Extrakorporale Stoßwellentherapie
Stoßwellen sind hochenergetische Druckwellen, die Schallwellen ähnlich sind, sich aber in Energie, Anstiegs- und Ausbreitungsgeschwindigkeit sowie der Art der Ausbreitung deutlich unterscheiden.
Anwendungsgebiete (Überblick)
Seit 1980 werden Nierensteine mittels der Extrakorporalen Stoßwellenlithotripsie (ESWL) erfolgreich behandelt (zertrümmert).
Seit 1989 werden Stoßwellen auch zur Behandlung von verzögert heilenden Knochenbrüchen (Pseudarthrosen) und mit geringerer Energie bei Sehnenansatzbeschwerden wie Epicondylitis, Fersensporn oder Kalkschulter und etlichen anderen Indikationen angewendet.
Seit 2000 wird die Stoßwelle in der Kardiologie verwendet zur Behandlung von Angina Pectoris.[1]
Seit etwa 2010 wird die extrakorporale Stoßwellentherapie auch in der Urologie eingesetzt, um Erektile Dysfunktion zu behandeln: Durch die Applikation von Stoßwellen wird die Neo-Angiogenese, also die Neubildung von Blutgefäßen stimuliert, was zu einer besseren Durchblutung des Penis und damit zu einer höheren Erektionsqualität führen soll.[2][3]
Methode
Ebenso wie bei der ESWL erzeugt ein Generator Körperschallwellen, die erst in der Tiefe des Körpers gebündelt (fokussiert) werden. Diese Verdichtung der Stoßwellen kann insbesondere bei einer Pulsfolge zur Zerrüttung eines Festkörpers, beispielsweise einer Verkalkung führen. Die Kalkablagerung wird durch die Stoßwellenbehandlung zu feinsten Partikeln zerrieben, dann vom Körper aufgenommen und auf dem Blutweg abtransportiert und ausgeschieden.
Ursprünglich wurden Stoßwellen durch eine elektrische Funkenentladung unter Wasser (siehe auch Hydroelektrische Umformung) erzeugt und mittels eines Halbellipsoiden in das Therapiegebiet fokussiert. Diese Methode der Stoßwellenerzeugung (elektrohydraulische Stoßwelle) geht zurück in die 1970er Jahre und wurde eingeführt, um Nieren- und Gallensteine ohne Operation zu entfernen. Im 21. Jahrhundert ist sie neben der elektromagnetischen und piezoelektrischen Stoßwellenerzeugung als ein Standard etabliert.
Bei der piezoelektrischen Stoßwellenerzeugung wird der inverse Piezoeffekt genutzt: Auf einem konkav gewölbten Träger angeordnete Piezokeramik-Elemente werden durch einen Hochspannungsimpuls kurzzeitig zeitgleich im Mikrometerbereich ausgedehnt und erzeugen einen Druckimpuls. Die Piezoelemente sind exakt zum Therapiefokus ausgerichtet. Durch präzise Fokussierung und nichtlineare Ausbreitung des Impulses kommt es durch Aufsteilung im Behandlungsfokus zur Stoßwellenformierung. Es ist eine direkte Fokussierung und kommt ohne zusätzlichen Reflektor aus. Eine weitere Methode ist, die Piezoelemente flach anzuordnen und mit zeitversetzten Impulsen derart anzuregen, dass sich die Schallwellen in einem Ort treffen. Dieses Verfahren nach dem Prinzip der phased-Array-Antenne wird auch in der Sonografie verwendet, um den Strahl zu fokussieren und zu schwenken. Diese Technologie ermöglicht eine flache Bauform der Pulsquelle sowie eine präzise, gut formbare Fokuszone. Konnten bis dato lediglich auf einen Punkt gerichtete oder defokussierte Pulsformen generiert werden, kann dieses Erzeugungsprinzip die Form des Schallfeldes/des Fokus auch linienförmig ausprägen.
Die elektromagnetische Stoßwellenerzeugung beruht auf dem physikalischen Prinzip der elektromagnetischen Induktion, vergleichbar mit der Tonerzeugung bei einem Lautsprecher. Spule und Membran sind dabei so optimiert, dass besonders kräftige, kurze akustische Impulse entstehen. Beim Stromdurchfluss bilden sich magnetische Felder um die Windungen der Spule, welche durch die Isolationsschicht hindurch in die Membran wirken. Der schnelle Stromanstieg hat zur Folge, dass in der Membran Wirbelströme induziert werden, welche dem ursprünglich vorhandenen Magnetfeld entgegengerichtet sind. Die daraus resultierenden abstoßenden Kräfte drücken die Membran von der Spule nach außen weg. Die entstehende Pulswelle kann sich anschließend einem Übertragungsmedium (z. B. Wasser) ausbreiten.
Durchführung
Mittels einer Röntgenaufnahme wird die Verkalkung sichtbar gemacht und dabei der Fokus eingestellt. Der Patient befindet sich auf einem Untersuchungstisch, die betroffene Körperregion liegt in einem Ausschnitt des Tisches auf einem weichen, halbrunden Kunststoffkissen, das mit Wasser gefüllt ist. Die in dieses Kissen eingeleiteten Stoßwellen, die beispielsweise von halbkreisförmig angeordneten Piezokristallen oder durch Wellenreflexion an einem Halbellipsoiden eingeleitet werden, setzen sich im wässrigen Medium fort und werden in einem Punkt gebündelt, im Zentrum der Verkalkung. Andere Körperstrukturen, die sich in der Nähe der Verkalkung befinden (beispielsweise Blutgefäße, Nerven, Sehnen), werden von der Stoßwelle zwar erfasst, aber nicht geschädigt, da sie nicht im Fokus der Stoßwelle liegen. Eine einzige Stoßwelle ist als lauter Ton zu hören und wird als Schlag, etwa wie bei einem kleinen Hammerschlag, empfunden. Die Häufigkeit der Stöße beträgt in etwa 60–300 pro Minute, die Stoßstärke kann der Verkalkung angepasst werden.
