Emmaus
Emmaus (Aussprache ursprünglich [ˈɛmaʊ̯s], später [ɛˈmau̩s]) ist ein im Lukasevangelium erwähnter Ort in der Nähe von Jerusalem, aus dem Kleopas, ein Jünger Jesu, stammte. Emmaus bedeutet ‚warme Quelle‘ und war ein vergleichsweise häufiger Ortsname oder Namenszusatz.
Biblischer Bericht
Lukas berichtet, Kleopas und ein weiterer Jünger seien am Tag nach Pessach in niedergeschlagener Stimmung von Jerusalem nach Emmaus gegangen und dabei dem auferstandenen Jesus begegnet, ohne ihn jedoch zu erkennen. Der unbekannte Begleiter habe ihnen im Gespräch die Schrift ausgelegt und erklärt, das Leiden des Messias sei gemäß den Verheißungen der Propheten notwendig gewesen. In Emmaus angekommen, luden sie den Reisebegleiter ein, die Nacht über bei ihnen zu bleiben. Beim Abendmahl, als er das Brot brach, hätten sie in ihm den auferstandenen Jesus erkannt, der gleich darauf entschwand. Daraufhin seien sie noch am selben Abend nach Jerusalem zurückgelaufen, um den Aposteln und den anderen Jüngern von der Begegnung zu berichten. (Lk 24,13–35 )
Historische Lage
Die Lage des biblischen Emmaus ist nicht gesichert. Laut Lukasevangelium ist der Ort 60 Stadien (ca. 11,5 km) von Jerusalem entfernt. Er wird im Neuen Testament an keiner anderen Stelle erwähnt. Traditionell nehmen vor allem drei Orte für sich in Anspruch, das im Lukasevangelium erwähnte Emmaus zu sein: Amwas, Abu Gosch und El Qubeibeh. Der Historiker Carsten Peter Thiede († 2004) war überzeugt, ihm sei der Nachweis der Lage des bei Lukas erwähnten Ortes an einer vierten, bis dahin seltener in Betracht gezogenen Stelle nahe Jerusalem gelungen.[1]
Eusebius von Caesarea und Hieronymus bezeichneten im 5. Jahrhundert die in der Spätantike wiedergegründete Stadt Nikopolis – das heutige Amwas – als das Emmaus der biblischen Erzählung. Das Haus des Kleopas sei in eine Basilika umgewandelt worden. Problematisch daran ist, dass dieser Ort mit 32,5 km (mehr als 160 Stadien) zu weit von Jerusalem entfernt ist, um für die Geschichte der Emmausjünger in Frage zu kommen. Die von den Befürwortern der Identifikation angeführten Lesarten in einigen Textzeugen des Lukasevangeliums, in denen statt von 60 von 160 Stadien die Rede ist, dürften nach überwiegender Ansicht der Forschung nachträgliche Berichtigungen sein.[2] Außerdem müssten die Jünger Lukas zufolge den Weg von Jerusalem nach Emmaus und wieder zurück an einem Nachmittag und Abend gegangen sein, was im Fall einer solchen Entfernung und in dem hügeligen Gelände nur schwer zu bewältigen wäre.
In Abu Gosch wurde eine Kreuzfahrerkirche errichtet, die an den Gang nach Emmaus erinnern soll. Abu Gosch befindet sich tatsächlich in einer Distanz zu Jerusalem, die dem Bericht im Lukasevangelium entspricht, jedoch hieß der Ort in neutestamentlicher Zeit nicht Emmaus und es fehlen ebenso wie im Fall von El Qubeibeh weitere Anhaltspunkte, die die mittelalterlichen Ortstraditionen stützen könnten.
Thiede und andere Forscher der Theologischen Hochschule Basel haben Ausgrabungen in dem Jerusalemer Vorort Moza durchgeführt,[3] der zur neutestamentlichen Zeit möglicherweise ebenfalls Emmaus hieß. Thiede identifiziert Moza mit dem von Flavius Josephus in seinem Geschichtswerk Der Jüdische Krieg erwähnten Ort namens Ammassa oder Ammaous („Emmaus“), was sich aus dem in Bibel und Talmud belegten hebräischen Namen Ham-moza herleiten könnte.[4] Der Ort, an dem unter Kaiser Vespasian eine römische Veteranenkolonie entstand, soll Josephus zufolge 30 Stadien von Jerusalem entfernt liegen (die in mittelalterlichen Abschriften des Josephus-Textes enthaltene Entfernungsangabe von 60 Stadien wurde schon in der älteren Forschung als gelehrte Korrektur christlicher Kopisten erkannt).[5] Der lateinische Name der Kolonie („Colonia“) hat sich offenbar im Namen des 1948 geräumten arabischen Dorfes Qelonija erhalten, das sich bis dahin an der Stelle des heutigen Moza befand.[6] Zwar ist der Ort nur knapp 7 km (also in etwa 30 Stadien) von Jerusalem entfernt, doch könnte Lukas den Basler Forschern zufolge mit seiner Entfernungsangabe von 60 Stadien den Hin- und Rückweg summiert haben.
