Fibulare Hemimelie

Eine fibulare Hemimelie oder ein fibulärer Längsdefekt ist das angeborene Fehlen (Aplasie) oder die Unterentwicklung (Hypoplasie) des Wadenbeins (Fibula). Sie kann isoliert, häufiger aber in Verbindung mit Fehlbildungen des Oberschenkelknochens (proximaler Femurdefekt), Fehlbildungen am Fuß lateral sowie mit einer Verkürzung des gesamten Unterschenkels vorkommen.[1] Das noch wesentlich seltenere angeborene Fehlen des Schienbeines wird als tibiale Hemimelie bezeichnet.

Klassifikation nach ICD-10
Q72.6 Longitudinaler Reduktionsdefekt der Fibula
Q72.8 Sonstige Reduktionsdefekte der unteren Extremität(en)

Inkl.: Angeborene Verkürzung der unteren Extremität(en)

ICD-10 online (WHO-Version 2019)
Fibulare Hemimelie Typ II bei einem 18 Monate alten Kind

Synonyme sind: Fibulaaplasie, fibuläre longitudinale Hypoplasie, paraxiale longitudinale Hypoplasie; fibuläre longitudinale Meromelie, kongenitaler longitudinaler Reduktionsdefekt der Fibula.[2]

Häufigkeit

Diese seltene Erkrankung kommt bei 3 von 100.000 Neugeboren vor.[3] Das männliche Geschlecht soll doppelt so oft betroffen sein wie das weibliche. Bei zwei Drittel der Patienten ist lediglich ein Bein betroffen, das rechte häufiger.[2]

Ursache

Die Ursache ist bislang nicht bekannt. Familiäre Häufung kommt vor.[4]

Einteilung

Für die Behandlung relevant ist die Klassifikation nach Achtermann und Kalamchi:[5]

  • Typ IA Hypoplasie der Fibula proximal, Sprunggelenksgabel intakt
  • Typ IB wie IA, jedoch mit Fehlformung der Sprunggelenksgabel
  • Typ II Komplette Aplasie der Fibula

Klinik

Funktionell im Vordergrund steht die im Verlauf des Wachstums zunehmende Beinverkürzung.[2] Fast immer ist der Fuß mitbeteiligt, häufig besteht eine Knick- und Spitzfuß-Stellung, es sind nur die medialen Strahlen des Fußes angelegt, eventuell fehlen Teile des Rückfußes oder sind fusioniert (Tarsale Koalition).

Sehr häufig ist der ganze Unterschenkel hypoplastisch. Bei zwei Drittel der Patienten liegt auch eine Femurhypoplasie vor, zumeist eine Unterentwicklung des lateralen Femurkondyles.[1][6]

Nicht selten liegt im Sprunggelenk ein Kugeltalus, eine Kugelgelenkdeformität, englisch „ball-in-socket“-Gelenk vor mit gestörter Gelenkmechanik[7].

Assoziierte Fehlbildungen können sein: Proximaler Femurdefekt, Kraniosynostose, Fehlbildungen an den Zehen. Eine Fibulare Hemimelie kann im Zusammenhang mit Skelettdysplasien und Dysostosen auftreten, so im Rahmen des Femur-Fibula-Ulna-Syndromes.[2]

Diagnostik

Bereits im Mutterleib kann während einer Ultraschalluntersuchung die Fehlbildung erkannt werden,[8] die Verkürzung und Verkrümmung ist nach der Geburt offensichtlich. Ein Röntgenbild kann das Ausmaß der Fehlbildung sowie zusätzliche knöcherne Veränderungen dokumentieren.

Differentialdiagnose

Abzugrenzen sind das Amniotisches-Band-Syndrom, Thalidomid-Embryopathie, das Fuhrmann-Syndrom und weiter Skelettdysplasien und Dysostosen mit asymmetrischer Beteiligung der unteren Gliedmaßen.[2]

Behandlung

Die Behandlung sollte so bald als möglich an einem kinderorthopädischen Zentrum erfolgen. Das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten reicht von Orthesen, Prothesen über Umstellungsosteotomien, operative Beinverlängerung bis zur Amputation. Je niedriger die Klassifizierung erfolgen konnte, desto eher ist mit einem Beinerhalt und guter Funktionsfähigkeit zu rechnen.[1][9]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. F. Hefti: Kinderorthopädie in der Praxis. Springer, 1998, ISBN 3-540-61480-X, S. 308.
  2. Fibulare Hemimelie. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten).
  3. S. Schröder, P. Berdel, F. Niedthard: Registration of congenital limb malformations in Germany. 22 nd annual meeting EPOS London 3.4.20903. Paper No1 Abstract book, S. 60.
  4. A. K. Gupta, M. Berry, I. C. Verma: Congenital absence of both fibulae in four siblings. In: Pediatric radiology. Band 24, Nummer 3, 1994, S. 220–221, ISSN 0301-0449. PMID 7936806.
  5. C. Achterman, A. Kalamchi: Congenital deficiency of the fibula. In: The Journal of bone and joint surgery. British volume. Band 61-B, Nummer 2, Mai 1979, S. 133–137, ISSN 0301-620X. PMID 438260.
  6. A. M. Pappas: Congenital abnormalities of the femur and related lower extremity malformations: classification and treatment. In: Journal of pediatric orthopedics. Band 3, Nummer 1, Februar 1983, S. 45–60, ISSN 0271-6798. PMID 6841603.
  7. A. Rodriguez-Ramirez, M. M. Thacker, L. C. Becerra, E. C. Riddle, W. G. Mackenzie: Limb length discrepancy and congenital limb anomalies in fibular hemimelia. In: Journal of pediatric orthopedics. Part B. Band 19, Nummer 5, September 2010, S. 436–440, ISSN 1473-5865. doi:10.1097/BPB.0b013e32832d5d7d. PMID 20498623.
  8. S. Parada: Congenital absence of fibula, 2001, in: TheFetus.net
  9. J. Serafin: A new operation for congenital absence of the fibula. Preliminary report. In: The Journal of bone and joint surgery. British volume. Band 49, Nummer 1, Februar 1967, S. 59–65, ISSN 0301-620X. PMID 6019388.

Literatur

  • J. Prévot, P. Dalat-Leneveu, E. Leneveu, P. Lascombes: Hémimélie péronière congénitale. In: Chirurgie; mémoires de l'Académie de chirurgie. Band 120, Nummer 5, 1994–1995, S. 293–297, ISSN 0001-4001. PMID 7743850.
  • F. Hefti: Defektmissbildungen an den unteren Extremitäten. In: Der Orthopäde. Band 37, Nummer 4, April 2008, S. 381–402, ISSN 0085-4530. doi:10.1007/s00132-008-1250-4. PMID 18379756. (Review)

Bekannte betroffene Personen

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