemerkt eine Hypoxie entstehen.[10] In Aufzügen, PKWs und LKWs darf Stickstoff nur in dafür zugelassenen Gefäßen transportiert werden.
Flüssigstickstoff hat einen niedrigeren Siedepunkt (−196 °C, 77 K) als Sauerstoff (−183 °C, 90 K), so dass Sauerstoff aus der Luft an Flüssigstickstoff-Leitungen kondensieren und spontan mit organischem Material reagieren kann. Auch in offenen Behältern, die Flüssigstickstoff enthalten, kann Sauerstoff aus der Luft kondensieren und in den Behälter tropfen. Der Flüssigstickstoff im Behälter wird dann mit Flüssigsauerstoff zunehmend verunreinigt. Bei späterem Gebrauch kann diese Mischung zu starker Oxidation bis hin zur Explosion führen, vor allem bei Kontakt mit organischen Materialien. Flüssigsauerstoff hat eine blassbläuliche Farbe in dicker Schicht, so dass eine bläuliche Farbe flüssigen Stickstoffs in einem Dewargefäß bereits auf einkondensierten Sauerstoff hindeuten kann. Flüssiger Stickstoff ist in reiner Form farblos und transparent.
Kosten
Der Preis von Flüssigstickstoff hängt vom Energiepreis und von der Entfernung zu entsprechenden Produktionsorten ab. In industrialisierten Gebieten liegt er in der Größenordnung von 10–50 Cent pro Liter. Kleinmengen und die Lieferung an abgelegene Orte können erheblich teurer sein.[11]
Siehe auch
Weblinks
- LP – Experimente mit flüssigem Stickstoff: Einfrieren von Materialien – Text, Skizze, Videos
- Behind the scenes video („Hinter den Kulissen Video“) – Wie Flüssigstickstoff in Restaurants zum Kochen und für Cocktails benutzt wird (englisch)
Einzelnachweise
- Cryogenic Fluids European Advanced Cryogenics School Blatt 16 Abgerufen am 7. Januar 2017
- W. Umrath: Cooling bath for rapid freezing in electron microscopy. In: Journal of Microscopy. Band 101, Nr. 1, 1974, S. 103–105.
- Scott Wainner, Robert Richmond: The Book of Overclocking: Tweak Your PC to Unleash Its Power. No Starch Press, 2003, ISBN 188641176X, S. 44.
- Broschüre der Firma Lüderbach Abgerufen am 9. Januar 2017
- Eiscreme aus dem Labor (Memento des Originals vom 15. April 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. von Patricia Schäfer in ZDF heute – in Europa vom 10. August 2015, abgerufen am 15. April 2016
- Broschüre von Messer Griesheim (Memento des Originals vom 9. Januar 2017 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Abgerufen am 9. Januar 2017
- Information Specific to Liquid Nitrogen. University of Florida. Abgerufen am 29. August 2013.
- Brent S. Mattox: Investigative Report on Chemistry 301A Cylinder Explosion (reprint; PDF; 9,7 MB) Texas A&M University. Archiviert vom Original am 30. April 2014. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. Abgerufen am 29. Dezember 2010.
- Bundesinstitut für Risikobewertung: Food-Trend „Dragon Breath“: Gekühlter Snack - „verbrannter“ Mund. In: Bundesinstitut für Risikobewertung. 25. November 2020, abgerufen am 3. Februar 2021.
- British Compressed Gases Association (2000) BCGA Code of Practice CP30. The Safe Use of Liquid nitrogen dewars up to 50 litres. ISSN 0260-4809.
- Price of Liquid Nitrogen. In: The Physics Factbook. 2007. Abgerufen am 29. August 2008.