Das heutige Amwas war eine in biblischer Zeit nicht unbedeutende Siedlung, die über Grabanlagen aus makkabäischer und herodianischer Zeit verfügt;[7] allerdings war sie im Jahre 4 v. Chr. von den Truppen des römischen Feldherrn Publius Quinctilius Varus zerstört worden und wurde erst zu Beginn des 3. Jahrhunderts auf Geheiß des Kaisers Elagabal unter dem neuen Namen Nikopolis als Stadt wieder aufgebaut.[8] Nach den Grabungen Thiedes ist auch für Moza von einer Besiedlung in römischer Zeit vor der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 auszugehen.[9] Thiede sieht ähnlich einigen früheren Forschern in der Tatsache, dass Lukas von einem „Dorf“ spricht, ein Indiz dafür, dass das weiter von Jerusalem entfernt gelegene, allgemein als Stadt (Polis) bekannte Emmaus (Amwas) nicht gemeint sein könne.[10] Auch Josephus bezeichnet den Ort der Ansiedlung der Veteranen als schlichten „Platz“.[11] Dieses Argument wurde auch in der älteren Forschung kontrovers diskutiert und teils verworfen, weil die Ausdrücke jeden unbefestigten Ort bezeichnen könnten und der zerstörte Zustand der noch nicht wiedergegründeten Stadt Emmaus ihre Verwendung denkbar erscheinen lasse.[12]
Die Unterstützer der traditionellen Gleichsetzung des neutestamentlichen Emmaus mit Amwas (Nikopolis), darunter der Archäologe und Schriftsteller Karl-Heinz Fleckenstein und der evangelische Bibelhistoriker Rainer Riesner sowie Anhänger der am 17. Mai 2015 heiliggesprochenen katholischen Nonne Mirjam Baouardy, die den Ort des Emmausmahls 1878 in Amwas aufgrund einer Vision wiedererkannt haben will, berufen sich auf private Ausgrabungen seit den 1990er Jahren, durch die sich Nikopolis als der Ort mit der ältesten und beständigsten christlichen Emmaustradition im Heiligen Land erwiesen habe. Verwiesen wird auf judenchristliche Ossuariengräber aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert sowie aus dem 5. Jahrhundert stammende Mosaiken, die als Zeugnisse für eine Verehrung des Ortes auch als Schauplatz des Emmausgeschehens gedeutet werden könnten. Fleckenstein erkennt in den Mosaiken insbesondere ein Indiz für die im 5. Jahrhundert von dem Kirchenhistoriker Sozomenos überlieferte Tradition, Jesus sei bereits zu Lebzeiten in Emmaus gewesen und habe sich in der dortigen Heilquelle die Füße gewaschen.[13]
Dem Exegeten Jürgen Becker zufolge verbietet es die Spärlichkeit der von Lukas referierten Angaben, in dem biblischen Bericht ohne Weiteres die Gründungslegende für eine christliche Gemeinde in Emmaus zu sehen (beispielsweise ist im Evangelientext keine Rede davon, dass der Jünger Kleopas in Emmaus beheimatet wäre, und auch der Ort der Einkehr wird nicht näher bezeichnet).[14] Von daher sind die in Amwas gefundenen frühchristlichen archäologischen Zeugnisse im Hinblick auf eine Identifizierung der Stadt mit dem Ort der Erscheinung nicht sehr aussagekräftig. Andererseits betrachtet die redaktionsgeschichtliche Forschung auch die Entfernungsangabe von „60 Stadien“ im Lukasevangelium häufig als eine von der ursprünglichen Überlieferung einer Jesuserscheinung in Emmaus unabhängige Angabe des Evangelisten. Mit Bezug auf Emmaus und/oder den möglicherweise von dort stammenden Jünger Kleopas wäre demzufolge zunächst eine Überlieferung entstanden, wonach sich der Auferstandene zwei Jüngern nach gemeinsamer Wanderung beim Mahl offenbarte. Erst Lukas verbindet diese Tradition in seiner Erzählung mit dem Termin des Ostersonntags und mit dem Motiv einer Wanderung von und nach Jerusalem. Als Entfernung gibt er eine Strecke an, die in dem von ihm erzählten Zeitrahmen für Wanderer zu bewältigen wäre. Zur Lokalisierung des historischen Entstehungsortes der Tradition wäre diese literarische Angabe indes wertlos. In diesem Fall ließe sich auch die Identität des biblischen Emmaus mit dem späteren Nikopolis bzw. Amwas, das sich als einziger bekannterer Ort dieses Namens in der Umgebung von Jerusalem anbietet, relativ unproblematisch annehmen. Ein anderer Ort gleichen Namens käme aber ebenso in Betracht.[15]
Das Emmaus-Motiv in der Kunst
- Franz Ittenbach: „Gang nach Emmaus“, Kolumba-Museum
- Gemälde „Cena in Emmaus“ von Jacopo Bassano (1537/38) in der Kirche von Cittadella
- Gemälde „Christus in Emmaus“ von Rembrandt (1648)
- Kirchenfenster von Arnaud de Moles in der Kathedrale Sainte-Marie in Auch
- Gemälde von Caravaggio in der Liebfrauenkirche zu Brügge
- Gemälde „La Cena di Emmaus“ von Filippo Tarchiani (1625), County Museum, Los Angeles
- Gemälde von 1628 aus der Pinacoteca Civica in Cento
- P. Koloman Fellner OSB: Die Emmausjünger (1779)
Siehe auch
- Abendmahl in Emmaus (Caravaggio)
- Emmausgang, süddeutscher Osterbrauch
- Emmauskirche, ein häufiger Kirchenname
Literatur
- Immanuel Benzinger: Ammaus 2. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band I,2, Stuttgart 1894, Sp. 1843.
