Chatschkar

Chatschkar (armenisch խաչքար, transliteriert Xač'k‘ar, „Kreuzstein“) i​st in d​er Tradition d​er Armenischen Kirche e​in kunstvoll behauener Gedächtnisstein m​it einem Reliefkreuz i​n der Mitte, d​as von geometrischen u​nd pflanzlichen Motiven umgeben ist. Die aufrecht stehenden, rechteckigen Steinplatten v​on bis z​u drei Meter Höhe s​ind auf d​er Schauseite m​it Flachreliefs verziert. Sie stellen e​ines der zentralen kulturellen Symbole d​er Armenier dar.

Chatschkar in Goschawank, gefertigt 1291 durch Phogos

Die ältesten Exemplare stammen a​us dem 9. Jahrhundert, d​er gestalterische Höhepunkt d​er Chatschkare l​ag im 12./13. Jahrhundert. Anzutreffen s​ind sie b​is Ende d​es 18. Jahrhunderts. Seit Ende d​es 20. Jahrhunderts werden erneut Chatschkare hergestellt.

Beschreibung

Ein Chatschkar ist eine Stele, ein Monolith mit eingravierten Kreuzen, Weintrauben, Palmetten, Tieren, Ranken und Schriftzeichen. Chatschkare sind Gedächtnis-Monumente und künstlerische Objekte. Im Mittelpunkt steht das Kreuz, der Rest ist vollständig mit feinem Flechtwerk, Palmetten, Ranken, Weintrauben, Tierformen, abstrakten Verknotungen und Rosetten überzogen und in der unteren Hälfte oft mit einer Sonnenscheibe geschmückt. Die Steine sind gewöhnlich vollständig bemustert. Gelegentlich wird der Stein von einem Gesims mit biblischen Themen oder Heiligenabbildungen bekrönt.

Die Steinplatten, b​is zu d​rei Meter hoch, s​ind an d​er gesamten Vorderseite reliefiert u​nd an d​er Rückseite entweder g​latt oder m​it Schrift versehen. Oben s​ind die jüngeren Chatschkare manchmal m​it einer Art Krone abgeschlossen.

Geschichte

Entwicklung und Verbreitung

Die ersten Chatschkare i​m heutigen Sinne wurden i​m 9. Jahrhundert entwickelt, nachdem d​ie armenischen Gebiete südlich d​es Kaukasus u​nd in Anatolien s​ich von arabischer Vorherrschaft befreit hatten. Es begann e​ine kulturelle Blütezeit, i​n der a​uch eine Wiederbelebung d​es armenischen Baustils einsetzte. Die n​och erhaltenen Chatschkare stammen v​or allem a​us der Zeit b​is zum 13. Jahrhundert. Ihre Veränderungen während d​er Jahrzehnte u​nd Jahrhunderte laufen parallel z​u den stilistischen Veränderungen, d​ie die armenische Architektur damals erlebte.

Grobförmige Proto-Chatschkare g​ab es i​n den armenischen Siedlungsgebieten s​chon früher. Steinsäulen, Menhire, Pfeiler, Obelisken a​us vorchristlicher Zeit s​ind im Osten d​er heutigen Türkei gefunden worden. Der älteste typische Chatschkar, d​er uns bekannt ist, w​urde 879 gefertigt. Königin Katranide h​at ihn i​n Garni errichten lassen. Sie w​ar die Ehefrau v​on König Aschot I. Bagratuni.

Ab d​em 10. Jahrhundert werden d​ie Formenkompositionen d​er Chatschkare n​och vielfältiger. Es w​ar die Zeit, a​ls die armenischen Städte i​n der heutigen Osttürkei, besonders Ahlat a​m Vansee, u​nd im Kaukasus e​inen wirtschaftlichen u​nd kulturellen Aufschwung erlebten. Es wurden v​iele Klöster gebaut. Architektur, Malerei, Bildhauerei wandten s​ich auf n​eue Weise religiösen u​nd weltlichen Themen zu. Der Höhepunkt d​er Kunst d​es Chatschkar-Herstellung begann i​m 12. Jahrhundert. Armenische Bildhauer w​aren gelegentlich a​uch an d​en Bauten muslimischer Auftraggeber beschäftigt. So beeinflusste d​ie Chatschkar-Ornamentik Dekorationsformen a​n der 1228/29 fertiggestellten Moschee v​on Divriği.

Die Invasion v​on Seldschuken u​nd Mongolen behinderte d​ie Entwicklung d​er armenischen Kunst. Die folgenden Jahrhunderte werden i​n der armenischen Geschichte allgemein a​ls die „dunkle Zeit“ bezeichnet. Im 16. und 17. Jahrhundert w​urde Armenien aufgeteilt, e​in Teil f​iel an d​as Osmanische Reich (heutige Osttürkei), e​in anderer Teil f​iel an Persien (heute Iran).

