Divertikulitis

Die Divertikulitis ist eine Erkrankung des Dickdarmes, bei der sich in Ausstülpungen der Schleimhaut (Divertikel) eine Entzündung bildet. Das gehäufte Vorkommen solcher Ausstülpungen heißt Divertikulose und stellt die Vorstufe der Divertikulitis dar. Am häufigsten, das heißt in 95 Prozent der Fälle, ist das Colon sigmoideum betroffen (Sigmadivertikulitis, auch als „Linksseiten-Appendizitis“ bezeichnet). In einem Prozent kann eine Divertikulitis im Colon transversum und in je zwei Prozent im Caecum und im Colon ascendens auftreten. In der Regel handelt es sich bei den Sigmadivertikeln um sogenannte Pseudodivertikel, d. h. die Darmschleimhaut stülpt sich durch Lücken der muskulären Wand durch.

Klassifikation nach ICD-10
K57.- Divertikulose des Darmes, inkl. Divertikulitis Dünndarm, Dickdarm
K57.0- Divertikulose des Dünndarmes mit Perforation und Abszess oder mit Peritonitis
K57.1- Divertikulose des Dünndarmes ohne Perforation oder Abszess
K57.2- Divertikulose des Dickdarmes mit Perforation und Abszess oder mit Peritonitis
K57.3- Divertikulose des Dickdarmes ohne Perforation oder Abszess
K57.4- Divertikulose sowohl des Dünndarmes als auch des Dickdarmes mit Perforation und Abszess oder mit Peritonitis
K57.5- Divertikulose sowohl des Dünndarmes als auch des Dickdarmes ohne Perforation oder Abszess
K57.8- Divertikulose des Darmes, Teil nicht näher bezeichnet, mit Perforation und Abszess oder mit Peritonitis
K57.9- Divertikulose des Darmes, Teil nicht näher bezeichnet, ohne Perforation oder Abszess, Divertikulose des Darmes o.n.A.
Q43.8 Angeborenes Darmdivertikel
K38.2 Appendixdivertikel
Q43.0 Meckel-Divertikel
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Häufigkeit

Die Divertikelbildung im Dickdarm ist in westlichen Industrieländern häufig. Ihre Häufigkeit nimmt mit steigendem Alter zu. Bei unter 40-Jährigen ist sie selten, bei 60-Jährigen findet man sie zu ca. 30 Prozent und bei 85-Jährigen zu ca. 65 Prozent. Etwa 12 bis 25 Prozent aller Menschen, deren Darm Divertikel ausgebildet hat, erkranken an einer Divertikulitis.

Risikofaktoren sind ballaststoffarme Kost (laut einer Studie[1] gilt allerdings das Gegenteil) sowie mangelnde körperliche Aktivität bzw. Adipositas.[2][3] Auch der vermehrte Verzehr von rotem (speziell unverarbeitetem) Fleisch erhöht das Risiko; wenn stattdessen Geflügel oder Fisch konsumiert werden, vermindert dies das Risiko.[4] Eine vegetarische Ernährung senkt das Risiko, an Divertikulitis zu erkranken, signifikant.[5] Daneben gelten auch Rauchen und nichtsteroidale Antirheumatika als Risikofaktoren.[4]

Entstehung

Da Divertikel kotgefüllt sind, kann es durch Eindickung des Divertikelinhalts zur Entwicklung von sogenannten Kotsteinen kommen. Diese können zu Drucknekrosen der Schleimhaut im Divertikel führen, was wiederum Entzündungen der Divertikelschleimhaut zur Folge hat. Die Entzündung greift auf die Umgebung über, so dass es je nach Ausbreitungsrichtung zu Eiteransammlungen (Abszedierungen) im Fettgewebe oder zum Übergreifen auf umliegende Organe kommen kann. So können Fistelbildungen des Dickdarms mit anderen Darmregionen, der Harnblase oder auch der Scheide entstehen. Bei rasanter Geschwindigkeit des Entzündungsprozesses, wie es bei sehr alten Personen oder bei mit entzündungshemmenden Medikamenten behandelten Patienten der Fall sein kann, resultiert eine akut lebensbedrohliche freie Bauchfellentzündung (Peritonitis). Bei langandauernden Verläufen führt die entzündungsbedingte Verdickung der Darmwand zur Engstellung der Lichtung, was eine inkomplette (Subileus oder chronischer Ileus) oder komplette Störung der Darmpassage zur Folge haben kann, was als Darmverschluss (oder Ileus) bezeichnet wird.