- Karl-Heinz Fleckenstein (Hrsg.): Emmaus in Judäa. Geschichte – Exegese – Archäologie. Brunnen-Verlag, Gießen 2003, ISBN 3-7655-9811-9.
- Carsten Peter Thiede, Matthew D’Ancona: Emmaus Mystery: Discovering Evidence for the Risen Christ. Continuum, London 2005, ISBN 0-8264-8067-5.
Weblinks
- Michael Wolter: Emmaus. In: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff.
Einzelnachweise
- Carsten Peter Thiede: Die Wiederentdeckung von Emmaus bei Jerusalem. In: Zeitschrift für antikes Christentum, 8 (2005), S. 593–599 (hier: 599).
- Michael Wolter: Emmaus. In: WiBiLex, Stuttgart 2010 (vgl. Abschnitt „3. Identifikationen“, erster Pkt.).
- Forschung um neutestamentlichen Ort Emmaus geht weiter, Nachricht aus www.israelnetz.com vom 22. Dezember 2005, abgerufen am 9. Mai 2015.
- Michael Wolter: Emmaus. In: WiBiLex, Stuttgart 2010 (vgl. Abschnitt „3. Identifikationen“, zweiter Pkt.).
- Edward Robinson, Eli Smith: Biblical Researches in Palestine and the Adjacent Regions, the Voyage of 1852. Boston 1856, S. 149; Adolf Schlatter: Einige Ergebnisse aus Niese's Ausgabe des Josephus. In: Zeitschrift des Deutschen Palästinavereins, XIX (1896), S. 222; L.-H. Vincent, F.-M. Abel: Emmaüs, sa basilique et son histoire. Paris 1932, S. 284–285.
- Carsten Peter Thiede: Die Wiederentdeckung von Emmaus bei Jerusalem. In: Zeitschrift für antikes Christentum, 8 (2005), S. 593–599 (hier: 594).
- Emmanuel Fleckenstein: Emmaus Nicopolis Film. Veröffentlicht am 20. Februar 2014 auf YouTube (Minute 6:04 bis 8:58).
- Emmanuel Fleckenstein: Emmaus Nicopolis Film. Veröffentlicht am 20. Februar 2014 auf YouTube (Minute 2:06 bis 2:50).
- Ulrich W. Sahm: Deutscher Forscher entdeckt das „wahre“ Emmaus. In: Materialdienst Nr. 6 (Dezember 2001) des Evangelischen Arbeitskreises Kirche und Israel.
- Carsten Peter Thiede: Die Wiederentdeckung von Emmaus bei Jerusalem. In: Zeitschrift für antikes Christentum, 8 (2005), S. 593–599 (hier: 593).
- Vgl. Bell. Jud., VII 6,6.
- Edward Robinson, Eli Smith: Biblical Researches in Palestine and the Adjacent Regions, the Voyage of 1852. Boston 1856, S. 149.
- Emmanuel Fleckenstein: Emmaus Nicopolis Film auf YouTube - Veröffentlicht am 20. Februar 2014 (Minute 9:20 bis 9:55).
- Jürgen Becker: Die Auferstehung Jesu Christi nach dem Neuen Testament. Tübingen 2007, S. 58.
- Michael Wolter: Emmaus. In: WiBiLex, Stuttgart 2010 (vgl. Abschnitt „4. Auswertung: Wo lag Emmaus wirklich?“).
Ähnlich: Jürgen Becker: Die Auferstehung Jesu Christi nach dem Neuen Testament. Tübingen 2007, S. 57f.