Bei oberflächennahen Behandlungen, beispielsweise beim Ulcus cruris, werden die Stoßwellen nicht fokussiert, sondern breitflächig in das Therapiegebiet eingebracht. Dazu bedarf es einer starken Energiequelle, da die gesamte Energie der Stoßwellen auf ein größeres Gebiet verteilt wird und somit schwächer wird. Um die Wirkung jedoch nicht zu verlieren, muss sichergestellt sein, dass im gesamten Therapiegebiet Stoßwellen mit ausreichendem Druck die erkrankten Zellen erreichen können. Neben den defokussierten Stoßwellen kommt hier auch die linear fokussierende Piezo-Stoßwelle zum Einsatz.
Nutzenbewertung
Mit Tennisarm, Fersensporn und Kalkschulter hat in Deutschland der IGeL-Monitor des Medizinischen Dienstes Bund drei Indikationen für eine extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) bewertet und kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen:
- Die ESWT beim Tennisarm und anderen Muskelansatzproblemen wird als „tendenziell negativ“ bewertet (Hinweise auf geringen Nutzen und Belege für geringe Schäden).[4]
- Die ESWT beim Fersenschmerz dagegen wird als „tendenziell positiv“ bewertet (Belege für Nutzen und Belege für geringe Schäden).[5]
- Die „tendenziell positive“ Bewertung der ESWT beim Fersenschmerz hat dazu geführt, dass die Leistung nach erneuter Begutachtung und Beratung im Gemeinsamen Bundesausschuss in Deutschland als Kassenleistung anerkannt ist: Seit Januar 2019 werden die Kosten von den dt. gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Die ESWT beim Fersenschmerz ist also keine Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) mehr.[5]
- Die ESWT bei der Kalkschulter wird als „unklar“ bewertet (Hinweise auf einen Nutzen, Belege für geringe Schäden).[6]
Unerwünschte Nebenwirkungen
Neben Blutergüssen kann es zu Schwellungen oder oberflächlichen Hauteinblutungen kommen. Seltener wird von einer kurzfristigen Schmerzverstärkung im Behandlungsgebiet berichtet. Bei nicht sachgerechter Handhabung kann es zu Schäden an knöchernen Strukturen, Blutgefäßen, Nerven oder Sehnen mit Früh- und Spätauswirkungen kommen.[7]
Die während der Behandlung empfundenen Schmerzen werden unterschiedlich stark wahrgenommen, Narkosebereitschaft wird vorgehalten, falls die Schmerzen zu stark werden. Wenn die Anfangsbeschwerden nach drei Sitzungen nicht deutlich besser geworden sind, sollte die Therapie nicht fortgesetzt werden.
Die ESWT als Therapie von Beschwerden im Bereich der Orthopädie gilt in Deutschland nicht als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Die Kosten der Behandlung muss der Patient selbst tragen. Eine Ausnahme davon ist ab 2019 die ESWT bei Fersenschmerz.
Auch bei der ESWT gibt es Therapieversager und Fälle, bei denen sich die Beschwerden nach der Behandlung verstärken. Es bedarf also einer sorgfältigen Indikationsstellung und des Einsatzes eines erfahrenen Arztes oder Therapeuten.
Weblinks
- Extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) (PDF; 934 kB) Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Zusammenfassender Bericht des Arbeitsausschusses Ärztliche Behandlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Beratungen des Jahres 1998 zur Bewertung der Extrakorporalen Stoßwellentherapie (ESWT) bei orthopädischen, chirurgischen und schmerztherapeutischen Indikationen gemäß §135 Abs. 1 SGB V
- Extrakorporale Stoßwellentherapie bei der Kalkschulter. IgeL-Monitor, 31. Mai 2013, aktualisiert am 19. September 2014; herausgegeben vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS)
- Physikalische Grundlagen der Stoßwellentherapie (PDF; 607 kB)
Einzelnachweise
- Stosswelle in der Kardiologie zur Behandlung der refraktären Angina pectoris. Abgerufen am 5. November 2020.
- Zhihua Lu, Guiting Lin, Amanda Reed-Maldonado, Chunxi Wang, Yung-Chin Lee: Low-intensity Extracorporeal Shock Wave Treatment Improves Erectile Function: A Systematic Review and Meta-analysis. In: European Urology. Band 71, Nr. 2, Februar 2017, ISSN 1873-7560, S. 223–233, doi:10.1016/j.eururo.2016.05.050, PMID 27321373.
- Anne B. Olsen, Marie Persiani, Sidsel Boie, Milad Hanna, Lars Lund: Can low-intensity extracorporeal shockwave therapy improve erectile dysfunction? A prospective, randomized, double-blind, placebo-controlled study. In: Scandinavian Journal of Urology. Band 49, Nr. 4, 2015, ISSN 2168-1813, S. 329–333, doi:10.3109/21681805.2014.984326, PMID 25470423.
- IGeL-Monitor, Bewertung der Stoßwellentherapie beim Tennisarm, abgerufen am 11. Oktober 2018.
- IGeL-Monitor, Bewertung der Stoßwellentherapie beim Fersenschmerz, abgerufen am 11. Oktober 2018.
- IGeL-Monitor, Bewertung der Stoßwellentherapie bei der Kalkschulter, abgerufen am 11. Oktober 2018.
- Nebenwirkungen (Memento vom 26. September 2008 im Internet Archive)