Dereliktion
Dereliktion (von lat. de=„von, weg“ und relinquere= „verlassen, zurücklassen“) bezeichnet als Rechtsbegriff die Aufgabe des Besitzes an einer Sache in der erkennbaren Absicht der Preisgabe des Eigentums durch den Eigentümer.
Deutschland
Sie geschieht nach deutschem Sachenrecht bei beweglichen Sachen gemäß § 959 BGB durch Besitzaufgabe mit dem Willen, das Eigentum erlöschen zu lassen. Die Sache wird dadurch herrenlos, so dass sie jeder okkupieren beziehungsweise sich aneignen kann. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob aus einer Besitzaufgabe auf den Verzichtswillen geschlossen werden kann. Es ist etwa umstritten, ob die Bereitstellung von Gegenständen für den Sperrmüll zu einer Dereliktion führt. Für den Standardfall wird dies von der herrschenden Meinung bejaht[1], teilweise wird auf den Einzelfall abgestellt und zur Zurückhaltung bei der Annahme einer auf Dereliktion gerichteten Erklärung gemahnt. Bei persönlichen Gegenständen wie Tagebüchern, persönlichen Notizen oder selbstgemalten Bildern eines Malers[2][3] wird ein Wille (zum Eigentumsübergang) zur Vernichtung und nicht zur Eigentumsaufgabe angenommen. Ebenso falls ein Supermarkt Lebensmittel in einem verschlossenen Container zur Abholung durch ein Entsorgungsunternehmen bereitstellt (vergleiche Containern).[4] Jedenfalls sind, soweit vorhanden, Abfallsatzungen zu beachten, in denen gegebenenfalls originärer Eigentumserwerb der Gemeinde durch Aneignung geregelt sein kann.
Ein anderes Beispiel ist die Eigentumsaufgabe von zur Mitführung nicht gestatteten Gegenständen vor einer Sicherheitskontrolle am Flughafen. Typischerweise steht dort ein Behälter, in welchem beispielsweise Flaschen o. ä. entsorgt werden können. Am Flughafen Frankfurt sind die Behälter mit Eigentumsaufgabe, § 959 BGB beschriftet, am Flughafen Stuttgart mit Eigentumsaufgabe nach § 959 BGB.
Bei der Dereliktion durch Minderjährige ist umstritten, ob die Dereliktion einen Realakt oder eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung gemäß § 111 BGB darstellt. Sofern letzterer Meinung gefolgt wird, wäre diese Willenserklärung als rechtlich nachteilig zu erachten, da der Minderjährige die Rechtsposition des Eigentums verliert; fehlt in diesem Zusammenhang die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (Eltern), ist die Erklärung unwirksam und die Sache würde im Eigentum des Minderjährigen verbleiben. Sie wäre lediglich besitzlos geworden.
Die Dereliktion einer unbeweglichen Sache („Immobilie“) kann gemäß § 928 BGB durch Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt erfolgen und im Grundbuch eingetragen werden. In diesem Fall ist allein der Fiskus (konkret: das jeweilige Bundesland) berechtigt, jedoch nicht verpflichtet, sich das herrenlose Grundstück anzueignen. Erklärt das Land den Verzicht auf dieses Recht, kann ein Dritter sich das Eigentum anschließend durch (gemäß § 29 GBO formbedürftige) Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt aneignen. Die Aneignung wird durch Eintragung im Grundbuch wirksam. Gibt das Land keine Erklärung gegenüber dem zuständigen Grundbuchamt ab (was der Regelfall ist), bleibt das Grundstück herrenlos, das Aneignungsrecht zugunsten des Landes aber bleibt bestehen. Das Aneignungsrecht kann durch gesiegelte Erklärung (§ 29 Abs. 3 GBO) der zuständigen Landesbehörde Dritten übertragen werden. Bei überschuldeten Grundstücken kann (und wird in der Praxis) das Land gegenüber dem Grundbuchamt den Verzicht auf das Aneignungsrecht erklären.[5]
Durch Dereliktion wird der ehemalige Eigentümer prinzipiell frei von allen Lasten, die an das Eigentum gebunden sind. Andere Rechte und Verpflichtungen (Schulden, die z. B. durch ein Pfandrecht auf die Liegenschaft abgesichert wurden) bleiben bestehen und das Vereiteln einer Zwangsvollstreckung (z. B. bei Hypotheken) ist strafbar (§ 288 dtStGB, § 162 öStGB). Dereliktion ist damit kein Mittel, sich von Schulden zu befreien. Er ist jedoch im Rahmen seiner polizeirechtlichen Zustandsstörerhaftung weiter verantwortlich für Gefahren, die vom Grundstück ausgehen. Die Zustandsstörerhaftung ist allerdings auf das zumutbare Maß begrenzt.[6] Eine Inanspruchnahme des ehemaligen Eigentümers eines Grundstücks kann auch dann unzumutbar sein, wenn eine Gefahrenlage erst nach Eigentumsaufgabe entsteht.[7] Weiterhin haftet er aufgrund § 4 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 2 BBoSchG für die Kosten einer gegebenenfalls notwendigen Dekontamination. Dingliche Rechte am Grundstück (z. B. Grundschulden) bleiben auch durch eine Eigentumsaufgabe unberührt.[8]
Weblinks
Deutschland:
- Beitrag in der Mailingliste URECHT (Memento vom 29. Oktober 2005 im Internet Archive)
- Bernhard Möller: Dereliktion (Artikel in OpinioIuris)
- Rechtslexikon: Dereliktion, auf: rechtslexikon.net
Schweiz:
- Insolvenz- und Wirtschaftsrecht 2/2000 (PDF; 68 kB)
Einzelnachweise
- Landgericht Bonn, Urteil vom 25. Juni 2002, Aktenzeichen 18 O 184/01 = NJW 2003, 673 (674), beck-online.
- Landgericht Ravensburg, Urteil vom 3. Juli 1987, Aktenzeichen 3 S 121/87 = NJW 1987, 3142, beck-online.
- Johann Kindl in BeckOK BGB, Hau/Poseck, 55. Edition, Stand: 1. August 2020 § 959 Rn. 2.
- Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 2. Oktober 2019, Aktenzeichen 206 StRR 1013/19, 206 StRR 1015/19.
- Anfrage der Abgeordneten Hofmeyer (SPD): Unterhaltung und Sicherung landeseigener und "herrenloser" Grundstücke und Gebäude im Landkreis Kassel und Antwort des Ministers der Finanzen vom 11. August 2010 (PDF; 63 kB).
- Umwelt- und Planungsrecht, Heft 6/2010, S. 239.
- OVG Münster, Beschluss vom 3. März 2010, Az. 5 B 66/10, Volltext = NJW 2010, 1988.
- Siehe hierzu Hans-Dieter Ehlenz / Kathrin Hell: Die Aufgabe des Eigentums an einem Grundstück aus Gläubigersicht, ZfIR 2010, 171.