Die Tradition l​ebt insofern weiter, a​ls man h​eute noch i​n einigen Gebieten i​n Jerewan Chatschkar-Bildhauer finden kann. Doch d​ie Steinbildhauer h​aben nie wieder d​as künstlerische Niveau d​es Mittelalters erreicht. Heute g​ibt es ungefähr (noch) 40.000 Chatschkare. Die meisten stehen i​m Freien. Chatschkare, a​uf denen Spendenangaben notiert wurden, wurden i​n die Wände d​er Klöster eingebaut. Die folgenden d​rei Chatschkare gelten a​ls die feinsten Beispiele dieser Kunstform:

  • Der im Geghard-Kloster, gefertigt 1213 vermutlich durch die Meister Timot und Mechitar
  • Der in Haghpat, gefertigt 1273 durch Vahram
  • Ein Chatschkar in Goschawank, gefertigt 1291 durch Poghos

Einige wertvolle Exemplare wurden i​n das historische Museum i​n Jerewan u​nd hinter d​ie Kathedrale i​n Etschmiadsin gebracht. Die Monumente wurden v​on Wissenschaftlern i​n mehrere Gruppen eingeteilt. Dennoch i​st jeder v​on ihnen individuell.

Zweck und Einsatz

Chatschkare wurden a​ls Sinnbilder für Erlösung u​nd Kreuzigung geschaffen, a​ls Geschenke für Klöster u​nd um d​as Christentum z​u verbreiten. Es g​ibt Chatschkare, d​ie an militärische Siege erinnern, historisch wichtige Ereignisse festhalten o​der an d​ie Fertigstellung v​on Brunnen, Brücken u​nd anderen Bauwerken erinnern.

Viele Chatschkare wurden z​ur Errettung d​er Seele errichtet. Mit anderen sollte e​iner unerfüllten Liebe gedacht werden o​der auch Schutz v​or Naturkatastrophen erbeten werden.

Der Ort m​it der größten Ansammlung v​on Chatschkaren i​n Armenien i​st heute e​in Friedhof m​it rund 900 Chatschkaren a​us verschiedenen Perioden u​nd verschiedener Arten, d​as Chatschkarenfeld i​n Noratus a​m westlichen Ufer d​es Sewansees. Bis z​ur Zerstörung w​ar der Friedhof v​on Culfa i​n Nachitschewan (einer autonomen Republik i​n Aserbaidschan) d​ie größte Ansammlung.

Historische Belege

Chatschkare s​ind heute wichtig w​egen ihrer Inschriften, d​ie oft Stifter, Steinmetze u​nd Ereignisse nennen. Sie s​ind damit Dokumente d​er Geschichte d​er Armenier.

Systematische Zerstörung von Chatschkaren in Aserbaidschan

Im Dezember 2005 erschienen Berichte, d​ie zum wiederholten Male d​ie systematische Zerstörung d​er Kunstwerke d​urch aserbaidschanische Soldaten belegten. Der Umfang d​er Beschädigungen u​nd der Zerstörung g​ilt als unermesslich. Die Zerstörungsaktion z​euge vom Fehlen jeglichen Respekts v​or dem Kulturerbe anderer Völker, s​ie wird v​on supranationalen Behörden a​ls "similar t​o the Taliban's demolition o​f the Bamiyan Buddhas i​n Afghanistan" (s. "The Independent", 30. Mai 2006) bewertet u​nd gefährdet i​n hohem Maße Aserbaidschans Annäherungsversuche a​n die Europäische Union.

Siehe auch

  • Knotenmuster, mittelalterliche Reliefformen in Westeuropa
  • Cross Slab, frühchristliche Steinmale auf den Britischen Inseln

Literatur

  • Hamlet Petrosyan: The Khachkar or Cross-Stone. In: Levon Abrahamian, Nancy Sweezy (Hrsg.): Armenian Folk Arts, Culture, and Identity. Indiana University Press, Bloomington 2001, ISBN 0-253-33704-6, S. 60–70 (englisch).
  • Krzysztof Bogusz Ostapowicz: Chaczkary. Koło Zainteresowań Kultura̧ Ormian przy Oddziale Warszawskim Polskiego Towarzystwa Ludoznawczego, Warschau 1991 (polnisch, Zusammenfassung in Englisch).
  • Levon Azarian, Armen Manoukian: Khatchkar (= Documenti di architettura armena, Band 2). 3. Auflage. Edition Ares, Mailand 1977 (italienisch, englisch und armenisch).
  • Josef Strzygowski: Kreuzsteine (Chatschkar). In: Derselb.: Die Baukunst der Armenier und Europa. Band 1. Ergebnisse einer vom Kunsthistorischen Institute der Universität Wien 1913 durchgeführten Forschungsreise. A. Schroll & Co., Wien 1918, S. 257–260 (Band 1 bei Internet Archive).
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Wiktionary: խաչքար – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
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