Symptome und Diagnostik

Sigmadivertikulitis in der axialen Computertomographie. Deutliche Wandverdickung und multiple Divertikel.
Sigmadivertikulitis in der Sonographie. Deutliche Wandverdickung.

An Symptomen besteht ein plötzlich auftretender Schmerz über dem betroffenen Darmabschnitt am häufigsten im linken Unterbauch (deshalb auch Linksseiten-Appendizitis) oft mit Ausstrahlung in den Rücken und mit einer auf diesen Bereich begrenzten Peritonitis. Daneben sind häufige Symptome Fieber, Übelkeit, Erbrechen, eine Veränderung des Stuhlverhaltens von Durchfall bis Verstopfung mit Eiter und Schleim im Stuhl und Schwierigkeiten beim Wasserlassen, Dysurie genannt. In den Laborwerten fallen eine Erhöhung des CRPs und der Leukozyten auf. Teilweise kann bei der Untersuchung des Bauches des Betroffenen ein walzenförmiger Tumor (Tumor im Sinne einer raumfordernden Geschwulst) getastet werden. Die weitere Diagnostik erfolgt u. a. mit dem Ultraschall und einer CT-Untersuchung des Bauches. Im Intervall sollte auch eine Darmspiegelung erfolgen, um andere – insbesondere bösartige – Erkrankungen auszuschließen.

Stadieneinteilung

Eine allgemein verbindliche Stadieneinteilung der Divertikulitis existiert nicht. Für den klinischen Alltag eignet sich eine Klassifikation, die von Hansen und Stock vorgeschlagen wurde.[6] Sie stellt eine prätherapeutische Grundlage für die stadiengerechte Therapie der Divertikulitis dar. Es werden die Befunde der klinischen Untersuchung, des Kolon-Kontrasteinlaufs oder der Koloskopie und der Computertomografie des Bauches berücksichtigt.[7]

StadiumBezeichnungKlinik
0Divertikulosekeine
Iakute unkomplizierte DivertikulitisSchmerzen im Unterbauch, ggf. Fieber
IIakute komplizierte Divertikulitis
II aPeridivertikulitis, phlegmonöse DivertikulitisDruckschmerz, lokale Abwehrspannung, tastbare Resistenz, Fieber
II babszedierende Divertikulitis, gedeckte PerforationLokaler Peritonismus, Fieber, Darmatonie
II cfreie Divertikelperforationakutes Abdomen
IIIchronisch rezidivierende Divertikulitisrezidivierender Unterbauchschmerz, Obstipation, Subileus

Neue Stadieneinteilung

Gemäß S2k-Leitlinie "Divertikelkrankheit/Divertikulitis" der AWMF von Mai 2014 wurde die Klassifikation der Divertikelkrankheit und Divertikulitis verändert, lehnt sich jedoch weiterhin an die Klassifikation von Hansen und Stock an.

StadiumBezeichnungKlinik
Typ 0Asymptomatische DivertikuloseZufallsbefund; asymptomatisch; Keine Krankheit
Typ 1Akute unkomplizierte Divertikelkrankheit/Divertikulitis
Typ 1a- Divertikulitis/Divertikelkrankheit ohne UmgebungsreaktionAuf die Divertikel beziehbare Symptome; Entzündungszeichen (Labor); optional: Typische Schnittbildgebung
Typ 1b- Divertikulitis mit phlegmonöser UmgebungsreaktionEntzündungszeichen (Labor); obligat: Schnittbildgebung: phlegmonöse Divertikulitis
Typ 2Akute komplizierte Divertikulitis wie 1b, zusätzlich:
Typ 2a- Mikroabszess, gedeckte Perforation, kleiner Abszess (≤ 1 cm); minimale parakolische Luft
Typ 2b- Makroabszess, gedeckte Perforation, Para- oder mesokolischer Abszess (>1 cm)
Typ 2c- Freie Perforation, freie Luft/Flüssigkeit; generalisierte Peritonitis
Typ 2c1   - Eitrige Peritonitis
Typ 2c2   - Fäkale Peritonitis
Typ 3Chronische Divertikelkrankheit; Rezidivierende oder anhaltende symptomatische Divertikelkrankheit
Typ 3a- Symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit (SUDD)Typische Klinik; Entzündungszeichen (Labor): optional
Typ 3b- Rezidivierende Divertikulitis ohne KomplikationenEntzündungszeichen (Labor) vorhanden; Schnittbildgebung: typisch
Typ 3c- Rezidivierende Divertikulitis mit KomplikationenNachweis von Stenosen, Fisteln, Konglomerat
Typ 4DivertikelblutungNachweis der Blutungsquelle

Komplikationen

Sigmadivertikulitis mit Perforation und kleinem Abszess

Differentialdiagnose

Behandlung

Die Behandlung erfolgt in der Regel im Krankenhaus, nur bei leichten Divertikulitiden kann eine ambulante Antibiotikabehandlung in Betracht gezogen werden. Mögliche Antibiotika sind Metronidazol, Ciprofloxacin und Cefuroxim. Initiale Nulldiät mit parenteraler Ernährung oder flüssige Ernährung können durch Ruhigstellung des Darmes ggf. das Befinden des Patienten bessern. Die Auflage von Eis auf die betroffene Region des Bauches (sog. Eisblase) kann den Entzündungsschmerz lindern und eventuell die Entzündung an einer weiteren Ausbreitung hindern. Da die Gefahr eines Rezidives mit Komplikationen (wie z. B. einer Perforation und dann kotiger Peritonitis) besteht, wird insbesondere bei rezidivierender Divertikulitis eine Resektion des betroffenen Darmabschnittes im entzündungsfreien Intervall empfohlen. Diese generelle OP-Indikation ab dem 2. Schub gilt heute als obsolet. Die OP-Indikation richtet sich heutzutage nach dem Komplikationsverlauf, sodass mehrere unkomplizierte Rezidive nicht zwingend operationswürdig sind. Diese elektive Operation kann heutzutage meist laparoskopisch durchgeführt werden. Kommt es zu Komplikationen wie einer Perforation oder einer starken Blutung, ist meist eine sofortige Operation erforderlich. Eine Notfalloperation nach einer schweren Komplikation wird meist in Form der sogenannten Hartmann-OP durchgeführt, d. h. es wird vorübergehend ein Enterostoma angelegt, um eine Vernähung zweier entzündeter Darmabschnitte zu vermeiden – eine einzeitige Operation ohne Enterostoma ist aber auch hier grundsätzlich möglich. Im Falle einer gedeckten Perforation, d. h. einer Perforation, die von benachbarten Organen abgedichtet wird, genügt meist eine konservative Therapie. Ein Abszess im entzündeten Darmabschnitt kann heutzutage auch perkutan drainiert werden.[3] Die Letalität liegt bei phlegmonöser Divertikulitis unter einem Prozent, bei abszedierender Divertikulitis bei ca. 1 bis 3 Prozent und bei einer freien Perforation bei 12 bis 24 Prozent.[8]

Literatur

  • H.-W. Baenkler, D. Fritze u. a.: Innere Medizin. (= Duale Reihe). Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3-13-128751-9, S. 1090–1091.
  • H. Barth, A. Böhle u. a.: Chirurgie. (= Duale Reihe). 2. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2003, ISBN 3-13-125292-8, S. 395–399.
Commons: Divertikulitis – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. F. Anne. et al. A High-Fiber Diet Does Not Protect Against Asymptomatic Diverticulosis. In: Gastroenterology. Februar 2012.
  2. Hjern, F. et al,.: Obesity, physical inactivity, and colonic diverticular disease requiring hospitalization in women: a prospective cohort study. In: Am J Gastroenterol. Nr. 107, 2012, S. 296–302, doi:10.1038/ajg.2011.352, PMID 19062658.
  3. M. H. McCafferty, L. Roth, J. Jorden: Current management of diverticulitis. In: The American surgeon. Nr. 74(11), 2008, S. 1041–1049, PMID 19062658.
  4. Cao, Y. et al.: Meat intake and risk of diverticulitis among men. In: Gut. Band 0, 2017, S. 1–7, doi:10.1136/gutjnl-2016-313082, PMID 28069830 (bmj.com [PDF]).
  5. F. L. Crowe, P. N. Appleby, N. E. Allen, T. J. Key: Diet and risk of diverticular disease in Oxford cohort of European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC): prospective study of British vegetarians and non-vegetarians. PMID 21771850.
  6. O. Hansen, F. Graupe, W. Stock: Prognosefaktoren der perforierten Dickdarmdiverticulitis. In: Der Chirurg. Nr. 69(4), April 1998, S. 443–449, doi:10.1007/s001040050436.
  7. C. T. Germer, V. Groß: Divertikulitis: Wann konservativ, wann operativ behandeln? In: Deutsches Ärzteblatt. Nr. 104(50), 2007, S. 3486–3491.
  8. J. Chapman, M. Davies, B. Wolff, E. Dozois, D. Tessier, J. Harrington, D. Larson: Complicated diverticulitis: is it time to rethink the rules? In: Annals of Surgery. Nr. 242(4), 2005, S. 576–581, PMID 16192818.

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